Ausgewahlte Gedichte

Gotthold Ephraim Lessing

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  • Der ueber uns
  • Ich
  • Lob der Faulheit
  • Thanks are given to Delphine Lettau for finding a huge collection of ancient
    German books in London.
    
    This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
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    Der ueber uns




    Hans Steffen stieg bei Daemmerung (und kaum
    konnt er vor Naeschigkeit die Daemmerung erwarten)
    in seines Edelmannes Garten
    und pluenderte den besten Apfelbaum.

    Johann und Hanne konnten kaum
    vor Liebesglut die Daemmerung erwarten
    und schlichen sich in ebendiesen Garten
    von ungefaehr an ebendiesen Apfelbaum.

    Hans Steffen, der im Winkel oben sass
    und fleissig brach und ass,
    ward maeuschenstill vor Wartung boeser Dinge,
    dass seine Naescherei ihm diesmal schlecht gelinge.
    Doch bald vernahm er unten Dinge,
    worueber er der Furcht vergass
    und immer sachter weiterass.

    Johann warf Hannen in das Gras.
    “O pfui!”, rief Hanne, “welcher Spass!
    Nicht doch, Johann!—Ei was?
    O schaeme dich!—Ein andermal—o lass—
    O schaeme dich! Hier ist es nass.”
    Nass oder nicht; was schadet das?
    Es ist ja reines Gras.

    Wie dies Gespraeche weiterlief,
    das weiss ich nicht. Wer braucht's zu wissen?
    Sie stunden wieder auf, und Hanne seufzte tief:
    “So, schoener Herr, heisst das bloss kuessen?
    Das Maennerherz! Kein einzger hat Gewissen.
    Sie koennten es uns so versuessen.
    Wie grausam aber muessen
    wir armen Maedchen oefters dafuer buessen!

    Wenn nun auch mir ein Unglueck widerfaehrt!—
    Ein Kind—ich zittre.—Wer ernaehrt
    mir denn das Kind? Kannst Du es mir ernaehren?”
    “Ich?”, sprach Johann, “die Zeit mag's lehren.
    Doch wird's auch nicht von mir ernaehrt:
    Der ueber uns wird schon ernaehren;
    dem ueber uns vertrau.”

    'Dem ueber uns.' Dies hoerte Steffen.
    'Was', dachte er, 'will das Pack mich aeffen?
    Der ueber Ihnen? Ei, wie schlau!'
    “Nein", schrie er, “lasst euch andere Hoffnung laben!
    Der ueber euch ist nicht so toll.
    Wenn ich ein Bankbein naehren soll,
    so will ich es auch selbst gedrechselt haben.”

    Wer hier erschrak und aus dem Garten rann,
    das waren Hanne und Johann.
    Doch gaben bei dem Edelmann
    sie auch den Apfeldieb wohl an?
    Ich glaube nicht, dass sie's getan.




    Ich




    Die Ehre hat mich nie gesucht;
    sie haette mich auch nie gefunden.
    Waehlt man, in zugezaehlten Stunden,
    ein praechtig Feierkleid zur Flucht?

    Auch Schaetze hab ich nie begehrt.
    Was hilft es sie auf kurzen Wegen
    fuer Diebe mehr als sich zu hegen,
    wo man das wenigste verzehrt?

    Wie lange waehrt's, so bin ich hin,
    und einer Nachwelt untern Fuessen?
    Was braucht sie wen sie tritt zu wissen?
    Weiss ich nur, wer ich bin.




    Lob der Faulheit




    Faulheit, endlich muss ich dir
    Auch ein kleines Loblied bringen!
    O!... Wie... sauer... wird es mir
    Dich nach Wuerde zu besingen!
    Doch ich will mein Bestes tun:
    Nach der Arbeit ist gut ruhn.


    Hoechstes Gut, wer dich nur hat,
    Dessen ungestoertes Leben...
    Ach!... ich gaehn!... ich... werde matt.
    Nun, so magst du mir's vergeben,
    Dass ich dich nicht singen kann:
    Du verhinderst mich ja dran.