Oden

Gotthold Ephraim Lessing

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  • Abschied eines Freundes
  • An Herr Gleim
  • An den Herrn N**
  • An seinen Bruder
  • Auf eine vornehme Vermaehlung
  • Der 24ste Jenner in Berlin
  • Der Eintritt des 1752sten Jahres
  • Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin
  • Der Eintritt des Jahres 1754 in Berlin
  • Der Eintritt des Jahres 1755 in Berlin
  • Der Tod eines Freundes
  • Ode auf den Tod des Marschalls von Schwerin, an den H. von Kleist.
  • Orpheus
  • [Uebersetzung der Ode des Horaz “Ad Barinen"]
  • [An Maecen]
  • [Bruchstueck einer Ode auf den Tod eines Freundes]
  • Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient
    German books in London.
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    Abschied eines Freundes


    Schon hast du, Freund, der letzten letzte Kuesse
    Auf nasse Wangen uns gedrueckt;
    Schon schon, beim Zaudern unentschlossner Fuesse,
    Den schnellen Geist vorweg geschickt.


    Fuer uns dahin! Doch nein, dem Arm entfuehret,
    Wirst du dem Herzen nicht entfuehrt.
    Dies Herz, o Freund, einmal von dir geruehret,
    Bleibt ewig, trau! von dir geruehrt.


    Erwarte nicht ein taeuschend Wortgepraenge,
    Fuer unsre Freundschaft viel zu klein.
    Empfindung hasst der Reime kalte Menge,
    Und wuenscht unausposaunt zu sein.


    Ein feuchter Blick sind ihre Zaubertoene;
    Ein schlagend Herz ihr ruehrend Lied.
    Sie schweigt beredt, sie stockt, sie stammelt schoene,
    Ums staerkre Wort umsonst bemueht.


    Es winken dir beneidenswerte Fluren,
    Nur unsers Neides minder wert.
    Zieh hin! und find auch da der Vorsicht goldne Spuren,
    Um dich besorgt, von dir verehrt.


    Dort* herrscht die Ruh, dort ist der Laerm vergangen,
    Der hier** noch Musen stoeren darf,
    Seit Pallas gern, auf Friederichs Verlangen,
    Die spitze Lanze von sich warf.


    * Halle.


    ** Wittenberg.

    An Herr Gleim


    Umsonst rUestet Kalliope den Geist ihres Lieblings zu hohen Liedern;
    zu Liedern von Gefahren und Tod und heldenmuetigem Schweisse.


    Umsonst; wenn das Geschick dem Lieblinge den Held versagt, und beide
    in verschiednen Jahrhunderten, oder veruneinigten LAendern geboren
    werden.


    Mit Dir, Gleim, ward es so nicht! Dir fehlt weder die Gabe den
    Helden zu singen, noch der Held. Der Held ist Dein KOenig!


    Zwar sang Deine frohe Jugend, bekraenzt vom rosenwangigten Bacchus,
    nur von feindlichen Maedchen, nur vom streitbaren Kelchglas.


    Doch bist Du auch nicht fremd im Lager, nicht fremd vor den
    feindlichen Waellen und unter brausenden Rossen.


    Was haelt Dich noch? Singe ihn, Deinen Koenig! Deinen tapfern, doch
    menschlichen; Deinen schlauen, doch edeldenkenden Friedrich!


    Singe ihn, an der Spitze seines Heers; an der Spitze ihm aehnlicher
    Helden; soweit Helden den Goettern aehnlich sein koennen.


    Singe ihn, im Dampfe der Schlacht; wo er, gleich der Sonne unter den
    Wolken, seinen Glanz, aber nicht seinen Einfluss verlieret.


    Singe ihn, im Kranze des Siegs; tiefsinnig auf dem Schlachtfelde, mit
    traenendem Auge unter den Leichnamen seiner verewigten Gefaehrten.


    Du weisst, wie Du ihn am besten singen sollst. Ich will unterdes mit
    aesopischer Schuechternheit, ein Freund der Tiere, stillere Weisheit
    lehren.-Ein Maerchen vom blutigen Tiger, der, als der sorglose Hirt
    mit Chloris und dem Echo scherzte, die arme Herde wuergte und
    zerstreute.


    Ungluecklicher Hirte! Wenn wirst Du die zerstreuten Laemmer wieder um
    Dich versammeln? Wie rufen sie so aengstlich im Dornengehecke nach
    Dir!

    An den Herrn N**


    Freund, noch sind ich und du dem Gluecke
    Ein leichter Schleiderball.
    Und doch belebt auf seine Tuecke
    Kein beissend Lied den Widerhall?


    Der Tor gedeiht, der Spoetter steiget,
    Dem Boesen fehlt kein Heil.
    Verdienst steht nach, und fuehlt gebeuget
    Ein lohnend Amt dem Golde feil.


    Auf, Freund! die Geissel zu erfassen,
    Die dort vermodern will.
    Seit Juvenal sie fallen lassen,
    Liegt sie, Triumph ihr Laster! still.


    Geduld! Schon rauscht sie durch die Luefte,
    Blutgierig rauscht sie her!
    Verbergt, verbergt die blosse Huefte!
    Ein jeder Schmiss ein giftger Schwaer!


    Erst raeche dich, dich Freund der Musen.
    Du raechest sie in dir!
    Doch dann auch mich, in dessen Busen
    Ein Geist sich regt, zu gut fuer hier.


    Vielleicht, dass einst in andern Welten
    Wir minder elend sind.
    Die Tugend wird doch irgends gelten.
    Das Gute koemmt nicht gern geschwind.

    An seinen Bruder


    Auch dich hat, da du wardst geboren,
    Die Muse laechelnd angeblickt;
    Auch du hast dich dem Schwarm der Toren
    Auf jungen Fluegeln kuehn entrueckt!


    Ihm nach, dem Liebling des Maecenen!
    Ihm nach, sein Name sporne dich!
    Er lehrte dich, das Laster hoehnen;
    Er mache dich ihm fuerchterlich!


    Oh! schnitten wir mit gleichem Fluge
    Die Luefte durch zur Ewigkeit!
    Oh! schilderte mit einem Zuge
    Zwei Brueder einst die Richterzeit!


    “Die zwei", so soll die Nachwelt sprechen,
    “Betaumelte kein Modewahn,
    Die Sprache schoen zu radebrechen,
    Zu stolz fuer eine Nebenbahn.”


    Betritt der Alten sichre Wege!
    Ein Feiger nur geht davon ab.
    Er suchet blumenreichre Stege,
    Und findet seines Ruhmes Grab.


    Doch lerne frueh das Lob entbehren,
    Das hier die Scheelsucht vorenthaelt.
    Gnug, wann versetzt in hoehre Sphaeren,
    Ein Nachkomm uns ins Helle stellt!

    Auf eine vornehme Vermaehlung


    Paar, das, vom Glueck geliebt, auch Liebe gluecklich macht,—
    Sie, die ein fuehlend Herz, und nicht die Ahnen schaetzet,
    Und nicht der Wuerden saure Pracht,
    Und nicht der Taten Glanz, die man in Marmor aetzet—
    Er koemmt, hier ist er schon, der schoenste deiner Tage,
    Der schoenste, weil die Lieb ihn schmueckt,
    Und ihr erfuellter Wunsch der Hoffnung suesse Plage
    Im Wechselkuss erstickt.


    Dort in Aurorens Reich, am Quell vom ewgen Licht,
    Wo unsre Tage stehn, die Wieg und Grab umgrenzen—
    Ein sterblich Auge zaehlt sie nicht—
    Dort sah, Beglueckte glaubts, der Dichter eure glaenzen!
    Schnell hob sich dieser Tag, kenntbar am Rosenkranze,
    Aus der gemeinen Tage Schar.
    Es wuchs sein Glanz, und wuchs und ueberstieg am Glanze
    Den Tag, der euch gebar.


    So wie ein Bach, der in der Wueste schleicht,
    Vergebens sein Krystall auf lauter Kieseln rollet,
    Wenn ihn der Wandrer nicht erreicht,
    Dem er den suessen Trunk, und dann das Schlaflied zollet:
    So fliesst in kalter Still, in ungenossnen Stunden,
    In Tagen, die Verdruss umhuellt,
    Das faule Leben fort, die traurigen Sekunden,—
    Wenn sie nicht Liebe fuellt.


    Fuehlt ihr es, selig Paar? Und selig, wer es fuehlt!
    Der Mensch, sich selbst ein Feind, kehrt oft den blinden Ruecken
    Der Wollust zu, auf die er zielt,
    Sucht in Zerstreuung Ruh, und Ruhm in Bubenstuecken.
    Seht sie, vom Traum getaeuscht, in Sorg und Luesten schweben,
    Dem fraessgen Strudel unsrer Zeit!
    Dann waegt ihr Glueck und sagt: Gebt ihr fuer all ihr Leben
    So einen Tag als heut?


    Dort sinnt, in banger Nacht, ein Sklav von fluechtgem Ruhm
    Von Amt auf Aemter hin. Der Maertyrer der Titel,
    Des kranken Wahnes Eigentum,
    Schaemt sich, vor lauter Ehr, auch nicht entehrter Mittel.
    Hier haeuft der bleiche Geiz das Geld zur eignen Plage,
    Und atmet kaum vor Hunger mehr.
    Sagt, liebend Paar, gebt ihr fuer ihre ganzen Tage
    So einen Tag, als der?


    Er selbst, der kuehne Held, wenn er vom Kriegsgott glueht—
    Du weisst es, Braeutigam!—sprich, wenn im blutgen Streite
    Er starr mit einem Blicke sieht
    Vor sich den wilden Tod, und Ewigkeit zur Seite;
    Wenn er, da ueber ihm die Himmel Famen hoeren,
    Fuer Friedrichen und durch ihn siegt—
    Bist du—gesteh es nur der Menschlichkeit zu Ehren—
    So schoen, als jetzt vergnuegt?


    O Braut, press ihm dies Nein—vermag dein Reiz es doch—
    Aus der bewegten Brust. Und ja, dir wird ers sagen.
    Der sanften Lieb unschimpflich Joch
    Ward auch vom Tapfersten im Lorbeerkranz getragen.
    Nur tolle Haerte waehnt, es traet ein zaertlich Herze
    Dem Mut, dem staehlern Mut, zu nah.
    Er selbst, der Krieger Gott, voll Blut und Staub und Schwaerze,
    Mars kennt Cytheren ja.


    Den Prunk der grossen Welt, und die verlarvte Stadt
    Floh zwar seit langer Zeit die Gottheit holder Liebe.
    Wo Buhlerei den Tempel hat,
    Sind, die Verliebte sind, Verraeter oder Diebe.
    Sie floh zur stillen Flur, wo, bei gelassner Jugend,
    Die Einfalt Schoene schoener macht.
    Da brannt ihr Rauchaltar!—Doch juengst hat sie die Tugend
    Zu euch zurueck gebracht.


    Sie kam. Ich sah den Zug; ein Dichter sieht ihn nur.
    Der Fruehling, vor ihr her, verscheuchte Frost und Wetter,
    Und Weste folgten ihrer Spur,
    Und in den Westen lacht ein Schwarm der Liebesgoetter.
    Es fuehrten Tugend sie und Lust in enger Mitten,
    Lust, welche nie der Liebe fehlt,
    Und nie die Tugend hasst; und unter ihren Tritten
    Ward auch der Stein beseelt.


    Zu euch, glueckselig Paar, zu euch zog dieser Zug.
    Verbergt die Goettin nicht! Sie glueht in euren Blicken;
    (Die sind sie zu verraten gnug,)
    Sie, die euch mehr beglueckt, als Schaetz und Stand begluecken.
    Verbergt die Liebe nicht! Das Laster mag sie hassen,
    Denn das soll ewig sich nicht freun.
    Wie traurig wird die Flur, die sie um euch verlassen,
    Den Schaeferinnen sein!

    Der 24ste Jenner in Berlin


    Welch leichter Morgentraum liess, auf den heilgen Hoehen,
    Der Musen Fest um Friedrichs Bild
    Mich bei Aurorens Glanz mit frommem Schauer sehen,
    Der noch, der noch die Seele fuellt.


    Ein Traum? nein, nein, kein Traum. Ich sah mit wachem Sinne
    Die Musen tanzten darum her.
    Wach ward ich nah dabei Caesars und Solons inne,
    Doch keinen, dass er neidisch waer.


    Ein suesser Silberton durchzitterte die Luefte,
    Bis in des Ohres krummen Gang;
    Die Blumen brachen auf, und streuten Balsamduefte;
    Der Berg lag lauschend; Klio sang:


    “Heil dir! festlicher Tag, der unsern Freund geboren.
    Ein Koenig, Schwestern, unser Freund!
    Heil dir! uns neues Reich, zum Schauplatz ihm erkoren,
    Dem frommen Krieger, niemands Feind!


    Lasst freudig um sein Bild, voll Majestaet in Blicken,
    Der Taenze Hieroglyphen ziehn!
    Einst, Schwestern, tanzen wir, mit trunkenerm Entzuecken,
    Einst, freut euch, tanzen wir um ihn!”


    Einst tanzen wir um ihn? Prophetin banger Schrecken!
    Nie werde dieses Wort erfuellt!
    Nie moeg ein Morgenrot zu diesem Glueck euch wecken!
    Tanzt, Musen, ewig um sein Bild!

    Der Eintritt des 1752sten Jahres


    Im Spiel, dem Huld und Macht
    Die Welt zur Buehne gab, das Weisheit ausgedacht,
    In diesem Spiel zur kurzen Szen erlesen,
    Jahr! Zeit, fuer Sterbliche gewesen!
    Fuer ihn, der eh du kamst, dich als gekommen sah,
    Fuer Gott noch da!


    So wie ein Strom, der aus der Erde bricht,
    Und wenig Meilen rollt, und wieder sich verkriecht,
    Bist du, aus der du dich ergossen,
    Zur Ewigkeit,—die Gott, mit aller Welten Last,
    Im Zipfel seines Kleides fasst,—
    Zur Ewigkeit zurueck geflossen.


    Vom Duerftigen verseufzt, mit traenenvollen Blicken
    Des Reuenden verfolgt, zurueck gewuenscht vom Tor,
    Vom Gluecklichen erwaehnt mit trunkenem Entzuecken:
    Jahr, welche Botschaft von der Erde,—
    Jetzt unwert jenes Rufs: Sie werde!—
    Bringst du dem Himmel vor?


    Botschaft ach! vom Triumph des Lasters ueber Tugend,
    Hier vordem ihrem liebsten Sitz;
    Von Vaetern boeser Art; Botschaft von schlimmrer Jugend;
    Von Feinden Gottes, stolz auf Witz;
    Botschaft von feiler Ehr, womit die Schmach sich schmuecket;
    Von ungerechtem Recht, das arme Fromme druecket.


    Botschaft, dass die Natur laengst unsrer muede worden,
    Die dort mit Fluessen Feuers schreckt,
    Das paradiesische Gefilde ueberdeckt,
    Und dort, geschaeftig im Ermorden,
    Der aufgebotnen Pest
    Die giftgen Schwingen schuetteln laesst.


    Botschaft von hingerissnen Goettern
    Der einst durch sie regierten Welt;
    Botschaft von finstern Kriegeswettern,
    Die hier ein Gott zuruecke haelt,
    Und dort ein Gott, der grausamer verfaehrt,
    Mit immer neuen Blitzen naehrt.


    Doch Botschaft auch von einem Lande,
    Wo Friederich den weichen Zepter fuehrt,
    Und Ruh und Glueck, im schwesterlichen Bande,
    Die Schwellen seines Thrones ziert;
    Des Thrones, ungewiss, ob ihn mehr Vorsicht schuetzt,
    Als Liebe stuetzt.


    O ihr, die Friedrich liebt, weil er geliebt will sein,
    Ihr Voelker jauchzt ihm zu! Der Himmel stimmet ein.
    Auf! strebt, dass er mit diesem Jahre,
    Wenn er sie jetzt nicht schon erfaehrt,
    Die wichtge Botschaft froh erfahre:
    Ihr waeret eures Friedrichs wert.

    Der Eintritt des Jahres 1753 in Berlin


    Wie zaudernd ungern sich die Jahre trennen mochten,
    Die eine Goetterhand
    Durch Kraenze mancher Art, mit Pracht und Scherz durchflochten,
    Uns ineinander wand!


    So traeg, als huebe sich ein Adler in die Luefte,
    Den man vom Raube scheucht:
    Noch schwebt er drueber her, und witternd fette Duefte,
    Entflieht er minder leicht.


    Welch langsam Phaenomen durchstreicht des Aethers Wogen,
    Dort wo Saturn gebeut?
    Ist es? Es ists, das Jahr, das reuend uns entflogen,
    Es fliegt zur Ewigkeit.


    Das reuend uns entflog, Dir Friedrich zuzusehen,
    Kein Saekulum zu sein;
    Mit Deinem ganzen Ruhm belastet fort zu gehen,
    Und sich der Last zu freun.


    Noch oft soll manches Jahr so traurig von uns fliegen,
    Noch oft, zu unserm Glueck.
    Vom Himmel bist Du, Herr, zu uns herabgestiegen;
    Kehr spaet! kehr spaet zurueck!


    Lass Dich noch lange, Herr, den Namen Vater reizen,
    Und den: menschlicher Held!
    Dort wird der Himmel zwar nach seiner Zierde geizen;
    Doch hier braucht Dich die Welt.


    Noch seh ich mich fuer Dich mit raschen Richteraugen
    Nach einem Dichter um.
    Dort einer! hier und da! Sie taugen viel, und taugen
    Doch nichts fuer Deinen Ruhm.


    Ist er nicht etwa schon und singt noch wenig Ohren,
    Weil er die Kraefte wiegt:
    So werd er dieses Jahr, der seltne Geist, geboren,
    Der diesen Kranz erfliegt.


    Wenn er der Mutter dann sich leicht vom Herzen windet,
    O Muse, lach ihn an!
    Damit er Feur und Witz dem Edelmut verbindet,
    Poet und Biedermann.


    Hoert! oder taeuschen mich beliebte Rasereien?
    Nein, nein, ich hoer ihn schon.
    Der Heere ziehend Laerm sind seine Melodeien,
    Und Friedrich jeder Ton!

    Der Eintritt des Jahres 1754 in Berlin


    Wem toent dies kuehnre Lied? dies Lied, zu wessen Lobe,
    Hoert es noch manche spaete Welt?
    Hier steh ich, sinne nach, und glueh und stampf und tobe,
    Und suche meiner Hymnen Held.


    Wer wird es sein? Vielleicht im blutgen Panzerkleide
    Des Krieges fuerchterlicher Gott?
    Um ihn toent durch das Feld gedungner Krieger Freude,
    Und der Erwuergten lauter Tod.


    Wie, oder ists vielmehr in fabellosen Zeiten
    Ein neuer goettlicher Apoll,
    Der, schwer entbehrt, mit schnell zurueckberufnen Saiten
    Den Himmel wieder fuellen soll?


    Wo nicht, so werde der der Vorwurf meiner Lieder,
    Der sich als Themis' Raecher wies,
    Und dessen frommes Schwert der giftgen Zanksucht Hyder
    Nur drei von tausend Koepfen liess.


    Doch ihn, Apoll und Mars, in Friedrichen vereinet,
    Vereine, mein Gesang, auch du!
    Wann einst ein junger Held bei seinem Grabe weinet,
    So zaehl ihm seine Taten zu!


    Fang an von jenem Tag—Doch, welch ein neues Feuer
    Reisst mich vom niedern Staub empor?
    Auch Koenige sind Staub! Seid ihnen treu; dem treuer,
    Der sie zu besserm Staub erkor.


    Wer wird, voll seines Geists, mir seinen Namen melden?
    Sein Nam ist ihm allein bewusst.
    Er ist der Fuersten Fuerst, er ist der Held der Helden;
    Er fuellt die Welt und meine Brust.


    Er rief sie aus des Nichts nur ihm folgsamem Schlunde;
    Er ruft sie noch, dass sie besteht.
    Sie bebt, sie wankt, so oft ein Hauch aus seinem Munde
    Den Fluch in ihre Sphaeren weht.


    O dreimal Schrecklicher!—doch voller Quell des Guten,
    Du bist der Schreckliche nicht gern.
    Den weiten Orient zerfleischen deine Ruten;
    Uns, Vater, zeigst du sie von fern.


    Wie, dass des Undanks Frost die traegen Lippen bindet,
    Volk, dem er Heil, wie Flocken, gibt!
    Ihm dank es, wenn ein Jahr in suesser Ruh verschwindet;
    Ihm dank es, dass dich Friedrich liebt.

    Der Eintritt des Jahres 1755 in Berlin


    Wunsch, der du in der Brust geheimer Lieblingssuenden
    Geheimes Werkzeug bist,
    Das oft ein lauter Freund—wer kann das Herz ergruenden?—
    Ein stiller Moerder ist;


    Durch Laster, Torheit, Wahn zu sehr, zu sehr entweihet,
    Braucht keine Muse dich;
    Die feile waer es denn, die um den Poebel freiet,
    Und singt sich laecherlich.


    Juengst als Kalliope den Hain und Aganippen
    Um ihren Helden mied,
    Und zog auf Sanssouci, erklang von ihren Lippen
    Ein prophezeiend Lied.


    “Noch lange wird dies Land, mit den erfochtnen Staaten,
    Im Schoss des Friedens ruhn;
    Denn sein Beschuetzer traegt die Lorbeern grosser Taten,
    Um groessere zu tun.


    Er braucht den Sieg als Sieg, macht Kunst und Handel rege
    Und zeichnet jedes Lauf.”—
    Sie schwieg, und ploetzlich stiess, zur Linken an dem Wege,
    Ein rascher Adler auf.


    Dem segnete sie nach mit heiligem Entzuecken
    Und aufgehobner Hand,
    Bis er, am Ziel des Flugs, vor ihren schaerfern Blicken,
    Dem Thron des Zeus, verschwand.

    Der Tod eines Freundes


    Hat, neuer Himmelsbuerger, sich
    Dein geistig Ohr nicht schon des Klagetons entwoehnet,
    Und kann ein banges Ach um dich,
    Das hier und da ein Freund bei stillen Traenen stoehnet,
    Dir unterm jauchzenden Empfangen
    Der bessern Freunde hoerbar sein,
    So sei nicht fuer die Welt, mit unserm Schmerz zu prangen,
    Dies Lied: es sei fuer dich, fuer dich allein!


    Wann war es, da auch dich noch junge Rosen zierten?
    (Doch nein, die Rosen ziertest du!)
    Da Freud und Unschuld dich, im Tal der Hoffnung, fuehrten
    Dem Alter und der Tugend zu?
    Gesichert folgten wir: als schnell aus schlauen Hecken
    Der Unerbittliche sich wies,
    Und dich, den Besten, uns zu schrecken,
    Nicht dich zu strafen, von uns riss.


    Wie ein geliebtes Weib vom steilen Ufer blicket
    Dem Schiffe nach, das ihre Kron entreisst:
    Sie steht, ein Marmorbild, zu Stunden unverruecket;
    In Augen ist ihr ganzer Geist:
    So standen wir betaeubt und angeheftet,
    Und sannen dir mit starren Sinnen nach,
    Bis sich der Schmerz durch Schmerz entkraeftet,
    Und stroemend durch die Augen brach.


    Was weinen wir? Gleich einer Weibersage,
    Die im Entstehn schon halb vergessen ist,
    Flohst du dahin!—Geduld! noch wenig Tage,
    Und wenige dazu, so sind wir, was du bist.
    Ja, wenn der Himmel uns die Palme leicht erringen,
    Die Krone leicht ersiegen laesst,
    So werden wir, wie du, das Alter ueberspringen,
    Des Lebens unschmackhaften Rest.


    Was wartet unser?—Ach! ein unbelohnter Schweiss,
    Im Joch des Amts bei reifen Jahren,
    Fuer andrer Wohl erschoepft, als unbrauchbarer Greis
    Hinunter in die Gruft zu fahren.
    Doch deiner wartet?—Nein! was kannst du noch erwarten
    Im Schoss der vollen Seligkeit?
    Nur wir, auf blindes Glueck, als Schiffer ohne Karten,
    Durchkreuzen ihn, den faulen Pfuhl der Zeit.


    Vielleicht—noch ehe du dein Gluecke wirst gewohnen,
    Noch ehe du es durchempfunden hast—
    Flieht einer von uns nach in die verklaerten Zonen,
    Fuer dich ein alter Freund, und dort ein neuer Gast.
    Wen wird—verborgner Rat!—die nahe Reise treffen
    Aus unsrer jetzt noch frischen Schar?
    O Freunde, lasst euch nicht von suesser Hoffnung aeffen!
    Zum Wachsamsein verbarg Gott die Gefahr.


    Komm ihm, wer er auch sei, verklaerter Geist, entgegen,
    Bis an das Tor der bessern Welt,
    Und fuehr ihn schnell, auf dir dann schon bekannten Wegen,
    Hin, wo die Huld Gerichte haelt.
    Wo um der Weisheit Thron der Freundschaft Urbild schwebet,
    In seraphinschem Glanze schwebt;
    Verknuepft uns einst ein Band, ein Band von ihr gewebet;
    Zur ewgen Dauer fest gewebt!

    Ode auf den Tod des Marschalls von Schwerin, an den H. von Kleist.


    Zu frUeh wAer es, viel zu frueh, wenn schon jetzt, den gueldnen Faden
    Deines Lebens zu trennen, der blutige Mars, oder die donnernde
    Bellona, der freundlich saumseligen Klotho vorgriff!


    Der nur falle so jung, der in eine traurige, Oede Wueste hinaus sieht,
    in kuenftige Tage, leer an Freundschaft und Tugend, leer an grossen
    Entwuerfen zur Unsterblichkeit:


    Nicht Du, o Kleist; der Du so manchen noch froh und gluecklich zu
    machen wuenschest—Zwar schon solche Wuensche sind nicht die kleinsten
    edler Taten-Nicht Du, dem die vertrauliche Muse ins Stille winkt—Wie
    zuernt sie auf mich, die Eifersuechtige, dass ich die waffenlosen
    Stunden Deiner Erholung mit ihr teile!


    Dir zu gefallen, hatte sie dem Lenze seinen schoensten Schmuck von
    Blumen und Perlen des Taues entlehnet; gleich der listigen Juno den
    Guertel der Venus.


    Und nun lockt sie Dich mit neuen Bestechungen. Sieh! In ihrer
    Rechte blitzt das tragische Szepter; die Linke bedeckt das weinende
    Auge, und hinter dem festlichen Schritte wallt der koenigliche Purpur.


    Wo bin ich? Welche Bezaubrung!—Letzte Zierde des ausgearteten Roms!
    —Dein Schueler; Dein Moerder!—Wie stirbt der Weise so ruhig! so gern!
    —Ein williger Tod macht den Weisen zum Helden, und den Helden zum
    Weisen.


    Wie still ist die fromme Versammlung!—Dort rollen die Kinder des
    Mitleids die schoenen Wangen herab; hier wischt sie die maennliche Hand
    aus dem weggewandten Auge.


    Weinet, ihr Zaertlichen! Die Weisheit sieht die Menschen gern weinen!
    —Aber nun rauscht der Vorhang herab! Klatschendes Lob betaeubt mich,
    und ueberall murmelt die Bewundrung: Seneka und Kleist!


    Und dann erst, o Kleist, wenn Dich auch diese Lorbeern, mit der
    weissen Feder, nur uns Dichtern sichtbar durchflochten, wenn beide
    Deinen Scheitel beschatten—Wenn die liebsten Deiner Freunde nicht
    mehr sind-Ich weiss es, keiner von ihnen wird Dich gern
    ueberleben—Wenn Dein Gleim nicht mehr ist—Ausser noch in den Haenden
    des lehrbegierigen Knabens, und in dem Busen des sproeden Maedchens,
    das mit seinem Liede zu Winkel eilet-Wenn der redliche Sulzer ohne
    Koerper nun denkt—Hier nur noch der Vertraute eines kuenftigen
    Grueblers, begieriger die Lust nach Regeln zu meistern, als sie zu
    schmecken.


    Wenn unser laechelnder Rammler sich tot kritisierst—Wenn der
    harmonische Krause nun nicht mehr, weder die Zwiste der Toene, noch
    des Eigennutzes schlichtet-Wenn auch ich nicht mehr bin—Ich, Deiner
    Freunde spaetester, der ich, mit dieser Welt weit besser zufrieden,
    als sie mit mir, noch lange sehr lange zu leben denke-Dann erst, o
    Kleist, dann erst geschehe mit Dir, was mit uns allen geschah! Dann
    stirbst Du; aber eines edlern Todes; fuer Deinen Koenig, fuer Dein
    Vaterland, und wie Schwerin!


    O des beneidenswuerdigen Helden!—Als die Menschheit in den Kriegern
    stutzte, ergriff er mit gewaltiger Hand das Panier.—Folgt mir! rief
    er, und ihm folgten die Preussen.


    Und alle folgten ihm zum Ziele des Siegs! Ihn aber trieb allzuviel
    Mut bis jenseit der Grenzen des Sieges, zum Tode! Er fiel, und da
    floss das breite Panier zum leichten Grabmal ueber ihn her.


    So stuerzte der entsaeulte Palast, ein schreckliches Monument von
    Ruinen, und zerschmetterten Feinden, ueber dich, Simson, zusammen! So
    ward dein Tod der herrlichste deiner Siege!

    Orpheus


    Orpheus, wie man erzaehlt, stieg seine Frau zu suchen in die Hoelle
    herab. Und wo anders, als in der Hoelle, haette Orpheus auch seine
    Frau suchen sollen?


    Man sagt, er sei singend herabgestiegen. Ich zweifle im geringsten
    nicht daran; denn solange er Witwer war, konnte er wohl vergnuegt sein
    und singen.


    Berge, Fluesse, und Steine folgten seinen Harmonien nach; und wenn er
    auch noch so schlecht gesungen haette, so waeren sie ihm doch
    nachgefolgt.


    Als er ankam und seine Absicht entdeckte, hoerten alle Martern auf.
    Und was koennten fuer einen so dummen Ehemann wohl noch fuer Martern
    uebrig sein?


    Endlich bewog seine Stimme das taube Reich der Schatten; ob es gleich
    mehr eine Zuechtigung als eine Belohnung war, dass man ihm seine Frau
    wiedergab.

    [Uebersetzung der Ode des Horaz “Ad Barinen"]


    Ode 8. Lib. II.


    Haette dich je des verwirkten Meineids Strafe getroffen; wuerde nur
    einer deiner Zaehne schwarz; nur einer deiner Naegel haesslicher; so
    wollt ich dir glauben,


    Kaum aber hast du das treulose Haupt mit falschen Geluebden verstrickt;
    so bluehst du weit schoener auf, und trittst stolz einher, aller
    Juenglinge sehnlichstes Augenmerk.


    Dir steht es frei, der Mutter beigesetzte Asche, die stillen Gestirne
    der Nacht, und den ganzen Himmel, und alle unsterblichen Goetter zu
    taeuschen.


    Venus selbst, wie gesagt, lachet darueber; die guten Nymphen lachen;
    es lachet der immer brennende Pfeile auf blutigem Wetzstein
    schleifende, strenge Kupido.


    Noch mehr: nur dir reitet die Jugend alle, nur dir wachsen in ihr
    immer neue Sklaven auf; und noch koennen die Alten dich, ihre
    gewissenlose Gebieterin, nicht meiden, so oft sie es auch gedroht.


    Dich fuerchten die Muetter fuer ihre Soehne; dich fuerchten die geizigen
    Alten; dich fuerchten die armen nur erst verheirateten Maedchen, um
    deren Maenner es geschehen ist, wenn sie einmal deine Spur finden.


    “Ad Barinen” wird die Ode ueberschrieben. Diese Barine war ohne
    Zweifel eine Freigelassene, welche das Handwerk einer Buhlerin trieb.
    Tan. Faber hat diesen Namen in Carine verwandeln wollen, weil
    Barine weder griechisch noch lateinisch sei; und Dacier billiger
    diese Veraenderung. Konnte aber eine Sklavin, welches Barine gewesen
    war, nicht leicht aus einem barbarischen Lande, von barbarischen
    Eltern entsprossen sein?

    [An Maecen]


    Du, durch den einst Horaz lebte, dem Leben ohne Ruhe, ohne
    Bequemlichkeit, ohne Wein, ohne den Genuss einer Geliebten kein Leben
    gewesen waere; du, der du jetzt durch den Horaz lebst; denn ohne Ruhm
    in dem Gedaechtnisse der Nachwelt leben, ist schlimmer als ihr gar
    unbekannt zu sein;


    Du, o Maecen, hast uns deinen Namen hinterlassen, den die Reichen und
    Maechtigen an sich reissen, und die hungrigen Skribenten verschenken;
    aber hast du uns auch von dir etwas mehr als den Namen gelassen?


    Wer ists in unsern eisern Tagen, hier in einem Lande, dessen
    Einwohner von innen noch immer die alten Barbaren sind, wer ist es,
    der einen Funken von deiner Menschenliebe, von deinem tugendhaften
    Ehrgeize, die Lieblinge der Musen zu schuetzen, in sich haege?


    Wie habe ich mich nicht nach einem nur schwachen Abdrucke von dir
    umgesehen? Mit den Augen eines Beduerftigen umgesehen! Was fuer
    scharfsichtige Augen!


    Endlich bin ich des Suchens muede geworden, und will ueber deine
    Afterkopien ein bitteres Lachen ausschuetten.


    Dort, der Regent, ernaehrt eine Menge schoener Geister, und braucht sie
    des Abends, wenn er sich von den Sorgen des Staats durch Schwaenke
    erholen will, zu seinen lustigen Raeten. Wieviel fehlt ihm, ein Maecen
    zu sein!


    Nimmermehr werde ich mich faehig fuehlen, eine so niedrige Rolle zu
    spielen; und wenn auch Ordensbaender zu gewinnen stuenden.


    Ein Koenig mag immerhin ueber mich herrschen; er sei maechtiger, aber
    besser duenke er sich nicht. Er kann mir keine so starken
    Gnadengelder geben, dass ich sie fuer wert halten sollte,
    Niedertraechtigkeiten darum zu begehen.


    Corner, der Wolluestling, hat sich in meine Lieder verliebt. Er
    haelt mich fuer seinesgleichen. Er sucht meine Gesellschaft. Ich
    koennte taeglich bei ihm schmausen, mich mit ihm umsonst betrinken, und
    umsonst auch die teuerste Dirne umfangen; wenn ich nur mein Leben
    nicht achtete; und ihn als einen zweiten Anakreon preisen wollte.
    Ein Anakreon, dass es den Himmel erbarme! welcher das Podagra und die
    Gicht hat, und noch eine andre Krankheit von der man zweifelt, ob sie
    Columbus aus Amerika gebracht hat.

    [Bruchstueck einer Ode auf den Tod eines Freundes]


    Die ich dich nie dem Chor unschuldger Scherze raubte,
    Und schwer beklemmt zu bangen Klagen rief,
    Die Rosen heut, o Muse, von dem Haupte,
    Das gestern noch im Schoss der frohen Jugend schlief;
    Und aus der freien Rechte
    Den fuerchterlichen Stab,
    Den, als der Pindus juengst in Libers Laube zechte,
    Dir der vergnuegte Wirt zum Freundschaftspfande gab;
    Reiss schnell, der Weste Spiel, das flatternde Gewand
    In schmutzig unachtsame Falten!
    Und trenn mit ungestuemer Hand
    Die Perlenschnur, bestimmt das gueldne Haar zu halten.


    *


    Nun nimm sie hin, die mir getreuen Saiten,
    Und stimme sie zum Trauerten herab,
    Zum Ton geschickt die Seufzer zu begleiten,
    Und fromm zu schallen um ein Grab.