Wer einmal zu Friedrichshafen am schönen Bodensee an klarem Augustabend die Sonne prachtvoll versinken sah hinter den Buchenwipfeln von Manzell,—wer die Fluten des Sees und die schneeigen Häupter der Alpen vom Säntis bis zu den Allgäuer Bergen erglühen sah in purpurnem Licht, während die Glockentöne des Ave Maria leise hinzittern über Wald, Wiesgrund und Wasser,—der wird seiner Lebtage das friedevolle Bild dankbar tragen in seinen Gedanken. Dorthin führt uns die kleine Geschichte von der kleinen »Bissula«.—
Aber damals, im Jahre 378 unserer Zeitrechnung, sah es noch gar unwirtlich und oft auch unfriedlich aus auf dem ganzen Nordufer des »Venetus lacus« (Bodensee). Urwald und Ursumpf bedeckten die Niederungen: nur selten, spärlich verstreut, erhoben sich Ansiedelungen auf getrocknetem, gerodetem Bauland. Viel tiefer landeinwärts als heute erstreckte sich damals der See: und noch bedeutend weiter als der See ein feuchtes Mittelding von Seegebiet und Uferland, eine Art Grenzstrich zwischen Wasser und Wiese, der, den größten Teil des Jahres über von Sumpf überzogen, dem Wildschwan, dem Reiher und zahllosem kleineren Wassergevögel Zuflucht zugleich und Weide bot.
Dies Land war schon geraume Zeit im Besitz der Alamannen.
Auf dem Südufer des Sees aber behauptete sich noch die römische Macht: vor allem, um die wichtige Legionenstraße zu beherrschen, welche aus Gallien über Augst (Augusta Rauracorum) bei Basel, Windisch (Vindonissa) nach Arbon (Arbor felix), Bregenz (Brigantium) und von da weiter nach Osten führte, den Zusammenhang der westlichen und der östlichen Teile des Reiches aufrecht haltend und zumal die Bewegungen der Truppen erleichternd, die bald vom Rhein an die Donau eilen mußten, die Goten im Osten, bald von der Donau an den Rhein, die Franken am Niederlauf oder die Alamannen am Oberlauf dieses Stromes abzuwehren.
Auch für dieses Jahr schien eine solche Hilfeleistung notwendig zu werden:—diesmal in den Ostprovinzen, wo gotische Völker, zumal Westgoten, flüchtend vor den Hunnen, Aufnahme auf römischem Gebiet gefunden, aber, zur Verzweiflung gebracht durch die Mißhandlungen der römischen Statthalter, drohend die Waffen erhoben hatten. Der Imperator des Ostreichs, Valens, hoffte zwar, allein mit ihnen fertig zu werden: nur ungern hätte er den Ruhm des Sieges geteilt mit seinem jugendlichen Neffen und Mitkaiser Gratianus im Westreich. Gleichwohl hatte er diesen auffordern müssen, sich bereit zu halten, im Fall der Not die gallischen Legionen dem Oheim zu Hilfe in die Donaulande zu führen. Gratianus aber hatte erwogen, daß er Gallien und den Rhein nur dann verlassen könne, wenn er vorher durch einen Rachezug die Alamannen für die jüngsten Grenzverletzungen gestraft und wenigstens für einige Zeit von neuen Einbrüchen abgeschreckt hatte.
Zugleich wollte er für den Fall der Abberufung an die Donau wenigstens einen Teil des langen Weges frühzeitig zurückgelegt haben, um dem Oheim die etwa verlangte Hilfe rascher bringen zu können. So war er denn Ende Juli mit dem größten Teil der Truppen von seiner Residenz Trier aufgebrochen und über Zabern und Straßburg auf dem linken Rheinufer nach Augst bei Basel gezogen. Hier und in Windisch schlug er zwei Lager und behielt die Hauptmacht um sich geschart, mit Neugestaltung der Provinz beschäftigt und der Nachrichten von den Ostlanden gespannt gewärtig, während der Streifzug gegen die Alamannen auf dem nördlichen Ufer des Sees einer kleinen Abteilung übertragen ward, die, rascher beweglich, für die Märsche in Wald und Sumpf besser geeignet und jedenfalls für ihren Zweck völlig ausreichend schien. Denn das Unternehmen galt nur dem Linzgau (so benannt von dem Flüßchen, das heute noch Linz, häufiger »Ach« heißt), den »lentischen« Alamannen, die, auf dem West- und Nordufer des Sees heimisch, zuletzt im Frühling dieses Jahres die römischen Grenzlande beunruhigt hatten.
Erprobten Feldherrn war die Führung des Streifzugs anvertraut. Fußvolk, Reiter wurden ihnen nach eigner Auswahl zugeteilt; ein starker Troß sorgte für Nachführung der Lebensmittel und des übrigen Gepäcks; zusammen waren es wohl über dreitausend Mann. Nach alterprobter, sieghafter Römer-Feldherrnschaft,—die Eroberung fast der ganzen damals bekannten Erde war ihr Ergebnis gewesen—sollten, wie bei großen Kriegen, auch bei diesem kleinen Streifzug die Feinde von mehreren Seiten zugleich »wie mit der Zange gepackt werden«:—ein Lieblingsbild der römischen Kriegslitteratur.
Ein Teil der Truppen—so die gesamte Reiterei, mehrere Geschwader »Cataphraetarii«, »Panzerreiter«, die ganz in Schuppenpanzern staken, Kohorten der zweiundzwanzigsten Legion, ferner ausgezeichnete germanische Söldner, Bataver—sie galten als die vorzüglichsten aller Hilfsvölker—endlich erlesene Scharen der kaiserlichen Leibwachen zu Fuß, meist Illyrier und Thraker, sollten von Windisch aus nördlich ziehen, den Rhein überschreiten, auf der alten Straße nach Norden marschieren, von da sich aber plötzlich und überraschend nach Osten wenden, das Westende des Bodensees umgehen, so dessen Nordufer gewinnen, den ganzen Linzgau von Westen nach Osten durchdringen, hier, im Herzen der Feinde, an vorbestimmter Stelle, Halt machen und der zweiten Abteilung die Hand reichen. Diese zweite Schar sollte inzwischen auf der großen Süduferstraße von Windisch nach Arbon (Arbor felix) marschieren, sich hier einschiffen, den See in gerader Fahrt durchschneiden, auf dem Nordufer landen und nun den Linzgau von Osten nach Westen durchziehen, bis sie die erste Abteilung erreichte.
So sollte den Barbaren, unter Verwüstung ihres gesamten Baulandes, das Ausweichen nach Westen wie nach Osten gesperrt werden. Die etwa auf ihren Kähnen versuchte Flucht nach Süden, über den See, sollte ihnen die römische »Bodenseeflotte« abschneiden. Jahr für Jahr, zuletzt noch in diesem März, waren über deren Stärkebestand und Tüchtigkeit die glänzendsten Berichte nach Gallien gesendet worden. Und was nach solchem Treibjagen von zwei oder drei Seiten noch übrig war, sollte von den nun vereinigten Scharen, so weit möglich, in den unwirtlichen Nordwald getrieben und in die Donau geworfen werden. Als Ort des Zusammentreffens war beiden Scharen der hochragende Hügel bezeichnet, auf welchem, eine halbe Stunde nördlich von Friedrichshafen, heute die Kirche von Berg weithin die Niederung überschaut. Damals hieß er der »Idisenhang«, d. h. der Hügel der Waldgöttinnen. Die römischen Schiffe mußten, bei gerader Überfahrt von Arbon aus, ohnehin in der Bucht des heutigen Friedrichshafen landen. Für das Landheer hoffte man leidlichen Weg zu finden auf den Überresten einer alten Straße, die sich früher—in besseren Tagen Roms—auch auf dem Nordufer des Sees hingezogen hatte.
Und jener steil abfallende, nach allen Seiten frei ausblickende, die ganze Gegend beherrschende Hügelkopf—der »Idisenhang«—war ein wahres Muster jener Stellungen, auf welchen der Römeradler bei seinen Beuteflügen zu kurzer Rast zu halten liebte. Hier sollte ein Standlager errichtet, von hier aus das Land der Barbaren nach allen Richtungen von kleinen Scharen durchstreift werden, während jenes feste Lager besetzt blieb und die Verbindung mit dem See, der Flotte, dem Südufer aufrecht hielt, bis man das ganze Unternehmen als beendet betrachten und zu dem Kaiser nach Windisch zurückkehren konnte.
Rasch, geschickt und glücklich hatten die kriegskundigen Führer die Ausführung ihrer Aufgaben eingeleitet. Arbor felix (Arbon), die wohlbefestigte Uferstation der großen Heerstraße, war zwar wiederholt von den Alamannen vom See her auf raschen Booten überfallen, geplündert und in Brand gesteckt, aber nie dauernd behauptet worden; sie liebten es nicht, sich in Städte zu setzen. Und vor wenigen Jahren hatte Valentinian, Gratians kriegsgewaltiger Vater und Vorgänger, das alte Mauerwerk wieder geflickt und verstärkt, die Besatzung vermehrt, Vorräte, zumal Getreide, in den Magazinen aufgehäuft, auch in dem bequemen Hafen eine Anzahl von Fahrzeugen bereit gestellt; zwar nicht so viele und so stattliche, als dereinst in stolzeren Zeiten die »venetische Flotte« gezählt hatte, aber doch hinreichend, den Barbaren den Angriff von der Seeseite her zu verleiden, ja sie ständig mit einer Landung auf dem Nordufer zu bedrohen. Der Führer der für diese Flotte jetzt bestimmten Abteilung, der Comes von Britannien, Nannienus, ein segelkundiger Bretone und vortrefflicher Offizier, hatte alsbald mit seiner Schar auf der guten Straße von Windisch her die Hafenfestung erreicht.
Viel länger brauchte die andere Abteilung, bis sie auf ihrem müheschweren Marsch, zuletzt nach Osten einschwenkend, das Seeufer wieder erreichte. Vorsicht war das wichtigste Gebot bei diesem Zug durch unwegsames Barbarenland: und an keiner Vorsichtsmaßregel ließen es die kriegsgeübten, besonnenen Führer fehlen. Eingeborne, ortvertraute Landeskinder dienten als Wegweiser; obwohl man nur römische Provinzialen des Südufers hierzu wählte, sicherte man sich doch sorgfältig gegen Verrat von ihrer Seite. Reiter, leichte keltische Bogenschützen, die »Keltae« und »Petulantes«, sowie die waldvertrauten, im Waldgefecht geübten Germanen,—die Bataver—bildeten die Vorhut wie den Nachtrab. In der Mitte marschirte das schwergerüstete Fußvolk der kaiserlichen Leibwachen, in »nach allen Seiten geschlossenem Zug«, Händler und Marketender, Gepäck, Lagerzeug und Vorräte umschützend. Man zog auf den Resten der alten Straße dahin, dem Ufer so nahe, als es der Sumpfboden irgend verstatten wollte, um sich den Ausblick auf den See stets frei zu halten, dorther von den Barbaren auf ihren Kähnen etwa versuchte Angriffe rechtzeitig zu entdecken und das jenseitige, das römische Ufer nicht aus dem Auge zu verlieren.
Die härteste Aufgabe fiel dabei dem linken Flügel zu, welcher, nördlich von der Mittelmacht und der alten Straße, auf einem erst durch Wald und Moor zu brechenden Pfade, entlang der Hauptschar marschieren und letztere decken sollte wider einen Flankenangriff der Feinde; denn, wenn diese aus den undurchdringlichen Waldverstecken plötzlich auf die im Marsch begriffene Kolonne vorstießen, konnte der ganze überraschte Heereszug durchbrochen und in Sumpf und See geworfen werden. Der Widerstand, den Wald und Moor dem Vormarsch leisteten, schien aber der einzige zu bleiben, auf welchen die Römer stoßen sollten. Denn nicht auf einen einzigen Menschen trafen diese, seit sie das Südufer des Sees und die Stationen der dortigen Straße verlassen hatten. Alamannische Dörfer gab es nicht in dieser Gegend: Hofsiedelung war herrschend in der Landschaft; stunden-, ja meilenweit lagen die Gehöfte, »die Schwaigen«, verstreut. Die wenigen Einödhöfe, die man auf dem mehrtägigen Marsch antraf, waren—verlassen. Eine unheimliche, drohendes Verderben brütende Stille schien über den leeren Holzbauten zu lagern.
Abgemäht waren überall—kurz vor der Vollreife—Hafer, Gerste und Spelt, zum Teil abgebrannt: das ging rascher, und dem Landfeind sollte das alamannische Getreide nicht einmal zum Pferdefutter dienen. Das Vieh war fortgetrieben; leer stand auch die Hütte des treuen »Hofwart«, des Haushundes, die selten fehlte neben dem Hofeingang; ausgeräumt waren die Vorräte von Heu und Stroh in den »Schupfen«, den Scheunen, die, meist mit dem Wohnhaus verbunden, manchmal aber auch neben demselben ausgezimmert waren.
In langsamem, häufig stockendem Zug, nur schwer vorwärts kommend, für die Verpflegung lediglich auf die von den Truppen oder die von den Händlern und deren Weibern mitgetragenen Vorräte angewiesen, jede Nacht vorsichtig ein wohl befestigt Lager schlagend, mühten sich die Römer mehrere Tage lang, vom Westende des Sees, wo er in dichtes, stundenbreites Röhricht und weithin im Winde wogende Schilfwiesen verlief, allmählich gegen Osten vor.
So war man an den Fuß der steil aufsteigenden Höhe gelangt, die heute das stattliche, weithin glänzende Schloß von Meersburg krönt. Es ging gegen den Abend des langen Augusttages, der vielfach regnicht, doch nicht ganz trüb gewesen war. Noch einmal brach die Sonne hell aus dem Westgewölk, die ganze Kette der Berghäupter von den Berner Alpen bis zu den Allgäuer Höhen vergoldend: der Säntis glühte in weinrotem Glanz, feierlich, wie ein König der Bergriesen, der seinen Purpurmantel um die stolzen Schultern gezogen hat.
Vorsichtig machte der Zug der Römer Halt an dem Fuß des sehr steilen Hügels, dessen Felsen gegen die Seeseite und gegen Westen schroff abfallen, während die Kuppe, damals dicht von Wald und Busch bestanden, dem Blick undurchdringbar, finster herniederdräute. Das Laub der Eichen und die Nadeln der Tannen waren naß geregnet und, wo die Sonne nicht darauf fiel, sah es dunkelgrün, fast schwärzlich aus.
Zwei Heerführer, deren hell im Abendschein leuchtende Rüstungen durch reichen Gold- und Silberschmuck hohen Rang bekundeten, ritten langsam gegen die Höhe an. Vor ihnen her schritt, rechts und links mit den Armen an die Steigbügel von je einem Panzerreiter gebunden, ein Wegweiser. Einige Pioniere mit Beil und Schaufel umgaben die beiden Führer, ein Häuflein batavischer Speerschützen folgte. Der eine der Offiziere, ein stattlicher Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, hielt nun den schweren, spanischen Rapphengst an und beugte das wohlgebildete, wettergebräunte Antlitz scharf auslugend vor. »Wenn ich je Germanen gekannt und bekämpft habe,« sprach er mit stark illyrischem Accent, »stecken sie dort oben, in jenem Buschwald, auf der Felskuppe, die sich selbst verteidigt.—Halt an, ich bitte sehr, Präfectus Prätorio von Gallien! Nicht weiter vor ohne Auskundschaftung!—Vorwärts, ihr wackern Bataver: Rignomer, nimm sechs Mann, und hinauf in das Gestrüpp! Aber Vorsicht! Und du, Brinno, Hornbläser, giebst sofort das Warnzeichen, trefft ihr auf den Feind.«
Während sein Befehl vollzogen ward, lächelte der andere, ältere Heerführer: »Allzu ängstlich, mein Saturninus! Immer zu behutsam.« »Man kann nicht zu behutsam sein gegenüber diesem Feind, mein hoher Freund. Hätten die Barbaren diesen von den Göttern ihres Landes selbst aufgebauten Schutzwall nicht besetzt, dann müßte sie jeder Mut des Widerstands verlassen haben.« »Und gewiß, er hat sie verlassen! Die Kriegslust ist ihnen gründlich ausgetrieben durch Valentinian, den großen Verewigten, und durch unsern jungen Heldenkaiser, seinen Sohn:—meinen Zögling!« fügte er selbstgefällig bei. »Ich bin überzeugt, die ganze Germanengefahr ist für das Reich vorüber.«
Schweigend schüttelte der andere das Haupt. Da sprengte von der Mitte des Römerzuges ein Befehlshaber der Panzerreiter, ein Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, heran. Aus dem Helm starrte struppiges Haar hervor und häßlich waren die unedeln Züge. »Müssen wir über diesen götterverhaßten Felsen, Tribunus?« rief er, das Pferd kurz parierend. »Wir müssen,« erwiderte ruhig der Illyrier. »Soeben ward mir gemeldet, unsere linke Flankenschar hat wieder einmal den Wald grundlos versumpft gefunden und sich auf diese—unsere einzige—Straße heranziehen müssen. Und zur Rechten rauscht der See!« Der Häßliche warf einen bedenklichen Blick auf die Felshöhe. »Hm,« meinte er, »wird viele Leute kosten. Ist aber kein Unglück.« fuhr er fort, »wir haben Barbaren übergenug in Sold, fallen sie gegen andere Barbaren—immer sind's soviel Bestien weniger.« »Wie abscheulich, Neffe Herculanus,« verwies der Präfectus Prätorio. »Wird der Aufstieg verteidigt,« fiel der Tribunus ein, »kostet er viele Zeit. Und Zeit haben wir gar nicht zu verlieren. Wir sollten schon längst am Ister stehen, die Goten abzuwehren. Mir bangt um Kaiser Valens. Übles ahn' ich!« »Immer ahnst du Übles,« lächelte der Ältere, der Präfectus Prätorio, »und nie trifft das Üble ein: immer siegt das Glück der ewigen Roma! Horch, auch diesmal. Der Hornbläser giebt das Zeichen: »»Alles sicher! Vorrücken!«« Und der Centurio der Bataver, der zuerst die Höhe erklommen,—wie heißt er doch?—Rignomer: er winkt uns, ihm zu folgen. Hinauf, ihr Freunde! Hatte ich nun nicht Recht, mein tapferer Tribun? Die Barbaren geben den Widerstand auf.«—»Recht hast du, wie immer, Oheim!« meinte der junge Offizier mit einem Lächeln, das freundlich sein sollte, aber häßlich ausfiel. »Wenn du nur Recht behältst, Ausonius!« sprach der Illyrier zögernd. »Aber für den Augenblick scheint es wirklich so. Auf, Tubabläser, gebt die Zeichen: »»Der ganze Zug: vorwärts!«« Wir schlagen das Nachtlager auf jener Höhe und wehrlos vor uns liegt das Land der Alamannen.«
Unter den Römern war, wie wir sahen, nicht bekannt geworden, ob die Barbaren Witterung hatten von den Vernichtung drohenden Streichen, die von mehreren Seiten zugleich gegen das Waldvolk geführt werden sollten. Die Vorbereitungen waren so geheim betrieben worden, daß den Feldherren völlige Überraschung der Feinde erreichbar schien. Seit Wochen schon durfte kein Germane mehr die äußerste Postenlinie überschreiten des »limes«, des—jetzigen—römischen Grenzhags: er war freilich sehr weit zurückverlegt worden im Lauf der letzten drei, vier Menschenalter.—Das Recht des Marktverkehrs in den Stationen auf dem südlichen Ufer war ihnen schon länger entzogen wegen angeblicher Verletzungen der Bedingungen solchen Verkehrs. Die römischen Händler aber wagten sich seitdem auch nicht mehr in das Gebiet der über solche Strenge erbitterten Nachbarn. Die Grenzwachen meldeten, daß man von den Warttürmen aus irgend Auffälliges bei den Barbaren wahrzunehmen nicht vermöge. In gewohnter Weise gingen die Leute da drüben ihrer Arbeit in Feld und Wald, dem Weiden ihrer zahlreichen Herden, manche der Jagd oder dem Fischfang im See nach; sie schienen weder an Gegenwehr noch an Flucht zu denken.
Einmal zwar ward von einer der »speculae« aus berichtet, tief in der Nacht sei auf einem fernen, wohl mehrere Stunden weit vom See entfernten Berg plötzlich ein Feuer aufgeflammt und nach kurzer Frist ebenso plötzlich wieder erloschen. Der »Weihberg«, das heißt: »der heilige Berg«, auch »Wodansberg«, hieß den Alamannen jene hochragende, weithin sichtbare Kuppe, und der Name hat zähe gehaftet. Später freilich galt die »Weihe« einem christlichen Weihtum: aber heute noch führt den Namen »Heiligenberg« ein stattlich Schloß auf jener herrlichen Höhe. An der Stelle, wo damals Wodans Eschen gerauscht, säuselt jetzt der Wind über die Blumenbeete eines wunderschönen Gartens.—
Die Meldung war nicht aufgefallen. Waldbrand, auch zur Nacht, war nicht selten bei dem Rodungswerk der Alamannen, die oft statt der Axt die raschere Flamme zur Arbeit riefen. Auch war in den nächsten Tagen alles ruhig geblieben am Grenzhag.———
An dem Morgen nach jener Nacht—es war wenige Tage vor dem eben geschilderten Einmarsch der Römer über die Höhe von Meersburg—schritt von dem dichten, meilenweiten Gehölz, das sich vom See nordwestlich gegen den »Weihberg« zog, in die Lichtung heraus ein Jüngling: hochragend, schlank, wie eine Edeltanne aufgeschossen. Die zurückgeworfene Kapuze des Luchsfelles, das als ein kurzer Mantel von seinen Schultern flatterte, hinderte nicht das lange, dunkelblonde Haar, das in breiter Woge auf die Schultern wallte; der Morgenwind spielte kosend darin, wie der Wanderer Halt machte auf einem niedern Rasenhügel, der den Blick über den Seespiegel gewährte. Den schwungkräftigen Schritt hemmend, den rechten Arm um den Eichenschaft des Speeres geschlungen, neigte er sich leise vornüber: mit der linken Hand die blendende Spiegelung der Sonne auf der glatten Fläche ausschließend, spähte er angestrengt über die Flut hin nach dem Südufer. Der Blick war adlerhaft: denn er war stolz und kühn und scharf, und die Farbe des Auges war ein helles Goldbraun.—
Hell glänzten von drüben, von Arbon und den anderen Stationen, wie Constantia (Konstanz), die römischen Warttürme und Hafenburgen herüber mit ihrem roten Ziegelbau. Alles lag in tiefster Ruhe. Kein Segel, kein Ruderboot war zu sehen: ungestört zog ein mächtiger Weih, mit seltnem Flügelschlag, seine stolzen Kreise über dem Seicht der Ufergewässer.—Befriedigt wandte der Alamanne nun den Blick auf die vor ihm liegende sanfte Höhe, die heute, nordwestlich von Friedrichshafen, das Dorf Jettenhausen trägt. Schon damals war das Land daselbst gerodet und unter den Pflug genommen. Auf der Krone der Anhöhe ragte eine stattliche Holzhalle, von wehrhaftem brusthohem Pfahlzaunwert umgürtet; ein stolzes Hirschgeweih prangte—als Hauszeichen—an dem Firstbalken. Von der Herrenhalle selbst und von einem der kleinen Nebengebäude stieg kreiselnder Rauch aus den Luken der Balkendächer; die Leute rüsteten wohl das Frühmahl. Es schien, als ob der Jüngling nach Süden, in der Richtung der vornehmen Halle, auf der sein Blick mit Stolz, aber auch mit fast wehmutvollem Ernst geruht hatte, herniedersteigen wollte. Aber plötzlich wandte er sich: »Nein!« sprach er zu sich selbst, »zuerst—zu ihr!« Und nun eilte er geradeaus nach Osten, durch den damals völlig morastigen Tann, der heute noch der »Seewald« heißt. Er durchschnitt ihn in der Richtung nach dem Tettnanger Forst. Gar oft mußte er vorsichtig den Sprung von Stein zu Stein, oder von einem Mooshügel zum andern abmessen, nicht in den gürteltiefen Sumpf einzusinken. Aber der Jüngling schien ihn trefflich zu kennen, den kaum wahrnehmbaren, viel unterbrochenen Gangsteig, der sich bald als Furt, bald als Brücke durch den Moorgrund und das dichte Gestrüpp hinzog.—Über einen ziemlich breiten Bach, der durch Moos und Röhricht dem See zueilte, schwang er sich in hohem Sprung auf seinem Speerschaft—hell gackernd flog das Moorhuhn auf, das er emporgescheucht—und nun sah er bald vor sich liegen die seiner stolzen Halle—denn er war der Herr und Eigner jenes hochragenden Edelhofs—nächste Siedelung; weiter als eine Stunde wohnte damals hier Nachbar von Nachbar entfernt; erst in den folgenden Geschlechtern erwuchsen die Einödhofe am See allmählich zu Dörfern.—
Das Häuslein im Walde—fast mochte man es Hütte nennen—duckte sich bescheiden an den Fuß eines sanften Bühls, der es vor dem Nordostwind barg. Dunkelgrünes Moos hatte das alte Dach überzogen. Der schmale Stallraum für wenige Häupter Vieh war mit dem Wohnhaus zusammengebaut. Doch war alles sauber und wohl gehalten, zumal der kleine Anger, auf dessen umzäuntem Wiesboden ein paar Obstbäume standen. Und gar seltsam berührten in dieser Wildnis das Auge einige römische oder doch südgallische Ziersträucher: Taxus und—sorglich gepflegt—edle Rosen.—Über die Stirn des Firstbalkens ragte, ungefüg aus Tannenholz geschnitzt, aber doch unverkennbar, das Bild eines vierzackigen Sternes. Es war dadurch nicht eben schöner geworden, daß man die weiße Fläche, offenbar erst kürzlich, grellrot angestrichen hatte mit dem Mennig, dessen man sich zur Färbung der eingeritzten Hausmarke zu bedienen pflegte. Der Wanderer warf unwillkürlich, sowie er des Häusleins ansichtig ward, den ersten Blick auf das Dachzeichen; da er den roten Anstrich gewahrte, zog ein Lächeln über seinen feingeschnittenen, vom weichen Flaumbarte nicht ganz bedeckten Mund. Der zweite Blick aber suchte den Scheitel jenes niedrigen Bühls, wo eine uralte Eiche, jetzt vom goldnen Sommersonnenschein hell beleuchtet, die knorrigen Äste leis im Morgenwinde wiegte; lange, von den Zweigen herabhängende Flechten von Waldbart wogten und schwankten daran hin und her.—Um den Stamm der Eiche war eine ihn ganz umgürtende Rundbank gezimmert; auf der Südseite hatte man ein paar Felssteine zu einer Art Tisch zusammengefügt.
Auf der Bank, im warmen Strahl der Sonne, saß, in dunkle Gewände gehüllt, fast reglos, eine Gestalt: eine Greisin. Aus dem Saum des über das Haupt gezogenen braunen Mantels traten dünne Streifen schönen, weißen Haares vor; nur wenig und ganz gleichmäßig rührte sie die Hände. Als der Schritt des Jünglings auf dem sandigen Aufstieg des Bühles scholl, beugte sie sich, einhaltend in der Arbeit, vor, und lauschte; dann nickte sie leise und flüsterte: »Deshalb huschte sie hinweg!« Nun fuhr sie wieder fort in ihrem Werk. »Heil dir, Waldrun!« sprach der Jüngling, vor ihr Halt machend. »Erschrick nicht—ich bin's—«
»Adalo, der Edeling,« fiel die Greisin ein.—»Du erschreckst nur die Argen.«—»Du erkennst mich?«—»Wem die Götter die Augen verlöscht haben, den machen sie sehend—die Seele. Hallt dein leichtgeschwungener Schritt auch nur selten mehr um mich her,—ich kenne ihn gut. Oft hör' ich dich, wie du, ausweichend in weitem Bogen, um unsern Hof eilest.—Bei Tage kommt nur noch Bruna, das gute Tier, deine zahme Bärin, herübergetrottet vom Edelhof zu uns. Denn auch deinem lichtlockigen Brüderlein hast du wohl den Besuch verboten. Das Tier aber ist treueren Herzens als die Menschen:—oft und oft sucht es meine Kleine auf und Zercho, den Knecht. Und wenn es einen Kranz von den meiner Kleinen liebsten Blumen um das Halsband geschlungen uns zuträgt und ihn brummend abstreift in ihren Schos:—wir wissen's wohl, nur Sippilo, der Knabe, nicht du, hast ihn gesendet!—Bei Tage meidest du uns!—Aber«—sie beugte sich nun vor und sprach ganz leise: der Jüngling sah sich staunend um: waren sie doch allein:—»aber bei Nacht schleichst du manchmal nahe heran.«
Der Jüngling errötete über und über: er wollte ablenken. »Und ohne zu sehen kannst du spinnen?«—»Spinnt doch die jüngste der drei großen Schwestern—blind geboren—des ganzen Menschenvolkes Zukunft, Und ich bin erst blind geworden. Und was ich spinne, ist mir fingervertraut wie gedankengewohnt.«—»Was spinnest du?«—»Mein Sterbegewand.—Aber nicht nach Waldruns Sterbegedanken zu forschen, mein' ich, kam der Edeling, Adalgers Sohn, hierher. Suchst du meinen Sohn? Suomar ist noch nicht zurück vom Ding.«—»Ich such' ihn nicht:—er sendet mich. Das Gauding—heut' Nacht auf dem Wodansberg—hat beschlossen, die Gehöfte und das Bauland zu räumen.« Und zornige, drohende Kampfesfreude verschonte das edle, langgezogene Antlitz, als er beifügte: »Der Römer naht!«
»Er wird nicht lange weilen,« sprach die Alte ruhig fortspinnend. »Schon oft sah ich ihn stark anbrausen:—und bald wieder schwach vergehn.«—»Euch Frauen, die Unwehrhaften, die Unfreien und die Herden sollen zwei Schutzwerke aufnehmen, weit vom See: eins auf dem Wodans-Weihberg im Niedergang, das andere in den Ostsümpfen. Zwei Heerhaufen bilden wir: einen für Sonnenniedergang, den anderen für Aufgang. Dein Sohn ist dem Osthaufen zugeteilt. Er ist gleich vom Ding hinweg in die Ostsümpfe geschickt worden: sie sollen die Furten dort durchstechen und am Gauhag die Verhacke verstärken, so den Walen das Eindringen zu wehren.«
»So sollen wir wohl gegen Aufgang eilen, in die Sümpfe? Dort sind wir ihm näher.« Zögernd begann Adalo.—Gluten stiegen ihm abermals in das Antlitz und einen scharfen Blick warf er auf die Thüre des nahen Hauses, bevor er anhob:—»So war sein erster Einfall—und so verteilt die Fliehenden im ganzen des Volkes Beschluß.—Aber—ein andrer—ein Freund,—riet ihm, euch lieber nicht in den Sümpfen zu bergen, sondern—auf dem Weihberg.«—»Du ziehst zu dem Westhaufen—auf den Weihberg?« Adalo schwieg. »Du rietest ihm so, Adalo!«—»Ich leugn' es nicht.—Sieh, ich meine es gut mit euch. Besser geborgen als in dem Sumpfland seid ihr auf Wodans ragendem Waldberg. Voll Unbehagen lebt sich's in dem Fieber brütenden Moor:—oft befällt dich ja dieses Siechtum—und nicht so sicher. Der Osthaufe weilt nicht in eurem Verstecke: Suomar selbst kann euch nicht schützen, nur euer Versteck euch verdecken. Auf dem Weihberg aber, hoch in den Steinringen, schützt euch die Nähe der Waltenden, der Landesgötter selbst. Und behaglicher, freudiger lebt sich's dort unter Waldhütten und Laubzelten! Und«—so schloß er zurückhaltend, bescheiden—»ich selbst bin dort, euch zu schirmen. Folgt mir—schon morgen kann es zu spät sein—folgt mir sogleich!« Da fielen aus dem dichten Geäst des hohen Baumes ein paar Eicheln prasselnd auf die Steinplatte, prallten ab und sprangen zur Erde. Adalo sah empor. »Wohl ein Eichhorn?« meinte er. »Ja.—Ein rotes!« fügte die Alte kopfnickend bei. »Es treibt oft sein mutwillig Spiel da oben.—Sind oft recht zornmütig.«—»Das sind sie,« lachte Adalo. »Eines, das ich griff, hat mir einmal den Finger fast durchgebissen. Da!«—Die Frau befühlte den hingestreckten Zeigefinger seiner Rechten. Sie ließ ihn nicht gleich los, tastete daran und sprach dann: »Dahinter liegt noch eine andre Narbe!—Die biß dir vor Jahren—weißt du noch?—im Heißzorn mein böses Enkelkind. Wie war es doch?«
»Beim Sunnwendfest war es. Der Weststurm blies wütend, wie Wodans Atem. Sie vermaß sich, allein, in eurem morschen Schelch,—dem alten Einbaum!—mit Seitenwind den rasenden See zu kreuzen. Die andern höhnten:—ich bat. Umsonst. Sie sprang in den Nachen und stieß ab: sie war verloren, kam sie über den Schilfhaken hinaus in den Weitsee. Ich lief nach, watete, schwamm und fing sie aus dem Kahn, gerade wie er umschlug. Ich trug sie ans Ufer. Sie wandte und wehrte sich, fauchend wie eine Fischotter, und biß mir zum Dank in den Finger.«
»Da erfand aber,« sprach die Alte verweisend, »ein böser Singemund den Spruch:
»Arg kratzt die Eichkatz,—
Bittrer beißt Bissula.«
Der Spruch ging um im Gau, ja in allen Gauen am See. Wohin meine Enkelin kam, zum Beerenlesen im Sommer, zum Flachsbrechen, zum Stoppelreigen, zur Sichelhenk, zur Drischelleg:—überall scholl ihr entgegen der höhnische Spruch im Rundgesang. Das war nicht wohlgethan!—Nicht klug!« fügte sie leiser bei.—»Mutter Waldrun—nun ja:—es war nicht wohlgethan—aber nicht böse gemeint.«—»Ja, ja, Wodan hat dir das Lied auf die übermütige Lippe gelegt und das beflügelte Wort, den Witzspruch.—Du kannst es nicht lassen!—Siehst du ein ladendes Ziel,—der Pfeil der Neckrede saust dir vom Munde!«—»Aber unvergiftet, sonder Widerhaken! Ein stumpfer, kleiner Bolz, mit dem man das herzige Rotkehlchen trifft, Donars elbischen Liebling, nicht, es zu wunden, nein, ungesehrt es zu fangen und in das Gehöft zu tragen, an unsern Herd, auf daß es uns lieblich singe Jahr für Jahr.«—»Hüte dich! Heißzornig, leichträchend und langrächend ist, was rote Farbe trägt.« »Jawohl,« lachte der Jüngling. »Wie geht ein andrer Spruch?«
»Reizt dich das Rothaar?
Rette dich, rat' ich!
Scheue die Schöne!
Falsch ist sie und fauchend,
Wie Feuer und Fuchs!«
Kaum war der letzte Stabreim gesprochen, als sich hoch oben aus dem Wipfelgeäst des gewaltig ragenden Baumes seltsame Töne vernehmen ließen. Zu höchst oben ein Fauchen und Kollern, aber tiefer unten ein anderes Geräusch, wie wenn etwas an dem Stamme sich rutschend herabließe. Die ersten Laute kamen zweifellos von einem Eichhörnlein, das, aufgeschreckt durch irgend eine Störung, blasend und zischend vor Angst oder Zorn, in weitem Bogen und doch in sicherem Sprung von dem obersten Gipfel des Baumes auf die ziemlich fern stehende Nachbareiche hoch durch die Luft
Adalo folgte mit dem Blick dem flugähnlichen Sprung des Tierleins.—Aber einstweilen war aus dem dichtesten Mittelgezweig an dem Stamme behende herabgeglitten ein junges Geschöpf, das Mädchenkleidung trug, die es sofort, wie es auf den Füßen stand, von Knie zu Knöchel sorgsam glättend niederstrich.—In seiner zierlichen und leuchtenden Schöne, in der fast kindlichen Kleinheit seines ganzen Gliederbaus glich das Wesen weniger einer Menschenmaid, als einer Lichtelbin. Sie trug keinen Mantel. Das weiße Linnengewand mit kirschrotem Saum und gleichfarbigem, handbreitem Gürtel ließ Hals und Arme frei: blendend weiß wie Elfenbein leuchtete alles, was man von dem fast allzufein modellierten Leibe sah; dunkelrot dräuten die auffallend starken, in der Mitte beinahe zusammenstoßenden, sehr edel geschwungenen Brauen; aus den hellblauen Augen sprühten jetzt helle Blitze des Zorns. Mehr noch durch lebhafteste Anmut des Ausdrucks und durch die vollendete Zierlichkeit des kleingliedrigen Leibes fiel die Erscheinung auf, als durch regelmäßige Schönheit.
Denn—es kann nicht verschwiegen werden!—das reizend schnuppernde, neugierige Näslein ragte zwar nicht etwa in die Höhe,—gewiß nicht!—aber es war ein klein wenig zu kurz ausgefallen. Und da es nun auch an der Spitze jäh nach unten abfiel, war der Raum zwischen dem Näslein und der Oberlippe etwas lang geraten: so erhielt das ovale Gesicht in der Ruhe den Ausdruck eines halb wachsam erstaunten, halb schelmisch-übermütigen Ausblicks in die Welt.
Alles war an dieser zierlichen Libelle so zart und duftig gehalten, daß man das Mädchen fast noch ein Kind erachten mochte; aber die lieblich schwellenden Formen verkündeten anmutvoll das junge Weib. Und von höchstem, auch die Sinne berückendem Reiz war der, obzwar so kleine, doch sehr üppige, wie in scherzendem Schmollen aufgeworfene Mund:—so kirschrot, wie der Saum ihres Gewandes.—Ein Grübchen im Kinn, ja der ganz leise Ansatz sogar zu einem Doppelkinn verliehen dem Antlitz jene holdselige Weichheit, ohne welche Weibesschönheit kalt läßt. Das Auffallendste jedoch an dem wundersamen Elbengebilde war das Haar, das ganz lichthell-rote, dem Brandgelb der Flamme gleichende Haar, das Stirn und Schläfe umspielte in tausend mutwillig krausen, ganz kurzen Ringelchen:—je aus einem für sich allein gelockten Haar. Wie ebensoviele Dornen ein Röslein schienen sie das Gesicht schützend zu umhegen. Das übrige Haar war, nach suebischer Sitte, gegen den Wirbel hinaufgekämmt, hier zusammengeschnürt und flutete von da in prachtvollem, bedeutend dunkler gefärbtem Rot, wie ein Purpurstrom, über den blendend weißen Nacken bis tief über die Hüften herab.
Das trotzig übermütige, dann auch wieder neugierig Erstaunte, ja sogar überlegen Besserwissende des naiven Ausdrucks, durch diese emporgekämmte Haartracht noch verstärkt, erhielt manchmal den Anflug des Komisch-Gestrengen durch die Angewöhnung des Geschöpfleins, die ohnehin fast zu stark gezeichneten Augenbrauen, wie erstaunt und zugleich verweisend, in die Höhe zu ziehen. Das zum Lächeln Ladende lag dann in dem Reiz des Widerspruches, daß dieses fast ohne Körperlichkeit schwebende Wesen die ganze Welt mit seinem klugen Näslein, mit den hellblau blitzenden Äugelein scharf auszuwittern und—nötigenfalls—sofort scharf zurechtzuweisen bereit schien. Ein äußerst starker Wille, ein heißes, ungebändigtes Temperament und die Lieblichkeit einer kaum geöffneten Knospe:—diese Gegensätze forderten zum Lächeln, sie forderten fast zu dem Versuch heraus, was wohl das heftige kleine Insekt alles anstellen werde, wenn man seinen leicht entzündbaren Zorn reize. Aber schlug sie in sanfterer Empfindung das leuchtende Auge auf,—dann war sie so hinreißend schön, so rein, so innig warm und seelengütig, daß man über der Begeisterung, sie zu bewundern, die Neigung vergaß, sie zu necken.—
Jetzt freilich sah das kleine Elbengebild durchaus nicht gütig, sondern recht herzhaft böse sah es aus, als es, zu dem hoch ragenden Edeling nur einen raschen Blick lodernden Zornes emporschleudernd, heftig die alte Frau an der Schulter faßte und mit halber Stimme—tonlos vor verhaltenem Grimme—mahnte: »Großmutter!—Fort!—In die Sümpfe!—Zercho, der Knecht, soll uns führen. Fort!«—»Gemach, Kind, gemach!—Hast du nicht gehört? Auf dem Weihberg ist bessere Zuflucht.«
—»Bessere vielleicht für uns! Aber nicht für die, welchen wir—nein, welchen ich dann nahe wäre. Geh,« rief sie grimmig und hastig dem Jüngling zu, »rette dich, rat' ich, vor dem Rothaar. »Falsch und fauchend wie Feuer«—wie war es doch, du Witziger? Hurtig, sobald mir Eros, des Nachbarn, Tochter diesen deinen neuesten Spottspruch gegen mich, kichernd vor Hohn und Schadenfreude, vorgeplärrt, kletterte ich auf der Heuleiter empor zum First unseres Hofes und strich unser weißes Sternzeichen da oben rot an: recht dick, recht grell, auf daß du es schon vom Waldrand aus ersehen und vor der bösen Farbe weit ausbiegen könnest. Aber recht weit!—hörst du?«
Adalo hatte sich nun von seinem Staunen erholt.
»Ich wußte,« lächelte er, »die Lichtelben wohnen über unsern Häuptern. Aber nicht wußt' ich, daß sie nisten im Eichengeäst.«—»Und warum nicht?—Wenn anders du mich Lichtelbin schiltst.«—»Ist eben kein Scheltspruch, sollt' ich meinen. Wie sagt das Elbenlied? ›Schönste Schöne ist nicht den Asinnen, ist den Elbinnen eigen.‹«—»›Arg beißt die Eichkatz, bittrer beißt Bissula.‹—Du selbst hast mich ja unter die Beißkatzen gereiht. Also wundre dich nicht, daß ich zu meinen roten, fauchenden, beißenden Geschwistern hinauf flüchtete, da ich von fern des verhaßten Edelings hochmütigen Schritt vernahm. Denn früher noch als der blinden Ahnin langgeübtes Ohr hab' ich dich Kommenden erraten. Der Haß hört scharf!« »Du hassest mich?« fragte der Jüngling: leise und traurig klang seine Stimme.—
»Vergieb ihr, Adalo! Sie ist ein Kind.«—»Nein, Großmutter, ich bin kein Kind mehr! Den achtzehnten Winter schau' ich beim nächsten Schnee! Damals—im Kahn—hat ein Kind dem Übermächtigen wehren wollen, der ihm die Fäuste zwang: das Kind war zu schwach. Jetzt aber wehrt sich gegen deinen Übermut etwas in mir:—ich weiß nicht, was es ist:—da—in der Brust glüht es:—und glaube mir—das Ding da in mir ist stärker als einst meine Hände waren: das zwingst du nicht!«—»Nicht zwingen,—schützen will ich dich und deine Ahnin.«—»Uns schützt unserer Sippe Haupt: Suomar, ihr Sohn, mein Ohm und Muntwalt.«—»Suomar war der Meinung, ihr seiet besser geschützt—auf dem Weihberg.«—»Weil er nicht errät, der wackere Oheim, daß du dabei nur nach neuer Berühmung zielst, in stolzen Stäben. Etwa so:
»Bitter biß Bissula! Aber bang,
Reuig, rannte sie, vor den Römern um Rettung,
Zu Adalo, dem Edling!«
Du hörst—auch ich kann Stäbe binden!« »Böse Sprüche,« mahnte die Alte, »die nicht Wodan der Weise,—die Loge dir lieh! Warum verschmähst du den Schutz, den der Nachbar dir beut? Seid ihr doch aufgewachsen wie Bruder und Schwester, auf dem Ufer, auf dem See nie getrennte Gespielen!«—»Bis dem Nachbar einfiel, er sei der reiche, starke, sangeskundige Edeling.—Der ›Schöne‹—wie all' die dummen Mädchen flüstern. Der—und schön! Häßlich ist er!—Sein Name tönt dir überall entgegen in dem Gau, in allen Seehöfen. Wer ist der kühnste Held im Römerkrieg? Der dauerndste Schwimmer, der glücklichste Jäger? Der Sieger im Ringkampf, im Steinwurf, im Speerwurf? Wer ist der Vorspringer im Schwertertanz? Auf wen hören selbst die Graubärte im Gauding? Auf wen gucken die Mädchen beim Sunnwendsprung? Adalo!—Adalo!—Adalo!—Der Übermut!—Es ist nicht auszuhalten!« Und zornig hielt sich die Erboste die beiden kleinen Fäustchen vor die Augen, den so heiß Gehaßten nicht mehr zu sehen.—»Soll Übermut mich hierher führen—mit dieser Bitte?«—»Ja: Übermut!—Als sie beim Spinnen im Winter, schon beim Heuen im Herbst gar viel redeten von dir, die Mädchen:—ich rede wenig, ich lausche! da ward erzählt: Jetto, der reiche Hofherr, fing,—er selbst zuerst!—Verhandlung an mit Adalo um Jettaberga, seiner Tochter Hand. Jettaberga ist das schönste Mädchen am See ...—«
»Das ist nicht wahr,« sagte Adalo sehr ernsthaft.
»Ihre Sippe die mächtigste nach der deinen, an Speeren und an Rindern, an Schilden und an Schollen die reichste.« »Das ist wahr,« nickte der Jüngling. »Aber Adalo wies den Antrag ab, sobald es genug bekannt geworden war am See, daß Jetto selbst ihm die Tochter angetragen, weil beide Sippen bei dem Bund gewonnen hätten—«
»Besonders Jetto!« bestätigte die Alte. »Und weil Jettaberga den Edeling schöner fand, als alle Männer.« »Das ist wohl nicht wahr!« lächelte dieser gutmütig. »Doch! Es ist wahr!« rief die Kleine heftig. »Leugn' es nicht:—sie hat mir's selbst gesagt.«—»Ich will davon nichts hören!« »Bissula!—Schwätzerin!« mahnte die Großmutter. Diese biß sich auf die Lippe. »Bah—er wußte es doch schon! Oder glaubte es zu wissen! Wie er es von allen Mädchen glaubt. Und so soll es denn scheinen—ihm selbst und seinen Genossen,—daß auch Bissula,—die zwar weder reich noch schön, aber eben Bissula ist, das heißt trotzig und nie gebändigt.—daß auch ich, statt nach dem Volkesschluß in die Sümpfe, lieber auf den Weihberg flüchte:—zu dem Edeling! Aber«—und fast drohend sprühte nun ihr Auge,—»dessen sollst du dich nie berühmen!«—»Und wenn ich befehle?« warnte die Alte. »So lauf' ich allein in die Sümpfe!—Vergieb, liebes, liebes Mütterlein,—aber nicht du bist, Suomar ist mein Muntwalt. Hat er befohlen? Sprich!« »Er hat nur geraten,« erwiderte Adalo zögernd.—»So bin ich frei! Rat mag man befolgen oder unbefolgt lassen.—Das aber wisse: Hättest du jetzt gelogen ...—«
Der Jüngling erbleichte. »Verwegene!« schalt die Greisin. »O ich weiß:—er lügt nie! Aber nicht aus Wahrhaftigkeit:—nur aus Stolz!—Hättest du ein Gebot meines Muntwalts vorgeschützt:—lieber in den See wär' ich gesprungen, wo er am tiefsten ist, als dir gefolgt.«—»Welch' unsinniger Trotz! Ihn treibt die Sorge.«—»Ihn treibt der Übermut!—Alle Blumen schlingt der Eitle zum Spiel um sein lockig Haupt: in diesem Siegeskranz soll auch Bissula nicht fehlen, die rote Heideblume.«—»Die rote Heideblume allein soll mein Leben schmücken,« sprach der Jüngling feierlich. Da erschrak das Mädchen: alle Farbe wich aus ihrem Antlitz: sie zitterte: wankend griff sie, sich zu halten, nach dem Arm der Großmutter. Diese aber wandte ernst, hochaufhorchend, das Haupt gegen Adalo: »Welch' Wort wagtest du da?«—»Ein wohl gewognes. Ich stehe in keines Mannes Muntschaft:—ich bin alt genug, ein Weib heimzuführen, stark genug, es zu schützen. Wohlan, Bissula—Jugendgespielin: folge mir! Ich entrichte jeden Muntschatz, den Suomar verlangen mag. Ich hab' dich lieb wie keinen Menschen sonst. Folge mir auf den Weihberg, daß ich dich dort schütze:—meine Braut!«
Da schmiegte sich das Mädchen noch näher an Waldrun: aber diese sprang erschrocken auf: mit rascher Bewegung suchte ihre Hand das Herz der Enkelin. »Wie pocht es da!« flüsterte sie. Und nun erhob sie, wie abwehrend, die Linke hoch wider den Jüngling, mit der Rechten das hold erglühende Mädchenantlitz bergend unter ihrem faltigen Mantel. »Laß ab, du Arger,« sprach sie mahnend. »Argwohn ergreift jetzt mich selbst. Wenig würdig ist, daß du wagst, vor uns beiden schirmlosen Frauen das Wort der Werbung zu sprechen, das Mädchen verwirrend und, neugierig, eitel, versuchend, wie diese Werbung wirke! Nicht also will es der ehrbare Brauch unseres Volkes! War es dir ernst mit dem Freien—Suomar zuvor, den Muntwalt, mußtest du angehen: er vergiebt meiner Enkelin Hand, nicht diese selbst. Mit dem Muntwalt verträgt, wer Ernst und Ehe meint, das Mägdlein beschwatzt, wer Kurzweil und Lust begehrt! Geh:—ich zweifle an dir!«
Beteuernd legte der Gescholtene die Hand auf die Brust: aber bevor er sprechen konnte, war das Mädchen aus dem bergenden Mantel der Großmutter hervorgehuscht: ihre Wangen glühten: die roten Haare hoben sich: fast meinte man, sie knistern zu hören: ihre zornigen Augen blitzten: sie sprang gegen den Jüngling und stieß ihn mit beiden Händen vor die Brust: aber er wankte nicht.
»Ja, geh!« rief sie. »Ich zweifle nicht! Sogar Waldrun, die Gute, die dir stets das Wort geredet, ward irr an dir! Und sie kann es doch nicht sehen, dein übermütig strahlendes Antlitz, das verhaltene Siegeslächeln auf diesen stolzen Lippen, den Hochmut dieser leuchtenden Augen!—Da—sieh—wie jetzt die Güte, die angenommene, aus deinen Zügen weicht!—Wie du dich aufbäumst!—Hoch das Haupt zurückwirfst! Ja, das ist der Edeling, der Rasche, der Starke, der Schöne! der da meint, jeden Einfall, jede Laune müsse ihm, seinem Liebling, der Wunschgott erfüllen. Du und die arme Kleine, die rote Bissula an deinen Herd führen!—Übrigens: Bissula heiß' ich nur für meine Freunde:—für Fremde heiß' ich Albfledis. Recht hat Waldrun: die Blinde hat es gesehen: meintest du's ernst,—mit dem Muntwalt mußtest du vertragen.« Sie trat von ihm zurück und ergriff der Großmutter Arm: »Komm! Laß uns in das Haus gehn!«
Aber hochaufgerichtet vertrat den Frauen Adalo den Weg: Trauer und Zorn rangen um die Herrschaft in dem Ausdruck seiner schönen Züge. »Ich hatte es ernst gemeint, so ernst! Freia weiß es! Bald sollte Frigga davon wissen! Mit Suomar sprach ich nicht, weil ich nicht, wie die meisten, das Mädchen ungefragt, nur durch des Muntwalts Machtspruch, gewinnen wollte: denn nicht nur ihre Hand und ihren Leib,—ihr Herz, ihre Liebe wollt' ich mir erringen. Suomars war ich wohl sicher.«—»Hörst du den Hochmut, Großmutter?«—»Ohne Hochmut! Was kann dein Ohm gegen mich einwenden? Nichts! Und wir haben immer freundliche Nachbarschaft gehalten: er hätte mich nicht abgewiesen! Aber ich wollte dich nicht vergabt von einem andern:—dich Trotzgemute! Ich wollte, die Jugendgespielin sollte selbst sich mir geben. Ja, ich gesteh' es: ich hoffte, sie sei mir noch von der Kindheit Tagen her ein wenig—ein ganz klein wenig gut geblieben!«—»Übermütiger!«—»Und jetzt hat mir die Stunde, die Gefahr die Zunge gelöst. Der Römer naht! Wer weiß, was er über uns bringt. Du aber hast mich fortgestoßen mit unverdientem Argwohn, hast meine treu gemeinte Hilfe verschmäht. Aber freilich«—und hier furchte er in schmerzlichem Zorne drohend die Stirn—»dir thun vielleicht die Feinde nichts zu leide!«
»Wie meinst du das?« forschte die Alte: aus ihrem Ton sprach Besorgnis vor neuem Stoff zum Hader unter den jungen Leuten. Bissula aber warf, ohne zu fragen, einen blitzenden Blick auf ihn. »Du hast ja,« fuhr er mit verhaltnem Grimme fort, »seit Jahren Freunde unter den Verhaßten:—wenigstens einen Freund. Vielleicht kehrt er mit den uns bedrohenden Kohorten hierher zurück, der weise, klugredende und—vor allem!—so reiche Senator! Mit dem freilich und seinen Geschenken an Schmuck, an Edelobst und fremden Blumen kann sich nicht messen ein alamannischer Edeling, ein ›Barbar!‹—Und daß ich deines Volkes bin, jener aber von unsern Erbfeinden:—was gilt das dir? Du brauchst, ja du willst vielleicht weder Sumpf noch Weihberg zum Schutz gegen deinen—Freund!«
»Schweig, Edeling! Sie war damals dreizehn Jahre. Ihr Vater, ja fast ihr Großvater konnte der wackere Römer sein.«—»Aber er war so klug! Er wußte die Worte so zierlich zu setzen, daß ich sie meist gar nicht verstand. Und Albofledis hörte sie so gern, die Sprache der—Feinde!«—»Wenigstens,« fiel das Mädchen nun ein, die Worte hastig hervorstoßend, »hat Ausonius niemals die Sprache übermütigen Spottes zu dem Kinde geredet! Und ich sage dir, da du mich reiztest: ja, käme der Würdige, Mildherzige jemals wieder und wollte er mich wieder, wie damals, mit sich nehmen, als sein Kind, in sein schönes Land, in sein reiches Säulenhaus,—höre es: eher folgte ich ihm, die Tochter dem Vater, als daß ich dir lauschte und deiner höhnenden Werbung.«—»Halt, Albofled,« sprach der Jüngling, hoch sich aufrichtend. »Genug! Meine Werbung? Sie ist aus, für immerdar! Nie wiederhol' ich sie—ich schwör's bei diesem Speere! Du hast mich verschmäht—, hast mir den Römer offen vorgezogen—: höre mein Wort vor deiner Ahnfrau und vor der allsehenden Frau Sonne: nie wieder wirbt Adalo um dich! Und ob mich der heiße Durst des Herzens nach dir verzehre,—eher sterb' ich, als daß ich nochmal bittend dir nahe.«—»Wehe,« klagte die Blinde, »wehe um meinen liebsten Wunsch! Soll er nimmer sich erfüllen?«—»Sollte sich dieser Wunsch erfüllen, Mutter Waldrun, dann müßte zuvor Albofledis zu mir in meine Halle kommen und mich bitten: sieh, Adalo, hier bin ich! Nimm mich zum Weibe!« »Ha, freches Frevelwort!« rief Bissula, außer sich vor Zorn und Schmerz. Sie wollte einen der großen Steinblöcke emporreißen, die vor der Eiche gefügt lagen, und ihn auf den Verhaßten schleudern. Aber ihre kleinen Händchen rissen sich fruchtlos blutig an dem scharfen Gezack: unbewegt blieb der schwere Block: in Thränen ohnmächtigen Zorns ausbrechend sank sie über dem Stein zu Boden. Lauschend, angstvoll beugte sich die Alte zu ihr herab. Adalo aber hatte von all'dem nichts mehr gesehen und gehört. Zorngemut und stolz hatte er bei seinem letzten Wort den Frauen den Rücken gekehrt: den Speer auf der Schulter sprang er hastig den Bühl hinab, so rasch, daß die gelben Locken wild um sein schönes Haupt flogen.
Seitdem waren Tage vergangen.—Ohne Widerstand zu finden, waren die Römer in das Land gezogen. Nachdem sie auf der Höhe von Meersburg Lager geschlagen und den folgenden Tag Rast gehalten, waren sie wieder aufgebrochen und, von dem See und dessen sumpfigen Ufern sich etwas landeinwärts wendend, in langsamem Zug auf den »Idisenhang« gelangt. Da sie auch diese beherrschende Stellung unverteidigt gefunden, hatten sie hier, auf dem mit der Flottenabteilung verabredeten Punkt, ein Standlager errichtet. Sobald dies ausreichend befestigt schien, um von einer kleinen zurückzulassenden Schar verteidigt werden zu können, und sobald die Waffenbrüder drüben in Arbon ihre Flotte segelfertig gerüstet hatten, sollte diese herüberfahren, landen und die gemeinsame Treibjagd auf die aufzusuchenden Barbaren beginnen.
Kaum aber hatte Nannienus von drüben, von Arbon aus, bemerkt, daß die Landschar den verabredeten Punkt erreicht und das Lager geschlagen hatte, als er auf raschem Fischerboot eine Nachricht herübersandte, die den Fortgang der Unternehmung auf unbestimmte Zeit zu hemmen drohte. Sowie der tüchtige Heerführer in der römischen Hafenstadt eingetroffen war, stellte sich ihm heraus, daß die Ausrüstung der erforderlichen Fahrzeuge viel mehr Zeit erheischen werde, als man vorausgesetzt hatte.
Die Angaben der Beamten und Offiziere in ihren Briefen an den fernen Kaiser, die ansehnliche Reste der alten römischen Bodensee-Flotte als noch erhalten gemeldet und durch neu gefertigte Schiffe verstärkt gepriesen hatten, erwiesen sich als falsch, als maßlos übertrieben: die Gewissenlosen, verdorben wie fast der ganze Beamtenstand des Reiches, hatten ihre zahlreichen Schlappen verschwiegen, in welchen die Barbaren jene Schiffe allmählich zerstört hatten, die Gelder für Herstellung neuer Kiele aber hatten sie unterschlagen und die neu herzustellenden Segel als vollendet gemeldet. So erkannte und meldete der Comes von Britannien mit bitterem Zorn,—in Ketten schickte er die pflichtvergessenen Quästoren und Nauarchen dem Kaiser nach Vindonissa zur Bestrafung—daß er, obschon er in der kleinen Werft Nacht und Tag arbeiten lasse, erst in erheblich späterer Zeit die aufgetragene Landung werde ausführen können. Der thatendurstige Saturninus war empört über die aufgezwungene Muße: aber es blieb ihm nichts übrig, als auf die Fäulnis der Beamtung, des Reiches, der ganzen Zeit zu schelten—und zu harren.
Auf dem hochragenden Gipfel der Anhöhe, der heute den Kirchhof des Dorfes Berg trägt, in dem »Prätorium« genannten Teil des Lagers, war das reichgeschmückte Zelt für den Präfectus Prätorio von Gallien aufgeschlagen. Weiche, mehrfach übereinander gelegte Teppiche bedeckten den Boden. Ein »Lectus« (Ruhebett) war an der Rückseite des Lederzeltes aufgestellt. Daneben prangte ein Tisch von Citrusholz, mit kostbaren Trinkgefäßen besetzt. Ein alter Freigelassener, ein Kochsklave und der Bechersklave waren beschäftigt, die letzte Hand anzulegen. Für drei Zecher ward Platz gemacht auf dem hufeisenförmigen Ruhebett und eine Reihe von Bechern ward aufgestellt: denn in dem Zelte des Tribunus hatte man zwar die Coena eingenommen, aber der Präfekt hatte jenen und seinen eigenen Neffen eingeladen, nach dem Mahle noch einige erlesene Weine in dem »prätorischen Zelt« zu kosten.
Während die Diener sich mit dem Tische beschäftigten, war das lockere Leder an den Stangen auf der Rückseite des Zeltes wiederholt sachte gelüftet, aber gleich wieder niedergelassen worden; niemand hatte es bemerkt.
Nun gingen die übrigen; nur der Bechersklave schien noch nicht ganz fertig: immer wieder wischte er an der Innenfläche eines stolzen Silberpokals, der, von drei anmutigen Mädchengestalten getragen, die Aufschrift trug: »Ihrem Liebling Ausonius die Grazien.« »Noch immer nicht fertig, Davus?« hatte bei dem Fortgehen der alte Freigelassene unzufrieden gefragt. »Nein, Prosper,« war die Antwort gewesen. »Du weißt: der Herr trinkt nur aus diesem Becher, des Kaisers Geschenk; und er ist so eigen damit.«
Kaum war der Sklave allein, als das Zeltleder abermals gelüftet ward: ein lauerndes Gesicht schob sich behutsam nach innen: »Endlich allein!« flüsterte der draußen. »Ich wartete auf dich, Herr.«—»Nun? Heute? Beim Nachttrunk?«—»Nein! Ich wage es noch nicht. Dein Oheim ist so gesund wie daheim in Burdigala. Laß ihn erst erkranken unter diesem barbarischen Himmel, bei den ungewohnten Anstrengungen des Lagerlebens, in Regen und Sumpf; dann geht es eher. Aber jetzt? Aus heiler Haut? Nein, nein! Habe Geduld! Warte noch!«—»Ich kann nicht mehr warten! Meine Gläubiger, die Wucherer, verfolgen mich bis aufs Blut,—bis hierher in das Lager.—Und diese Gegend, diese Nachbarschaft! Du weißt: sie ist mir gefährlicher, als jeder andere Fleck des Erdkreises. Darum, eile dich!«
»Sobald er nur ein wenig unwohl wird,—dann alsbald. Auch will ich's nur gestehn ...—«—»Was?«—»Das Fläschchen mit dem Gift,—das du mir gegeben,—ich hab' es nicht mehr.«—»Verloren, Tölpel?«—»Nein, zerbrochen! Bei dem schweren Steigen auf den Berg neulich am See glitt ich aus,—schlug mit der Brust auf den Fels, das Fläschlein klirrte und der Saft floß aus.«—»Ha, woher nun anderes—«
»Sorge nicht, Herr! In diesen Sumpfwiesen habe ich Schierling genug wachsen sehen, unser ganzes Heer zu vergiften. Schon hab' ich zu sammeln, zu trocknen begonnen. Thu' du desgleichen und sobald—« Da hörte man laute Stimmen, klirrende Waffen nahen. Das Gesicht in der Zeltfalte verschwand und der Sklave trat aus dem Eingang in das Freie.
Gleich darauf schritten von der Vorderseite, der Via principalis her, Ausonius und Saturninus auf das Prätorium zu, während Herculanus heimlich von der rechten Rückseite, vom Quästorium, einbog und nun mit in das Zelt trat, wo der Wirt seinen beiden Gästen die Sitze neben sich auf dem Lectus zuteilte.—Er war noch immer eine stattliche Gestalt, dieser kaum merklich alternde Mann von zweiundfünfzig Jahren. Das edel gebildete Antlitz entbehrte nicht der latinischen Vornehmheit an Stirn, Nase und schön geschweiften Brauen.
Aber der Mund hatte so oft gelächelt—auch wohl allzuoft in Selbstgefälligkeit,—daß er verlernt hatte, sich in festem Vorsatz zusammenzuschließen: er war weich gebildet, dieser Mund, allzuweich für einen Mann. Und die hellbraunen Augen, so freundlich und wohlwollend, so zufrieden mit allen Dingen und Menschen—und nicht am wenigsten mit Ausonius!—verrieten doch am stärksten das heranschreitende Alter: sie hatten das Feuer des Blicks verloren. Müde schienen sie, aber nicht vom Leben, sondern vom Lesen. Denn Ausonius war Professor gewesen, Rhetor, Prinzenerzieher und—»Dichter!« Das bedeutete aber in jenen Tagen einen unglaublich viel lesenden Mann, der, in Ermangelung eigener erheblicher Gedanken, mit Bienenfleiß die Gedanken der Schriftsteller von vier Jahrhunderten excerpierte, auseinanderriß, und in so künstlich kleinen Splitterchen wieder wie bei einem Geduldspiel zusammensetzte, daß seine Leser—und er selbst!—sie für neu, für seine eigenen hielten und die peinliche Mosaikarbeit nur schwer in ihre überall her entliehenen Bestandteile hätten auslösen können.
Leidenschaften hatten dies glatte Antlitz nie gefurcht: die Runzeln um die Augen waren nicht von Schmerzen, nur von den Jahren gegraben. Diese freundlich gestimmte Seele, die selbst alles zum besten kehrte, fand auch alles in der Welt vortrefflich bestellt und glaubte alles Ernstes, daß es allen Leuten, die nicht schwere Verbrecher und deshalb mit Fug und Recht übel daran wären, so erfreulich gehe wie dem sehr, sehr reichen, von der Geburt an vom Glück getragenen, wohlwollenden, wohlbelesenen und wohlredenden, von seiner ganzen Umgebung verhätschelten Decius Magnus Ausonius von Burdigala (Bordeaux), der wonnereichen Villenstadt: wie Ausonius, der, nach seiner Zeitgenossen und besonders auch nach seinem eigenen Urteil, der größte Poet seines Jahrhunderts war, was freilich, auch wenn es wahr gewesen wäre, nicht viel hätte heißen wollen.—
Dieser wirklich liebenswürdige, gutmütige, nur ein wenig selbstzufriedene Mann spielte nun die Rolle, die ihm von allen am besten ließ—viel besser als die des Dichters oder des Staatsmannes!—: die Rolle des Wirtes, der, selbst behaglich, es auch seinen Gästen behaglich machen will: jene freundliche, heitere, wohlwollende Herzensweiche, die gern alle Leute fröhlich sehen möchte—freilich, ohne sich selbst dabei allzuviel Opfer anzumuten—kam da zu erfreulichstem Ausdruck.
»So! Geht nun, ihr Sklaven,« winkte er diesen, die wieder eingetreten waren. »Pflegt euch,—wie wir uns pflegen. Geh, auch du, getreuer Prosper: nimm für dich—und gieb jenen nur auch!—von dem besseren Wein, den vom Rhodanus, du weißt! Ich sah, wie schwer die Armen schleppten an den Schläuchen den steilen Hang herauf. Geht: wir bedienen uns selbst.« Und er streckte sich behaglich auf dem Lectus aus, ein weiches Daunenkissen, gefüllt mit den geschätzten Federn germanischer Gänse, unter das Haupt schiebend. »Reiche, lieber Neffe, dort die Amethystschale dem Tribun! Denn wacker soll er trinken, unser illyrischer Herkules! Nein,—nicht nach dem Mischkrug langen, Saturninus! Den ersten Becher—ungemischt: dem Genius des Kaisers Gratianus!«—»Gut, daß der Kaiser selbst dich nicht hört,« lachte der Tribun, die leergetrunkene Schale niedersetzend. »Ich bin nicht Christ, nicht Heide, ich bin Soldat, und niemand fragt nach meinem Glauben. Aber du! Gratians Lehrer! Der Kaiser ist eifrig im rechten Glauben! Und du spendest ›seinem Genius‹, als lebten wir in den Tagen Diokletians! Bist du ein Heide, Präfectus Prätorio von Gallien?«
Ausonius sah sich um, ob auch kein Sklave horche. Dann lächelte er: »Wär' ich Heide, das heißt, wär' ich nicht ein bischen getauft,—dann wär' ich sicher nicht Präfectus Prätorio von Gallien: diese Würde ist aber doch wohl ein paar Tropfen gleichgültigen Wassers wert. Und durch die Haut sind sie mir nicht gedrungen. Wie könnte ein Poet der alten Götter vergessen!« »Ja, ja,« meinte der Tribun, »streicht man aus deinen Versen die gelehrten mythologischen Anspielungen, so sind dem Raben Ausonius die buntesten der eingeflickten fremden Federn ausgezupft!« »Tribun!« zürnte der Neffe—, er schrie dabei lauter als nötig gewesen wäre—»du sprichst von dem größten römischen Dichter!« »Nein, nein,« meinte der so Gepriesene ganz ernsthaft, »es giebt wohl deren zwei oder drei größere.« »Vergieb mir, Ausonius,« bat Saturninus. »Ich verstehe mich auf Schlachten, nicht auf Verse. Und es mag wohl meine Schuld sein, daß mir die deinigen nicht gefallen.«—»Du kennst ihrer zu wenige,« mahnte Herculanus. »Bin nicht dieser Meinung!« lachte der Illyrier. »Zum Lesen hab' ich nie viel Muße gehabt. Aber wenn man neben deinem Oheim reitet—ob durch Aquitaniens Oliven, ob durch der Mosella Rebenhügel, ob durch den Sumpfwald der Alamannen,—er hat ein unerschöpfliches Gedächtnis:—meilenlang kann er seine Verse hersagen.« »Ja,« bestätigte der Poet wohlgefällig, »mein Gedächtnis muß mir die Phantasie ersetzen.«
»Wäre es nicht besser,« fragte der Soldat, »du hättest Phantasie, und deine Leser behielten gern im Gedächtnis, was sie erfindet?«—»Mein Oheim kann den ganzen Vergilius auswendig!«—»Ja, das merkt man:—an seinen Versen! Der Leser weiß oft nicht mehr, wo Vergilius, wo Ovidius aufhören und wo Ausonius anhebt. Aber Ausonius recitiert am liebsten die eigenen Verse.« Dieser nickte vergnüglich. »Sieh, das ist das Beste an dir, Präfekt, daß du, obzwar ein wenig eitel, wie alle Versedreher, doch das Herz am rechten Flecke hast: ein warmes, gütevolles Herz, das einem Freunde keinen Scherz verübelt.«
»Da müßt ich zugleich dumm und böse sein.«
»Zur Belohnung will ich dir nun auch sagen, daß ich einem Gedicht von dir—oder doch einem Stück daraus—eine köstliche Nacht verdanke.« Angenehm berührt richtete sich der Dichter auf dem Lectus auf: »Welchem Gedicht?«—»Deiner Mosella.« »Ja, ja,« schmunzelte Ausonius, »die gefällt mir selbst nicht wenig.« »Göttlich ist sie!« beteuerte Herculanus. »Bin kein Theologe,« lachte Saturninus, »daß ich mich aufs Göttliche verstände. Aber das Schönste in dem Gedicht ist die Schilderung der verschiedenen Fischarten des Mosella-Flusses.« »Ja, ja,« lächelte der Verfasser vor sich hin und schlürfte behaglich einen langsamen Trunk, »Vers zweiundachtzig bis einhundertneunundvierzig: das ist sehr hübsch, zumal in der Euphonie.«—»Ach was Euphonie!—Ich las es abends. Über dem sonstigen Inhalt schlief ich ein.« »Barbar!« schalt der Dichter.—»Aber im Traum sah ich alsbald die köstlichen Fische alle vor mir: den Salm—« »Auch dich preis' ich, o Salm, mit dem rötlich schimmernden Fleische!« citierte Ausonius.—»Die Forelle.«—»Dann die Forelle, den Rücken besprengt mit den purpurnen Sternlein.—He, das nenn' ich Hexameter.«—»Die Äsche.«—»Und die flüchtige Äsch', entfliehend den Augen im Schnellsprung!«—»Ja: aber nicht so, wie du sie schilderst: lebend in der Mosel, sondern—ich esse nichts lieber als einen feinen Fisch!—auf silbernen Schüsseln sah ich sie vor mir, sämtlich gebraten, gesotten, in leckern Brühen! Und im Traume kostete ich sie alle! Und da ich erwachte, leckte ich mir die Lippe und segnete Ausonius: keinem Dichter hab' ich je solchen Genuß verdankt.« Und er lachte und trank.
»Ich bin großmütig,« erwiderte der Geneckte. »Gut, daß ich hierdurch auch einmal ein Lieblingsgericht meines sonst so spartanischen Freundes entdeckte. Ich werde mich rächen, indem ich dir, wenn irgend möglich, die köstlichen Fische vorsetze, die dieser See birgt: den in der grünen Tiefe lebenden Felchen und, mit zartestem Fleische, den Seeferch. Besser noch sind sie als die der Mosella: sicher könnte ich sie dir liefern, hätten nicht die thörichten Barbaren vor unserm Rachezug alle das Ufer verlassen. Als ich vor fünf Jahren drüben in Arbor felix monatelang weilte, den Zustand der Grenzlande zu untersuchen, was erhielt ich da für herrliche Fische!«—Wie in Nachdenken versunken seufzte er: »Ach, das war noch eine glückliche Zeit! Da lebte noch meine teure Frau, meine sanfte Sabina.« »Heil sei deinem Andenken, Attusia Lucana Sabina!« fiel der Neffe ein. »Und meine lieben Kinder! Da war doch mein großes, schönes Säulenhaus in der Stadt und die reizvolle Villa vor dem Garumna-Thor noch nicht leer und ausgestorben! Wie fröhlich scholl der jungen Mädchen Gesang zur Zeit der duftigen Rebenblüte durch die Gelände! Da sah ich noch um mich gedrängt liebe Häupter von Verwandten, stand nicht allein, arm mit all' meinem Reichtum, wie jetzt—!«
»Oheim,« schalt der Neffe, der den Ton des zärtlichen Vorwurfs ausdrücken wollte, aber nicht recht traf. »Allein stehn! Hast du nicht mich, der dich so herzlich liebt?« Der Tribun heftete einen kühlen Blick auf den eifrigen Neffen. Ausonius aber beschwichtigte gutmütig: »Gewiß, Liebster, du bist mir geblieben. Aber du allein aus der ganzen reichblühenden Familie, welche in einem Jahre die böse Seuche hinraffte: meine Sabina, meine drei Kinder, meine beiden Schwestern und zwei junge holde Nichten! Du allein kannst mir doch nicht sie alle ersetzen! Ich fühle mich oft so vereinsamt! Und du bist ein Mann! Meine milde Frau, meine Töchter, meine Schwestern, meine Nichten: wie fehlen sie mir! Ich gestehe es:—ich bedarf des Wohlklanges weiblicher Stimmen, der weichen Bewegung von Frauengestalten um mich her! Mir fehlt etwas!«
Der Neffe griff hastig, erregt, nach dem Becher. Der Tribun aber sah ihm scharf ins Gesicht und, ohne den Blick von dem Neffen zu wenden, sprach er plötzlich zu dem Oheim sehr laut: »Heiraten mußt du wieder!« Erst jetzt kehrte sich der Illyrier von Herculanus ab: er schien sich an ihm satt genug gesehen zu haben.
»Ja,« sprach langsam, fast feierlich Ausonius. »Ich habe das oft erwogen. Es ist eine ernste, sehr ernste Sache—in meinem Alter!« »In jedem Alter,« sprach Saturninus. »Die Jahre stehen dir nicht im Weg! Du magst fünfzig sein?« »Zweiundfünfzig,« seufzte der Gefragte. »Und mein Haar ist grau!«—»Noch nicht sehr!—Übrigens: das meine auch! Bei mir vom Helmdruck!—Und es läßt dir recht gut! Du bist ein—« »Ein schöner alter Herr! willst du sagen,« lächelte Ausonius. »Ist just nicht, was die Mädchen lieben.«
»Nun, du brauchst dir ja keine sechzehnjährige auszusuchen.« »Aber auch keine viel ältere!« fiel der Dichter hurtig ein. »Nein, mein Freund! Ich will ja Jugend und Anmut um mich haben!« »Auch gut,« meinte der Illyrier. »Du hast die Auswahl in deiner Provinz, ja im ganzen Reich. Du, der höchste Beamte in Gallien, des Kaisers Lehrer und Liebling, der gefeierte Dichter und ...—«
»Und die reichste Partie im Abendland!« rief der Neffe in grellem Ton dazwischen. Er hatte bisher hartnäckig geschwiegen, die Augen niedergeschlagen und den im Ausdruck allzu beweglichen Mund mit der Hand bedeckt. »Der reichste Greis diesseit der Alpen!« fügte er bei. »Ja, das ist es,« seufzte Ausonius bitter. »Herculanus spricht nur offen, freimütig aus, was mich in diesen Jahren im stillen soviel gequält, ja, was allein mich abgehalten hat. Du weißt, mein Freund—oder vielmehr, du rauher Tribun der Kriegslager, du weißt es nicht!—wie, aus welchen Erwägungen in unseren großen Städten die Eltern ihre Töchter verheiraten, ja wie diese Mädchen selbst, kaum haben sie die Puppe beiseite gelegt, sofort ausspähen nach einer ›guten Partie‹! Wahrlich, nicht Eros und Anteros,—Hermes und Plutos führen heute die Paare zusammen.« »Ja, sie heiraten nur das Geld!« zürnte Herculanus. »Ich bin arm:—mich fliehen die Mädchen!—« Der Tribun wollte etwas erwidern, aber er lachte nur—und trank. »Obwohl ich fast dreißig Jahre jünger als der Oheim!—Ihn umschmeicheln Väter, Mütter, Vormünder, ja diese aufdringsamen Katzen selbst,—daß ich ihn kaum genug warnen und hüten kann.« »So hütet der Zeidler den Honig vor den Mäusen,« brummte der Illyrier unhörbar vor sich hin.—»Mein Neffe hat ganz recht. Ein Freund von mir, Erminiscius, ein reicher Kaufmann, Juwelenhändler, fünfzig Jahre alt, heiratet ein Mädchen von zwanzig. Eine Woche darauf ist sie verschwunden, mit all' seinen alten Juwelen und—mit seinem jüngsten Freigelassenen.—Ein anderer, Euronius, ein großer Weinbergbesitzer, etwas älter, heiratet eine junge Witwe von fünfundzwanzig—das heißt: er ward von ihr geheiratet: denn sie ruhte nicht eher! Noch vor der Hochzeit mußte er sein Testament machen: sie diktierte es ihm Wort für Wort:—an den nächsten Calenden starb er an—Bauchgrimmen. Gefiel mir gar nicht:—ich hasse Bauchgrimmen! Und ganz nahe seinem Garten wuchsen so viele Tollkirschen! Und nun hättest du die Lebensvergnüglichkeit dieser Doppelwitwe sehen sollen! Auf einmal machte sie mir einen Besuch—sie ist sehr schön und war hinreißend lieb gegen mich:—aber ich dachte immer an des verewigten Euronius Bauchgrimmen und kam so noch ungeheiratet davon. Nun bilde ich mir nicht in allen Fällen das Durchgehen oder einen Tollkirschenkuchen ein:—nicht jede ist eine Helena oder eine Locusta!—Mißtrauen ist mein Fehler sonst nicht!—« »Eher das Gegenteil,« meinte Saturninus.—»Aber, ich gestehe es, meine grauen Haare machen mich argwöhnisch. Ich wäre so unglücklich—Apollos reichster Lorbeer würde die Wunde nicht heilen!—müßte ich glauben, man habe mich geheiratet, nur um mich zu beerben. Ich verdiene das nicht.« »Nein, wahrlich nicht,« rief der Tribun, warm seine Hand drückend. »Du weiches, warmes, offnes Herz! Niederträchtig wäre, wer dir Liebe heuchelte um deines Geldes willen! Und ich wünsche dir, daß du noch ein ganzes Rudel von Kindern um deine Kniee spielen siehst in den herrlichen Villengärten an deiner geliebten Garumna blühenden Ufern.« Ausonius lächelte behaglich vor sich hin. Das Bild schien ihn zu vergnügen. Da traf sein Auge den Blick des Neffen, der, minder behaglich, in die Ferne zu schauen schien. »Sorge nicht, Herculanus!« mahnte er. »Auch wenn das so käme,—mein Testament würde deiner nicht vergessen—und deiner Gläubiger!« fügte er mitleidig lächelnd bei. »Testament! Welch' Unheilswort! Fern sei das Omen!« rief der Neffe. »Nun, man stirbt ja nicht am Testiren! Sonst wäre ich lange tot. Ein römischer Bürger bestellt als beflissener Hausvater sein Haus für alle Fälle:—auch für den Todesfall. Und so habe ich denn, obzwar Herculanus jetzt nach dem Gesetz ohnehin mein einziger Erbe, vor dem Aufbruch zu dem Heere mein Testament vor der Kurie zu Burdigala errichtet und ihn feierlich zum Erben eingesetzt: ein paar kleine Vermächtnisse, dann Freilassungen von treuen Sklaven mußte ich doch auch anordnen. Dir, Saturninus,« fuhr er lachend fort, »vermache ich aber nach der Heimkehr in einem Kodicill ein wertvoll und dankbar Andenken an diesen Abend!«—»Nun?«—»Ein Exemplar der Mosella—jedoch: die Verse über die Fische zur Strafe herausgeschnitten!« Und er trank, vergnügt über seine eigne gute Laune.
»Du sollst und wirst mich überleben, mein edler Freund! Der Kriegstribun liegt doch bald, wohin er gehört: auf seinem Schild. Du aber, du gehörst nach Burdigala in dein geschmackvolles, von seltenen Kunstwerken gefülltes Säulenhaus:—welche Gastfreundschaft hab' ich dort nach meiner letzten Verwundung genossen!—Oder gar nach Rom: in den Senat! Nicht hierher in die Waldsümpfe dieser Alamannen!—Warum—mochtest du immerhin den Kaiser nach Vindonissa begleiten—warum hast du, Mann des Friedens und der Musen, dich diesem Streifzug angeschlossen? Das ist doch nichts für dich! Was hast du auf dem barbarischen Ufer dieses Sees zu schaffen?« »Ich?—Ich—suche hier etwas,« antwortete Ausonius nach einigem Zögern.—»Lorbeern des Mars zu denen des Apollo?«—»Nicht doch!—Nur—eine Erinnerung!« Herculanus warf einen verständnisscharfen Blick auf den Oheim.
»Oder: wenn du lieber willst—einen Traum, eines Traumes Erfüllung. Ich halte viel auf Träume!« »Natürlich,« lächelte der Tribun, »wie alle Poeten!—Ich halte mehr auf wache Gedanken.«—»Als ich mit dem Heere drüben in Bindonissa angelangt war, stieg mir lebhaft empor eine liebe, holde Erinnerung an ein Kind: ein an Leib und Seele gleich reizendes Kind, das ich vor einigen Jahren hier kennen gelernt und liebgewonnen habe.«
»Einen Knaben?«—»Nein, ein Mädchen.« »Ei, ei, Pädagoge des Kaisers!« scherzte der Tribun. Der Neffe scherzte nicht; schweigend beobachtete er jede Miene des Oheims.
»O beruhige dich! Bissula ist ein Ding von etwa zwölf Jahren,—das heißt—sie war es damals. Sie brachte mit einem sarmatischen Knecht jede Woche die Fische nach Arbor, die ihr Oheim hier am Nordufer gefangen. Und wie anmutig plauderte sie! Ihr barbarisches Latein sogar klang zierlich aus dem kirschroten Mund! Wir wurden die besten Freunde. Ich schenkte ihr—Geld nahm sie nicht und nicht kostbaren Schmuck—geringen Zierat und vor allem: Sämereien von gallischem Edelobst und Blumen von der Garumna für ihren kleinen Hausgarten. Sie aber erzählte mir wundersame Geschichtlein von den Sylvanen und Faunen der Wälder, von den Nymphen des Sees und der Quellen hier im Lande:—aber ganz anders benannte sie die Kleine!—und von den Berg-Giganten da drüben, deren weiße Häupter im Abendgolde glänzten. Und ich—ich—«—»Du lasest ihr natürlich die Mosella vor!« lachte Saturninus. »Allerdings!? Und die kleine Barbarin zeigte mehr Geschmack dabei als der große römische Feldherr! Nicht die Fische gefielen ihr am besten ...—«—»Glaub' es gern. Sie hatte ja selbst bessere, rühmtest du vorhin.«—»Sondern die Schilderungen der Rebgelände und der Villen an jenem Fluß. Und als ich ihr nun erzählte, wie in meiner Heimat, an der Garumna, noch viel, viel schönere, reichere Häuser voll Marmor, Gold, Erz und Elfenbein, mit bunt bemalten Wänden und Mosaiken prangten, wie mir selbst die schönsten Paläste gehörten, und herrliche Gärten voll springender Wasser, voll fremdländischer Hirsche und Rehe und singender oder farbenschillernder Vögel: und als ich sprach von dem tiefen Blau des Himmels und dem goldenen Glanz der Sonne in Aquitaniens herrlichen, fast winterlosen Gefilden,—da konnte sie gar nicht genug hören in Versen und Prosa von der Schönheit unsres Landes und von der Pracht und Kunst unsres Lebens. Und einmal patschte sie die kleinen Händchen zusammen vor Staunen und vor Vergnügen und rief: ›O Väterlein, das möchte ich auch einmal sehen. Nur einen Tag.‹ Ich aber hatte das heitere, holde Kind so lieb gewonnen, daß ich, von dem Gedanken freudig durchzuckt, sprach: ›Ei, so komm, mein Töchterchen! Aber nicht für einen Tag:—für immer. Willigt dein Vormund ein, nehm' ich dich an Kindesstatt an und führe dich mit nach Burdigala. Wie wird sich meine treffliche Frau deiner freuen! Als liebe Schwester nehmen dich meine Töchter auf:—eine Römerin sollst du mir werden!‹«
»Aber da sprang sie, erschrocken wie ein aufgescheuchtes Reh, von meinem Schos auf, lief weg, hüpfte in ihr Boot, fuhr eilfertig über den See, und kam nicht wieder—viele Tage lang. Mich verzehrte die Sehnsucht, ja die Sorge, sie für immer verscheucht zu haben. Endlich ließ ich mich—es war ja damals tiefer Friede—an das Nordufer fahren und an ihre Waldhütte führen. Kaum ward sie meiner ansichtig, als sie mit lautem Aufschrei, rasch wie ein Baumspecht, eine riesige Eiche hinaufkletterte, und sich im dichtesten Geäst verbarg. Sie kam erst wieder herunter, als ich ihr feierlich, vor Oheim und Großmutter, gelobt hatte, sie nicht mitnehmen und nie wieder ein solches Wort auch nur sprechen zu wollen: ›denn,‹ klagte sie, Thränen in den Augen, ›in jenem heißen Lande müßt' ich elend verschmachten vor Heimweh nach den Meinen, nach den Nachbarn, ja nach Berg und Hag und See, der Waldblume gleich, welche man aus ihrem Moorgrund in trocknen Sand verpflanzte.‹« »Ein sinnig Kind,« sprach, nachdenklich geworden, der Tribun, seinen schönen braunen Vollbart streichend. »Sie ist also hübsch?« »Das will ich meinen!« fiel Herculanus ein:—laut, fast grimmig klang dies Lob.—»Ei, Neffe, du hast sie ja nie gesehen.«—»Du hast sie uns aber oft genug beschrieben! Ich könnte sie malen:—mit ihrem hellroten Haar.« »Und Bissula heißt sie?« fragte Saturninus weiter. »Ja, ›die Kleine‹,« erklärte Ausonius, »denn sie ist gar zierlich und zartgliedrig. Ich sah sie nun wieder regelmäßig, hielt aber streng mein Wort, sie nicht mehr einzuladen. Als ich Abschied nahm, weinte sie so kindliche, herzliche Thränen! ›Mit dir scheidet,‹ sagte sie, ›eine warme, goldighelle, schönere Welt, in die ich wie auf den Zehen stehend über einen Vorhang hineingeguckt.‹«—
»Neulich nun, in Bindonissa angelangt—auf dem Wege durch das Land hatte ich viel der Anmutreichen gedacht—sah ich sie in der ersten Nacht im Traum vor mir, umringelt von einer giftigen Schlange:—die Kinderaugen waren hilfesuchend aufgeschlagen zu mir. Ich erwachte mit einem Aufschrei, und schwer fiel mir auf das Herz: was kann nicht widerfahren dem holden Mädchen—denn schön mag sie seither erblüht sein!—wenn unsre Kohorten nun bald alle Schrecken des Krieges tragen in jene Ufergehölze! Und ich gesteh' es: ganz besonders um jenes Kind wiederzusehen—vielleicht es zu schützen, bis der Krieg sich verzogen—bat ich den Kaiser, mich diesem Streifzug anschließen zu dürfen.«
»Du aber, Herculanus,« forschte der Tribun, »glaubtest wohl des Oheims Leben nicht sicher genug unter meinem Schutz, daß du dich so eifrig herzu drängtest?« Bevor der Neffe erwidern konnte, fiel Ausonius ein: »Aber—Dank den Göttern! unser Feldzug bleibt unblutig. Die Barbaren haben das Land geräumt. Wohin mögen sie gewichen sein? Was hast du durch deine Kundschafter erfahren von dem Treiben der Feinde?«—»Nichts! Das ist das Unheimliche. Es ist, als hätte die Erde sie eingeschluckt!—Sie sollen auch wirklich viel unterirdische Gänge und Keller haben, in welchen sie ihre Vorräte und sich selbst bergen in Zeiten der Gefahr.—Nur sehr schwer sind unsere Colonen auf dem Südufer als Späher zu gewinnen. Sie wissen recht gut: wir Römer kommen und gehen, die Alamannen bleiben im Land: und sie fürchten deren Rache. Und Überläufer giebt es nicht mehr! Ja, in früheren Kriegen wird oft davon erzählt. Aber daß die Überläufer ausbleiben, zeigt, daß drüben das Selbstvertrauen steigt und die Furcht vor Rom oder auch die Hoffnung auf Rom sinkt. Nur ein Paar Freiwillige gewann ich,—für schweres Geld!—auf Kundschaft sich weit voraus zu wagen: der nach Ost gewanderte kam wieder, ohne eine Spur vom Feinde gesehen zu haben: der nach Norden gesandte kam—bisher—gar nicht wieder. Und leider auch nicht einen Gefangenen haben wir gemacht! Nicht die Spur eines Menschentrittes haben wir gesehen auf dem ganzen Marsch entlang dem See. Einmal meinte ich freilich, ich sähe aus dem dichten Schilf, das stundenweit in den See hineinreicht, eine kleine Rauchsäule aufsteigen:—ich befahl, zu halten mit dem ganzen Heer: aber gleich war das einsame Wölklein wieder verschwunden.«
»Ich begreife die Strategie unseres trefflichen Feldherrn doch nur,« spottete der Führer der Panzerreiter, zu Ausonius gewendet, »wenn ich ihm ein fast beleidigendes Maß von Vorsicht zumesse. Beim Herkules! Wo sie auch stecken,—nicht einen Tagmarsch können die Barbaren von uns entfernt sein.«—»Ja,« bestätigte Ausonius. »Ich sollte doch meinen, wir wären stark genug, sie aufzusuchen und zu verscheuchen aus ihrem Versteck.« Saturninus furchte nur leise die Brauen: »Was dein Neffe von meinem Mut urteilt, ist gleichgültig. Du aber, Präfekt, hast schon wieder vergessen, daß wir die Barbaren, nach des Kaisers Befehl, gerade nicht verscheuchen, sondern umfassen und zur Unterwerfung zwingen sollen. Zu dieser Umzingelung sind wir zu schwach und müssen wir die Schiffe abwarten. Wenn unsere Flotte nicht ihnen den See versperrt, entkommen sie abermals auf ihren Kähnen, wie schon oft.—Bleibe, pierischer Freund, bei deinen Hexametern und überlasse mir die Barbaren: es ist besser für alle Beteiligten.« »Ausgenommen die—Barbaren!« lächelte Ausonius, dem Freund die Hand reichend. »Wer sind wohl die Führer der Feinde?«
»Die Römer auf dem Südufer nennen zwei Namen. Die übrigen alamannischen Gaue haben meist Könige—« »Soweit Germanen Königsherrschaft tragen, sagt Tacitus,« nickte der gelehrte Präfekt. »Mögen sie doch immer so fortleben, in zahllose Gaue zerklüftet, unter ihren Zaunkönigen und Dorfrichterlein, denen jeder nur gehorcht, soweit es ihm beliebt.«—»Es scheint,—das hat sich geändert.—Viele Gaue schließen sich zusammen zu Bünden, die auch im Frieden beisammen bleiben, nicht nur für einen Feldzug. Die Linzgauer nun haben, scheint es, keinen König, nur einen alten Gaugrafen. Dieser aber muß ein geistgewaltiger Mann sein. Denn er, der greise Hariowald, ist zum obersten Heerführer gekoren aller gegen uns verbündeten Gaue.—Nämlich, wir haben es nicht mit den »Lentienses« allein zu thun. Sie sind, nach Jahrhunderten der Thorheit, beinahe ein wenig dahinter gekommen, diese Barbaren, daß die »Freiheit«, das heißt, das Belieben, zu thun, was man will und sich nie um den Nachbar zu kümmern, ein zwar recht schönes, aber gefährliches Vergnügen ist, und daß sie bei solcher »Freiheit« für immerdar unsere Knechte werden, alle miteinander, wenn jeder Gau schadenfroh zusieht, wie ein Nachbargau, mit dem er einmal früher Hader gehabt, von uns bezwungen wird,—bis die Reihe an den Zuschauer kommt. Früher haben sie lieber uns ihren Überschuß an jungem Volk gestellt, ehe sie sich verbündet, dem Gebot eines Volksgenossen gefügt hätten:—schon seit geraumer Zeit ist das anders geworden; auch meine Bataver, diese trefflichen Krieger, wollen mir nicht mehr bleiben, ihre Dienstverträge nicht mehr erneuern! Und man hört gar nicht mehr die zahllosen Namen kleiner Völkerschaften, wie früher: fünf oder sechs große Bundesnamen sind es, die alles Land vom Ister bis zum Suebischen Meer erfüllen.—Das gefällt mir schon lange sehr, sehr übel!—Jener Alte nun ist der Feldherr aller gegen uns verbündeten Germanen.«
»Feldherrnschaft der Alamannen!«
»Verlache sie nicht, Ausonius! Ja, diese Feldherrnschaft des Waldkriegs:—sie hat uns seit jenem Quinctilius Varus viel Blut gekostet und manchen Sieg sehr streitig gemacht. Wie jener Weißbart das Haupt, so soll ein junger Verwandter von ihm der Arm, das Schwert, der Feuerbrand des Krieges sein.«
»Wie heißt er?«—»Attalus!«—»Adalo!—so hieß ein Gespiele Bissulas! Sie nannt' ihn oft. Ich sah ihn auch manchmal:—trutzig genug blickte er auf mich. Sollte der es sein?«
»Weiber und Männer in unseren Seestationen wissen nicht genug zu sagen von seiner Schönheit und kühnen Kraft.«
»Nun, bisher,« meinte Herculanus, »hat weder die Kriegsweisheit des Alten, noch das Kriegsfeuer des Jungen sich gezeigt.« »Doch,« lachte Ausonius. »Ihre Weisheit ist eben der Beschluß des Davonlaufens und ihr Feuer der Eifer, mit dem sie jenen Beschluß vollführen.« Aber stirnrunzelnd rief der Tribun: »Mit solchen Reden verscheucht man die Siegesgötter und ruft die Vergelterin des Übermutes herbei!—Spottet, nachdem wir gesiegt haben!—Und auch dann:—spottet lieber nicht: die Nemesis hat leisen Schlaf!«—
»Wenn du nicht weißt, wo sie stecken, die Barbaren, was willst du thun?«—»Sie suchen, bis ich sie finde und zum Stehen bringe!« »Dann aber,« rief Herculanus—»keine Verträge, keine Gnade mehr, sondern Vernichtung! Wie oft hat dies treulose Volk den Frieden gebrochen! Unsere Legionen sind voll Wut über diese Barbaren, die sie Jahr für Jahr zu den Märschen in diesen scheußlichen Sumpfwäldern zwingen. Nur die Ausrottung des letzten Germanen wird dem Römerreiche Ruhe schaffen.« Und drohend ballte er die Faust.
»Du hast vielleicht ein weissagend Wort gesprochen«, meinte Saturninus bedächtig, »aber in anderem Sinne als du ahnst.« »Ein abscheulich Wort hat er gesprochen!« rief Ausonius, und schenkte sich den Becher voll. »Und ein grundloses dazu. Ja, vor hundert Jahren etwa, unter Gallienus, da sah es aus, als sollten Perser und Germanen das Ost- und Westreich überfluten. Aber seither hat sie sich wieder verjüngt, die ewige Roma. Deine tapferen Landsleute, mein Saturninus, die illyrischen Heldenkaiser, haben die Barbaren gebändigt an Euphrat, Rhein und Ister, Diokletian hat das Reich im Innern neugestaltet: und so möchte ich es auf Roms Weltherrschaft umdeuten, das stolze Wort meines Kollegen Horatius—war nicht unbegabt, nur fehlte es ihm doch an Gelehrsamkeit!«—
»Gehört die in die Poesie?« fragte Saturninus zweifelnd. Aber der Eifrige hatte es nicht gehört und fuhr fort: »Das Wort, das er von Dauer und Ausbreitung seines Ruhmes gesprochen: ich deut' es auf Romas Herrlichkeit: ›dauern wird sie und wachsen, so lange noch aufs Kapitol der Priester steigt mit der schweigenden Jungfrau:‹ der Vestalin nämlich,« fügte der Professor erläuterungsbeflissen bei. »Hum,« wandte der Illyrier ein, »schade nur, daß die Voraussetzung nicht mehr zutrifft.«—»Was? Wie so?«—»Der fromme Constantin, mordblutigen Andenkens!—ich höre sie wollen ihn heilig sprechen lassen, den Sohn- und Weibermörder!—hat ja die Opfer auf dem Kapitol verboten oder beschränkt, und dein Schüler und Gönner, Gratian, hat ja vor kurzem die vestalischen Priesterinnen abgeschafft.«
»Ah, das muß man so genau nicht nehmen,« meinte Ausonius.
»Bin nicht eben abergläubisch. Ich baue vielleicht nur allzuviel auf mein Schwert und zu wenig auf den Himmel:—aus den Vestalinnen mach' ich mir nichts! Aber es gefällt mir nicht, es ist mir unlieb, das zweite, was dein Zögling vorig Jahr zu Rom angeordnet hat.«—»Was meinst du?«—»Er hat den Altar der Siegesgöttin aus der Kurie des Senats entfernt, der man vor Beginn der Beratung zu opfern pflegte.«—»Schon Constantin hat ihn entfernt.«—»Aber Julian, der gewaltige Bezwinger der Alamannen, hatte ihn wieder hergestellt! Und beim Jupiter—vergieb, bei Gott!—mit gutem Erfolg! Den »Abtrünnigen« haben ihn die Geschorenen gescholten? aber die Siegesgöttin war ihm nicht abtrünnig!—Nun, man schlägt sich wacker, mit oder ohne Siegesgöttin! Aber—ich bin ein Römer—ich scheue das Omen!«—»Du siehst zu schwarz!«—»Du siehst zu rosig! Dein gütevolles Herz wünscht allen das Gute!«—»Ja, auch den Barbaren!« nickte Ausonius und hob die Schale. »Sind auch Menschen! Und schon die Stoa lehrte, nicht erst der Galiläer:—alle Menschen sind Brüder.«—»Es sind aber dieser gelbzottigen Brüder allzuviele.«—»Und ich glaube an eine Gottheit,—nenne sie wie du willst—die alles gütevoll leitet. Und so glaube ich auch, daß diese Barbaren Vernunft annehmen und dir bald ihre Unterwerfung anbieten.«
»Vielleicht unterwirft sich dann auch die Kleine—wie hieß sie doch? Bissula!—dem Ausonius,« neckte der Tribun.—»O, das liebe Kind! Wenn ich sie nur wieder sähe.«—»Wünsche das nicht, Präfectus Prätorio.«—»Warum!«
»Vielleicht unterwirft sie dich! Wäre nicht die erste Barbarin. Pipa hieß—oder Pipara?—jene Markomannin, in die sogar ein Imperator ›ganz verzweifelt und verloren‹ sich verliebte.«—»Du vergissest: ich wollte sie zur Tochter, nicht zur Frau.«—»Damals. Jetzt ist sie kein Kind mehr:—und du bist Witwer.«—»Ach, sie ist wohl längst mit den Ihrigen geflüchtet! Und doch:—ich glaube so gern, was ich wünsche!—«—»Ja, das ist eine deiner liebenswürdigen Schwächen!«
»Soll ich etwa hoffen, was ich fürchte?«—»Nein, aber das Unerwünschte für wahrscheinlicher als das Erwünschte halten! Das ist meine Weisheit.«—»Nein, nein! Ich lasse mir die Hoffnung nicht rauben: ich sehe es wieder, das Busch-Nymphlein dieses Walddickichts.«—»Greif' ich sie aber,« lachte der Tribun, »so wird sie mein:—nach Kriegsrecht.« Jäh zuckte es—wie ein Blitz—über des hagern Neffen lauernde Züge. Der Tribun sah es nicht: er hatte Ausonius scharf ins Auge gefaßt: er staunte, diesen angstvoll erbleichen zu sehen. »So tief geht dem Wackern dies Gefühl!« dachte er. »Oheim, du weißt ja, der Tribun spricht im Scherz,« rief Herculanus, wie tröstend. Da wandte sich der Illyrier drohend gegen ihn und sprach streng und ernst: »Wer sagt dir das?«
Besorgt warf Ausonius einen raschen Blick auf den schönen, stattlichen Mann: dann versuchte er zu lächeln:—aber es gelang ihm schlecht: »Dein Scherz führte mir die Möglichkeit des Ernstes, des fürchterlichen Ernstes vor! Wenn das reizende, unschuldige Kind in die Hände eines unserer erbarmungslosen Centurionen fiele! Grauenhaft.«—»Es ist das Los von Tausenden—bah, was sag' ich!—von vielen Hunderttausenden gewesen seit wir Römer unsere Adler über den Erdkreis tragen. Ihr Poeten—auch du, mein weichherziger Freund!—ihr besingt ja den Krieg so gern! Ich sage dir: wer ihn kennt, wer ihn führt,—besingt ihn selten! Krieg ist notwendig: ich lache der thörichten Schwächlinge, welche, wie die guten Stoiker oder die Mönche, wähnen, es komme dereinst ein Reich des ewigen Friedens! Der Krieg ist groß: ja Heldentod fürs Vaterland ist das Gewaltigste, was Mannheit leistet.—Aber der Krieg ist grauenhaft!—Mir gilt es gleich,« lachte er und trank die Schale leer. »Ich brauche ihn nur zu machen, nicht zu verantworten—und vor allem!—nicht zu besingen. Ich bin nicht Arm, nicht Amboß, nicht Lyra: ich bin Hammer und: wehe den Besiegten! Tausend Jahre haben wir die Schrecken unserer Siege über alle Völker gebracht: eine unerhörte Treue der Fortuna! Nun aber—ich hoffe, es nicht zu erleben!—nun rollt allmählich ihr Rad rückwärts—gegen uns—über uns hinweg!« »Nimmermehr!« rief der Dichter. »Was können diese halbnackten Barbaren gegen uns. Solang wir Krieger haben gleich dir und für den Dienst der Musen Geister«—»Wie Ausonius, willst du sagen? Beneidenswertes Selbstgefühl! Ich sage dir: ich erachte mich—und viel bessere Krieger als mich—unfähig, dieses unerschöpflich heranwogende Meer abzuwehren, das man ›Germanen‹ nennt. Hab' ich doch schon gar manchen Feldzug gegen sie—auch gegen diese Alamannen,—hinter mir. Ich denke, sie kennen meinen Namen!—Aber diesem Heranbrausen liegt etwas Unheimliches zu Grunde:—ich weiß nicht was:—eine uns allen unerkennbare treibende Kraft, die mit Schwert und Schild so wenig wie die Meerflut abzuwehren ist. Ich suche schon lange nach diesem Geheimnis:—kann's nicht finden! Was aber den ›Dienst der Musen‹ angeht:—vergieb einem rauhen Soldaten: Bauern brauchen wir, nicht Poeten! Es giebt nur noch Millionäre, Bettler und Sklaven! Gieb mir hunderttausend freie Bauern altlatinischer Zucht—ich opfere dafür alle latinischen Poeten, die toten und die lebendigen und will wieder glauben an die Zukunft Roms. So aber!—Doch«—er sprang auf—»es ist schon spät. Laß uns die Pfühle suchen! Wir tragen diesen unsern alten Streit nicht aus! Die kommenden Geschlechter werden ihn entscheiden. Aber nicht mit Worten!—Gute Nacht! Träume von Bissula,—daß wir sie finden:—du glaubst ja an Träume!—Denn morgen—Nannienus hat wenigstens ein paar Schiffe fertig gestellt, die er morgen am Nordufer hinkreuzen lassen will—streifen wir einmal ein wenig nach Osten.« Er hob den Vorhang und schritt klirrend in die Nacht hinaus; er mußte stets der schönen Waldnymphe gedenken. Auch der Neffe verabschiedete sich; kaum stand er draußen vor dem Zelt, als er die drohend geballte Faust gen Osten hob und leise knirschte: »Warte, Barbarenhexe!« Ausonius aber streckte sich auf das Feldbett, löschte das Licht und sprach vor sich hin: »Schlafe friedlich, meine Bissula, wo du auch weilest; morgen vielleicht seh' ich sie wieder,—diese unvergeßlichen Augen!«
Bei Tagesanbruch schmetterte die Tuba durch das Römerlager, die zur Teilnahme an dem Streifzug bestimmten Scharen zum Aufbruch mahnend.
»Wo ist mein Neffe?« fragte Ausonius, den schönen kantabrischen Schimmelhengst besteigend, den alten Prosper, welcher ihm den Bügel hielt. »Er pflegt mich doch sonst als der erste an meinem Bette zu begrüßen.«—»Er ist schon lange vorausgeeilt mit seinen Panzerreitern. Noch vor dem Tribun brach er auf!«—»Welcher Eifer! Das gefällt mir,« sprach der Oheim, den Hals seines edlen Rosses klopfend. »Zu Hause in Burdigala verbrachte er seine Zeit nur mit ...—« »Mit dem Ausgeben deines Geldes, o Patronus,« brummte der Alte. »Bah, laß ihn, Graukopf! Mein Geld,—bald ist es sein Geld!«—»Verhüten es die olympischen—vergieb: die Heiligen!«—»Thu' dir keinen Zwang an um meinetwillen. Mir sind sie auch lieber. Sie haben den Vorzug, besser in die Metra zu passen, wenigstens die meisten.—Wo ist Saturninus?«—»Auch schon voraus. Er läßt dir sagen, du mögest folgen: des Weges könnest du nicht verfehlen. Siehe, dort die letzten Helme seiner Nachhut. Sein Landsmann Decius führt sie.«—»Ich sehe! Vorwärts! Wie schön das Morgenlicht uns zulacht! Hilf mir, unbesiegter Sonnengott!« Er gab dem Roß den Sporn und sprengte, gefolgt von einer glänzenden Umgebung von Reitern, den Hügel hinab und durch die porta principalis dextra hinaus nach Osten, der Sonne entgegen.
Ein mitgeführter Wegweiser hatte bereits bei dem ersten Tagesdämmern die gangbarsten Steige gesucht und bezeichnet durch kleine, in bestimmten Abständen niedergelegte Steine, welche die ihn begleitenden und bewachenden Pioniere in Säcken mit sich trugen. Bald gelangte der Präfectus Prätorio von Gallien, zum Teil auf dem uns bekannten Pfade, den wenige Tage vorher Adalo eingehalten, an Suomars einsames Waldgehöft. Mit pochendem Herzen begrüßte er, wieder erkennend, die erinnerungstraute Umgebung: den kleinen Bühl, darauf die breitästige Eiche, den nahen Quell: nichts war verändert in den wenigen Jahren: nur ein Stück Ackerlandes mehr dem durch Feuer gerodeten Urwald abgewonnen. An dem Pfahlzaun, der die Hofwere umhegte, sprang er ab: sein Gefolge hatte er an dem Eichenbühl Halt machen lassen. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, so gespannt war seine Erwartung: die schmale Zaunthüre stand halb geöffnet. Er trat in den Hofraum: da stieß er einen Ruf freudigen Staunens aus: in dem Wiesengrund vor der Hausthüre war ein kleiner Blumengarten abgegrenzt: mit Rührung erkannte er an den bunt prangenden Blumen, welche jetzt im schönsten Sommerflor standen, die Sämereien und Stecklinge wieder, die er dem Kinde drüben in Arbor geschenkt, ja bis aus Gallien verschrieben hatte. Italische und gallische Blüten und Sträucher, sichtbar mit liebenden Händen gepflegt, veredelte, gefüllte Rosen, dann immergrüner Taxus begrüßten ihn in dichten Beten: auch die Stämmchen der Obstbäume: der pontischen Kirschen, der picentinischen Äpfel, der aquitanischen Birnen hatten sich lustig bis über die Höhe der Hausthüre emporgereckt. »Ja, ja,« lächelte er »was erwächst, was erblüht nicht alles in fünf Jahren!« Da schwirrte etwas zu seinen Häupten: aus den Luken des Stalldaches flatterte ein ganzer Schwarm zierlich kleiner, blaugrauer Täubchen über den Garten hin in das nahe Haferfeld.
»Sieh,« rief Ausonius, ihnen nachschauend. »Meine lykischen Felstäublein aus Burdigala! Wie hat sich doch das Eine Paar gemehrt!« Er zögerte, in das Haus zu treten. Wohl sagte er sich, schwach, ja nichtig sei die Hoffnung, die Gesuchte zu finden. Aber hier schien alles von ihrer Gegenwart zu zeugen: da lag auf der Bank vor dem Hause sogar—wohl erkannte er sie!—die zierliche Gartenschere, die er ihr aus Vindonissa geschickt hatte! Er wollte nicht die Schwelle überschreiten und sich jede Hoffnung nehmen. Da klirrte Erz von der geöffneten Hausthür her:—ein Centurio von der Schar des Herculanus trat heraus, ehrfurchtsvoll grüßend. »Alles leer, vir illuster! läßt dir der Tribunus sagen. Und wir sollen dich fragen—wir brennen alle Höfe der Barbaren nieder—ob wir auch dies ...«—
»Es bleibt unversehrt!« Der Mann nickte befriedigt. »Du befiehlst, was ich wünsche! Es wäre mir schwer gefallen. Sind das doch umbrische Rosen, vicentinische Malven, wie sie um meiner Eltern Haus ranken bei Spoletium! Mitten in den Sümpfen der Barbaren! Wer mag dies Wunder geschaffen haben?«—»Ein Poet,« lächelte Ausonius, »und die vierte, die jüngste der Grazien.—Also Saturninus war schon selbst hier?«—»Ja, aber noch vor ihm—mit mir—dein Neffe. Alles durchsuchte Herculanus sorgfältig, ja gierig. Er verbot mir, ihm zu folgen: am Eingang mußt' ich warten.«—»Der gute Junge! Er wollte selbst sie mir zuführen, mich überraschen!«—»Gleich nachdem Herculanus fort, sprengte Saturninus heran.«—»Wohin wandte sich von hier der Zug?«
»Dort hinein in den Wald! Links, immer links: vom See ab! Sonst versinkt Roß und Mann. Du findest Posten gestellt im Walde—je dreihundert Schritt! Ich bilde hier den Anfang der Kette mit drei Mann!«—»Sorge, daß Hof und Garten ja nicht versehrt werden! Ich verspreche dir dafür einen Krug besten Räterweins.« Damit wandte er sich, stieg wieder zu Pferd und ritt mit seinem Gefolge nach links über das gerodete Land und die Wiesen, die das Gehöft umgaben, auf den Eingang des nahen Buschwalds zu, wo Helm und Speer des nächsten Postens hell im Sonnenglanze blitzten.——
Herculanus aber hatte sich nicht begnügt mit der genauen Durchforschung des verlassenen Hauses. Auch die Umgebung hatte er sorgfältig abgesucht, ob er nicht eine Spur der Verschwundenen fände. In dem gestrüppigen Buschwald konnte er bald nicht mehr fort: er sprang ab, übergab seinen mauritanischen Rotscheck dem einzigen Reiter, der ihm hatte folgen dürfen, und schlüpfte nun durch das Dickicht. Eine Art von Wiespfad, die er mit Anstrengung entdeckt und eine Strecke weit verfolgt hatte, hörte jetzt plötzlich auf. Während er aber vergeblich nach Steinen oder Holzstückchen suchte, die bis dahin, obzwar in weiten Abständen, die Richtung des Gangsteigs angedeutet hatten, bemerkte er deutlich in dem sumpfigen Wiesboden des Waldes frische menschliche Fußspuren.
Und es waren nicht Römer, die hier gegangen! So weit waren die Truppen noch nie nach Osten vorgedrungen. Und es waren nicht Eindrücke, wie sie des Suchers eigne schwere römische Marschschuhe zurückließen: absichtlich trat er ganz leicht auf, dicht neben den vorgefundenen Stapfen: aber wie ganz anders ward die Spur! Gleich füllten sich seine tiefen Tritte mit dem rotgelben Moorwasser, das bei jedem Druck aus dem Grunde quoll. Hier aber war jemand vor kurzer Zeit leichter auftretend, barfuß, gegangen. Und zwar mehrere Menschen.
Denn neben einer Spur, die etwa einem Kind anzugehören schien, war, stets einen Schritt weiter zurück, ein etwas breiterer und tieferer Eindruck wahrzunehmen und, stets rechts davon zur Seite, ein schmales, aber tiefes Löchlein, mit Wasser gefüllt, wie von dem spitzen Fußende eines Stabes, während teils links daneben, auf schlechter gangbarem Grund, teils ein paar Schritte voran ein schwerer, breitspuriger Mannestritt unverkennbar schien.
Mit heißem Eifer folgte der Römer den Fußtritten: fand er nicht die Gesuchte, immerhin erwarb er sich das Verdienst, zuerst die Richtung zu entdecken, in welcher die Barbaren geflohen. Da schienen plötzlich die Spuren aufzuhören vor einem dichten Weißdornbusch, der mitten im Wege stand. Vor der tastenden Hand, die das Gedörn zur Seite schob, flog ängstlich ein braunes, rotbrüstiges Vögelein auf:—vorgebeugt spähte der Sucher in das Gebüsch: da entfuhr dem froh Überraschten der wilde Schrei: »Ha! Sie ging hier! Sie selbst!«
Langsam, langsam zog er durch seine Hand ein leuchtend rotes Haar, das sich hier an einem Dorn gefangen: es war wohl eine Elle lang. Und jenseit des Weißdornbusches waren nun auch ganz deutlich—schärfer als irgendwo zuvor—auf einer feuchtsandigen Strecke—die Tritte wahrzunehmen. »Was eines Kindes Spur schien, das kam von ihren Füßen! Nach!«
Das Gestrüpp ward lichter, offenbar hier von Menschenhand beseitigt: noch ein paar Schritte und der Verfolger stand auf einem freien, durch Feuer gerodeten Platz im Urwald. Hier erhob sich eine kleine Hütte, aus unbehauenen Stämmen, sehr kunstlos, im Viereck gefügt: statt der Thüren, einander gegenüber, zwei schmale niedrige Lücken: solche Waldhäuslein dienten dem Jäger zum Anstand, dem Hirten, der im Wald von Unwetter überrascht ward, zur Zuflucht; vor allem aber barg man so Vorräte von Waldheu, die man nicht in das ferne Gehöft schleppen mochte.—So war es hier: man sah durch die Lücke hochgeschichtet Gras heurigen Erstschnitts.
Bevor Herculanus die Waldhütte erreicht hatte, schlug von seiner Rechten, von dem Seeufer her unbestimmtes Geräusch an sein Ohr. Er zog das Schwert und blieb stehen. Angestrengt horchte er: da nochmal! War es ein Ruf? Es schien ihm der Ton dem Anrufen gleich, mit welchem Römer auf Wache sich untereinander vor dem Feinde warnten. Gleich darauf ein andrer Ton: wie das Schwirren der Sehne bei dem Abdrücken und das Anschlagen an das Holz des geschweiften Bogens: darauf ein dumpfer Fall oder Schlag in das Wasser—: und nun alles still! Nur das metallische Klopfen des Buntspechts scholl durch den schweigenden Urwald.
Vorsichtig den Schild bis an die Augen hebend und nach rechts ausspähend, harrte der Römer, die hagere Gestalt hoch aufrichtend, noch einige Sekunden: nichts rührte sich. Jetzt sprang er in ein paar Sätzen über die Waldblöße auf die Heuhütte zu, bückte sich und drang durch die Lücke von Norden her ein.
Da raschelte etwas unter dem dichten Grase: dieses schien lebendig zu werden: aus den tiefen Schichten glitt etwas—war es ein Wiesel?—nach der gerade gegenüber liegenden Öffnung und wollte entwischen: nur die wogende Bewegung der Grasgarben verriet die Richtung.—Hastig griff Herculanus mit dem Schildarm nach dem Raschelwesen, die Rechte mit dem gezückten, breiten, kurzen Schwert zu mörderischem Stoß erhebend.
Er faßte etwas Warmes und riß es aus dem dichten Heu nach oben: die Garben fielen rechts und links zur Seite und er zog heraus ein Mädchen, von rotem Wirrhaar und von Heuhalmen überflutet das Antlitz, welches in tödlichem Schreck und mit flammendem Zorn zugleich zu dem Ergreifer aufblickte.
So wunderbar, so sinneberauschend schön war das junge Geschöpf, daß Herculanus einen wilden Schrei der Lust ausstieß.
Er hatte sich fest geschworen, der erste Augenblick, da er die gefährliche Barbarin allein vor dem Schwerte haben würde, sollte ihr letzter werden: und auch jetzt ward er in diesem Beschluß wahrlich nicht wankend; weder Erbarmen noch Leidenschaft mochten seinen lediglich auf den Reichtum des Oheims gerichteten Sinn beirren: aber doch weckte ihm soviel Jugendreiz eine kurze Wallung der Gier:—bevor er die Feindin erstach, wollte er einmal diese roten Lippen küssen. So zog er sie, mit der Rechten zum Todesstreich ausholend, mit der Linken näher an sich.
Mit der Kraft der Verzweiflung sträubte sich das Mädchen; das Haupt soweit wie möglich von ihm abwendend, stieß es einen Angstschrei aus, wie ein sterbendes Reh: es war nur ein Augenblick Verzögerung des Mordstoßes: aber er rettete sie. Denn bevor Herculanus seine häßlichen Lippen ihrem abgekehrten Gesicht nähern konnte, fiel von außen ein Schatte vor die nach der Seeseite führende Öffnung, in der die Ringenden nun standen. »Mörder!« rief eine tiefe Stimme: und mit überlegner Kraft vor die Brust gestoßen, taumelte Herculanus zurück, die Ergriffene loslassend.
Rasch, wie die Forelle dahin huscht, wollte die Befreite zur Lücke hinaus: allein sie fühlte sich am Arme gefaßt mit dem eisernen Griff einer viel stärkeren Faust: zu einem zweiten hochbehelmten Römer blickte sie empor.
»Du bist's, Tribun!« stammelte Herculanus und steckte hastig das Schwert in die Scheide. Dieser würdigte ihn keines Wortes: »Du bist Bissula, Kleine? Nicht wahr?« fragte er. Und mit staunenden Blicken maß er die wunderbare Erscheinung. Ein süßes Feuer durchrieselte ihn, wie er das holde Köpfchen, die zarten, anmutreichen Glieder, die nackten, weißen Füßlein prüfte und das warme junge Leben fluten fühlte durch den vollen Arm, den seine Hand fest umschlossen hielt.
Die Gefangene gab nicht Antwort: aber vertrauender schaute sie in dies männlich schöne Antlitz auf. Dann warf sie einen seltsamen Blick, wie suchend, in die Hütte zurück: denn Saturninus hatte sie aus der Thüre heraus in das Freie gezogen: sie schien ängstlich zu horchen.
»Ja, es ist Bissula,« sprach Herculanus, nun ebenfalls heraustretend. »Wie kamst du zu dem Wahn, ich wollte sie morden? Seit frühstem Morgen such' ich sie.«—»So dachte ich.«—»Nicht für mich!—Ich hielt sie nur fest, ihr Entfliehen zu hindern.«—»Mit gezücktem, zum Stoß erhobenem Schwert?«
»Nur, sie einzuschüchtern.« Aber Bissula warf einen strafenden Blick auf ihn. »Wie dem sei,« fuhr der Illyrier fort, »sie ist meine Gefangene!« Und leuchtend ließ er die Augen auf ihr ruhen:—verwirrt senkte das Mädchen die langen Wimpern. »Nein, nein! Ich habe sie entdeckt!«
»Aber bevor du sie abermals bewältigt—denn sie war wieder frei—griff ich sie! Wag' es, zu widersprechen, Mädchenmörder!« und drohend schritt er gegen ihn heran. Da scholl vom Rücken her aus dem Wald ein Tubaruf. »Wir müssen zurück! Das Tubazeichen mahnt,« sprach der Tribun. »Die erste Spur der Feinde ist gefunden:—nicht nur das Kind:—ein Mann.«
Ängstlich sah Bissula auf.
»Von Fellen bedeckt lag er,« erzählte jener im Gehen, »im Röhricht verborgen, von einem umgestürzten Baumstamm nicht zu unterscheiden. Bevor wir ihn greifen konnten ...«—
Bissula atmete hoch auf.
»War er im Schilf verschwunden. Ein batavischer Schütze schoß ihm nach. Horch, der Präfekt wiederholt das Zeichen! Geh' in Güte, Kind.«
Er führte sie am Handgelenk, sorglich bemüht, ihr nicht weh zu thun; sie blieb manchmal stehn und sah zurück nach der Hütte, auch einmal in den See.
Herculanus folgte finstern Blickes.
Nach wenigen Schritten hörten sie das Wiehern eines Rosses und traten bald in eine Waldlichtung: da hielt Ausonius mit seinem berittenen Gefolge.
»Vater Ausonius!« rief die Gefangene freudig und wollte sich losreißen, auf ihn zuzufliegen. Aber da ward der Griff des Illyriers um ihren Arm eisern. Militärisch grüßend trat er an den Präfekten, der Bissula beide Arme entgegenstreckte, heran und sprach streng: »Der erste Zusammenstoß mit dem Feind! Ein Mann ist entflohn—: ein Mädchen—diese hier—ward meine Gefangene: meine Sklavin.«
In diesen Tagen wogte ein reges Leben auf dem Weihberg, auf dem ein großer Teil der Geflüchteten sich geborgen hatte: und von Norden her, der durch die Römer nicht bedrohten Seite, strömte Zuzug, der Heerbann anderer Gaue, heran.
Die Versuche des Tribuns, die Zufluchtstätten der Entwichenen zu entdecken, waren bisher gescheitert: weder die in den Ostsümpfen, noch die auf dem Wodansberg waren von den ausgeschickten Spähern und Streifscharen erreicht worden. Moor und undurchdringlicher Urwald umgab das Römerlager auf dem Idisenhang auf allen Seiten, ausgenommen gen Süden, nach dem See hin. In den letzten Tagen war, nach einem wolkenbruchartigen Gewitter, Südwestwind eingesprungen, der nun mit triefenden Schwingen strömende Regengüsse brachte: da wurden die Wälder vollends undurchdringbar für den schweren Tritt der Legionen: die wenigen Furten lagen versumpft oder überschwemmt, die kleinsten Rinnsale waren zu reißenden Bächen angeschwollen. Mißmutig, fröstelnd hielten sich die Eindringlinge, meistens Südländer, in dem Lager beisammen, unter Bretterdächern und aufgespannten Lederzeltdecken, Tag und Nacht große Feuer schürend, die aber, da alles Holz naß geworden, mehr Qualm als Wärme verbreiteten. Auf weite Strecken hin vor dem Fuß des Weihberges waren überall die seltenen und schmalen Zugänge, die in das Innere der ungeheuren Wälder führten, gesperrt, verrammelt durch Verhacke. Gewaltige Eichen, Eschen, Tannen waren gefällt und quer übereinander, über Mannshöhe, aufgeschichtet worden, durch Rasen und Erde gefestigt, in Abständen durch mächtige, senkrecht in den Boden gerammte Pfähle oder durch Bäume, die man hatte stehen lassen, zusammengehalten. So entstand eine fast unersteigliche Brustwehr: auf deren Krone aber und in den Wipfeln der überragenden Bäume versteckt waren die besten Bogenschützen verteilt.
Solche Verteidigungslinien von Waldverhauen wiederholten sich hintereinander überall, wo die Örtlichkeit sie verstattete: viel mehr Tage als der zu Ende neigende August den Römern noch versprach—vor Eintritt der Herbstregen pflegten sie ihre stets nur sehr kurzen Sommerfeldzüge in Germanien abzubrechen—hätten die Legionare gebraucht, all' diese Schanzen nacheinander zu stürmen:—zu umgehen waren sie schlechterdings nicht, wegen der Sümpfe. Wären sie aber durch alle Sperrlinien bis an den Fuß des Wodanberges gelangt, dann hätte erst die unsäglich müheschwere Belagerung dieser natürlichen Feste anheben müssen.
Alle Aufgänge waren durch mehrfache Verhaue gedeckt. Auf dem Berge selbst aber erhob sich, übereinander aufsteigend, ein ganzes System von »Ringwällen«. Diese höchst widerstandstüchtigen und ausgedehnten Befestigungen rührten zum großen Teil noch aus der keltischen Zeit her, waren aber von den Alamannen in den mehr als hundert Jahren ihrer Niederlassung in diesem Lande noch ganz gewaltig verstärkt und erweitert worden: hatten sie doch oft genug hier vor den römischen Waffen Zuflucht suchen müssen. Die Ringwälle waren aufgeschichtet aus Erde, Rasen, Pfahlwerk und aus sogenannten »Cyklopenmauern«, d. h. aus Felssteinen, die, ohne Mörtel und ohne Ziegel, in geschickter Benutzung ihrer Spitzen, Zacken und Fugen, so dicht in einander gerammt wurden, daß Verbrennen, Auseinanderreißen oder Erschüttern durch den Sturmbock hier gleich unthunlich scheinen mußte.
Jeder dieser Ringe, die sich, in Stockwerken, terrassenförmig, wiederholten, mußte als eine Festung für sich gestürmt werden, während in der Verteidigung jeder tiefer gelegene zugleich von sämtlichen höheren mit geschützt ward, da die Überhöhung so eingerichtet war, daß Steine, Baumstämme, Speere und Pfeile von allen oberen Wällen die Feinde treffen konnten, ohne die Kämpfer auf der unteren Wallkrone zu schädigen. Sieben solcher Ringwälle umgürteten den Berg, der oberste die Hochkuppe, die, in tiefstem Eschenwald, Wodans Weihaltar barg. Durch alle Stockwerke der Bergfestung waren, über Wald und Wiese hin, die Wehrunfähigen verteilt: Weiber, Kinder, Greise, Unfreie. Die Herden hatte man größtenteils auf der Rückseite, dem Nordabhang des Berges, untergebracht, deren Gebrüll, Gewieher und Geblök den Feinden so fern wie möglich zu rücken.
Unter Hütten aus grünendem, dichtem Laubwerk, die sie, manchmal ein Tierfell zwischen die Zweige bindend, vortrefflich zu bauen verstanden, lagerten die Geflüchteten zur Nacht. Auch an kellerähnlichen, unterirdischen Gängen fehlte es nicht auf dem Weihberg, wo man Getreidevorräte und Schmuck versteckte. Die Heermänner aber hielten alle Zugänge besetzt, streiften, zumal zur Nacht, in ganz kleinen Häuflein aus dem Bereich der Verhacke bis in die Nähe des Römerlagers und verbrachten die Tagesstunden in Waffenübung oder Waffenspiel, ungeduldig die lange Verzögerung des Kampfes ertragend und scheltend auf ihres greisen Herzogs unbegreifliches Zaudern.
Für diesen, Adalo und andere Führer waren auf der Hochkuppe des Berges Laubhütten aufgerichtet, die Zelte ihrer Gefolgen in der Nähe verteilt. Vor einer dieser Hüttenlauben—ein Hirschgeweih war als Hausmarke in den Mittelpfahl eingeritzt—brannte am Tage nach Bissulas Gefangennehmung—es war schon später Abend—ein prasselndes helles Feuer, genährt von Tannenzapfen, die unter der Steinplatte eines Kellers vor der Nässe trefflich geschützt geblieben waren.
Es ward geschürt von einem Mann von etwa vierzig Jahren, den das verschorene Haar als Unfreien und die Bildung des kurzen Gesichts, die dunkeln Augen, die breiten vorstehenden Backenknochen, die Stülpnase, als nicht germanischen Stammes bekundeten. Suomar hatte ihn vor vielen Jahren drüben in Vindonissa gekauft: wohlfeil genug, denn ungezählte Gefangene hatten damals Valentinian oder die Sklavenhändler aus dem Jazygenkriege mitgeführt.
Vor dem Feuer, abgewandt von Wind und Rauch, lag auf einem Bärenfell, mit anderem Pelzwerk die Füße bedeckt, Waldrun, die Greisin. Neben ihr kniete Adalo. Frohmut und Zornmut waren von ihm gewichen: schwere Trauer lag auf seinem schönen Antlitz. Aus silberner Schale gab er der Blinden dunkelroten Wein zu trinken: alte, römische Beute beides, Schale wie Trank.
»Noch einmal, Zercho,« sprach er ernsthaft, »erzähle mir alles genau, bis die Altfrau sich erholt hat und einfügen kann, was du nicht weißt und gesehen. Ich habe noch immer nicht gerade dasjenige scharf erfaßt, worauf mir alles ankommt.« Der Knecht kauerte nun ganz am Feuer nieder: er mühte sich unablässig, mit dem Wolfsfell, das ihm als Mantel diente, den Rauch von der Greisin abzuwehren, der sie aber gar nicht bedrohte:—dadurch konnte er sein Auge dem scharf forschenden Blicke des Jünglings entziehen.
»Ging das nun so, schöner Nachbar. Gleich nachdem du im Zorn den Bühl hinabgesprungen,—ich hatte es gesehen, von dem Stall aus—gebot mir das rote Geistchen, die Kaisermünzen des Herrn zu vergraben—ach es sind recht wenige!—und die Erzschale und den zerbrochnen Henkelkrug, die er vor drei Wintern erbeutet bei Brigantium.—Schon vorher hatte ich die Kuh, die Schafe und die Ziegen fortgetrieben in den Erlenbusch. Am folgenden Tag sollte ich das Geistchen und die graue Frau in die Sümpfe führen, zu Suomar, dem Herrn. Aber ach, die gute graue Frau bespringt gar oft die heißkalte Katze, die unsichtbar den Leib schüttelt wie eine Maus. So war's am folgenden Tag. Mit Mühe konnte die Schmerzenreiche die alten Glieder vom Lager heben: gar schwach, wie ein verglimmender Kienspan, war ihre Kraft: ich mußte sie fast immer tragen. Aber das ging nur auf festem Boden: im Wildsumpf wär' ich eingesunken mit der Last: denn starke Knochen wiegen schwer. So mußte die Blinde in dem Wald an ihrem Stabe selbst schreiten, geführt von dem Geistchen, während ich voraussprang von Stein zu Stein, den besten Pfadsteig aussuchend. Doch vor der Heuhütte sank uns die Altfrau zusammen. Sie konnte nicht mehr stehen noch gehen: wir trugen sie hinein: du weißt, dort neben dem linken Eckpfahl mündet der alte Höhlengang. Da unten war es sicher, warm und—für sie!—nicht dunkler als oben. Wir verbrachten dort den Rest des Tages und die Nacht. Bissula wollte, trotz aller Mahnung, die Kranke nicht verlassen und nicht sich allein von mir fortführen lassen. Sie hatte Milch im Ziegenschlauche mitgetragen und Speltbrot. Ich wachte draußen vor der Hütte. Bei Tagesgrauen schlich ich mich gen Westen an den Saum des Waldes zurück, auszuspähen nach den Hochbehelmten. Bald sah ich, wie ein Häuflein Reiter gerade auf Suomars Hof zusprengte. Ich hatte im dichtesten Seeschilf unseren alten Einbaum samt den Rudern geborgen: ich wollte nun den Kahn durch Sumpf und See so nahe als möglich an die Heuhütte schieben, die Kranke hineintragen und dann versuchen, die beiden Herrinnen den See entlang zu Suomar zu fahren. Aber als ich das Ufer erreicht, sah ich von drüben, von Arbor her, mehrere Schiffe—die hohen, hochmütigen Schnäbel und die dreieckigen Segel verrieten sie als römische—vor dem Südwind gegen unser Gestade treiben: bald mußten sie dicht heran sein: der Weg zu Wasser war gesperrt. Und schon hörte ich zur Rechten, von Westen her, das Platschen der Gäule in Sumpf und Wiesenmoor, ganz nahe bei mir: ein paar Reiter, den Pfeil und den langen Bogen in der Rechten, sprengten an mir vorbei, nicht einen Speerwurf weit. Ich duckte mich ins Schilf, ja in den Seesumpf bis an den Mund. Dabei scheuchte ich aber den Silberreiher auf, der dort immer fischt: wie er laut kreischend—der einfältige Vogel!—aufstieg und über das Schilf hinstrich, zog er die Blicke der nächstfolgenden Reiter auf sich und leider! auch auf mich. Mein Kopf fiel ihnen in die Augen. Ein Bogen schwirrte: in meine Ottermütze fuhr sausend ein Bolz, auch ein wenig in meinen Kopf:—aber nicht tief:—Zerchos Schädel ist hart:—oft hat das Suomar gesagt und diesmal war es gut, daß er hart ist.—Nun floh ich, schwimmend, in den See hinaus, tauchend, wie eine Duckente, solang ich den Atem halten konnte. Als ich mich heben mußte, waren die Reiter verschwunden. Behutsam, wie der Fuchs, der die Maus beschleicht, kroch ich auf allen Vieren im tiefsten Röhricht näher an das Land, in der Richtung der Heuhütte, aber in weitem Bogen. Da sah ich alsbald zwei Walen in schimmernden Brünnen heraustreten auf die Waldlichtung: einer von ihnen führte am Arm die junge Herrin mit fort ...—«
Adalo hörte das zum zweitenmal, aber doch seufzte er wieder tief auf.—
»Hinter uns wieherte ein Gaul und auf dem Gaule saß das kluge Väterchen, das vor einigen Wintern in Arbor drüben dem Geistchen immer vorsang aus vielen, vielen Eselshäuten:—ach so lang, so grausam lang!—während ich warten mußte, es zurückzurudern über den See.«—»Weißt du ganz gewiß,« fragte Adalo, den Knecht bei der Schulter fassend und mit Gewalt dessen abgewandtes Gesicht sich zukehrend—»daß dieser Reiter jener alte Römer war?« »Nun, so gar alt ist er just nicht,« erwiderte der Sarmate ausweichend, »ob er zwar etwas grauer geworden seit jenem Sommer.« »Antworte,« zürnte Adalo. »Kannst du schwören, daß jener Reiter Ausonius war?«—»Ausonius! Ja, ja, so nannte sie ihn damals immer, Vater Ausonius! Und so rief sie auch gestern, da sie ihn erblickte: ›Vater Ausonius!‹ schrie sie.«
Er brach kurz ab und rieb sich verdrießlich den Kopf, der ihn nun auf einmal zu schmerzen schien an der getroffenen Stelle. Er brummte dabei in seiner Sarmatensprache, die Adalo nicht verstand, »Also wirklich er!« seufzte Adalo. »Und ich muß noch den Göttern danken, daß sie gerade den herbeigeführt haben.«
»Das lohne dir Freia,« sprach da plötzlich die Blinde, sich auf dem linken Arm aufrichtend und mit der Rechten, der Stimme nach, tastend, bis sie des Jünglings Haupt erfaßt hatte und nun die langen Locken streichelte. »Das lohnen dir die von Asgardh, daß du also denkst!«—»Muß ich nicht, Mutter? Oh weil du dich nur wieder aufrichten kannst!«—»Dein Trank, der Römer Trank, hebt die matte Seele.«—»Ausonius, ihr Väterchen, wird sie ja schützen vor den andern. Aber,« fuhr Adalo grollend fort, »wer schützt sie vor Ausonius? Sie war ihm zärtlich zugethan.«—»Wie ein Kind dem Vater!«—»Sei's! Damals! Aber jetzt hat die Jungfrau ihm alles zu danken:—das Höchste!« Zercho hatte während dieser Wechselreden die beiden wiederholt bedenklich angesehen: er kratzte sich jetzt hinter dem Ohr und wollte etwas einwenden: aber er besann sich wieder anders—und schwieg.
»Das Kind war,« ergänzte nun die Alte des Knechts Erzählung, »wider meine Warnung von meiner Seite aus der Kellerhöhle hinauf gehuscht in die Hütte, Gar lang ward ihr die Weile, auf Zerchos Wiederkommen zu warten in dem dumpfen Gewölbe, Plötzlich hörte ich einen schweren Mannestritt über mir:—dann einen Schrei der Kleinen, der mich erbeben machte. Aber bis ich mich zu der Steinplatte hin getastet und diese gehoben hatte, war alles still. Vergeblich rief ich ihren Namen. Bald kam Zercho mit der Nachricht, er habe sie gefangen fortgeführt gesehen. Traurig warteten wir die Dunkelheit ab: mein Fieber war gewichen:—ich konnte langsam gehen: aber Zercho, der Vielgetreue, suchte und fand im hohen Ried des Erlenbruchs verborgen unsere Kuh, hob mich darauf und führte mich in weitem Bogen durch Busch und Wald hierher.«
»Denn zwischen der Waldhütte und Suomar in den Ostsümpfen,« fiel der Sarmate ein, »hatte ich welsche Schiffe landen sehen:—Feinde streiften dort: so suchte ich den Weihberg zu gewinnen, wie auch die Herrin vorzog.«—»Ja: denn nun, da Suomar, mein Sohn, unerreichbar, nun bist du es, Adalo, vor allen Männern unseres Volkes, unser guter Nachbar, ihr Jugendgespiele, dem ich es klagen muß: gefangen ist das liebe Geschöpf:—hilf—rette—befreie!«
Traurig strich sich der Jüngling über die schön geschweiften Brauen. »Ja,« dachte er mit bitterem Weh, »gefangen aus Schuld des eignen Trotzes, der störrigen Laune!« Aber er sagte davon nichts: er seufzte nur: »Das wird nun schweres Werk!—Ging' es nach mir,—vom Augenblick ab, da ich's erfuhr, hätt' ich den Idisenhang so unablässig und so wild bestürmt, daß den Walen Lust und Muße gefehlt hätte, das Kind zu quälen. Oder—zu gewinnen!« fügte er herb hinzu. »Aber über das Volksheer gebeut nur mein Vetter Hariowald, der Herzog! Ich darf nicht ...«—
Da unterbrach ihn ein leises Gebrumm: er wandte sich und ein seltsames Schauspiel wies sich dar.
Ein bildschöner Knabe von etwa vierzehn Jahren, den große Ähnlichkeit als Adalos Bruder bekundete—aber ganz hellgelb, fast weiß, war sein kraus gelocktes Haar—zog am Ohre heran eine gewaltig große Bärin, die brummend, widerstrebend, aber gleichwohl nachgebend, sich von dem kleinen Führer näher an das Feuer zerren ließ.
»Nieder, Bruna!« rief der Knabe und brachte das mächtige Tier zum Liegen. »Auch du hast sie ja so lieb gehabt, die Lustige, die Kecke! Siehst du, braune Brummriesin, da ist nur die Altfrau. Und Zercho, der dir immer soviel Wildhonig zu naschen gebracht aus dem Bienwald, Aber sie fehlt! Unsere Bissula fehlt! Ha, wärest du dabei gewesen,—grimmig hättest du sie wohl verteidigt. Denn du Haft es nicht vergessen, daß sie und Adalo selbander dich gerettet, dich aus dem Gießbach gezogen haben. Kaum geboren, kaum größer als eine Katze, hatte dich der Wolkenbruch von deiner Mutter hinweggerissen: hart am Ertrinken schriest du so jämmerlich!—Und eifriger wahrlich haben dich ihre emsigen Hände als die unsern dann großgefüttert mit Milch und mit Speltbrot und mit leckeren Waldbeeren, Seit du zuerst die Augen, die noch blinzenden, aufschlugst, die jetzt so menschenverständig blicken, hast du in ihr deine beste Freundin erkannt. Oh wärest du bei ihr—, keiner wagte, sie zu schlagen. Ach Bruder, starker Bruder, du Held und Hort des ganzen Gaus, hole sie heraus! Weh, wenn die Kleine mit den seinen Händen den Verhaßten das Badwasser heizen, die Füße waschen muß, wie ich oft drüben in Arbor gesehen von ihren Mägden! Was brausen wir nicht hinunter auf den Flügeln des Sturmes und hauen sie heraus aus der hochumpfählten Lagerburg?«
Und er schwang den kleinen Wurfspeer: die Lohe des Feuers schlug hell empor: er stand in dem Schein der Flammen: schön sah er aus in dem lichtblauen, von weißem Schwanenflaum gesäumten Linnenrock.
»Ja, mein Sippilo,« sprach der ältere Bruder in tief verhaltnem Weh, »du hast sie auch lieb gehabt,«
Erschrocken sah dieser auf: aber Adalo fuhr fort:
»Ja, ja. Vielleicht ist sie tot—: für uns—für unser Volk! Vielleicht schauen wir sie niemals wieder, hören nie wieder ihr holdes, ihr elbisch neckendes Lachen!« »Oh der Rauch! Wie das beißt!« rief der Knabe und wischte sich die nassen Augen, »Vielleicht ist sie ganz gern bei den Walen!« fuhr Adalo grimmig sich selbst quälend fort, »bei dem wortklugen Ausonius!« »Ist der wieder im Land?« rief Sippilo. »Den durchspeer' ich wie einen dicken Karpfen, der sich im Seichtwasser sonnt. Ah, schon damals wünscht' ich, er führ' in Wodans und der Sonne Haß! So oft ich kam, die Frohe zu holen zum Fischen oder zum Ballwurf,—immer war sie zu ihm hinübergefahren oder war nicht fortzubringen von den langen Runenrollen, darin sie den Kopf vergrub:—Er hatte sie ihr gegeben. Wenn ich den erwische!«—»Hätten wir nur sie zurück: Mein Herz verzehrt sich in Sorge!« »Wehre der zehrenden Sorge, mein Sohn,« mahnte die Alte. »Sie lähmt dir Gedanken und Arm:—und beide brauchst du, das böse Kind zu befreien. Ich bin keine weissagende Frau: aber ich träume ganz eigen—seit ich blind ward—: oft treffen meine Träume ein: ich sah dich heut' Nacht wund, schwer wund. Wahre dein Leben! Wenn sie frei würde und fände dich nicht mehr!«—»Dann wäre ja ihr Rachewunsch erfüllt! Sie haßt mich ja, die Wilde! Laut genug hat sie's geschrien.« Sippilo lachte, »Die? Dich hassen? Sie hat dich lieb—ärger als eine Schwester! Wie mußte ich ihr doch immer erzählen von dir:—alles, was du triebest. Deine Ehrenpreise in den Wettkämpfen! Der Nachbarfürsten Geschenke! Deine jüngsten Liedsprüche—wem sie wohl galten? Da ich sie jüngst am See beim Bürschlingfischen traf, da fragte sie, ob Jettaberga mit ihrem Vater nicht oft in den Hirschhof zu Besuch komme? Und da ich sagte, die komme gar nie mehr, da löste sie sich vor lauter Freude ihren schönen blauen Gürtel, den sie immer trug, vom eigenen Leibe und schenkte ihn mir.—Seht, da ist er.—Ich trag' ihn, wohl geborgen, stets im Ranzen!—Und, nicht wahr, Bruna, dich hat sie sogar einmal zwischen die Augen geküßt, da ich ihr erzählte, wie du Adalo zu Hilfe gesprungen auf der Jagd und den wütigen Auerstier zerrissen, der ihm das Roß durchhörnt hatte. Ja, Bruna, du hältst auch treu zu ihr. Stundenlang bist du im Walde hinter uns her getrottet beim Beeren- und Pilzesuchen und hast unsern Mittagsschlaf bewacht.«
Da scholl ein langgezogener Hornruf von der Hochkuppe. Adalo sprang auf. »Der Herzog ruft. Wir beraten, was wir im Volksding vorschlagen werden.—Zercho, komm mit! Er will dich ausfragen über der feindlichen Reiter Zahl. Du, Sippilo, pflege der Mutter Waldrun:—das ist alles, was du für deine Bissula thun kannst.« »Einstweilen!« meinte der Knabe, dem Bruder nachschauend. »Aber ich werde nicht fehlen beim Sturm auf die Lagerburg, wo die bösen Buben das schönste Vögelein—das kleine Goldhähnlein, nein, das Rotköpflein!—des Alamannenlands gefangen halten.« Und drohend hob der Knabe die kleine Faust.
Auch vor dem Zelte des Herzogs loderte ein mächtig Feuer, unterhalten von Unfreien, die an spitzen Stangen Schenkel und Rücken eines frisch erlegten Hirsches brieten. Adalo schritt daran vorbei, Zercho bedeutend, hier zu warten, schlug die Segeltücher auseinander, die über das Holzgestell des Zeltes gespannt waren, und trat ein. Das Dach war gebildet aus zusammengewölbten Tannenzweigen; an den Stangen des leichten Gezimmers hingen und lehnten überall Schutz- und Trutzwaffen. Den Rasenboden bedeckten Felle, die dem Eingang gegenüber zu einem erhöhten Ruhesitz übereinander geschichtet lagen: ein Vorhang von dichtem Linnen zog sich hinter diesem durch das Zelt, hier einen kleinen Raum, den Schlafwinkel, von dem Vorderzelt scheidend. In der Mitte war ein eiserner, nach oben spitz zulaufender Dreifuß aufgestellt, in dessen zackige Krone war eingeschraubt ein brennender Kienspan: mattes, rotes Licht sprühte dieser spärlich, ungleich flackernd, aus.
Auf dem Hochsitz von Fellen, den Rücken an den Hauptpfahl des Zeltes gelehnt, saß Hariowald, der Herzog; er begrüßte seinen jungen Gesippen schweigend, mit einem Blick des Auges, und schien nur zu achten auf die eifrigen Worte eines andern Gastes, eines Mannes von etwa vierzig Jahren, der, in eine Eberschur gehüllt und auf dem Haupt den »Eberhelm«—mit den Hauern des Tieres—, zu seiner Rechten saß. Der alte Herzog, eine gewaltige Hünengestalt, fast um eines Hauptes Länge noch den hochgewachsenen Adalo überragend, war eine wunderbare Erscheinung.
Das riesige Knochengerüst dieser Gestalt schien einem viel älteren Menschengeschlecht anzugehören. Tief lag unter buschigen, hoch geschwungenen Brauen das meergraue, abgrundtiefe Auge (—das linke hatte längst ein balearischer Schleuderstern zerstört: unheimlich klaffte die leere Höhlung—): des Blickes Glut war keineswegs erloschen, aber durch altgewohnte Selbstbeherrschung gebändigt. Diese stets wahrnehmbare Zurückhaltung heiß in der Brust lodernder Leidenschaft verlieh dem Hochgewaltigen, den man trotz seiner fünfundsechzig Winter nicht greisenhaft nennen konnte, etwas großartig Geheimnisvolles. Mit Ehrfurcht, mit scheuer Erwartung, ja mit leisem Grauen, was streng Geborgenes er plane, sah man zu ihm empor. Das adlerhafte Auge war unerforschlich, er schloß es halb: schlug er es dann auf, so blendete der Blitz, der lodernd daraus sprühte. Den Ausdruck des Mundes aber verhüllte der prachtvolle, über die Ringe der Brünne bis auf den Erzgurt herabwogende, breite Rauschebart von edelstem Silberweiß, der auch die Wangen umrahmte und sich mengte mit dem reich wallenden Haupthaar gleicher Farbe. Und wie das Auge, so hielt auch die mächtige, tiefe, metalltönige Bruststimme jene Kraft fast immer zurück, die man doch spürte, wie leise, wie verhalten der Gewaltige sprach. Selten, sehr selten waren die Bewegungen der machtvollen Glieder und mit einer Absicht, die längst zur Gepflogenheit geworden war, gemäßigt. So saß er da, von langfaltigem, blauem Mantel die Schultern umflossen, in hoheitvoller Ruhe, ohne Helm: man sah die majestätische Schöne des mächtig gewölbten Hauptes, das er, nachdenklich zuhörend und vor sich hinschauend, rückwärts an die Zeltstange gelehnt hielt. Einen furchtbaren Speer hatte er im rechten Arm, das Fußende auf die Erde gestemmt, die Erzspitze ragte über seine Schulter: mit sanfter, fast liebkosender Handbewegung streichelte er manchmal die Siegesrunen, die in die Rinde des Eschenschaftes geritzt waren.
»Gern grüß' ich dich sonst, Sohn Adalgers,« sprach des Herzogs anderer Gast, die Stirne furchend, »aber ungern zu dieser Stunde. Ich riet zum Frieden:—der Herzog schwieg:—nun kommst du—und du—ich weiß es!—träumst Tag und Nacht nur Kampf mit Rom.« Zornmütigen Blickes maß ihn Adalo: »Der Altfeind unseres Volkes steht im Lande und ein Gaukönig der Alamannen rät zum Frieden?—Ebarbold, Eburs Sohn, Furcht war deiner Sippe fremd ...—« Der andere fuhr mit der Faust an das krumme Messer in seinem Gürtel, Adalo sah es nicht: er war im Bann von Hariowalds Auge: ein warnender Blick des Alten und der Jüngling beeilte sich, beizufügen—»und ist dir fremd, du eberkühner Held.«
Da ließ der Gast den Messergriff los und lehnte sich stolz zurück.
»Römisch Gold aber berückt dich nicht,« fuhr Adalo fort. »So hat dich Zauber verblendet.« »Oder dich und all' unsre wahnwitzige Jugend. Zius, des Kriegsgotts, roter Trank hat euch berauscht. Oder,« fuhr er leiser, mit scheuem Tone fort, »Er, Er will wieder einmal reichlich mit erschlagenen Helden bevölkern sein Walhall, Wodan der Wilde.« Da zuckte es über das Antlitz des Herzogs: nur ganz leise hob er den Speer und, unhörbar den andern, murmelte er: »Waltender Wodan, nicht räche die Rede!«
Ebarbold aber fuhr fort: »Sei's um die Knaben! Kampf ist all' ihre Kunst und wenig ist ihres Witzes.—Aber daß auch du, der sechzig Winter sah und fast ebensoviele Siege der Hochgehelmten,—daß auch du Krieg willst! Freunde, ich war in Rom:—ich habe dort die Hochburg bestiegen auf ragendem Fels:—sie strotzt von Gold und weißem Gestein! Ich habe gedient im Heer des großen Valentinian: ich habe jahrelang die ungezählten Taufende der römischen Krieger geschaut in den besten Waffen: gegen welche unsere Wehr wie die von Kindern ist.«
Der Herzog drückte unvermerkt seinen Speer fester an die Brust.
»Und die Kriegsmaschinen und die Riesenschiffe, drei Stockwerke Ruderbänke übereinander, und die Schätze gemünzten und ungemünzten Goldes und Silbers! Die ganze Scheibe der Erde, ganz Mittelgardh, soweit Menschen wohnen,—weiße, braune, schwarze—ich habe sie abgemalt gesehen auf einem langen, langen Streif von Eselshaut:—der Aufgang und der Niedergang der Sonne dient Rom! In seinem goldnen Hause auf einem der sieben Tiberberge hat der Imperator eine goldene Kugel stehen: da sind alle Provinzen abgebildet. Es ist ein Zauberwerk: schreitet irgend ein Feind über die Grenze im fernsten Süden oder Norden, so erklingt die Goldkugel und zittert an dieser Stelle: der Imperator hört es, sieht es, und—sendet die Legionen! Trotzen wir ihm nicht. Der Cäsar ist ein Gott auf Erden!«
»Hör' es nicht, Hoher!« flüsterte der Alte und strich, wie begütigend, über die Runen seines Speeres. Heftig wollte Adalo einfallen:—aber unwillkürlich suchte er des Schweigenden Auge:—und er bezwang sich.
»Wir haben's erfahren lang genug, mein' ich,« fuhr Ebarbold fort,—»von Geschlecht zu Geschlecht,—da wir noch jeder Gau frei fochten—lange bevor er gehört wurde und ausgeklügelt, dieser Name und Bund der Alamannen!«
»Er gefällt dir nicht, dieser Bund?« fragte jetzt plötzlich der Herzog. Der Gaukönig erschrak: so laut, so machtvoll dröhnte nun diese Stimme, die bisher immer geschwiegen. Scheu sah er auf: dann zuckte er die Achseln:
»Ob er mir gefällt oder nicht:—ich kann ihn nicht mehr lösen!«
»Nein, das kannst du nicht,« sprach Hariowald sehr ruhig und strich seinen langen Bart; aber aus dem grauen Auge schoß ein unheildrohender Blick. »Auch der Name ›Alamannen‹ gefällt dir nicht?« fragte Adalo unwillig. »Nein, Edeling, ›Gesammtmänner‹! Ha, unsere Ahnen setzten ihren Stolz darein, für sich allein zu stehen, Gau für Gau, ja in der alten Zeit Sippe für Sippe, nicht gelehnt an andere,—aber auch nicht gebunden an sie, nicht unterwürfig dem Spruch der Mehrheit!« »Ja, das ist's!« lächelte der Alte grimmig. Dann sprach er laut: »Du warst in der Romburg—ich auch. Aber ich habe dort erkannt,—mit meinem einen Auge!—was du nicht gesehn. Du sahst den gleißenden Glanz ihres Prunkes—er hat dich geblendet:—ich sah durch den Glanz auf das Morsche, das Ausgelebte dahinter. Und noch ein anderes«—fügte er geheimnisvoll bei, leiser sprechend—»sie haben seit ein paar Menschenaltern kein Glück mehr mit—mit ihren eignen Göttern!—Mit den neuen, mein' ich. Ja, der alte, den sie früher hatten«—nicht ohne Scheu, ja mit Ehrfurcht sprach er nun—»ich meine den mit dem Blitz und dem Adler!—das war ein Schlachtengott:—fast wie der unsrige! Oft schien mir sein Adler auf ihren Schilden die Flügel zu schlagen und sein Blitzstrahl drohend zu glühen:—oft und oft hab' ich sie siegen sehen unter jenem bärtig-schönen Gott und seinen Söhnen Mars und Herkules. Aber jetzt haben sie sich einen Jüngling zum Gott erkoren, sanft und gar edel-weise:—aber er ist kein Krieger gewesen, sagen seine eignen Priester:—er hielt nie ein Schwert in der Faust gefaßt:—nicht von ahnenreichen Göttern ist er entstammt:—eines Handwerkers Sohn war er:—und dieser—ein Zimmerer—war aus dem längst von Rom geknechteten Volk, aus dem viele zu uns gewandert sind, den Sack auf dem krummen Rücken, Pfefferhändler und Gewürzhöker:—aber in den Reihen der Legionen sieht man ihrer nicht viele. Seit die Walen jenen sanften Lehrer sich zum Gott gekoren, der sich nicht einmal selbst seines eignen Lebens wehren wollte,—seitdem ist der Sieg gewichen von ihren Fahnen. Aber was—neben ihrem Jupiter in den Wolken—ihnen auf Erden ehemals den Sieg gesichert hatte, jahrhundertelang:—das hab' ich auch gelernt—: das wies mir der Gott, den vor allen ich ehre!—Wißt ihr, was ehedem der Zauber war der Römermacht und ihrer Siege? Der eine Wille, der sie alle zwang! Sie waren schon › Gesammt-Männer‹, alle für einen und einer für alle, viele hundert Winter lang, während wir noch, nach deines Herzens Wunsch und Wonne, Gau für Gau, jeder für sich, kämpften und—erlagen! Das ist deine Freiheit—die Freiheit der Zwietracht und des notwendigen Verderbens!«
Großartig schön verklärte nun der heiße Zorn der begeisterten Überzeugung des Alten edles Antlitz.
Ebarbold wollte einen giftigen Blick auf ihn werfen:—aber er mußte das Auge niederschlagen vor so viel Hoheit. Bitter die Lippe aufwerfend, meinte er: »Hüte dich, Hariowald. ›Herzog‹ heißest du:—nicht König. Und deine Herzogschaft ist aus, wann dieser Kriegsgang aus ist. Nach deinem Wunsch, so scheint es, sollte nur Einer walten aller Alamannen. Gaukönige haben wir seit alters her wie Graugrafen:—aber weh' uns, wenn je alle Gaue eines Volkskönigs Knechte geworden.«—»Sind die Götter Knechte, weil der Eine, der Hohe, als Volkskönig ihrer waltet?«—Drohend scholl des Alten Stimme.
Ausweichend antwortete der Gereizte: »Hier auf Erden aber sind wir gleichen Rechts, wir Alamannen. Und eher als—« »Was stockst du?« forschte Adalo zornig.
»Er stockt, weil er sich scheut zu sagen, was er sinnt. Mir aber gab der Hohe, der Menschen Gedanken von ihrer Stirn abzulesen wie gelöste Runen.«
Rot und bleich ward Ebarbold, er sprang auf.
»Dieser Sohn Eburs denkt:« fuhr der Herzog fort, »eher als einem Volkskönig der Alamannen beug' ich mich—dem Imperator.« Nun sprang Adalo vom Sitz empor. »Und wenn's so wäre?« schrie der Gescholtene. »Wolltest du's wehren? In wenigen Wochen, wann die Blätter fallen, fällt auch dein Heerbefehl! Einstweilen aber« ...—»Einstweilen aber rat' ich, zu gehorchen!«—»Dir?« »Nicht mir,« erwiderte der Alte mit unerschütterlicher Ruhe, »dem Volksding, das über allen Gauen steht—auch über deinem, dem Ebergau und seinem König! Aber setze dich wieder, raschgrimmer Held! Und du, Adalo, reiche ihm von der Zeltwand, wo es hängt, das Methorn: der Vergessenheit Reiher rausche über unsere Häupter und trage mit sich hinweg auf seinen Schwingen Zornwort und Zankwort!«
Die beiden Jüngern setzten sich wieder. Während das Auerstierhorn, an Mündung und Ende mit Erz beschlagen, kreiste, sprach Ebarbold: »Und sollten wir auch siegen diesmal und diese Streifschar vertreiben aus dem Lande,—wir haben's erfahren oft genug: es kommen immer wieder andre nach, die Geschlagenen zu rächen. So ging es viele Menschenalter lang,« »So wird es aber nicht mehr gehen,« sprach der Herzog langsam. »Es ist dafür gesorgt. Die böse alte Wölfin ist von zu vielen Hunden zugleich umstellt! Nicht mehr kann sie die linke Pranke heben, der von uns gepackten Rechten zu Hilfe zu kommen: der Gote hält ihr die Linke gar fest an dem Danubius; und kaum noch scheucht sie mit dem Gebiß den Franken am Rhein.« »Die Goten?« meinte der König. »Wer weiß, ob sie dies Jahr im Felde stehen!« »Ich weiß es,« erwiderte der Alte ruhig. »Kannst du von hier bis nach Thrakien sehen?« spottete Ebarbold: »Ich nicht!« »Aber ein anderer, der vom Hochsitz in den Wolken über alle Lande schaut; und der hat mir's verraten.«
»Ich aber schaue das Elend,« fuhr der König fort, »das um uns her der Römer angerichtet hat in unserem Lande, Schwer hat mein Gauvolk gelitten! Auf dem Durchzug haben die Kohorten alle Gehöfte verbrannt. Auch meine Halle!« »Man baut sie wieder auf!« lachte Adalo, das Horn an die Wand hängend. »Nicht weigert der Wald seinem Volke die Baume,—Auch mein Haus da unten am Seebühl!«—und ernst ward nun sein Antlitz, »Wert ist mir das Weite, heilig der Herd, an dem ich auf der lieben Mutter Schose saß, während der harfenkundige Vater von den Göttern sang und den Thaten unserer eigenen Ahnen! Auch in meines Geschlechtes altes Gehöft mit der Hirschhornrune wirft wohl bald der Centurio die Fackel. Nie hoff' ich mehr, den Hochsitz zu besteigen, auf dem ich so oft dem Vater das Trinkhorn füllen durfte. Aber, ob ich all' meine kommenden Tage dies Haupt nur zu bergen hätte unter wogenden Wipfeln des Waldes, nie beug' ich mich den Walen.«—»Beugen! Es gilt einen Vertrag zu festigen, wie wir so oft ihn geschlossen!« »Und wie so oft der Römer ihn brach!« warf Adalo ein. »Oder auch wir.—Was verlangt man denn von uns? Junge Mannschaft, des Cäsars Schlachten zu schlagen. Wir haben mehr Nachwuchs, als wir ernähren können. Dafür giebt man uns rotes Gold.«
»Hel schlinge dies Gold und diese Verträge,« rief Hariowald aus. »Unseres Volles Herzblut und junge Heldenbrut haben sie von Geschlecht zu Geschlecht dem Altfeind verkauft, der sie gegen uns selbst, gegen unsere Nachbarn brauchte. Wären die vielen Hunderttausende, die für Rom gefallen, gegen Rom zusammengestanden:—längst tränkten wir unsere langmähnigen Rosse im gallischen Meer. Aber wir schlagen dein Wort nicht in den Wind, Ebarbold. Wohlan, auch ich willige ein, ins Römerlager einen Boten zu senden—um Frieden!« »Was? Du wolltest?« rief Adalo ungestüm. »Was ich will, wird sich weisen.«——»Frieden antragen? Sie abziehen lassen? Mit ihrer Beute?«—»Werden nicht schwer daran tragen!« Und hier zog ein Schmunzeln über des Gewaltigen Lippen, das ihm köstlich stand. »Sechs Töpfe in Iburninga und ein zersprungener Metkessel in Mariswik: so klagten mir zwei alte Weiber!« »Und die Gefangenen!« mahnte Adalo. »Sie haben nur Eine, hör' ich,« fiel der Gaukönig ein, »eines Kleinbauern Kind.«
»Gleichviel, unseres Volkes Tochter, eine freie Jungfrau ist auch sie,« rief Adalo lodernden Blickes. »Sie hat ein Recht auf ihres Volkes Schutz.«—»Schützen! Eine Gefangene! Was können wir«——»Sie befreien—mit dem Schwert—oder sie rächen!«—»Um eines Weibes willen den Kampf aufnehmen, der das Volk verdirbt!«—»Du redest sehr wahr,« sprach da der Herzog langsam. »Seines Volkes Heil muß Weib sich opfern wie Mann. Sie bleibe, wo sie ist,—die kleine Bissula!« »Wie, Bissula?« fragte Ebarbold, erschrocken. »Albofledis, welche sie ,Bissula' nennen? Die schöne Rotelbin?« »Du kennst sie?« forschte Adalo. »Ha, wer hat nicht von ihr gehört! Am ganzen Seeufer spricht man von ihr. Und spricht so, daß der Hörer gespannt wird, sie zu sehen. So ward auch ich neugierig und ich suchte, sie zu sehen: erst jüngst—beim letzten Sunnwendsprung.—Schade um sie! Bei Freias Augen! Sehr schade!—Aber der Friede gilt mehr!« »Ja,« sagte Hariowald, »und noch mehr—der Sieg!« »Der Sieg ist uns gewiß!« rief Adalo. »Meinst du?« verwies der Alte. »Ich meine nicht,—noch nicht!« verbesserte er. »Führ' uns zum Sturm auf das Römerlager! In dichten Haufen sind, seit du den blutigen Heerpfeil von Gehöft gesendet zu Gehöft, unsere Heermänner schon hierher geströmt.«—»Noch nicht genug! Noch fehlt der Heerbann gar manches fern von uns gen Mitternacht oder Aufgang gelegenen Gaues: vom Alpgau, von Albwins-Bar, vom Wisent- und vom Drag-Gau.«—»Zähle nicht,—wäge!«—»Das thu' ich:—aber auch des Römerlagers festen Bau!«—»Doch auch die Feinde verstärken sich indessen! Ihre stolz geschnäbelten Schiffe liegen drüben in Arbor schon in großer Anzahl bereit:—bald bringen sie neue Kohorten herüber!« »Das sollen sie!« lachte der Alte leise vor sich hin und eine unheimliche, grimmige Freude sprühte dabei aus seinem Blick. »Indessen,« fuhr er nach einer Pause fort, »will ich morgen einen Gesandten schicken zu den Feinden.« »Sende mich!« rief Ebarbold eifrig. »Nein—: Adalo—du gehst.«—»Er! Der bringt nicht den Frieden heim!«—»Nein:—aber gute Spähe und,« flüsterte er dem Jüngling zu—»vielleicht:—Bissula!«—»Dank! Dank!« »Ich,« zürnte Ebarbold, »ich brächte sicher heim unsres Volkes ...«—»Unterwerfung!« schloß der Herzog. »Das eben sollst du nicht. Weisen die Walen billigen Vorschlag ab, dann befrag' ich das Volksding, das ganze Heer um seinen Beschluß«—
»Ich weiß voraus,« unterbrach Ebarbold unwillig, »was sie beschließen, geleitet von dir, du Wodansgefolge, du Zius-Opferspender! Aber ein anderes ist, was ihr beschließt, ein anderes ...«—Er fing das Wort auf seiner Zunge und stockte.
»Was du thun wirst, willst du sagen, Gaukönig! Ich warne dich, Ebarbold. Dein Vater war ein wackrer Held:—er fiel an meiner Seite vor zwanzig Wintern in jener Mordschlacht gegen Julian. Sein gedenkend, warn' ich dich noch einmal: sieh dich vor!« »Sieh du dich selber vor,« rief der König unwillig—»du bist nicht mein Muntwalt!« Er sprang auf und stürmte aus dem Zelt.
Auch Adalo erhob sich rasch, »Du laßt ihn ziehn, den Drohenden? Soll ich ihm nach?« Aber ganz ruhig blieb der Herzog. »Nicht fürchte Gefahr von diesem Mann.« Schauer durchrieselte den Jüngling und er fuhr zusammen, als jener, ganz leise nur den Speer erhebend, beifügte: »Er ist Wodan geweiht!«—»Du willst ihn—?«—»Nicht ich. Er selbst wird sich opfern,—opfern müssen. Staune nicht: wart' es ab!«—»Und das von den Goten, Herzog? War es dein Ernst? Oder wolltest du nur den Feigherzigen ermutigen?« Der Alte lächelte: »Sieh, sieh, solche Arglist zu gutem Werk traust du mir zu?«—»Du bist Wodans Zögling!«—»Es ist, wie ich sagte. Einer unserer Gauleute hat als Schildner gedient im Heere des andern Kaisers: er kam auf Urlaub nach Hause. Er erzählte, wie viele ungezählte Haufen Goten über die Donau gedrungen sind und jenen Kaiser so hart bedrängen, daß er sicher nicht seinem jungen Neffen hierher zu Hilfe ziehen kann. Ja, vielleicht muß das ganze Heer des Neffen dem Oheim zu Hilfe eilen. Weil ich dies wußte, verstattete, ja befahl ich unsern jungen Gefolgsführern, im Frühjahr über die Grenze zu gehn, den Krieg zu erneuen. Du aber—schweige hiervon. Und öffne im Römerlager morgen weit die Augen: nicht nur jenes Kindes gedenke, wie gern ich dir's gönne, sie zu sehen, vielleicht, sie loszukaufen, oder etwa mit List sie zu retten. Denn, bei Friggas Gürtel! sie ist hold: und gern säh' ich sie frei, unseres Gaues zierlichste Zier.«
Adalo griff nach der Rechten des Herzogs, Aber dieser entzog sie und streng fuhr er fort: »Auf die Höhe des Walls, auf die Tiefe des Grabens, auf die Lage der Thore, auf die Zahl der Zelte, auf den Lauf der Zeltgassen achte mir scharf, daß du alles genau mir berichtest. Jetzt geh und sende mir Zercho, den Knecht. Nein, frage nicht, was ich mit ihm will—gehorche!« Adalo ging. Sein Herz klopfte. »Ich soll sie sehen! Loskaufen! All' meine Fahrhabe, ja—muß es sein—mein Erbgut setz' ich dran:—ich verkauf' es!—Aber wird sie losgekauft sein wollen?—Wird sie nicht lieber folgen dem klugredenden Walen, dem Reichen, in sein sonniges Land?—Und wie, wenn er sie nicht frei giebt?—Nun, dann giebt es zum Glück ein Mittel, sie herauszuholen, das nur der Herzog kennt und meines Vaters ältester Sohn.« Von solchen Gedanken wild bewegt, sandte er den Jazygen, der am Feuer kauerte, in das Zelt.
Scheu, furchtsam stand der Knecht vor dem gewaltigen Greis, »Wie lang ist's her, daß dich Suomar erwarb?«
»Ist schwer sagen für Zercho:—ich rechne nur mühevoll weiter als beider Hände Finger reichen—und es sind mehr Jahre als Finger. Das Geistchen war da noch ganz klein. Wohlfeil erstand mich der Herr:—gar viele, viele von uns hatten die Römer als Gefangene fortgeschleppt aus den schönen Weidesteppen des Tibiscus, für ein Roß und ein Netz voll Fische ertauschte er mich drüben in Vindonissa von dem Händler.«—»Suomar hat mir dich gelobt. Er hat dich nie geißeln müssen.« Zercho machte ein verlegen Gesicht und rieb sich am Ohre, »Doch, Herr!—Einmal.«—»Warum?«—»Als ich zuerst das Geistchen sah:—es war damals ein Kind von etwa sieben Jahren:—ich hielt es für das Waldmädchen, die rote Vila, warf mich zur Erde und verhielt mir die Augen: denn wer die sieht, erblindet. Da schrie er ein Wort in eurer Sprache, das ich seither noch oft gehört—es bedeutet ein horntragend Tier—und schlug mich.—Aber seitdem nie mehr.« Der Knecht hatte all' das rasch herausgestoßen:—er fürchtete sich vor dem Herzog und er sprach immer fort, diese Furcht zu betäuben. »Du hängst treu an der Kleinen?«—»Mit der Pflugschar ließ ich mich für sie durchschneiden!«—»Du zupftest mich am Mantel, als du mir vor dem Edeling und der Alten deinen Bericht gabst. Du wolltest mir etwas vertrauen, was jene beiden nicht wissen sollten.«—»So ist es, großes Väterchen! Woher weißt du?«—»Das war nicht schwer zu erraten. Aber ich ahne mehr: das Mädchen ist nicht des gutartigen Schwätzers, der Ausonius heißt, ist eines anderen Beute geworden.« Mit Grauen sah der Slave zu ihm auf: »Hat dir das wieder dein Wuodanbog verraten, dein furchtbarer, wissender Gott?«—»Nein. Er gab mir nur, in der Menschen Augen zu lesen. Also eines anderen ward sie—so vermutete ich,—und du wolltest die Großmutter nicht noch tiefer in Gram versenken und den Edeling:—denn der liebt das Kind mit heißem Herzen.«—»Auch das weißt du?« »Dazu,« lächelte der Herzog, »braucht man nicht Wodans Hilfe. Auch ich war einmal jung. Du wolltest den Jüngling schonen.«—»Ja, Vater großer! Er würde sich verzehren vor Wut und Weh, Und kann doch nichts thun, sie zu retten.«—»Nur sich selber würde er verderben—und vielleicht unsere beste Siegeshoffnung—in verzweifelter That.—Ich bin zufrieden mit dir, Knecht. Schweig' auch fürder davon. Aber jener Ausonius war doch auch dabei?«—»Ja: der Fremde, der vor Jahren schon solang drüben in Arbor weilte. Aber nicht er griff das Geistchen: ein anderer, jüngerer.«—»Hörtest du nicht seinen Namen? Hieß er etwa Saturninus?«—»Herr, sein Name ward nicht gerufen. Oder ich hörte ihn nicht. Es war ein stattlicher Mann und glänzend waren seine Waffen.«—»Aber er führte doch die Gefangene dem Ausonius zu?«—»Wohl. Jedoch nicht auf des Ausonius weißes Pferd hob er sie, wie dieser zu fordern schien, sondern die Widerstrebende schwang er auf ein anderes Roß—ein schwarzes: vielleicht—ja, wahrscheinlich—sein eigenes.« Der Herzog schwieg nachdenkend. Endlich fuhr er fort: »Der Edeling soll erst bei Einbruch der Dunkelheit morgen im Römerlager eintreffen. Bevor er reitet, holt er sich von mir noch Aufträge. Sag' ihm das.—Und«—hier dämpfte er die Stimme ganz, zur Verwunderung des Slaven, da doch niemand im Zelte war—»wenn ein treuer und schlauer Mann wäre, der es wagte, sich oder einen anderen unvermerkt ins Feindeslager zu spielen und mir zu berichten, was er sah—denn ich fürchte, dem Edeling werden sie nicht viel zu schauen geben!—und wenn dieser Mann ein Unfreier wäre,——ich kaufte ihn frei!« »Vater großer!« rief der Sarmate, warf sich vor ihm nieder und wollte ihm die Füße küssen. Unwillig stieß ihn der Herzog mit dem Speerschaft von sich: »Bist du ein Hund, daß du mir die Füße lecken willst?« »Zercho ist Jazyg,« entschuldigte dieser, aufstehend und das getroffene Schienbein reibend.»So ehrt mein Volk, wen es recht ehren will.«—»Wir aber, wir Söhne der Asen, wir beugen das Knie selbst vor dem großen Asgardhkönig nicht, wenn wir ihn anrufen und ehren wollen. Geh nun!—Vielleicht ist es gut, daß Adalo gar nicht erfährt, was etwa geschieht.«—»Er darf erst davon hören, nachdem es gelungen.—Denn er würde den anderen, der dabei sein muß, nicht mit mir gehen lassen.«—»Ich will nicht wissen—vorher—was im Werke. Sage draußen' niemand tritt jetzt ein, bis ich auf den Schild schlage.« Kaum war der Slave fort, als der Herzog den hinter ihm bis auf den Boden wallenden Linnenvorhang zurückschlug, der das hintere Zelt, den Schlafraum, abschloß. Hervor trat ein Alamanne in langen, grauen Haaren, kaum viel jünger als Hariowald, vorsichtig sich umschauend. »Wir sind allein, Ebarvin.—Wiederhole mir nochmals deines Königs Worte genau! Denn bedenke, du mußt sie ihm ins Antlitz, eidlich, vor der Volksversammlung vorhalten, falls er sie leugnet.«
»Er leugnet nicht,« sprach der Graukopf traurig. »Er ist zu stolz, sich dir zu beugen, aber auch zu stolz, zu lügen.« »Schad' um ihn,« meinte der Herzog kurz. »Er war ein furchtloser Mann.« »Du sprichst von ihm wie von einem Toten!« rief der andere, erschauernd. »Ich sehe nicht, wie er leben bleiben kann. Oder glaubst du, er ändert seine Wahl?« Schweigend schüttelte der Gefragte das Haupt, »Wie lange schon trägst du seinen Schild?« »Seit er einen Schild führen darf! Schon seinem Vater hab' ich ihn getragen,« seufzte der Mann. »Ich weiß es, Ebarvin! Und—« so fragte er lauernd, wie vorwurfsvoll, wahrend das graue Auge forschend blitzte,—»und du verrätst ihn doch?« Grimmig griff der Gefolge an das kurze Schwert. »Verrat? Offen klag' ich ihn an, nachdem ich ihn treu und oft gewarnt, nachdem ich ihm gedroht, ich würde dir alles aufdecken. Er lachte dazu, er glaubte das nicht.«—»Und weshalb thust du's? Er ist dir lieb gewesen.«—»Weshalb? Und das frägst du? Du, der es mich, der es uns alle gelehrt? Nicht zwar du allein:—vorher schon die Not! Weshalb? Weil dieser Bund der Alamannen ganz allein uns rettet vor dem Verderben, vor der Schmach der Verknechtung. Weshalb? O Herzog, fürchterlich sind die Eide, mit welchen du uns vor der Wodans-Esche gebunden hast schon vor Jahrzehnten! Nicht meineidig will Ebarvin werden! nicht will ich, ein Schwurbrüchiger, unendliche Nächte in dem gräßlichen Strome Hels dahin treiben, der Leichen, Schlangen und Schwerter wälzt! Und ich hab's gelernt ein langes Leben durch: wir müssen zusammenstehen, sonst bricht uns der Römer Gau nach Gau. Ah, meinen eigenen Sohn würde ich erwürgen, der, ungehorsam dem Herzog wie dem Volksding, unsern Volksbund wieder sprengen wollte.«
Da sprang der Hohe auf: Freude loderte aus seinem Auge: mit der Linken hoch den Speer erhebend, schlug er mit der Rechten dem Erregten auf die Schulter: »Dank dir, Ebarvin, für dieses Wort! Und Dank dir, du Gewaltiger hoch in den Wolken! Lebt solcher Sinn im Volke der Alamannen,—dann wird der Bund nicht mehr gelöst.«
Es war wirklich so, wie Zercho der Knecht vermutet hatte. Nicht des Ausonius Gefangene war Bissula geworden—und geblieben. Zum äußersten Staunen, ja kaum zurückgehaltenen Unwillen des Präfectus Prätorio von Gallien hatte der jüngere Mann seinen Anspruch nach Kriegsrecht geltend gemacht: Ausonius hatte keinerlei Recht auf die Gefangene: das war klar. Sein Neffe hätte sonder Zweifel Ansprüche erheben können. Er machte auch—anfangs—einen solchen Versuch. Aber seltsamer Weise verstummte er, als der Tribun, kaum ganz mit der Wahrheit übereinstimmend, ihn vor dem Oheim anfuhr: »Das Mädchen war wieder entsprungen. Ich zuerst habe sie—endgültig—gefangen. Soll ich sie rufen, auf daß sie selbst erzähle, wie alles war?« Da ging Herculanus mit einem giftigen Blick.—
Ausonius aber begriff die rechthaberische Schroffheit des ihm sonst so herzlich ergebenen und so wackeren Mannes nicht. Als dieser sich kurzweg auf das Kriegsrecht berief, unterließ es Ausonius, im weichen Gemüte tief verletzt, alle die Gründe anzuführen, die, wie er meinte, den Freund zwingen mußten, ihm gegenüber—in diesem Fall!—den Rechtsboden gar nicht zu beschreiten. Zuerst geriet der Dichter, nach Beweggründen für jene Handlungsweise suchend, natürlich auf den Nächstliegenden: staunten doch alle Männer im Lager das von ganz eigenartigem Reiz umschwebte Mädchenkind mit unverhohlener Bewunderung an: kein Wunder, wenn auch der Illyrier, in voller Manneskraft strotzend, für das schone Geschöpf, das in seine Hand gefallen, erglüht wäre, daß er, ohne gerade Böses zu planen, sie in seiner Macht behalten wollte, bis sich, in Güte oder Gehorsam, die Gefangene ihrem Herrn fügen werde! Aber bald gab er, beruhigt, diese anfangs schwer auf ihm lastende Besorgnis auf. Scharf, mit dem Argwohn der Eifersucht, beobachtete er den Nebenbuhler bei jedem Zusammensein.
Jedoch selbst das Mißtrauen vermochte nichts, gar nichts zu entdecken, was für jene Annahme gesprochen hätte. Ruhig, stet, sicher, wie immer, war die Haltung des festen Mannes auch in ihrer Nähe, die er weder mied noch suchte, sondern gleichgültig hinnahm: er sah nicht öfter in die wunderbaren Äugelein als das Gespräch es mit sich brachte und dann war sein Blick ruhig, seine Stimme zitterte nicht.
So nahm Ausonius die Handlungsweise des Freundes als eine seltsame soldatische Grille und zweifelte nicht, er werde sie bald aufgeben. Aber das erwies sich doch als Täuschung.
In das Lager zurückgekehrt, bat Ausonius den Tribun, unbeschadet seines Eigentumsrechts, das Mädchen in dem Nebenzelt des Präfekten unterbringen zu lassen, aus dem er die Sklaven und Freigelassenen entfernen wollte. Allein Saturninus bestand darauf, daß Bissula zu den Frauen der Freigelassenen und zu den Sklavinnen gebracht werde, die, weit abgelegen von dem Präfekten, neben den Händlern und deren Weibern, in einigen Zelten hausten.
Das Mädchen selbst kümmerte wenig der Streit der beiden Römer, dessen Sinn sie kaum verstand. Aus tiefster Todesangst, aus äußerstem Entsetzen, das ihr Herculanus erregt, befreit durch den Tribun und beschwichtigt durch die Nähe ihres verehrten Freundes, fand sich ihr junges, heiteres Herz bald in die neue Lage: das war nicht Tollkühnheit, nur kindliche Unkenntnis der Gefahren, die ihr—möglicherweise—drohten. Die Großmutter war nicht entdeckt, der treue Knecht nicht gefangen worden: sie aber war ja sicher in der Nähe, unter den Augen ihres Freundes, des vornehmsten Mannes im Römerlager: nicht ein Haar würde er ihr krümmen lassen, das wußte sie wohl. Dabei fiel ihr freilich schwer aufs Herz,—am wuchtigsten sofort, da sie gerade ergriffen ward—daß sie ihr Schicksal ganz allein verschuldet hatte durch ihren Trotz,—wäre sie dem doch wohl treu gemeinten Wink gefolgt!—Da kamen ihr fast die Thränen:—die Erfahrung hatte gelehrt, wie gut der Rat gewesen:—sie wäre sicher und geborgen, bei der Großmutter,—aber freilich auch—bei ihm! Ihm zu Dank verpflichtet! Da zerdrückte sie das Naß in den Wimpern. Nein, sie wollte sich's nicht eingestehen, daß er Recht gehabt!—
Nun hatte sie doch ihm, dem Stolzen, nichts zu danken. Das war auch ein Vorteil! »Und«—trotzig schüttelte sie das Haar in den Nacken—»sie werden mich nicht fressen hier! Nur nicht sich fürchten, Bissula,« sprach sie zu sich selbst—»und sich nichts gefallen lassen! Aber auch gar nichts!« Nur einen Augenblick hatte sie, nachdem sie Herculanus entkommen war, gezittert:—damals, da ihr kraftvoller Erretter mit einem Ausdruck, mit einem Blicke ihre ganze Gestalt maß, vor dem sie verwirrt die Wimpern gesenkt hatte. Aber als sie die unschuldigen Kinderaugen wieder aufschlug, war jener Ausdruck gewichen: und er kehrte nie mehr wieder!—
Auch ließ sie ihr Herr den ganzen Tag mit ihrem Vater Ausonius allein: nur wann es dunkelte, erschien er unerbittlich, sie abzuholen; er selbst begleitete sie in das ihr angewiesene Zelt: einen seiner illyrischen Landsleute stellte er des Nachts auf Posten vor dasselbe. Den Neffen ihres Freundes, den sie scheute, sah sie nie allein.
Sie zählte fest darauf, bei dem Abbruch des Lagers und dem Rückzug der Römer werde sie der Freiheit wiedergegeben werden: zum Kampfe kam es ja nicht, das versicherte ihr Ausonius wiederholt. So betrachtete die Frohgemute ihre Gefangenschaft, die alle Schrecken verloren hatte, als ein Abenteuer, das ihr das lang vermißte Gespräch mit dem väterlichen Freunde schenkte. Hatten doch gar manche ihrer Jugendgenossinnen als Geiseln, auch wohl als Gefangene, eine Zeit lang in römischen Lagern und in den Kastellen auf dem Südufer gelebt und ohne Harm bei Waffenstillstand oder Friedensschluß die Freiheit wiedererlangt. Daß sie gegen ihren Willen festgehalten, fortgeführt werden könnte, das befürchtete sie nicht: war doch der mächtigste Mann im Lager ihr Beschützer.
Jedoch—solche Gefahr schwebte immer näher an sie heran.
Ausonius führte eine Art Tagebuch, in welches er vor dem Schlafengehen Erlebnisse, Eindrücke, Entwürfe zu Poesien, kleinere Dichtungen einzutragen liebte:—eine Gepflogenheit, deren streng eingehaltene Regel er auch im Feldlager kaum unterbrach: ein pedantischer Zug war ihm eigen. Doch war das »Tagebuch« nicht ein Monolog, vielmehr eher eine Art »Dialog«. Denn er richtete es in Briefform an seinen ältesten und nächsten Freund Axius Paulus aus Bigerri, Rhetor, aber auch alter Kriegsmann. Jedes Vierteljahr faßte er zusammen, was er so geschrieben und schickte es diesem, um das Manuskript mit dessen Kritiken und Antworten in Randbemerkungen zurück zu empfangen. So schrieb er denn auch in diesen Tagen unfreiwilliger Muße.
V. vor den Calenden des September
Paulus wünscht Ausonius Heil.
Gestern schrieb ich dir von dem reizenden Barbarenkind,—›Kind‹? Sie ist es nicht mehr! Berückend runden sich die zarten, aber doch reizvoll schwellenden Formen! Und »Barbarin«? Ist sie es je gewesen,—so ist sie es nicht mehr, seit Ausonius sie den Pomp der latinischen Rede gelehrt hat. Wie soll ich sie dir schildern, ohne sie—nicht zu zeichnen,—sondern zu malen. Denn gerade der Farben Reiz ist so unvergleichlich. Hätt' ich nur Paralos, meinen jonischen Sklaven, mitgeführt, der so schön die Nymphen gemalt hat—du weißt—in meinem kleinen Speisesaal dort in der Villa im Gau Noverus! Und der Ausdruck! Das Leben in diesen stets bewegten, bald von schelmischem Zorn, bald von Scherz, bald von einer mir rätselhaften Trauer der Sehnsucht beseelten Zügen! Und die zierliche Gestalt! Neulich blieb ihre Ledersohle stecken in dem Sumpf vor dem Lagergraben! Wie weiß und wie reizend dies Füßlein! Wie kann es nur die Gestalt tragen, so leicht diese auch schwebt! Die Muse, die mich so lange gemieden,—in Gestalt dieses suebischen Mädchens hat sie sich wieder eingestellt: in einer schöneren Metamorphose, als je Ovidius sie geahnt. Unablässig quellen mir die Verse! Höre nur!
Bissula schmückte Natur mit dem Reiz, den der trefflichste Maler Wiederzugeben umsonst sich bemüht.—Wohl anderen Mädchen Mag er werden gerecht, wenn er Mennig verwendet und Bleiweiß—Doch dies Farbengemisch, es entzieht sich dem Künstler: es sei denn, Daß mit der Lilie Glanz er sie malt, der von Rosen behaucht ist.«
»Ach, Freund, bei den Empfindungen, die mir kommen, schäme ich mich manchmal des halben Jahrhunderts, das ich mit mir trage.—Ich möchte Anteros etwas opfern,—am liebsten:—meine grauen Haare! Neulich hat die Kleine gar zu unserer aller Staunen—zumeist aber war Saturninus überrascht, ich weniger: denn ich traue ihr schon bald Übermenschliches zu—strategischen Scharfblick bewährt.
Bei einem Rundgang auf dem Südwestwall war die Rede davon, daß ihr kleines Hüttlein durch mich vor dem Verbrennen war beschützt worden, während unsere Kohorten sonst mit wahrer Emsigkeit die Fackel in die Holzhäuser der Barbaren warfen. Da meinte Saturninus, durch Zufall sei bisher auch noch ein anderes Gehöft verschont geblieben, das weiter südwestlich auf einer Anhöhe ragt mit hochaufsteigendem Giebeldach:—keine unserer Streifscharen war in diesen Tagen in jener Richtung ausgezogen. Mein Neffe rief nun einem seiner Panzerreiter zu, morgen sollten ein paar hinübersprengen und das Gezimmer niederbrennen.
Da rief auf einmal die Kleine mit blitzenden Augen: »Wie dumm!« und lachte—Höflichkeit ist nämlich nicht ihre Lieblingstugend!—und mein Neffe und sie verlieren wenig Liebe einer an den andern.—»Wie einfältig,« wiederholte sie. »Der Bau ist sehr fest, der Pfahlzaun sehr hoch:—es ist fast eine Burg, wie hier dies euer Lager!—Und hier: zwischen euch und dem See—wohin ihr doch flüchten müßt, wenn die Meinigen kommen!—da könntet ihr euch gerade wieder setzen, wenn ihr hier ausreißen müßt, wie die Füchse aus dem Bau gejagt.« Höhnisch lachte Herculanus. Aber Saturninus warf einen Blick von der Wallkrone auf jenen Hügel und das hoch ragende Gehöft und sprach mit jenem ruhigen Ton, der Widerrede ausschließt: »Ich selbst hatte bereits für morgen die Verbrennung beschlossen. Aber das Kind hat Recht. Das feste Haus wird nicht verbrannt:—eher vielleicht—später—besetzt, wann die Schiffe da sind.«
Wenn sie nur endlich kämen, diese Schiffe! Der eifrige Tribun verzehrt sich vor Ungeduld des Thatendrangs. Schon wiederholt ist er über den See gefahren auf einem elenden, morschen Nachen der Barbaren, welchen wir im tiefsten Röhricht versteckt, nahe Bissulas Waldhütte, fanden, und hat Nannienus zur Eile getrieben. Aber dieser konnte in Wahrheit mit Homer sprechen: »Was mahnst du den ohnehin Willigen?« Man kann nicht in Tagen herstellen, was in Monaten versäumt worden! Seine eignen elenden Beamten schaden dem Reich mehr als die Barbaren!
Und wir wissen gar nicht, wohin sie geschwunden, diese sonderbaren Landesverteidiger. Ach, da fällt mir auch wieder ein Geschichtchen von der Kleinen ein!—Wie sie sich doch immer wieder in meine Gedanken stiehlt!—
Selbstverständlich haben wir—in Ernst und Scherz—auch den Versuch gemacht, Auskunft über die Verstecke der Feinde zu erlangen von der einzigen Gefangenen, deren wir uns bisher berühmen können: aber da sind wir ›Sieger‹ übel angekommen! »Wo stecken sie denn, eure Helden?« lachte ich einmal gegen Ende der Hauptmahlzeit in meinem Zelt. »Ihr Heldentum ist freilich so unfindbar, wie sie selber.« »Sie werden es ihr schwerlich auf das kurze Näslein gebunden haben,« meinte Saturninus. »Denn die Barbarinnen können wohl so wenig schweigen als die Römerinnen. Sie weiß es nicht!« »Doch! Sie weiß es!« rief die Schelmin, trotzig die Lippen aufwerfend. »So? Dann wird man dir's abfragen,«—rief ich, »auf der Folter!«—»Nicht nötig. Ich sag's gern!« »Nun, wo weilen sie?« fragte der Tribun aufmerksam.
Da huschte sie zum Zelt hinaus, steckte mutwillig den Kopf durch den Vorhang des Eingangs herein und lachte neckisch: »Bei Wodan wohnen sie und bei der Seefrau im See. Da suchet sie selber!« Und fort war sie.
Ihr Lieblingsaufenthalt ist zu den Füßen einer ungeheuren Tanne—sie sei heilig, einer germanischen Göttin geweiht, die wohl, nach der Schilderung, der Isis entspricht—; dort hab' ich sie wiederholt gefunden.
Einmal gar auf den Zweigen derselben sich schaukelnd, wie ein Vöglein. Sie bat mich, diesen ihren Versteck ja den andern nicht zu verraten—dem Tribun und meinem Neffen:—sie liebe es, oft ganz einsam da zu träumen. Nun, ich verrate sie gewiß nicht! Wenn nur ich es weiß, wo sie zu suchen. Die andern sollen sie nicht—gegen ihren Willen—finden.—
IV. vor den Calenden des September
Neulich vermißte ich den Maler. Hierher kann ich ihn nicht schaffen. Aber vielleicht Bissula—später—zu dem Maler, nach Burdigala? Wie ich damals schon gewollt! Oh Paulus, könnte ich sie dir zeigen! Je mehr ich von ihr schreibe, dichte,—desto mehr gefällt sie mir, oder vielleicht umgekehrt!—Ich will einmal gar nicht mehr an sie denken, nicht mehr von ihr schreiben!—«
»Du glaubst nicht, Teurer, wie mich auch dies lang nicht mehr geschaute kriegerische Lagerleben erfreut. Ich verstehe nicht viel davon: aber der Pomp und Stolz und die Kraft des Kriegswesens regen mich mächtig an. Es ist eine Lust, einen Mann wie Saturninus walten zu sehen. Eine alkäische Strophe kann er nicht skandieren, aber ein Lager nach den Anforderungen und Vorteilen der Örtlichkeit anzulegen, das versteht er besser als ich die alkäische Strophe zu bauen. Vortrefflich hat er auch hier, auf diesem steilen Hang mitten im Barbarenwald, die Regeln Frontins mit dem gegebenen Raum zu vereinbaren gewußt. Dich alten Soldaten würde es mächtig freuen, unseren Lagerbau, die Stärke von Graben und Wall, die Gliederung der Lagergassen, die Verteilung von Reitern und Fußvolk, von Gepäck und Troß mit anzusehen!
III. vor den Calenden des September.
Und warum solltest du's nicht ansehen? Wofür hat uns Athene oder das kluge Phönikien die Schrift gelehrt? Ich bat Saturninus, seinem dicken Schreibsklaven eine Skizze unseres ganzen Lagers mit allen für die Verteidigung wichtigen Punkten und der Verteilung unserer Truppen zu diktiern«. Ich lege sie dem Papyros bei.
Wie stattlich beginnt das:
»Vier Geschwader Schuppengepanzerte an der Porta decumana, das ganze Gepäck ebenfalls vor der Porta decumana aufgetürmt. Der Wall acht Fuß hoch. Der Graben fünf Fuß tief. Der schwächste Punkt die Ecke im Nordwesten, deshalb dort die beste Truppe: Batavische Schildner und Speerträger aus des Kaisers thrakischer Garde:—« und so weiter. Ich wiederhole nicht hier, was die Beilage ausführlich enthalten wird; aber das Schriftstück ist noch nicht fertig.—Er hat es wieder abgeholt, die Zeichnung genauer zu vollenden.
II. vor den Calenden des September.
Ach, was hilft die Verstellung, das Versteckenspielen mit mir selbst! »Jagst du sie mit der Heugabel hinaus, zurück kehrt immer wieder die Natur,« sagt der Bandusische Skizze
Kollege.—Ich mache dich glauben—und mich selbst—, ich denke an Gräben und Wall und Schuppengepanzerte! Es ist nicht wahr! Ich denke nur an die Kleine! Nur ihr Bild steht vor meinen Augen bei Nacht und Tag. Es ist schon halb beschlossen: du sollst sie sehen. Ist dieser Streifzug beendet, kehre ich jedenfalls nach Gallien zurück,—vielleicht das ganze Heer: denn Kaiser Valens scheint mit den Goten leicht, ohne unsere Hilfe zu brauchen, fertig zu werden; er verlangt nicht nach uns. Dann kann ich die Kleine als meinen Gast mitnehmen zu kurzem Besuch nach Burdigala. Freilich: noch gilt sie als Sklavin des Tribuns. Lächerliche Laune des wackeren Mannes! Nein, nein, mein Paulus! Es ist nicht das andere, was du jetzt meinst, das ihn treibt. Scharf wie ein Vater—oder am Ende gar wie ein Bräutigam?—hab' ich ihn beobachtet, argwöhnisch, fast eifersüchtig. Aber ich that ihm Unrecht—oder zu viel Ehre?—Er hat nichts im Kopf, als diese unsichtbaren Alamannen und unsere immer noch ausbleibenden Schiffe von Arbor.
Und warum nur zu Besuch? Warum sollte sie nicht für immer in meinem Hause bleiben, mein heranschreitendes Alter verschönern können mit dem Morgenrot ihrer Jugend! Ja, Eos, Aurora: das ist ein treffendes Bild für sie! So jung, so morgenfrisch, so hellrot umflattert von dem mutwillig krausen Kurzgelock. Vielleicht nimmt sie jetzt, verständiger geworden, mit Freuden an, was ich ihr, dem Kinde, damals schon anbot: mir zu folgen für immer als meine Adoptiv-Tochter.
Tochter!——Es ist das Rechte nicht!—Das Rechte nicht mehr!—Sie ist zum Weib erblüht. Es käme mir doch nicht mehr bei, sie, wie vor Jahren, auf meine Kniee zu heben. Sie ward dafür zu—reif. Und ich—ich bin noch dafür zu—jung, sie nur als Tochter zu betrachten. Eher als ihr Bruder, ihr zärtlicher, auf ihre Schönheit freudig stolzer Bruder!—Es paßt auch nicht!—Neulich streifte mich ihr voller Arm—sie gehen mit ganz unbedeckten Armen, die Germaninnen—: mir ward heiß dabei. Ich kann fast nicht mehr zweifeln, ich—
Die Leute würde es gar nichts angehen, was ich für sie empfinde. Mit mir nehmen könnte ich sie zunächst jedenfalls:—dann adoptieren?—In welcher Rechtsform immer es sei:—festhalten in meiner Nähe werd' ich sie. Ihre anmutvolle Gegenwart,—ich fühl's, ich kann sie nicht mehr missen! Es würde kalt und dunkel um mich her! Schon fröstelt mich bei dem Gedanken, wieder mit dem eisherzigen Herculanus allein zu leben.
Sie ist meine Muse geworden! Eine barbarische, spottest du? Ei, sind diese Verse gar so barbarisch?
Wonne du! Schmeichelndes Glück! Oh du Scherzspiel neckischer
Anmut!
Wie die Barbarin doch Latiums Mädchen besiegt!
»Bissula«! Bäuerlich klingt für den Fremden der Name des Kindes:
Aber Ausonius tönt hold der berückende Klang.«
»Es hilft nichts mehr, mir es zu verhehlen!
Und was ich mir gestehe, gestehen muß:—dir, meinem Paulus, meinem zweiten Ich, soll es nicht länger als mir selbst verborgen sein. Ach, ich fürchte, du hast es schon längst aus diesen Worten, in Prosa und Vers, herausgelesen. Ich bitte dich—schüttle nicht, wie du pflegst, dein kühles, kluges Haupt über deinen »allzujugendlichen« Ausonius:—ich hoffe, warm soll mein Herz schlagen, bis es still steht. Ich weiß alles, was du sagen willst—dagegen natürlich. Denn dafür würdest du etwa nur sprechen, hättest du sie gesehen! Aber ich bin doch froh, daß du jetzt nicht hier bist:—ich will nicht gewarnt sein!
Freilich—ein anderes ist es, in verschwiegener Brust, dem verschwiegenen Freund gegenüber mit der süßen Vorstellung spielen:—ein anderes, das Spiel in den Ernst des Lebens überzuführen.—Ich trage mich mit widerstreitenden Gedanken. Wohl bin ich fünfzig—ach nein! zweiundfünfzig Jahre! Aber welches Glück für das junge Geschöpf, nicht nur meinen Reichtum,—nein, die ganze launische Bildung mit mir zu teilen! Sie ist Heidin. Bah! Das Taufwasser wird ihr die Anmut so wenig abspülen, wie es mir die heidnischen Musen verscheucht hat. Glauben mag sie nach der Taufe, was sie vorher glaubte. Und opfern soll sie—der goldenen Aphrodite und—Hymen!
Ich schwanke. Sie ist mir sehr zugethan. Aber manchmal find' ich sie doch träumend, sehnend über den Lagerwall hinausblickend: seltsamer Weise nicht nach Osten, nicht nach ihrem Heimathause,—immer nach Nordwesten! Dort ragt nahe dem Wall ihre riesige Tanne, mit Zweigen, die bis zur Erde reichen: gestern fand ich sie wieder hier versteckt. Sie klettert so hoch empor in dem Gezweig, daß sie gerade über den Wall hinweg nach fernen Höhen schauen mag. Da steckt sie, wie ein Marder geduckt, in dem dichten Geäst. Mit Mühe entdeckte ich sie dort:—es war schon Abend. Als sie auf mein Geheiß herabhuschte, glaubte ich zuerst eine Thräne in ihren Äugen zu sehen.
Aber das leuchtende Abendrot hatte mich wohl geblendet: ich sah die Thräne nicht mehr, als sie vor mir auf der Erde stand. Doch blickte sie ernster als sonst. »Was fehlt dir?« fragte ich. »Die Freiheit!« war die rasche Antwort. Ich mag wohl bestürzt, unwillig ausgesehen haben, denn hastig fuhr sie fort:
»Vergieb! Ich war thöricht. Ich weiß ja, ließest du mich jetzt schon frei, noch bevor der Krieg ganz zu Ende,—ich konnte, eh' ich die Meinigen erreichte, in die Hände andrer Römer fallen. Und undankbar bin ich obendrein. Wie gut bist du gegen mich!—Aber doch—manchmal spür' ich so arges Heimweh—nach—nach—ach ich weiß selbst nicht—!«
Da scherzte ich—denn nie zuvor, und auch jetzt nicht im Ernst, kam mir dieser Einfall:—»Nach einem Liebsten?« Da schnellte sie empor wie ein rotes Schlängelein! So zornig habe ich sie nie gesehen,—und es schäumt doch oft genug über, das kleine Strudeltöpfchen!—sie stampfte mit dem Füßlein, Glut schoß ihr in die Wangen und heftig rief sie: »Einen Liebsten? Ich?—Die rote Beißkatze! Ich habe ja kein Herz!—Womit sollte ich lieben.« Und trotzig sprang sie von mir weg, lief in ihr Zelt und ließ sich den Abend nicht mehr sehn.—
Nun, nun, das kennt man! Giebt sich—nach der Hochzeit. Aber ich freue mich, nun aus ihrem eignen Munde zu wissen: keine Neigung hält sie fest hier im Barbarenland, will ich mich wirklich entschließen, sie mitzuführen nach Burdigala. Ziemlich spät, wirst du spotten, fiel mir dies mögliche Hemmnis meiner Wünsche ein. Aber das macht: ich dachte sie so lang als Kind, bis ich—an mir selbst—von Tag zu Tag steigend es spürte nein, nein, diese Vollarmige ist kein Kind mehr: sie ist ein bräutlich Mädchen.—
Der holde Wunsch—kaum dräng' ich ihn noch zurück—er reift mir mächtig zum Entschluß!—
Und bei diesem guten Mädchen bin ich sicher: sie wird nicht um meines Geldes willen mein, was ich bei unsern gallischen Fräulein ängstlich fürchte:—und erst bei den Witwen! Bauchgrimmen krieg' ich, denk' ich an sie!—Vorsichtig will ich zuerst, die Scheue nicht zu erschrecken,—denn wie kann sich die Barbarin solche Ehre träumen lassen!—ihr nur den Vorschlag machen, als mein Gast mich nach Burdigala zu begleiten. Es ist undenkbar, daß sie sich weigert: jetzt, nachdem sie erwachsen! Und weigert sie sich, dann—aber nein, es wird ja nicht nötig werden. Und hat sie erst dort das reiche, schöne Dasein gekostet, dann verlangt sie nie mehr zurück in diese Wildnis. Dann wird es nicht mehr lange währen, daß ich diese Verse ihr vorlesen kann, welche ich jetzt nur dem Freunde vertrauen darf:
Bissula, jenseit des Rheins du, des kalten, gezeugt und
entsprossen,
Bissula, die du erblüht nah des Danubius Quell:
Kriegegefangne, du hast, aus der Knechtschaft entlassen, gefangen
Deinen Besieger: sein Herz ward der Erbeuteten Raub.
Pflegender Mutter verwaist hast du nie doch die Herrin erduldet:
Als du in Knechtschaft gerietst, wurdest Gebieterin du,
Ob du durch römische Gunst so, Germanin, wurdest verwandelt:—
Blieb doch des Auges Blau, blieb dir das rötliche Haar.
Zwiefach erscheinst du uns nun und dir schmücken mit doppeltem Vorzug
Latiums Sprache den Geist, suebischer Reiz die Gestalt.
Wie gefällt dir das, mein Teurer? Nicht übel, hoff' ich! Mir wenigstens gefällt es sehr—und du weißt: ich bin gar nicht eitel. Nun denke dir, wie müssen sie, diese Wohllaut atmenden Zeilen, erst ihr gefallen—ihr, der sie gelten!—«
An dem Morgen, der auf diesen letzten Eintrag des Ausonius in sein Tagebuch folgte, teilte Bissula wie gewöhnlich das Frühmal in dessen Zelt mit Oheim und Neffe.
Der Präfectus Prätorio von Gallien war guter Dinge, scherzte oft, sprach viel, ließ sich von dem Bechersklaven wiederholt die Schale füllen und meinte wieder einmal, der Feldzug werde nun bald zu Ende sein. »Wenn die Schiffe kommen,« schloß er, »bitten die Barbaren um Frieden!« Fröhlich sah er auf: da traf zufällig sein Blick auf des Mädchens Antlitz.
Er staunte: ein spöttisches, ja zorniges Lächeln spielte um den trotzig aufgeworfenen Mund: ihre Stirn war gefurcht: sie schwieg. Das Gespräch stockte.
Scharf bemerkte Herculanus das aufsteigende Wölklein. Eifrig schürte er den drohenden Brand. »Was?« rief er. »Frieden? Verknechtung, Ausrottung! Bald schleppt der Kaiser die letzten noch übrigen Alamannen vor seinem Triumph-Wagen auf das Kapitol: die Führer werden erdrosselt, der Rest billig verkauft: ein Alamannenkopf um einen Kohlkopf.«
Thränen der Wut traten in Bissulas Augen. Sie fand nicht Worte: der Zorn schnürte ihr die Kehle zusammen. Sie suchte in ihren Gedanken, in ihrem Gedächtnis nach Hilfe, nach Abwehr. »Adalo!«—war der Name, der allein ihr einfiel. »Ja, Adalo! Wärst du da! Oder hätte ich dein raschgeflügeltes, wodangeflüstertes Wort! Halt—sein Spruch—sein Trotzspruch. Wie lautete er doch?« Und sie schloß, nachsinnend, die Augen, die Ellenbogen auf den Tisch gestemmt, die beiden kleinen Fäuste vor die pochende Stirn gedrückt.
»Ich trinke vor,« fuhr Herculanus fort, die Schale erhebend: »thut mir Bescheid—du, des Ausonius Schülerin, zählst ja zu uns: Schmach und Tod den Alamannen!« Da sprang sie auf:—das blaue Auge blitzte—das rote Haar flatterte um ihr Haupt—ein Schlag mit der geballten Faust—klirrend flog seine Silberschale zur Erde: und in ihres Volkes Sprache rief sie:
»Wehe den Walen!
Rache den Römern!
Brecht ihre Burgen,
Malmt ihre Mauern!
Schwinget das Schwert,
Bis sie rennen, die Räuber!
All' dies Erdreich
Weihete Wodan
Seinen und des Sieges Söhnen,—
Uns zu eigen, den Alamannen!«
»Ah Dank dir, Dank dir, Adalo!« Und sausend sprang sie aus dem Zelt.
»Wie thöricht,« schalt Ausonius den Neffen. »Wie unwirtlich! Wie kannst du sie so reizen—unseren Gast!«—»Gast? Unsere—das heißt des Illyriers—Sklavin!—Aber vergieb, Oheim. Es soll nicht wieder geschehen.—Wie wenig doch die Barbarin taugt in Gesellschaft von Römern!—Unsere Gedanken, unsere Wünsche,—allem ist sie feind, unversöhnlich feind.—Und Adalo? Den Namen hört' ich schon! Ist das nicht—?« »Gleichviel wer es ist!« polterte der Oheim. »Du aber—bist mein Neffe und hast an meinem Tisch, in meinem Zelt die Liebliche beleidigt, zur Wut gereizt. Wie würdest du wohl erst in Burdigala ...«—
Ein vielerratender, finsterer Blick des Neffen hemmte das unbedachte Wort. »Du mußt sie versöhnen. Jetzt verlaß mich:—ich will dich heute nicht mehr sehen! Oder bleibe:—Ich selbst eile ihr nach! Arme Kleine!« Ausonius stand erregt von dem Lectus auf und eilte hinaus.
Herculanus und der Bechersklave waren nun allein in dem Zelt. »Steht es schon so?« knirschte jener grimmig. »Ganz offen gesteht der kindisch gewordene, verliebte alte Narr seine Pläne? Ans Werk, Davus—gesund oder krank—ans Werk! Hast du Schierling? Hast du genug?«—»Ich glaube, es reicht. Und mißlingt es das erste Mal, so hast doch auch du in dem andern Fläschlein noch Vorrat?« Herculanus nickte. Der Sklave fuhr fort: »Er klagte gestern über allerlei Unwohlsein; ich will's nun bald wagen, bevor er wieder genesen. Aber—noch eins—heute Nacht schläft die Barbarin allein.«—»Wie? Nicht in dem Zelt der Troßfrauen?«—»Nein! Ein roter, ansteckender Ausschlag brach heut' Nacht in diesem Zelt aus—: ich hörte, wie Saturninus auf die Meldung befahl, sofort der Gefangenen ein frisches Zelt an der entgegengesetzten Seite aufzuschlagen.«—»Er wird sie aber wieder scharf bewachen lassen!«—»Doch heute Nacht macht er mit all' seinen unnahbaren Illyriern einen Streifzug: Bataver beziehen heute die Nachtwachen:—die trinken gern:—vielleicht ...—«—»Schweig! Diesen Ring zum Lohn für das Wort! Wir wissen noch nicht, ob der Anschlag gegen den Alten gelingt—: so haben wir zwei Sehnen bereit für unseren Bogen. Und ich hasse sie:—ihn hasse ich nicht:—ihn muß ich nur geschwind beerben.—Heute Nacht also!—Still, Prosper kommt!—Wegen des Giftes—in den zwei Fläschchen—sprechen wir noch später:—du weißt wo und wann. Wollen erst abwarten, was diese Nacht bringen wird.«
Einstweilen hatte der gutherzige Ausonius vergeblich die zornmütig Entsprungene gesucht. Eifrig sah er die langen und breiten Lagergassen nieder, welche sich im Geviert bei dem Prätorium kreuzten:—umsonst. Er hoffte nun sicher, sie an ihrem Lieblingsschlupfwinkel zu finden, dem abgelegenen Platz mit der hohen Tanne: der Platz war leer. Auch auf dem Baume saß sie diesmal nicht: genau sah er hinauf. Kopfschüttelnd schritt er noch weiter nach Nordwesten, gegen den Wall selbst: da hörte er zwei Stimmen, wie streitend: eines Soldaten und—Bissulas. Und nun sah er, wie Rignomer, der batavische Centurio, mit quergehaltener Lanze die langsam Weichende zurückdrängte: halb germanisch sprach der Mann, halb, zur Erklärung, Vulgärlatein: denn Bataver und Alamannen, obzwar beide Germanen, verstanden sich damals so schwer, wie heute etwa Schiffer vom Niederrhein und Bauern vom Bodensee sich verstehen. »Zurück, rote Elbin,—schöne Idise du,—Nympha!—Und versuch's nie wieder! Wäre schad' um dich:—zu hoch ist der Wall und der Graben zu tief.«—Da erkannte der Soldat den Präfectus Prätorio, grüßte und kehrte auf die Wallkrone zurück.
Bissula hatte sich, den ehrfurchtsvollen Gruß bemerkend, umgesehen:—nun eilte sie auf Ausonius zu, noch immer heftig bewegt. »Vater,« rief sie, »gieb mich frei! Gleich! Auf der Stelle!« Ausonius schüttelte das Haupt: »Bedenke—« »Wenn ihr denn wirklich wehrlose Mädchen fangt und mit dem Schwerte bedroht, ihr ruhmreichen Römer,—wie dein Neffe, der Neiding ...«—»Wann that er das?«—»Gleichviel!—so schicke mich mit sicherem Geleit, mit einem Schreiben von dir über eure Vorwachen hinaus.«—»Wohin?« Bissula schwieg eine Weile. Sie ward ganz rot.
»Wohin? Wohin du immer träumend spähst? Dahinaus?« »Nein,« sprach sie jetzt, die Zähne zusammenbeißend,—»nach Aufgang, in mein Haus! Ich helfe mir dann schon weiter.«—»Kind, du mußt bleiben, bis der Krieg zu Ende.«
»Nein, ich muß fort!« schalt sie. »Zu meinem Volk gehör' ich,—nicht zu euch! Nicht recht, abscheulich ist es von mir, daß ich hier in deinem Schutz sicher schlafe, Römerwein schlürfe aus goldner Schale, während die Meinen Mangel und Gefahr leiden. Laß mich fort!« Sie hob die Hand:—es sollte eine Bitte sein, aber es glich einer Drohung. »Kleine,« sprach Ausonius nun ernster, »laß die Thorheit. Meines Neffen thörichte, unziemliche Rede hat dich gekränkt,—ich verwies sie ihm: er wird dir abbitten.« Bissula machte eine verächtliche Bewegung. »Und alles wird vergessen sein.«—»Soll ich vergessen meines Volkes?«—»Vergessen? Nein! Aber allmählich dich desselben——entwöhnen. Du staunst? Wohlan: dieser unwichtige Anlaß mag die wichtige Eröffnung beschleunigen, die ich dir zu machen habe. Du denkst daran, mich zu verlassen? Gieb das auf: liebes Mädchen,«—er bezwang sich und fuhr kühler fort: »mein Töchterchen,—du wirst mich nie mehr verlassen.«
Hoch erstaunt riß Bissula die Augen auf: mit der Angst des umstellten Rehes maß sie den Römer. Ganz nahe hörte man den ehernen Schritt einer zur Ablösung anziehenden Kohorte: aber die Zeltgasse verdeckte sie noch dem Blick. »Was willst du sagen?« stammelte sie. »Ich will sagen,« erwiderte Ausonius fester, strenger, als er je gesprochen—der jetzt geahnte Widerstand erbitterte ihn und er war entschlossen, seinen Willen durchzusetzen—»ich will sagen, daß ich beschlossen habe, meinen früheren Plan auszuführen. Ich nehme dich als meinen Gast—auf unbestimmte Zeit—als mein Töchterchen,« fügte er vorsichtig bei—»mit mir—nach Burdigala.« »Nimmermehr!« rief Bissula, beide Arme in hohem Schrecken erhebend. »Ja, gewiß!«—»Ich will aber nicht! Ich?—fort vom See?—Von—? Von den Meinen—? Nein! Nein! Nein!«—»Ja, ja, ja! Das ist nicht tyrannisch, nicht grausam, wie du jetzt denkst!«—»Wer will mich zwingen?«—»Ich! Wir zwingen auch die Kinder, die wir erziehen, zu ihrem Heil. Du begreifst dein wahres Glück nicht:—ich zwinge dich dazu.«
»Ich bin aber kein Kind. Ich bin ...«—trotzig trat sie gegen ihn. »Gefangen bist du! Vergiß das nicht! Du mußt folgen deinem Herrn, und der—« »Bin ich,« sprach eine tiefe Stimme.
Saturninus trat zwischen beide: er hatte die Kohorte herangeführt: mit festem Griff hielt er Bissula, die, wie von Schwindel umgetrieben, sich drehte und unwillkürlich wieder auf die Wallkrone hatte springen wollen.
»Vergiß das nicht, Ausonius!«
Unwillig über die Störung, verwirrt, beschämt trat dieser zurück. »Was thust du?«—»Ich schütze meine Gefangene.«—»Gegen wen?«—»Gegen jede Bedrohung: gegen Tücke wie gegen Zwang,—auch gegen wohlgemeinten.« Sprachlos blickten beide zu ihm auf: in das Dankgefühl des Mädchens mischte sich aber leise Furcht:—auch vor diesem Beschützer.
Ausonius fand zuerst das Wort wieder. Ärgerlich, eifersüchtig, argwöhnisch rief er: »Und wer schützt sie gegen—dich?«—»Nichts, und niemand—als mein eigner guter Wille!« »O gieb mich frei,« rief Bissula, verzweifelt beide verschlungene Hände zu dem Tribun emporhebend. »Damit du den Barbaren alles erzählst, was du bei uns gehört und gesehen? Nein, Kleine—du bleibst—vielleicht für immer! Nichts da von entspringen! Höre, Landsmann!«—er winkte,—»führe sie in ihr neues Zelt!—Halte dort die Wache, bis ich aufbreche heute Nacht:—dann löst dich der Bataver Rignomer ab. Und höre, sage meinem Schreibsklaven, auch bei Tage soll er sie ...—«, den Rest flüsterte er in des Soldaten Ohr, der das ratlose, bestürzte Mädchen am Arme fortführte. Ohne Wort schieden Ausonius und Saturninus voneinander: letzterer grüßte ehrerbietig: aber der Gereizte sah den Gruß nicht oder wollte ihn nicht sehen.—
Seit gestern schien das Regengewölk, das so lange dicht und schwer die Häupter der Berge verhüllt und sich in grauen Gehängen bis auf die Seefläche gesenkt hatte, lichter und lichter zu werden. Über die Wipfel der Wälder hin zogen sich noch einzelne Schleier: aber vom Säntis herab und vom Tödi fielen die Nebel. Und bevor die Sonne dieses Tages versank hinter den Waldhöhen des Westsee's, brach sie einmal—zum erstenmal seit geraumer Zeit—hindurch, See und Land auf wenige Augenblicke blutrot beleuchtend: die Fische sprangen sofort gierig nach den Mücken, die sich da in dem lang entbehrten Lichte sonnten und matt, mit feuchten Flügeln, ganz nahe dem Wasserspiegel flogen:—dann tauchte die glühende Scheibe wieder in die langgezogene Wolkenwand. Kreischend zog der Reiher aus dem Schilf, landeinwärts.—
Der Wind schien umzuspringen. Bald hierhin, bald dorthin jagten die Wolken über den Himmel. Anders gingen die Wellen des Sees, noch der alten Windrichtung folgend, anders oben die Wolkenzüge.
Vor dem Nordthor des Lagers, der Porta prätoria, aber mehr gegen Westen hin, lagerten an diesem Abend die batavischen Söldner vom Niederrhein. Mißmutig schürte der Centurio, im römischen Dienst lange bewährt, mit Halsketten und auf dem Brustpanzer mit Ehrenzeichen für tapfre Thaten geschmückt, ein Mann von etwa vierzig Jahren, das qualmende Feuer, das man in den naßkalten Wäldern nicht gern ausgehen ließ. »Da!« brummte er, »Fiff! Da erlischt es. Alle beide, Vulkan und Loge, habe ich umsonst angerufen. Vulkan hilft mir nicht, weil ich Barbar,—Loge nicht, weil ich den Römern diene. Wir Söldner haben keine helfenden Götter mehr:—weil wir keines Volkes sind.« »Ha, Rignomer,« lachte der andere, ein junger Mann mit rotsprossendem Flaumbart, »ich halt' es unter allen Göttern nur mit einem:—dem Gott des Sieges!«—»Und gerade der, gerade Wodan hat uns verlassen, Brinno. Überall siegen die Germanen—das heißt: die Völker, die gegen Rom, nicht wir germanischen Söldner, die wir für den Kaiser fechten. Und furchtbar bluten in jeder Schlacht—gerade wir Söldner.«
»Weil sie uns stets auf den bedrohtesten Fleck stellen, diese schlauen Walen,« zürnte nun auch Brinno. »Weil Wodan uns gram ist,« raunte der Centurio. »Wir sollen nicht mehr fechten für Rom gegen die anderen Germanen. Er will es nicht mehr!«
»Was ›Germanen‹! Das ist ein Wort, wie ›Barbaren‹: die Walen haben's aufgebracht, nicht wir.—Was gehn mich diese ›Alamannen‹ an? Ich bin Bataver:—Franke, wenn du's lieber hörst.«—»Ja, das hör' ich lieber.«—»'s ist aber jünger!«—»Jedoch stärker,—weil größer!«—»Was gehen mich, frag' ich noch einmal, diese dickköpfigen Sueben an? Mit ihrem Schweif auf dem Wirbel!—Ich verstehe kaum, was sie lallen!«—»Aber wir sind alle, wir Blauäugigen, Gelbhaarigen, Söhne derer von Asgardh! Wir alle sind von Aufgang her den großen Wassern entgegengerückt! So lehrten's die Väter, so singen's die Harfenleute. Und überall, an Rhenus und Danubius, scharen sich die Gaue, die Völkerschaften zusammen, die sonst sich so grimmig befehdet. Das ist Wodans Werk! Er ruft die Enkel Asgardhs gegen Rom!—Dies ist mein letzter Feldzug unter den Drachenzeichen:—in ein paar Tagen ist meine Dienstzeit um—: dann geh' ich heim und baue meine Scholle an der Yssala, wo die Mutter und die Geschwister mein warten,—baue sie mit dem bessern, dem römischen Pflug.—Und muß ich nochmal kämpfen,—dann kämpf' ich für meine Scholle gegen Rom! Wir haben allzuwenig Raum, wir Franken, da unten im Rheinsumpf!—Wir müssen hinein ins schöne Gallien.«—»Nun, dieser Krieg der Römer wird bald zu Ende sein. Ein unblutiger Sieg.« »Wer weiß!« Hier warf sich der Centurio neben Brinno auf die Erde und raunte in sein Ohr: »Ein Gaugenosse von mir, der schon früher unter Kaiser Valentinian hier an diesem See gegen die Alamannen kämpfte, hat mir erzählt, weshalb er, voll Angst und Grauen, plötzlich den Soldvertrag gekündet hat: in einer Schlacht—die Römer verloren sie—brauste dem Keil der Alamannen auf weißgrauem Roß Einer voran, wider den kein Mann die Hand erhebt, ohne es für immerdar mit Wunsch und Wonne zu verderben.« »Wie?« fragte Brinno, halb ungläubig, halb furchtsam: »Er—er—selber?« Rignomer nickte bedeutungsvoll: »In eines greisen Herzogs Gestalt! So flüstert die Sage. Von der Himmelsburg steigt er hernieder, wann heiße Gefahr die Waldleute am See hier bedroht, warnt sie, verhüllt sie mit seinem dunkeln Wolkenmantel vor den Augen der Feinde, lehrt sie Siegrunen auf unersteigbarem Berge und trägt sie plötzlich heran auf den Adlerflügeln des Sturmwinds. Gegen den kämpfe ich nicht! Nur gegen Menschen hab' ich dem Imperator zu dienen geschworen.—Aber horch:—ein Tubaruf von unseren Vorposten! Wen bringen da unsere Reiter?«—»Eine Botschaft der Alamannen, scheint es!«—»Ja, einen Führer—und zwei Gefolgen. Welch' ein Jüngling!—Halt, junger Held: wenn du ins Lager willst zu dem Feldherrn,—nur je einer darf hineinreiten—muß ich dir vorher die Augen verhüllen. Steig' ab! Du willst nicht? Ja, dann kehr' nur wieder um.«
Das war ein harter Schlag gegen Adalos Hoffnungen! Er hätte so gern gesehen, scharf gesehen im Römerlager:—Gräben, Wälle, Thore und—zwei Menschen innerhalb jenes trotzig-dräuenden Pfahlwerks. Mißmutig stieg er ab. Eine dicke Wolldecke ward ihm, wie ein weiter Sack, in lockeren Falten über das Haupt geschlagen und unter dem Kinn zusammengebunden: Rignomer faßte seine Hand und führte ihn bis an das Thor, wo ein Centurio der Thraker den Sendboten der Barbaren in Empfang nahm.
Auch Adalos beide Begleiter stiegen ab, banden die drei Rosse an die nächsten Tannen und lagen bald plaudernd mit den Batavern—das schlechte Latein der Grenzgebiete mußte freilich gar oft den ganz verschiedenen Mundarten das Verständnis vermitteln—um das Wachtfeuer, das nun, mit Anstrengung, frisch entzündet worden: denn es dunkelte stark.
Alsbald erscholl von dem Waldweg her, auf welchem die Gesandtschaft gekommen, ein seltsam Gebrumm, das naher und näher kam. Alle, auch die beiden Alamannen, sprangen überrascht auf. »Ein Bär?«—»So nah dem Feuer?«—»Durch unsere Vorposten geschlichen?« Und sie griffen nach den gekreuzt zusammengelegten Speeren.
Doch da bog um die Wendung des schmalen Waldsteiges ein Bataver mit hellem Lachen: er deutete hinter sich. »Seht, Waffenbrüder! Ein sarmatischer Gaukler! Mit einer zahmen Bärin! Sie tanzt nach seiner Schwegelpfeife! Das ist drollig,« Da entfuhr dem einen Alamannen ein Ruf des Staunens: er sperrte Augen und Mund auf: »Das ist ja—« Doch der andre stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen: »Eine Bärin! Ja! Hast du noch nie eine gesehn?«
Und nun kam in den Schein des Feuers ein Mann in sarmatischer Tracht,—zusammengenähte, schwarze Schafsfelle, die Wolle nach innen gewendet:—er führte an ledernem Halsband eine große Bärin.
Hinter ihm schleppte sich, gleichfalls in ein Ziegenfell gehüllt, sein Knecht, der in einem Ranzen wohl den Reisevorrat trug: es war ein armer Krüppel, ein Knabe; halb lahm, kam er mit Hilfe einer Krücke nur langsam vorwärts: er konnte wohl nur schwer gehen und stehen: denn da der dritte Bataver ihm einen Stoß mit dem Schaft des Speeres gab, ihn mahnend, näher an das Feuer zu treten, fiel der Arme mit einem dumpfen Schrei ins Gras.
Der Söldner rief ihm, unter römischen und germanischen Scheltwörtern, die Frage zu, was seine Kunst sei? Er rührte sich nicht.—
»Da kannst du lange fragen,« lachte sein Herr, »der Junge ist stumm. Und fieberkrank. Er fürchtet die Menschen. Laßt ihn liegen!« Der Knabe kroch unter das dichteste Gebüsch, weit ab vom Feuer: man konnte von der Wachtstätte aus ihn kaum wahrnehmen; man sah nur, daß sein krauses Lockenhaar ganz kohlschwarz war; er zog ein kleines irdenes Töpfchen hervor, träufte daraus Tropfen auf seinen kranken Fuß und rieb ihn emsig mit der Hand.
Lange, sehr lange schien es der Ungeduld Adalos zu währen, wie er—sein Unmut glaubte, mit absichtlicher Verzögerung—in dem weitläufig angelegten Lager Hügel auf Hügel ab umhergeführt wurde, bis endlich sein Führer ihn anhielt und man ihm die Hülle vom Haupte nahm. Er befand sich in dem Zelt des Präfekten. Dieser selbst—zornig erkannte er sogleich den Freund Bissulas—und eine Anzahl anderer Heerführer saßen und standen vor ihm. Man hatte Zeit genug gehabt, sie zu versammeln, während der Barbar kreuz und quer durch die Zeltgassen in verwirrendem Zickzack geleitet worden war.
Stumm begrüßte er Ausonius—es entging ihm nicht, daß die Augen der Feinde bewundernd auf ihm ruhten,—der ihm winkte, sich auf einem Feldsessel niederzulassen. Aber trotzig blieb der Jüngling stehn.
Umsonst bemühte er sich, in dem reich geschmückten Raum umherblickend, eine Spur—nicht von der Kleinen selbst—das wagte er nicht zu hoffen!—aber von irgend einem ihr gehörigen Gewand oder Gerät zu entdecken: hier waren nur Waffen und Papyrosrollen zu sehen.
Ausonius hob an: »Du verstehst, Alamanne, die Sprache Roms, da du allein, ohne Dolmetsch, gekommen?« Adalo nickte. »Sei willkommen! Wir erwarteten solche Sendung. Du erbittest den Frieden?« Zornig warf der junge Held das schöne Haupt zurück, daß ihm die langen Locken auf die Schultern rieselten: er erwiderte funkelnden Auges: »Freien Abzug biet' ich euch an.« »Ha, frecher Barbar!« schrie Herculanus. Aber Saturninus winkte ihm unwillig, zu schweigen, und fragte dann sehr ruhig: »Sind wir eingeschlossen?«—»Noch nicht! Aber nur deshalb nicht, weil wir noch nicht wollten.«
Saturninus warf dem Präfekten einen vielsagenden Blick zu. »Prahlerei!« meinte dieser in griechischer Sprache. »Und warum,« höhnte Herculanus, »habt ihr uns noch nicht vernichtet?«
»Der Ausgang, Römer, liegt in der Götter Hand.—Angegriffen haben wir deshalb nicht, weil wir, die wir den Kampf nicht scheuen, vielmehr—ihr wißt es genau!—ihn lieben, weil wir diesmal den Frieden wollen,—oder doch unsere weisen Führer wollen ihn, die weiter denken, als meine Jugendgenossen. Der große Völkerbund der Alamannen will nicht nur diesem Streifzug, er will dem ganzen, viele Menschenalter hindurch brennenden oder doch glimmenden Krieg mit euch durch Vertrag ein Ende schaffen für immerdar: nicht Waffenruhe, Frieden wollen wir mit Rom.«
Aufmerksam forschte Saturninus: »Ist das dein Gedanke, Jüngling?«
»Ich sagte schon: es ist die Wahl unserer Weisen, zu denen ich wahrlich nicht zähle. Aber auch ich erkenne, daß der Verkehr mit euch über den Grenzwall hin, wann die Speere in der Halle lehnen, unserem Volk allerlei Vorteile bringt: wir haben euch schon manches abgesehen,—noch mehr müssen wir von euch lernen.« »Weshalb aber,« fiel Ausonius ein, »wenn ihr dies einseht, brecht ihr seit Jahrhunderten immer wieder jeden Vertrag, jeden Waffenstillstand? Ihr rühmt euch gern der Treue als einer Tugend eures Volkes, ihr Germanen, und wir müssen auch den treuen Dienst eurer Söldner unter unseren Fahnen loben. Weshalb aber brecht ihr hier, an den Grenzen—und zwar all' ihr vielnamigen Völker, Alamannen wie Franken, Goten wie Quaden und Markomannen, ganz gleich in solcher Untreue,—weshalb zerreißt ihr Jahr um Jahr immer wieder Frieden und Vertrag? Unsere Kohorten, genötigt unaufhörlich in euren Waldsümpfen hin und her zu waten, schelten euch mit grimmem Haß das falscheste der Völker! Warum brecht ihr immer wieder über unsre Grenzen, einem Waldstrom gleich?«
»Einem Waldstrom gleich!—Du hast, wohl ohne es zu wissen, das rechte Wort gesagt. Ich schweige davon, daß gar oft nicht wir die Verträge brechen, sondern, vielleicht gegen des Kaisers Willen, eure Heerführer, eure Grenzbeamten: Zwingburgen bauen sie, wider die Verträge, auf unserer freien Erde, und die Lieferungen, die ihr uns nach den Verträgen schuldet, unterschlagen sie: an Getreide zumal.«
»Warum,« fragte Saturninus, sich vom Sitze erhebend, ernst, aufmerksam, »baut ihr nicht selbst das Getreide, das ihr braucht?«
»Wir können nicht! Das Land genügt nicht unserer schwellenden Volkszahl. Die Götter mehren uns wunderbar: sie müssen wollen, daß wir wachsen, daß wir überquellen. Wohl ziehen Hunderte, ja Tausende aus der heranwachsenden Jugend jedes Jahr davon, euch zu dienen als Söldner, als Grenzer. Wohl senden wir oft ein ganzes Drittel der Jünglinge, durch das Los gekoren, sich neue Heimat zu suchen, wohin der Vogelflug ihnen winkt nach dem Willen der Götter:—all' das,—es reicht nicht!«
»So wäre es,« forschte Saturninus, mehr mit sich selbst, als mit dem Abgesandten sprechend, »nicht Mutwille?«—
»Mutwille, wähnt ihr, hätte seit unsrer ältesten Ahnen Gedenken—treu und traurig und stolz haben's die Sagen bewahrt—immer wieder und wieder unsere fast nackten Helden in die Speere getrieben eurer erstarrenden Legionen? Ja, wären's nur wir Jünglinge! Wir lieben's allezeit mehr, mit Blut—der Feinde oder dem eignen—was wir brauchen, zu gewinnen, als mit der Pflugarbeit. Aber glaubt ihr, daß aus Mutwillen unsere Graubärte, daß ganze Völker mit ihren Weibern und Kindern, mit Knechten und Mägden, mit ihren Herden und Wagen immer wieder über eure Grenzen nach Mittag und nach Niedergang dringen, nicht eine Kriegerschar auf frohem Beutezug, nein, ganze Völker auf müheschwerer Wanderung, vorwärts drängend, weil von andern gedrängt, schiebend, weil geschoben, aus Mitternacht und Aufgang von andern Germanen und von Sarmaten, aber die alte Heimat nicht räumend, sondern durch die Zurückgebliebenen behauptend, bis auch diese weichen müssen? Mutwille, glaubt ihr, hat diese Hunderttausende so oft an und über eure Grenzen gelockt—meist ins sichere Verderben? O nein! Uns treibt nicht Übermut—uns treibt die mächtigste der Göttinnen—: die Not! Ungern nennt ein Mann ihren Namen: denn die Frau mit dem ehernen Gürtel, die einzige Unerbittliche der Gottheiten,—sie ist die Mutter der drei Schicksalsschwestern, die auch ihr verehrt, und oft würgt sie mit ihrem Gürtelband den Menschen, der leichtsinnig sie herbeibeschwört. Hütet euch, Römer!—Vor unserem Antlitz stehet nur ihr, freilich ein waffengewaltiges Reich:—aber hinter uns dräuet und treibt die furchtbare Mutter der Nornen! Wir haben keine Wahl. Zu eng ward das Land:—wir müssen überquellen, was immer werden mag aus den das alte Bett mit Brausen verlassenden Fluten.—Und deshalb wahrlich mit Fug, klugredender Römer, sprachst du vom Waldstrom. Glaubt es mir: unablässig werden wir brechen über eure Grenzen, seien sie noch so furchtbar mit Männern und Mauern geschirmt, bis entweder wir alle, wir ungezählten Völker der Germanen, untergegangen sind, oder bis wir Land genug gewonnen, darauf zu leben. Erst dann wird Friede sein.«
Großen Eindruck machten die offenbar aus tiefer Überzeugung geschöpften und mit warmer Empfindung vorgetragenen Worte. Herculanus zuckte verächtlich die Achseln. Saturninus schaute, ernst, schweigend in das Leere:—in die Zukunft.—Erst nach geraumer Zeit fand Ausonius ein Wort: »So hab' ich's nie gesehn—Ist das deine Weisheit?«—»Nochmal sag' ich's: die unserer Weisen: Herzog Hariowald hat mich's gelehrt. Aber die Not unseres Volkes schreit so laut,—auch ein Unerfahrner muß vernehmen ihren Ruf: ›Land oder Untergang‹! Deshalb frag' ich euch im Namen unseres ganzen Völkerbundes—wir Alamannen weichen an Heldentum keinem Volk auf Erden!—wollt ihr uns, unsere Speere für euch gewinnen, auf immerdar, gegen all' eure Feinde,—zumal gegen die falschen Franken, unsre wie eure bösen Nachbarn—wollt ihr das?«
Aufmerksam lauschten die Römer:—keiner unterbrach ihn. »Wohlan, es giebt ein Mittel:—aber nur eines!« Er hielt inne. »Sprich,« mahnte Saturninus eifrig. »Räumt alles Land, das ihr noch innehabt, aber nur schwer ringend noch behauptet, räumt alles Land im Norden zwischen diesem See und dem rechten Ufer des Rhenus, bis dahin, wo der Moenus mündet unter eurer Zwingburg Mogontiacum, und alles Land im Süden dieses Sees bis an den Kamm der Eisalpen!« »Unverschämter!« rief Herculanus.
Auch die übrigen Heerführer sparten nicht Worte des Zorns. »Nicht übel!« lächelte Ausonius.
Nur Saturninus schwieg: er dachte, wie der große Kriegsheld Aurelianus in ganz ähnlicher Weise, wie hier verlangt ward, die stolze Eroberung Trajans, Dakien, geräumt und dadurch auf lange Zeit die Goten an der Donau zu Ruhe gebracht hatte.
Aber Adalo fuhr fort. »Thut es, thut es halb freiwillig, thut es gegen wertvollsten Entgelt,—denn ich sag' euch, ihr müßt in Bälde doch. Dann aber gezwungen und ohne Gegendienst. Thut es in Güte! Denn durch unser Volk geht eine stolze Weissagung: der Alamanne tummelt einst seine Rosse vom Alpenschnee bis an den Wasgenwald.«
Da stand Ausonius unwillig auf. »Kein Wort mehr! Als einzige Antwort bringe den Deinen den alten Römerruf: ›Weh den Barbaren!‹«
»Weh den Barbaren!« wiederholten laut rufend die Heerführer. Aber Saturninus schwieg.—
»Bevor ich scheide,« sprach der Jüngling—mühsam suchte er die heiße Erregung, die bange Sorge zu verbergen, die ihn jetzt durchzitterte:—»hört noch einen Auftrag.—Ihr—habt gefangen—eine Tochter unseres Volks.«
Höchst aufmerksam richteten sich auf ihn sechs Augen. »Ich bin beauftragt,—sie—loszukaufen.« Trotz aller Anstrengung, ruhig, kalt zu scheinen, bebte ihm die Stimme. »Bist du Bissulas Verwandter?—Sie hat keinen Bruder!«—meinte Ausonius argwöhnisch. »Oder ihr Geliebter?« forschte Herculanus. Gluten flammten auf in des Jünglings Antlitz, zornig furchte er die Brauen: »Nicht ihr versippt, nicht verlobt. Beauftragt—ich sagte es schon—bin ich, sie loszukaufen. Nennt den Preis,«
Ausonius wollte abweisend erwidern. Aber Saturninus kam ihm rasch zuvor: »Du zahlst jeden?«—»Jeden.«—»Ist sie eine Königstochter oder eine Edle, daß die Ihrigen so hohen Wert auf ihre Freiheit legen?«
»Sie ist eine freie Jungfrau unseres Volks und hat so viel Recht wie eine Königin auf unseren Schutz.« »Nun, euer Schutz,« lachte Herculanus, »hat ihr nicht eben viel geholfen.«
»Ich will sie aufwiegen—in Silber, muß es sein in Gold:—ihr ganz Gewicht—« »Pah,« schmunzelte Ausonius, »will nicht viel sagen! Sie wiegt nicht schwer, die Kleine. Gieb dir keine Mühe:—ich gebe sie nicht frei!« »Vergieb, Präfekt,« sprach da Saturninus ruhig,—er verwandte aber kein Auge von Adalo:—»ich erinnere dich noch einmal,—die Barbarin ist nicht deine,—sie ist meine Sklavin.« »Was? O Götter!« schrie Adalo, außer sich vor Schrecken und Schmerz. Lebhaft machte er zwei Schritte gegen den Römer.
»Ist es möglich—ist es wahr? Sage nein, Ausonius?« Fast flehend klang nun die Stimme des sonst so Trotzigen. »Leider ist es so,« antwortete verdrießlich der Gefragte.
Saturninus aber—er wußte nun, was er wissen wollte—bemerkte ruhig: »Die Gefangene ist mein Eigentum. Und um Gold ist sie mir nicht feil. Aber ich gebe sie frei, wenn du ...—« hier erhob er sich, trat auf Adalo zu und flüsterte in sein Ohr. Zornig fuhr der Alamanne auf: »Wo wir verschanzt stehen und wie stark wir sind? Komm in die Wälder, Römer: dort wirst du's erfahren!«
Kalt trat Saturninus zurück. »Wie du willst. Nie mehr sieht die Rotlockige die Ihrigen.« »Und bedenke, Barbar,« zischte Herculanus, nun auch aufstehend, »man bedarf nicht der Folterschrauben, um eine—Jungfrau sehr, recht sehr zu peinigen.«
Mit einem Aufschrei fuhr der Jüngling an den Griff des Kurzschwerts an seiner Seite. Aber er faßte sich. Nur einen Blick warf er auf Herculanus, den dieser nicht ertrug: blinzelnd sah er zur Seite.
Adalo jedoch, von tiefem, bitterem Weh gequält, sah fragend, forschend nach Sinnesweise und Eigenart, erst in des Saturninus männlich schönes, strenges Antlitz:—dann musterte sein Blick des Ausonius gutmütige, aber des Ausdrucks der Willenskraft völlig entbehrende Züge. Er seufzte tief. Allein er fühlte, wie aller Augen scharf auf ihn gerichtet waren: er nahm nun die ganze Kraft zusammen und sagte ruhig: »Geschieht ihr Leid, wird ihr Volk sie furchtbar rächen.« Der stark verhaltene, aber abgrundtiefe Grimm in diesen kargen Worten verfehlte nicht des Eindrucks. Er wandte sich, ohne Scheidegruß, zu gehen.
Schon stand er unter den Vorhängen des Eingangs: da rief Saturninus: »Und wie heißt der Gesandte des Alamannenvolks?«
Der Jüngling wandte sich rasch und, alle Anwesenden in einem Blick zusammenfassend, rief er: »Adalo, Adalgers Sohn. Ihr sollt den Namen merken.« Damit schritt er vor das Zelt.
»Oheim,« rief da Herculanus, »war das nicht jener Name? Ja, ja, er ist es: der ›Mars der Alamannen‹! Laß ihn ergreifen—und der Krieg ist aus!«
Bevor Ausonius antworten konnte, sprach Saturninus, aus dem Zelte eilend: »Hüte dich, Ausonius! Diesem Neffen scheint nichts heilig zu sein im Himmel und auf Erden.—Aber die Augen muß man ihm rasch wieder verbinden, jenem Barbaren: er blickt wie ein Adler.« Und er eilte aus dem Zelt, dem Gesandten nach.
Ausonius aber sagte, verstimmt durch gar manches, äußerst verdrießlich, in einem Ton, wie er bei dem Gutmütigen fast unerhört war: »Du mißfällst mir schon lange, Neffe Herculanus. Bin sehr unzufrieden mit dir.—Sehr!—Recht sehr!«—
Und mit hastigem Schritt ging er an dem Betroffenen vorbei, dessen beschwichtigend vorgestreckte beide Arme unwirsch zur Seite schiebend.—Einen Unheil verkündenden Blick warf ihm der Neffe nach.
Einstweilen hatten die Bataver, die beiden Begleiter Adalos und der Bärenführer sich friedlich plaudernd um das Feuer gelagert.
Es fehlte—im allgemeinen—so völlig an dem Gefühl der Zusammengehörigkeit der verschiedenen germanischen Stämme, daß es den Alamannen gar nicht einfiel, den Batavern darüber laute Vorwürfe zu machen oder auch nur im Stillen zu grollen deshalb, weil diese unter römischen Fahnen andere Germanen bekämpften: fochten doch gelegentlich auch alamannische Söldner wie gegen andere so gegen germanische Feinde Roms. So kreiste die römische Bronzeschale, gefüllt mit dunkelrotem Räterwein, auch unter den beiden Alamannen; und recht gern tranken die Bataver von dem Meth, den die Gefolgen Adalos in länglichen Holzgefäßen, über den Rücken geschnürt, mitgeführt hatten.
Denn groß und häufig wiederkehrend war schon damals der alamannische Durst: ungern hätten die Wackern—Bewirtung im Feindeslager war doch nicht vorauszusetzen—für die vielen Stunden des Hinwegs, des Wartens und des Rückwegs jeglichen Trunkes gedarbt. Der Sarmate trank, in schöner Unparteilichkeit, abwechselnd bald Wein, bald Meth. Auch er hatte sich, auf einen Wink Rignomers, an das Feuer gesetzt.
Die Bärin lag, lang ausgestreckt, neben ihm, während er anhob, scharf geschliffene Messer abwechselnd in die Luft zu werfen und behend aufzufangen, zum Staunen der Bataver, die ihm dafür kleine Kupfermünzen zuschoben.—Sein lahmer Begleiter lag im Busch und schlief bald so fest, daß er schnarchte.
»Ah,« rief Rignomer, sich den Flachsbart mit dem nackten Arm wischend und dem Alamannen das »Lägel« zurückgebend, »Fro lohne dir den Trank! So hat mir kein Naß mehr gemundet, seit ich der Yssala und meiner Mutter Erdkeller den Rücken gewendet. Die braut ihn noch stärker.« »Wein schmeckt doch besser,« meinte sein Landsmann. »Besser im Munde, Brinno: aber Meth und Ael schmecken besser im Herzen: 's ist Heimat-Trank! Und das beste am Trunk ist doch nicht der nasse Schwall, der durch die Gurgel rinnt, sondern das Andenken an manche frohe Stunde früheren Trunkes, das darüber schwebt wie ein Reiher mit rauschendem Flügelschlag.—Nun, Alamanne, wann geht es an das Hauen? Und werdet ihr zu uns kommen oder müssen wir euch aufsuchen?« »Wie der Herzog will,« antwortete der Gefragte, die Schale leerend, »und der waltende Wodan.« Da zuckte es über des Batavers Gesicht. »Nenne mir den nicht! Ihn scheue ich! Euch Haarschopftrager fürchte ich nicht! Schon manchen von den Euern habe ich mit der Linken an seinem Suebenschweif gepackt von hinten und ihm von vorn mit der Rechten das kurze Römerschwert in die Kehle gestoßen. Aber den Manteltragenden scheu' ich! Gram ist er uns Soldkämpfern! Mir ist, er schwebt in den Lüften gegen uns, wo immer wir fechten.—Da, Gaukler, trinke noch einmal. Und dann zeige—deine Künste haben wir nun gesehn—, was dein Bär gelernt hat. Soll dein Knecht da im Gebüsch, der Lahme, nicht auch was haben? Aber wo ist er denn geblieben?«
»He, Zizais, Hund von einem Krüppel, bist du so taub wie stumm, wo steckst du? Seht, da liegt er an der Quelle dort,—näher an dem Graben: er hat das Fieber, er suchte das Wasser.—Nun rühre dich, braune Tanzmaid!« Und er raunte dem Tier in das Ohr, worauf es sich brummend auf die Hinterbeine hob: der Gaukler steckte ihm durch die Vorderpranken seinen langen Stock und nun drehte sich die ungefüge Gestalt langsam im Kreise, nach dem Takt einer eintönigen, traurigen Weise, die er ihr zuerst auf der Schwegelpfeife vorspielte, dann aber vorsang, den Takt dazu auf einem bronzenen Becher mit der Messerklinge schlagend. Laut lachten die Männer über die ungeschlachte Tänzerin. »Ha,« fragte Rignomer, »wie heißt die zierliche Jungfrau?«—»Bruna. Sie kann auch weissagen. Gieb acht! Frage sie, was du willst.« Dabei legte er, während er ihr den Stock aus den Pranken nahm, die Hand auf der Bärin Haupt. Das Tier sank nun auf die Vorderfüße nieder und blinzelte verständig zu seinem Herrn auf, der ihm Brot in den Rachen schob.
»Nun, du weise Wala,« lachte Rignomer, »werden die Römer siegen in der nächsten Schlacht?«
Der Sarmate fuhr leise dem Tier, gegen den Strich der Haare, wider die Stirn: unwillig brummend schüttelte die Bärin den Kopf.—
Der Bataver erschrak: sein Lachen verstummte. »Sie ist Donars Freundin,« sprach er betroffen. »Der redet aus ihr.—Ich hab's wohl gedacht.« Er sprach, als sei die Schlacht schon geschlagen und verloren.
»Nun,« tröstete der Gaukler, »ich will einmal für dich fragen. Bruna, kluger Waldgeist, schau' dir einmal diesen Helden genau an:—kommt er aus diesem Kriege heil zurück zu seiner Mutter, die den guten Meth braut?« Dabei strich er leise dem Tier von der Stirn ab nach der Schnauze: Bruna nickte bejahend.
»Danke dir, Donar,« rief Rignomer heiter. »Was schert mich der Römer Sieg! Ich ziehe bald nach Hause!—Höre, Mann, die kluge Wahrsagerin gefällt mir. Ist sie dir feil?« Der Sarmate machte ein bedenklich Gesicht. Die Frage kam ihm offenbar sehr unerwartet.
»Nicht gern—nicht billig,«—sprach er zögernd: er wollte Zeit gewinnen, nachzudenken.—»Leb' ich doch von ihren Künsten,—mehr als von den meinen.« »Du hast recht, Rignomer,« fiel Brinno ein. »Es ist oft so langweilig im Lager, wenn wir nicht Dienst haben. Das brächte Kurzweil.«—»Und ich möchte sie wohl erschrecken, die Walen, die stolzen Legionäre, die auf uns Hilfstruppen spöttisch herabsehen, aber im Kampf uns stets auf den blutigsten Posten schicken.« »Das Tier ist wohl aus diesen Wäldern?« fragte Brinno. Der Gaukler nickte. »Ei,« lachte Rignomer, »dann müssen wir sie haben. Wir bringen sie Bissula, der Kleinen: die braune Alamannin zu der roten.« »Wer ist Bissula?« fragte der Gaukler gedehnt. »Das liebreizendste Mädchen, das ich je gesehen,« rief Brinno rasch. »Ja! Alle sind ihr gut, die sie schauen,« fuhr Rignomer fort. »Absonderlich wir Germanen!«—»Ei, auch die Römer, mein' ich! Wenigstens die meisten! Aber sie sitzt oft so traurig und schaut, wie sehnend, in die Wälder. Die Landsgenossin soll ihr Kurzweil schaffen. Ich kaufe dir das Tier ab.«
»Nein, nein! Nicht gern! Trenne mich nicht gern von ihr. Aber«—und hier leuchtete des Mannes Auge—»weißt du was? Nimm mich mit, samt dem Tier« und mit meinem Knecht, wollte er sagen—: da er aber denselben nicht mehr an der Quelle liegen sah und auch nicht an dem früheren Platz, unterdrückte er den Zusatz) »in das Lager auf ein paar Tage—bis ihr des Spielzeugs müde seid.«—Aber beide Söldner schüttelten die Köpfe. »Geht nicht! Euch Gaukler und Tierbändiger halten sie für Kundschafter von Gewerbe!«—»Den Rebstock ließe der Tribun uns fühlen, ließen wir dich nur das Lagerthor überschreiten.«
»Nun,« schlug der Bärenführer vor,—»ich verkaufe nicht—aber ich überlasse dir das Tier auf wenige Tage,—bald komme ich wieder, es abzuholen.« »Umsonst? Das ist verdächtig!« meinte Brinno. »Nicht umsonst!« fiel jener hastig ein. »Bei Leibe nicht! Ich muß ja davon leben! Du wirst mir dann schon etwas zahlen müssen!«—»Gut! Aber höre; die Bestie ist doch ganz zahm?«—»Völlig! Wird sie etwas ungebärdig, hast du nur das breite Halsband hier—siehst du?—fester zu schnallen.«—»Ich sehe!« »Versäume nicht,« mahnte der Sarmate, »dies von dem Halsband allen zu sagen, die mit dem Tier zu thun haben.« »Zumal der Kleinen,« warnte Brinno. »Wie schade, würde der ein Haar gekrümmt »Wenn ihr nur die Menschen nichts zuleide thun!« meinte Rignomer—»hier diese kluge Landsmännin wird sie nicht beißen.«
Da tönten Schritte vom Lager her. Adalo ward zurückgeleitet. »Zizais, wo steckst du? Wir müssen fort!« rief der Sarmate und wandte sich eilfertig in die Büsche, den jungen Knecht zu suchen, der langsam aus dem Dickicht heranhinkte. Dem Gesandten ward nun die Wolldecke vom Haupte genommen: finstern Blickes schwang er sich aufs Pferd, seine beiden Begleiter desgleichen und bald waren sie in der Waldnacht verschwunden.
Da dröhnte von dem Thore her Waffenklirren: die thrakischen Speerträger kamen, die Bataver abzulösen. Gleichzeitig traten der Bärenführer und der Krüppel aus dem Dickicht zur Linken; jener übergab das Tier Rignomer, der es an dem Halsriemen mit fortzerren wollte gegen das Lager. Aber die Bärin sträubte sich: leise brummend stemmte sie sich auf die Hinterfüße und sah mit den klugen, verständigen Augen flehend zu ihrem Herrn auf.
»Komm, komm, Bruna,« mahnte dieser,—»es geht zu guten Leuten,«—(und er bückte sich und flüsterte in ihr Ohr—) »willst noch nicht? Hast nicht verstanden?« Verlegen kratzte er sich hinter dem Ohr.
Da hinkte der Krüppel heran, zog aus seinem Ranzen von Maulwurfsfellen ein schmales, langes, blaues Tuch—wie ein Gürtel sah es aus—und reichte es seinem Herrn.
Dieser lachte hellauf und gab es dem Bataver.
»Ja, ja. Das wird helfen! Halt es dem Tiere vor!—Nein!—Nicht vor die Augen:—vor die Nase—: so!—Siehst du, wie es schnüffelt?—Es wittert!—Du staunst? Ja, das Tuch gehörte ... es hat einen Zauber!—Gehe nur langsam vorwärts. Siehst du, es folgt wie ein Lämmlein.—Nun, grüße mir das Römerlager, Bruna:—bald hol' ich dich daraus ab!«
In der nun folgenden Nacht hatte Saturninus wieder einen kleinen Streifzug nach Norden, und, so weit man sich ohne verlässige Führer in die Sümpfe wagen durfte, nach Osten, unternommen. Aber ohne Erfolg mußte er gegen Mittag in das Lager zurückkehren.
»Im Nordwesten stecken sie offenbar,« hatte er unmutig im Nachhausereiten zu Decius, seinem besten Unterfeldherrn, gesagt. »Aber gerade dorthin will sich gar keiner der Wegweiser wagen. Und mit Gewalt in jene Waldberge dringen, das können wir erst, wann Nannienus eingetroffen. Hätten wir doch seine Scharen auf dem Landweg mitgenommen! Es hat, so scheint es mir fast, gar keinen Wert, Schiffe zu bauen und den See zu sperren!« »Ja,« bestätigte Decius. »Die Barbaren müssen all' ihre Kähne verbrannt oder mit sich ins Land getragen haben: man sieht nicht einen!«
Gleich nach des Feldherrn Rückkehr meldete sich in dessen Zelt ein Bataver zu einem Gespräch ohne Zeugen. »Was willst du, tapferer Rignomer?«—»Mich zur Strafe melden. Ich habe zu viel Wein getrunken.«—»Wann?«—»Gestern Nacht.«—»Wie? Auf der Lagerwache!«—»Nein, nach der Ablösung.«—»Der Händler wird gegeißelt! Wer hat ihn dir verkauft?«—»Niemand, Das war's ja eben! Gekauften hätt' ich nicht so viel getrunken. Aber geschenkten! Geschenkten Massiker! Wer kann dem widerstehen!«
»Kein Germane, scheint es. Und du meldest dich zur Strafe? Freiwillig? Sehr unwahrscheinlich! Du bist wohl schon entdeckt und willst zuvorkommen?«—»Nein: niemand hat mich entdeckt. Als ich abgelöst ward, war ich schon wieder hechtnüchtern:—vor Schreck!«—»Warum also?«—»Herr,«—er sprach es zögernd,—»es ist wegen der Idise,«—»Wer ist das?«—»Nun, die rotgelockte Wald-Nympha!« »Was ist mit ihr?« forschte, jetzt aufmerksam, eifrig der Illyrier. »Herr, ich will ihr sehr wohl!—Wie—wie wir alle.«—»Wie wir alle? »Ja, ja,« lächelte der Germane, auch du—Feldherr!—Ich hab' es schon gemerkt!—Nun, ich melde mich zur Strafe und berichte den ganzen Vorfall, weil—weil es sich, fürcht' ich, um der Kleinen Leben handelte.«
Erschrocken befahl Saturninus: »Erzähle! Der Reihe nach! Wer schenkte dir den Wein?«—»Davus, des Präfekten Sklave.«—»Ah!—und was geschah dann?«—»Dann geschah, daß ich zuviel trank. Und daß ich, als ich die Wache vor der Kleinen Zelt bezog, bald auf dem weichen Rasen einschlief. Mich weckte furchtbar Gebrüll. Die Bärin eines Gauklers, eines Sarmaten, die ich gestern Abend mit ins Lager und zu der Kleinen gebracht habe, die thut nämlich ganz, als ob sie ein Mensch, nämlich ein männlicher Mensch, kurz, als ob sie ein Mannsbild wäre: sie läuft der roten Elbin überall nach.«
»Verdächtig!—Erkannte die Kleine das Tier? Rief sie's etwa bei Namen.«—»Nein. Aber sie freute sich stark, wie sie die Bärin sah:—sie wurde rot und bleich:—so stark, daß ich fragte, wie du so eben:—›Bissula, kennt ihr euch untereinander? Wie kommt's, daß die Bestie sich nur mit dir unterhalten will?—Horch,—Wie sie dich freundlich anbrummt: warum nicht uns?‹ ›Ha wohl,‹ lachte die Kleine: ›sie wird aus unserem Lande sein und sie weiß, daß nur ich ihr Alamannisch verstehe!—Du glaubst das nicht? Ei, so frag' doch die!‹ lachte sie und schüttelte die krausen Locken, ›vielleicht verrät die dir's.‹ Kurz, das Untier wich nicht mehr von ihrer Seite und war ihr auch beim Schlafengehen in das Zelt gefolgt.—Also, ich erwachte von der Bärin Gebrüll, fuhr auf, und sah im Schein des Lagerfeuers gerade noch einen Mann in voller Flucht um die nächste Zeltgassenecke verschwinden. Ich sprang in das Zelt: das Mädchen hatte nichts gesehen:—es hatte bereits geschlafen und beruhigte mit Mühe das wütige Tier, das, in der rechten Vorderpranke aus einem Dolchstich blutend, im Rachen zornig ein Stück braunes Tuch zerbiß: endlich schmeichelte es ihr die Kleine, ihre Wunde waschend, ab. Hier ist es!« Er reichte es dem Feldherrn. Aufmerksam musterte es dieser. »Das ist ja—aber halt! Sprich du erst, Rignomer: für was hältst du das?«—»Es ist ein Fetzen von einem Mantelsaum.«
»Was für ein Mantel?«—»Ein römischer: ein Sagum,«—»Wer trägt braune Mäntel,—wer allein?«—»Die thrakischen Speerträger und die Panzerreiter.«—»Richtig.—Schweige von allem,—zu jedermann—und geh,«—»Und meine Strafe?«
»Erlassen. Trink aber von geschenktem Wein fortab erst recht vorsichtig.«—»Das werd' ich, mein Feldherr.«
—»Bei der Musterung, die ich jetzt ansage, thust du—vorsichtig und klug—wie ich dir befehlen werde.—Und höre: noch eins! Du hast was gut zu machen an der Kleinen: siehst du's ein?«—»Leider.«—»Willst du?«—»Mit Freuden,«—»So gieb acht! Sie hat sich bei mir beklagt, daß ich sie auch bei Tag auf Schritt und Tritt bewachen lasse. Thrax, mein dicker Schreibsklave, dem ich's zuletzt geheim übertrug, hat sich wohl recht ungeschickt benommen:—sie hat's längst gemerkt! Ich versprach ihr, sie von ihm zu befreien. Aber unbewacht darf sie nicht bleiben.«—»Gewiß nicht.«—»Nach diesem Überfall weniger, denn je. Du, Rignomer,—ich enthebe dich einstweilen von jedem andern Dienst—du folgst fortab der Kleinen:—aber unbemerkt.«—»Dank, Feldherr. Ich will sühnen, was ich gefehlt. Sie soll weder entweichen, noch zu Schaden kommen. Und merken soll sie's garnicht, daß sie bewacht und gehütet wird.«——
Gleich darauf schmetterten die Tubaträger durch die Gassen des Lagers die Zeichen zu einer allgemeinen Musterung der Truppen, in Marschausrüstung, mit den Mänteln. Das Fußvolk sollte auf dem geräumigen Platz zu beiden Seiten des »Prätoriums« auf dem »Forum« und dem »Quästorium«, dann in den beiden das Lager quer von Ost nach West durchziehenden Querstraßen: der Via principalis und der Via quintana, Aufstellung nehmen, die Reiter aber unmittelbar vor ihren Zeltreihen, nahe dem Seethor, der Porta decumana, im Süden.
Der Tribun stieg zu Pferd und ritt die Fronten ab. Als er mit den Batavern zu Ende war, gebot er einem Zug derselben, ihm zu folgen und sich hinter den Reitern aufzustellen. Rignomer gab er dabei einen Wink.
Der Tribun ritt zuerst die Front der Schuppenreiter im Schritt ab: dann ließ er sie schwenken und vor sich paradieren.
»Du siehst bleich,« rief er dem Führer zu, »o Herculanus. Übernächtig! Hast du dem Bacchus geopfert nach dem Abendschmaus?«—»Ein wenig.« Saturninus schloß nun die Musterung. Er bog um die Ecke der Via media, die von Nord nach Süd das Lager durchschnitt, winkte Rignomer, stieg ab und übergab ihm das Pferd. »Wem fehlte das Mantelstück?«—»Keinem. Aber einer hatte am Saum ein ganz neues Stück angenäht:—nicht passend in der Farbe:—noch nicht von der Sonne gebleicht:—und gerade so groß—wie jenes Stück.«—»Ein Anführer?«—»Ja.«—»Er war's!—Es war—Herculanus.«—»Aber, Herr, du sahst die Reiter doch nur von vorn ...—«—»Ich weiß es doch.—Sei wachsam!—Hüte die Kleine.«
Traurigen Herzens hatte Adalo den Weg nach dem Weihberg zurückgelegt: mit Schmerz erstattete er bei Tagesanbruch Bericht in dem Zelte des Herzogs.
»Nichts hab' ich erreicht,« schloß er, »nichts vom Lager gesehen und nicht eine Spur von—von ihr! Was thun?« »Warten,« erwiderte der Alte und strich den langen Bart, das Auge halb schließend. »Warten! Das kannst du leicht sagen!«—»Schwerer als du, der du doch noch dreimal so viele Jahre vor dir hast, als ich!«—»Aber die Kleine!—Ich sagte dir ja: nicht ihrem Freunde, dem Alten, gehört sie. Wann führst du uns zum Sturm?«
»Wann es Zeit ist.«—»Wann endlich wird es Zeit?«—»Nicht bevor der Mond vom Himmel verschwunden.« »Haben dir das,« zürnte Adalo, »die weisen Frauen in den Losrunen gelesen?«
»Nicht alte Weiber frag' ich, wann ich schlagen soll. Aber auch nicht um junge Weiber verderb' ich den Sieg.—Der Mond darf nicht scheinen, hübsch finster muß es sein. Und noch eins: die Regengüsse waren recht löblich: sie haben die Walen in ihrem Lager festgehalten, ihnen Sumpf und Wald gesperrt. Aber nun muß es wieder trockner werden,—damit es lustig brennt. Schon sandte uns der Wunschgott den Wunschwind! Geduld nur noch kurze Zeit.—Und noch was anderes muß eingetroffen sein!«——»So laß mich wenigstens versuchen, ihr durch geheimen Boten mitzuteilen, wie sie sicher—ganz sicher!—entrinnen kann.«—»Nein, bei meinem Zorn! Bevor wir stürmen, werd' ich dir zeigen, weshalb es unmöglich ist, daß sie auf jenem Weg, an den du denkst, entkomme. Er würde sie unfehlbar mitten in die Wachen vor dem Lager führen und diesen alles aufdecken.—Aber, hast du nicht auf dem Rückweg Zercho getroffen?«—»Nein! Doch meine Gefolgen sagten mir ...——also hast du ihn entsendet?«—»Entsendet?—Nein! Er ging ohne meinen Befehl. Aber horch—diese Stimmen—da ist er:——und noch ein anderer.« Zercho und Sippilo eilten in das Zelt: erstaunt sah der Edeling seinen lichtblonden Bruder in so schwarzer Verunstaltung. »Knabe, was hast du gewagt? Du warst mit? Als Späher!« zürnte er. »Wie siehst du aus?«—»Wie ein Dunkelelbe! Aber er geht leicht ab, der Kohlenruß! Sieh!« Lachend sprang er ihm an den Hals und drückte den schwarzen Krauskopf an des Bruders Wangen.
»Schilt ihn erst,« bat Zercho, »wann du alles weißt:—und wenn du dann noch schelten kannst.« »Berichtet,« befahl der Herzog. »Herr, vieles ist gut—fast alles—aber doch nicht alles!—Also: ich gelangte zwar leider gar nicht in das Lager:—aber Bruna,« grinste er dem Edeling zu, »und die wird die Kleine schon finden.« »Kann sie, die Bärin, wieder herausfliegen und uns vom Lagerbau berichten?« grollte der Herzog. »Sie nicht: aber dies Blatt vielleicht!« lachte Sippilo und zog eine Papyrosrolle aus dem Brustlatz. »Ich gelangte glücklich, ungesehen, während Zercho und Bruna die Wächter lachen und staunen machten, an den Graben, glitt hinunter und kletterte auf der andern Seite den Wall ein wenig in die Höhe. Auf die Krone wagte ich mich nicht:—dort hätte man mich erblickt.—Hei, dachte ich, bin schmal und geschmeidig wie ein Aal:—zwischen den Pfählen war durch die Regengüsse das Erdreich des Walles manchmal weggespült: da zwängt' ich mich durch. Den Kopf und den einen Arm brachte ich auch durch: aber weiter ging es nicht: meine Schultern waren doch zu breit! Und nun ward mir eine Weile recht übel zu Mut: denn vorwärts konnte ich gar nicht und rückwärts wollte ich nicht, ohne irgendwas gesehen zu haben:—auch that die Einklemmung nicht gerade wohl!—Na hört' ich plötzlich Stimmen, Schritte, und auf dem inneren Lagerweg, hart am Wall vorbei, sah ich gerade auf mich los eilen—Bissula.«
Adalo schrie auf vor Freude: selbst der Herzog blickte froh überrascht auf den kühnen Knaben.
»Mehrere Schritte hinter ihr drein keuchte ein dicker, gar arg dicker Mann watschelnden Ganges. Sie sah mich nicht—denn sie schaute gerade vor sich hin—und gar nicht lustig, wie sonst,—recht tief trübselig sah sie aus!—Ich wagte es darauf, der laut Schnaufende werde mich nicht hören. Doch nicht mit Menschenstimme traute ich mich zu rufen: den schmetternden Doppelschlag des Buchfinken schlug ich:—oft und oft hatten die Kleine und ich uns geübt, wer ihn täuschender nachahmen könne: aber ich konnte es besser und lockte die Männchen in blinder Eifersucht in mein Laubversteck!—Sie stutzte, sah auf die Lücke im Mahlwerk, wo der Vogel—noch so spät im Jahre!—sang, sah mich und erkannte mich gleich: denn sie erblickte wohl nur mein Auge, nicht mein entstellendes, rußiges Haar. Sie bückte sich, wie nach dem Finken zu spähen und flüsterte: ›Rettet rasch!‹«
Da schoß ein Strahl heller Freude über Adalos schönes Antlitz: »Sie liebt ihn nicht! Sie will zurück!« jubelte es in ihm.
Sippilo bemerkte es wohl und erriet den Grund solcher Freude. Sehr ernst blickend fuhr er fort: »Aber ach, sie fügte bei: ›Schreckliche, höchste Gefahr droht mir!‹«—Adalo stöhnte und griff nach der nächsten Zeltstange, sich zu halten: denn er wankte.
»Weiter,« gebot der Herzog. »Ja, weiter konnte sie nicht sprechen. Denn der Dicke war nun dicht hinter ihr: ich sah, daß ihm aus dem Mantelbausch vorn etwas langes, gelbweißes hervorragte. ›Unleidlich!‹ fuhr sie, hastig sich wendend, heftig ihn an. ›Bist du mein Schatte, Sklave? Was folgst du mir auf der Ferse? Laß mich!‹—›Befehl des Tribuns, meines Herrn.‹ ›So?‹ rief sie, halb mutwillig, halb zornig. ›Dann sollst du—auf Befehl des Tribuns, deines Herrn,—tüchtig laufen und schwitzen! Holst du das Reh des Seewalds ein?‹ Und sofort begann sie, rasch, wie die Schmerle den Waldbach hinabschießt, vorwärts zu laufen.
Keuchend, fluchend folgte ihr der Dicke. Am Ende des Wallweges wandte sie sich, huschte behende an dem Atemlosen vorbei und lief nun wieder auf mich zu: sie wollte mir wohl noch was sagen: aber ich verstand nur das eine Wort: ›Eilt!‹
Da war sie fort. Denn ihr Begleiter kam nun, ihr nachlaufend, in meine Nähe.
Als er, gerade vor mir, den Mantel höher hob, der ihm die Beine behinderte, fiel ihm das gelbweiße Ding aus den Brustfalten—er schnaufte weiter:—er rollte gerade an die beiden Pfähle meiner Lücke. Rasch riß ich es an mich. Ich wollte warten, ob die Kleine nicht noch einmal vorbei käme: aber ich sah, wie mehrere prachtvoll gerüstete Walen sie anhielten und im Gespräch mit sich fort ins innere Lager führten.—Da riß ich mich nach rückwärts aus der Pfahlzwänge:—es that nicht sanft!—ein bischen Haut und Haar blieb wohl dort hängen zum Andenken an Sippilo!—glitt den Wall wieder hinab, kletterte den nördlichen Grabenrand wieder hinauf, duckte mich in die Büsche, kroch auf meine frühere Lagerstätte und kam gerade recht, da Zercho den Wachen die Bärin aufgehängt hatte und aufbrach.«
Der Herzog hatte ihm bereits die Papyrosrolle aus der Hand genommen und sie, auseinander breitend, auf den Zelttisch gelegt: da blitzte sein Auge hellaufleuchtend in Siegesfreude. »Was lese ich da? ›Vier Geschwader Schuppengepanzerte an der Porta decumana, das ganze Gepäck ebenfalls vor der Porta decumana aufgetürmt. Der Wall acht Fuß hoch. Der Graben fünf Fuß tief. Der schwächste Punkt die Ecke im Nordwesten‹—und so geht es noch lange fort!—Dank Wunschgott! Das sandtest du—kein anderer—deinen Söhnen!—Seht her: ein Plan des ganzen Lagers! Genau! Alle Maße! Und hier, am Rande vermerkt, die Stärke aller Scharen—Reiter—Fußvolk—Troß!—Und ihre Verteilung im Lager!—Sieh hierher, Adalo! Sogar die große Tanne—der Erdgöttin Baum—ist hier angegeben! Was ist da verzeichnet neben dem Baum?—Was steht da, oberhalb der Opfersteine, die neben der Tanne den Rasen bedecken? Ein Zelt, leer, ohne Truppen, nur mit Vorräten gefüllt!—
In diesem Blatt halt' ich den Sieg in Händen!—Geh nun, Zercho:—dein Lohn soll nicht ausbleiben! Wie ich's versprach:—ich kaufe dich frei, was auch Suomar, dein Herr, als Wertgeld fordere!—dich frei schenken kann er nicht:—denn nicht breit ist sein Ackerland und du bist seine wertvollste Habe.«—»Oh Dank, Herr, großer, großmächtiger!«—»Dann kannst du wieder frei zu den Deinen ziehn—nach Sarmatenland! Das wirst du doch wünschen?« Aber Zercho schüttelte den struppigen Kopf.
Thränen traten ihm in die Augen: »Nein,« sprach er, »lieber Herr! Ich bleibe, wenn mir Suomar die kleine Scholle beläßt, die ich bisher bebaut:—nur die zwölfte Garbe davon hatt' ich ihm zu bringen—, und die weidengeflochtene Hütte am See:—dann bleib' ich lieber!«—»Seltsam! Zieht es dich denn nicht in die Heimat zu den Deinen?« »Heimat! Wir haben keine, wir Sarmaten, wie ihr sie habt, ihr geduldigen, pflugführenden Männer, die ihr wohnt an dem unverrückbaren, in die Erde gemauerten Herd. Unsere Heimat ist die Steppe, die weite, die freie, die mit Augen und Rossen nicht zu durchmessende! Ha! und wohl ist sie schön—« und hier leuchteten die Augen des Mannes und plötzlich kam über den sonst scheinbar stumpfen und so wortkargen eine Begeisterung, die ihm, zum Staunen der Hörer, beflügelte Worte eingab.—»Ja, wohl ist sie schöner und herrlicher als alles, was ich je geschaut in Römer- und Germanen-Land. Wann im Lenz die Sonne den letzten Schnee hinweggeküßt hat, wann die Heide lacht, wann die Steppe blüht, wann bei Tage hundert Habichte zugleich kreischen in der blauen Luft, und die wilden Hengste, die nie einen Reiter getragen, so furchtbar wiehern in der Brunft und so sturmgewaltig, alles vor sich her niederrennend, an den Zelten vorüberjagen, die zitternden Stuten verfolgend, daß dem Mutigsten das Herz erbeben könnte vor Schreck und doch auch vor Freude an der wilden, unbändigen Kraft!—Und oh! des Nachts:—wann die tausend, tausend Himmelsgeister von oben niederschauen, viel, viel mehr Stern-Götter und viel heller strahlend, als bei euch, und wann im Dunkel die Kraniche und die wilden Schwäne wie dichte Wolken,—denn Schatten werfen sie im Mondenlicht, so groß sind ihre Haufen!—aber wie weittönende, klingende Wolken hoch durch die Lüfte ziehn! Wohl ist die Steppe der Sarmaten schön und frei das Reiterleben der Jazygen, wie kein Land sonst und kein Leben ist.—Aber Zercho:—Zercho taugt nicht mehr in die Steppe! Dem Vogel gleich' ich, dem Wildvogel der Heide, den Knaben jahrelang in engem Gitterkorb gehalten, darin er die Schwingen nicht entfalten mochte. Läßt man ihn frei, ja wirft man ihn in die Luft:—er fällt herab,—er bleibt liegen: er kann nicht mehr fliegen, er hat's verlernt.—So hat mich die Pflugarbeit vieler Jahre und das Dauern auf einer Scholle gebändigt: Zercho kann nicht mehr reiten wie die Jazygen reiten: mit dem Wind um die Wette!—Zercho kann nicht mehr jede Nacht auf anderem Stück Erde schlafen und, wenn's nicht besseres zu beißen giebt, Heuschrecken fangen und Eidechsen: an Korn und Brot, an die Frucht des Ackers, des selbstgepflügten, bin ich gewöhnt—ich will sie nicht mehr missen.—Und die Meinen? Ich habe sie alle—alle sechs!—sterben sehn vor meinen Augen in einer Nacht:—in jener Nacht des Schreckens, da die eidbrüchigen Römer—diese Völkerfresser, diese Mordwölfe!—im Waffenstillstand plötzlich unsere Karren am rauschenden Tibiscus und die strohgeflochtenen, runden Hütten überfielen! Hei, leuchteten ihnen so trefflich die grell brennenden Hürden zu ihrer Würgarbeit! Mein Vater erschlagen,—meine Mutter in die Flammen des Strohzelts geschleudert,—meine zwei Schwestern—oh schrecklich!—zu Tode gequält,—meine zwei Brüder in den rot von Blut dahin gurgelnden Strom gesprengt! Und ich—ich sah das alles mit an, niedergestreckt vor der Hütte:—einen Schwerthieb im Schädel: wehrlos, regungslos. So lag ich die ganze sternenhelle Nacht und fragte die tausend Sternengötter da droben: Warum? Warum? Warum? Als aber der Tag graute, da kamen die Sklavenhändler, die den Römern folgen auf alle Schlachtfelder, wie die Raben der Lüfte und die Wölfe des Steppensumpfs,—und traten alle Jazygen, die da lagen, mit Füßen, ob sie etwa noch lebten? Und ich zuckte unter ihren Tritten, ward auf den Wagen geworfen und fortgefahren viele, viele Tage und Wochen lang. Und endlich kaufte mich Suomar, der milde Mann, und erlöste mich! Denn nie, obzwar ich ein Knecht hat er mich ›Hund‹ geheißen, wie die Händler. Und hat mich gehalten wie—wie einen Menschen!—Und da nun die Kleine heranwuchs,—da—da ward meine Heimat Suomars Hof. Und dort, in der Weidenhütte am See,—da will ich bleiben auch als Freier,—wenn ich darf!—solang ich atme. Und wenn Zercho zu sterben kommt, dann soll das rote Geistchen—denn wir müssen sie wieder frei machen, Edeling, und wir werden!—mir mit der Hand über die Augen fahren, und dann sollen sie mich begraben auf der Blöße, an den Weiden nahe dem See. Da ziehen nachts die Kraniche vorüber, hoch in der Luft, mit Rauschen und Klingen:—und ich werde es hören unterm dünnen Rasen und im Todesschlafe träumen, ich liege in dem blühenden, duftenden Steppengras daheim.«
Er schwieg—seine Wange, glühte—sein häßliches Gesicht verschönte sich: nie hatte er im Leben so viele Worte auf einmal verbraucht!—
Der Herzog gab ihm die Hand und sprach: »Nein, Zercho, du bist kein Hund!—Du hast ein Herz,—fast wie ein Alamanne. Nur anders,—aber auch nicht übel.« Adalo schwieg, aber er faßte die andere Hand des Knechts und drückte sie herzhaft. Sippilo wandte sich:—er wollte seine Augen nicht sehen lassen.
Da rief der Herzog ihn an: »Du, Knabe, hast eine glückliche Hand! Dir les' ich den Wunsch der Seele aus den Augen!—Ja! Du sollst den Sieg, zu dem du durch kühne List viel, sehr viel mit geholfen, auch mit erkämpfen!«
Sippilo sprang auf den Alten zu und faßte seine beiden Hände: »Du Wunsch-Errater—, Wunsch-Erfüller!—Wodan acht' ich dich ähnlich! Vorigen Herbst hat mir Adalo noch die Schwertleite geweigert, weil ich«—hier hing er den Kopf—»weil ich damals noch den weidengeflochtenen Hermunduren-Schild in unserer Halle nicht mit dem Wurfspeer durchbohren konnte.—Bah, da war ich noch ein Kind!—Aber am Sunwendfest hab' ich den alten Römerschild sogar durchbohrt, den Suomar mir als Scheibe zu dem Fest geschenkt.«—»Ich hatte vorher sechs Löcher hineingebohrt und wieder verklebt,« raunte Zercho dem Herzog zu: »aber laß ihn nur!—Ich werd' ihn schon schützen.« Hariowald entließ die beiden.
»Wohlan,« mahnte Adalo heftig, »in diesem Blatt hältst du den Sieg in Händen:—du sagst es selbst: so schlag' endlich los.« Aber der Herzog schüttelte stumm das Haupt. »Bedenke—»Eile«—war ihr letztes Wort! Heute Nacht?«—»Nein!—Was wiegt ein Mädchen gegen ein Volk!«—»Ich bitte dich! Ich flehe dich an! Du bist mein Freund,—mein Vetter!«
»Herzog der Alamannen bin ich.«
»Wohlan!« rief Adalo erbittert. »Zögere du,—ich rette sie!—Ich allein! Ein Mittel giebt es,—das niemand ahnt als du und ich:—ich will es brauchen.« Und er wollte hinaus stürmen.
Aber rasch, drohend vertrat ihm der Alte den Weg. »Halt, Knabe! Nicht von der Stelle! Willst du um zwei blaue Augen deinem Volk den sichern Sieg verderben?«
—»Ich verderbe ihn nicht! Ich tauche nur heut' Nacht im Römerlager auf—ich allein—! Ich trage sie hinaus auf diesen Armen oder ich lasse das Leben dort!«—»Und lebst du oder stirbst du,—das Geheimnis wird entdeckt:—für unsern Angriff der sicherste Weg zum Siege!«—»Ihr werdet siegen—mit oder ohne Adalo—auch auf andern Wegen! Ich rette die Geliebte, eh's zu spät.«
Und er wollte sich an dem Herzog vorbei drängen und hinweg. Aber mit eisernem Griff faßte ihn der Alte an beiden Schultern und zwang ihn, zu stehn: »Und ich, ich klage dich an vor dem Volksding—wie jenen volksverräterischen König:—ich lasse dich, Heerbannbrecher, hängen zwischen zwei Wölfen am Ast der verfluchten dürren Eibe!« »Thu', was du willst, nachdem ich sie gerettet oder mit ihr starb,« rief der Jüngling außer sich und riß sich los. Jedoch mit ungeahnter Kraft schleuderte ihn der Greis in das Zelt zurück, daß er taumelte.
»Binden lass' ich dich an Händen und Füßen, wie einen Rasenden! Du bist rasend. Freia hat dich verzaubert. Hör' es, Adalger, hoch in Walhall: Adalo, dein Sohn, achtet nicht mehr auf Heldenpflicht und Mannesehre. Mit Weidensträngen, mit Stricken muß man ihn binden, daß er nicht zum Neiding werde und um ein Weib sein Volk verderbe.«
Erschüttert, überwältigt, gebrochen ließ sich Adalo auf die Erde sinken. Er griff mit beiden Händen in sein langlockig Haar und klagte: »Bissula!—Verloren!—Verloren!« Der Herzog warf unvermerkt einen prüfenden, doch auch teilnahmvollen Blick auf den Jüngling: er sah, daß er ihn überzeugt, bezwungen habe. Ernst, sinnend schritt er hinaus, ihn mit seinem Weh allein zu lassen.
Im Laufe des Tages trug ein Gefolge Adalos in das Römerlager heimlich einen Brief seines Herrn, gerichtet an Saturninus und Ausonius.
Der Edeling hatte seinen Boten, eine Musterung der äußersten Wachposten vorschützend, mit sich von der Kuppe des Weihberges durch alle sieben Stockwerke der Ringwälle bis an den letzten Verhack am Fuße des Berges geleitet und war mit ihm in den Wald geritten, der sich zwischen den weiteren Verhauen und dem Idisenhang hin dehnte. Hier harrte er der Antwort des Rückkehrenden. Bleich, entstellt von lange ringendem Seelenkampf war des Jünglings edles Antlitz.—Als er den Hufschlag des zurückeilenden Rosses von ferne vernahm,—es war Abend darüber geworden und in Purpur glühten die Berghäupter jenseit des See's—lief er ihm, atemlos, entgegen: »Nun,« rief er, »wo ist der Antwortbrief?« »Sie gaben mir keinen Brief. Beide Römer-Feldherrn—denn ich ließ sie beide zusammenrufen, wie du befahlst,—lasen dein Schreiben vor meinen Augen mit großem, großem Staunen. Sie redeten untereinander—mit lauten Ausrufen—in Wörtern, die ich nicht verstand—: nicht römischen Wörtern!—Dann wandten sich beide zu mir und sprachen, zuerst der ältere, der früher schon im Lande war: ›Sag' deinem Herrn, die Antwort sei: ›Niemals‹. Und der jüngere fügte bei: ›Auch nicht um diesen Preis!‹«—
Da stürzte Adalo plötzlich zusammen: wie eine junge Edeltanne, deren letzten Halt oberhalb der letzten Wurzel das Beil durchschnitten hat.—Er war vornüber auf das Angesicht gefallen.
Der treue Gefolge sprang ab, setzte sich zu ihm in das hohe Gras und schob das Haupt des Bewußtlosen auf beide Kniee. Lang lag er so, in Ohnmacht, von Schmerz betäubt. Die Sterne standen schon am Himmel,—die Fledermäuse huschten durch den Tann,—als Adalo, schwer seufzend, den Weihberg hinanstieg.
»Das war das Äußerste,« sprach er zu sich. »Jetzt bleibt nur noch der Tod:—der Tod im Kampf, nicht um sie, ach, nur um ihre Leiche zu retten: denn, widerfährt ihr Schmach—wird sie's nicht überleben.«
So eifrig aber Saturninus nach den von Arbor her erwarteten Segeln ausspähte:—viel früher als er sollte ein anderer ihre bevorstehende Abfahrt erfahren.
Das war Hariowald, der Herzog.
Auf einem umwaldeten Hügel, der Ziushöhe, dem Geerebühl, östlich vom Weihberg, ziemlich gerade gegenüber von Arbor, wachte Nacht und Tag ein Häuflein von alamannischen Späheposten und einer von ihnen blickte, stündlich abgelöst, unablässig über den See auf den »Mercuriusberg«, die nächste Anhöhe südlich hinter Arbor auf dem Südufer.
Das Gebiet um jene Hafenfestung, völlig unter römischer Herrschaft, war bewohnt durch Colonen von mancherlei Abstammung: darunter auch viele Alamannen, die Gefangenschaft oder freiwillige Ergebung und Überwanderung auf das besser angebaute, reichere Südufer geführt hatte.
Am Mittag des Tages von Adalos heimlicher Botschaft stieg von dem römischen »Mercuriushügel« des Südufers ein kaum wahrnehmbares Rauchwölklein auf: sofort erhob sich auf dem Geerebühl des Nordufers ein mächtig qualmendes, grauschwarzes Dampfgewölk. Deutlich war dies von der Ostkuppe des Weihbergs wahrzunehmen—denn den Mercuriushügel selbst über dem See konnte man vom Weihberg aus nicht sehen—und sofort stürzte eine der hier unablässig den Geerebühl beobachtenden Wachen in das Zelt des Herzogs. »Rauch steigt auf vom Ziusberg! Riesenhoher Rauch!« Da trat Hariowald aus seinem Zelt in voller Waffenrüstung:—er hatte sie in der letzten Woche Nacht und Tag kaum abgelegt, nur seinen Schlachthelm hatte er noch auf das hohe Haupt gesetzt.
Dieser Helm war wundersam zu schauen: wer ihn plötzlich vor sich leuchten sah, der mochte wohl erschrecken. Ein seltner Gast am Bodensee war dazumal wie heute die Schnee-Eule. Kaum in einem Jahrzehnt einmal ward dieser Fremdling aus dem hohen Norden auf seinem Wanderzug durch Zufall soweit südwestlich bis in die Nähe der Alpen verschlagen. Im vorigen Frühwinter hatte Adalo ein riesig Exemplar des herrlichen Raubvogels im Seewald von hoher Föhre mit dem Pfeil herabgeholt und den gewaltigen Vogel mit dem schneeweiß glänzenden, von rostbraunen Wellenringen nur an der Brust leise durchzogenen Gefieder seinem greisen, weißhaarigen Vetter als herrlichen Helmschmuck geschenkt. Über der ehernen Sturmhaube hob nun die Eule die mächtigen, mehr als drei Fuß klafternden und doch noch nicht ganz ausgespreizten Schwingen. Und zwar nicht, wie man meist Adler- oder Schwanenflügel anbrachte, die Endspitzen der Federn nach des Helmes Rücken schauend, sondern umgekehrt, nach vorwärts gesträubt, so durch den dräuenden Anblick blendend und ängstigend—ein wahrer »Schreckenshelm«—, wie ihn Wodan trägt, wann er an der Spitze der Einheriar dahinbraust in die Schlacht. Diesen Helm auf dem Haupt und vollgerüstet trat nun der Herzog aus seinem Zelt und winkte einem der Fronboten, die hier stets seines Gebotes warteten. Der ergriff das lange, gekrümmte Horn des Auerstiers, das an einem Zeltpfosten bereit hing und stieß dreimal darein. Ein weithin dröhnender Ruf erscholl. Alsbald eilten die übrigen Fronboten, weiße Eschenstäbe in den Händen, mit kleineren Hörnern, die sie an Riemen über der Schulter trugen, nach allen Richtungen von der Kuppe des Weihbergs nieder, durch alle Stockwerke der Ringwälle hinab, bis an die äußersten Verhacke hin den Ruf des Herzogs tragend.
Da strömten von allen Seiten die Heermänner in ihren Waffen herbei und stiegen eilfertig die Berghänge hinan: nur die unerläßlichen Wachen blieben zum Schutz der Sumpffurten, der Verhacke, der schmalen Zugänge der Ringwälle zurück. Alles drang bergaufwärts und brauste, sowie die Kuppe erstiegen war, zusammen gegen eine mächtige Esche, die von dem Scheitel der höchsten Bergspitze ihren Wipfel in die Wolken hob. Hart an ihrem Stamm war eine Art von Richterstuhl gefügt aus großen Felsplatten: eine längliche lehnte im Rücken gegen den Baum, eine ebensolange, wagerecht über zwei in die Erde gerammte Kniesteine gelegt, bildete den Sitz. Mehrere Steinstufen führten zu dem Hochsitz empor; auf diesen lagen mannigfaltige und verschieden gezeichnete Waffenstücke: ein sehr schlichter Schild und Speer mit der Rune fe, entsprechend dem lateinischen F. Dann ein kostbarer »Eberhelm«, ein reich geschmückter Erzschild, mit einer Eberschur überzogen und, wie der Helm, zwei Eberhauer dräuend vorstreckend, ein Schwert in kostbarer Scheide von fein geglättetem Lindenholz, reich mit Erz beschlagen, eine scharfe Streitaxt und ein Speer, beide am Schaft mit vergoldeten Nägeln geziert zugleich und gefestigt: diese Waffen trugen als Hausmarke zwei eingeritzte Eberhauer. Endlich ein kleiner, ganz leichter Rundschild, ein kurzer Speer und an einem Wehrgehäng von weißem Leder, das durch Mennig gerötet, ein zierliches Schwert: jede der drei Waffen wies ein Hirschgeweih als Hausmarke.
Noch hatte sich der Herzog nicht niedergelassen. Vielmehr stand er aufrecht auf der wagrechten Platte und musterte, den Speer in der Rechten, das von allen Seiten herauf- und heranflutende Heervolk. Ein gewaltiger, länglicher, fast mannshoher Schild, rot, mit eingeritzten, schwarzen Runen, hing an einem Zweig der Esche ihm über dem Haupt.
Die ganze Hochfläche der Kuppe rings um den Baum war umfriedet und umhegt von »Schnüren und Stäben«: das heißt von Haselstäben und Speeren, die—letztere die ehernen Spitzen nach oben gekehrt—in Abständen von je sieben Fuß in die Erde gestoßen und untereinander verbunden waren durch fast handbreite, um die Mitte der Stäbe geknotete Linnenbänder, deren rote Farbe den Blutbann des Volksgesrichts verkündete.
Nachdem sich das Gewoge der in den Kreis Drängenden, die lauten Stimmen, das Klirren der Waffen ein wenig beschwichtet hatte, hob der Herzog den Speer und schlug damit auf den erzbeschlagenen Schild drei feierlich gemessne Streiche. Da ward augenblicks tiefe Stille. »Das Heerding ist geöffnet!« sprach Hariowald und ließ sich langsam nieder, im Sitzen den einen Fuß über den anderen schlagend.
Er warf den dunkelblauen, langen, weitfaltigen Mantel, der auf der linken Schulter von einer Spange zusammengehalten war, nach rückwärts, lehnte den Speer wie einen langen Stab über die rechte Schulter und sprach, die linke Hand mit ausgebreiteten Fingern hebend, langsam:
»Ich, der Richter, ich frage um Recht!
Ich frage die Freien:
Ist hier Stätte und Stunde,
Zu hegen und zu halten
Gerechtes Gericht
Über edler Alamannen,
Der Söhne des Sieges,
Haus und Habe,
Vieh und Fährnis,
Eigen und Erbe,
Frieden und Freiheit,
Leib und Leben?
Weiset, ihr Wissenden,
Dem Richter das Recht.«
Da traten vor zwei betagte Männer, zogen die Schwerter, hoben sie gen Himmel und sprachen in langen Absätzen, daß Wort des einen mit Wort des andern stets zusammenklang:
»Wir weisen, das wohl wir wissen,
Dir, Richter, das Recht:
Dies ist Stätte und Stunde
Für gerechtes Gericht:
Auf eroberter und ererbter
Alt-alamannischer Erde,
Bei der siegenden Sonne,
Der klimmenden, klaren,
Schimmerndem Schein,
Unter der alten
Esche der Ahnen,
In Wodans Weihtum,
Über Vieh und Fährnis,
Eigen und Erbe,
Frieden und Freiheit,
Leib und Leben
Richten wir Recht
Und finden, wir Freien,
Echtes Urteil.«
Beide traten zurück in den Ring. Der Herzog aber sprach: »Ehe wir ziehen zum Kampf gegen den Landfeind,—und bald, bald brechen wir auf ...«—
Da brach brausender Jubel und Waffenlärm aus, den der Alte erst verrauschen ließ, dann fuhr er fort: »Muß das Heerding über Rechtsklagen Urteil finden und Friedrechtshandlungen bezeugen. Zuerst über Fiskulf, den Fischer, aus Rohrmoos, der Schilfrodung. Wo ist der Bereder?« Adalo trat zögernd vor. »Hier: ich, Adalo, Adalgers Sohn.«—»Tritt zur Rechten! Wo ist der Wehrer?« »Hier!« sprach ein Mann in schlichtem, unscheinbarem Gewand: ein altes Fischernetz trug er statt des Gürtels: traurig den Kopf hängend, trat er vor und schlug die Augen nieder. »Auf was geht deine Klage?« fragte der Richter. »Heerbann-Bruch!«—»Das geht an Haut und Haar und Hals. Weiset mir das Recht: mag Adalo, Adalgers Sohn, hier solchen Klagruf heben?« Einer der beiden Alten trat wieder vor und sprach:
»Das Heerding kennt Adalo, den Edeling, als freien ungescholtenen Mann: sein Odalgut liegt im Linzgau: es würde jeden Anspruch wegen falscher Klage decken: er mag klagen auch um Haut und Haar und Hals.« Auf einen Wink des Richters begann der Edeling:
»Ungern erheb' ich die Klage: wider Wunsch und Willen: doch heischt es mein Heereid. Denn da ich den Befehl übernahm über die Hundertschaften vom Westsee, mußte ich in des Herzogs Hand schwören, jeden Bruch seiner Banngebote, der da geschähe in meiner Schar, zu rügen vor dem nächsten Heerding. So muß ich bereden: denn ich scheue den schweren Schwur.—Ihr wißt alle, bei seinem Blutbann hatte der Herzog verboten, daß auf den Kähnen, in welchen die Landflüchtigen zuerst im Schilf des Westsee's verborgen lagen, bei Tag oder Nacht irgend ein Feuer entzündet werde: entdeckten die Walen, am Seeufer vorüberziehend, durch Rauch oder Flamme, daß Leben in dem weiten Schilfwald lebte,—so konnte alles dort verborgene Volk verloren sein. Nochmal wiederholte ich, da ich aufbrach, das Verbot des Herzogs allen meinen Leuten;—Fiskulf stand dabei an meiner Schildseite. Und doch hat er auf dem Hechtstein, der aus dem Röhricht ragt, Feuer angemacht, während die Feinde am Ufer hinzogen. Zwar war es Tag, aber der Rauch war sichtbar. Schon machte die nächste Kohorte halt und schickte sich an, dem Feuer nachzuspüren, das ich mit Mühe rasch genug verlöschte, ihren Verdacht einzuschläfern. Ich muß nun Fiskulf dieses Bannbruchs zeihn.« Der Kläger schwieg und that einen Schritt zurück.
Ein Murren des Unwillens lief durch die Reihen, von manchem lauten Ruf des Zorns, des Vorwurfs durchbrochen. »Schweigt alle! Stille im Ring!« rief der Herzog von seinem hohen Steinstuhl herab, den Speer erhebend, »bis ich euer Urteil heische. Scheltwort verbiet' ich :—Friede gebiet' ich!—Du, Beredeter, was setzest du gegen die Klage: Bestreitung oder Gestehung?« »Gestehung,« antwortete der Gefragte traurig. »Es ist, wie der Edeling sagte.«—»Du kanntest den Bann?«—»Ich kannte ihn.«—»Du brachest den Bann?«—»Ich brach ihn.—Ach, ich schäme mich so stark!—Aus Hunger geschah's:—aber nicht, meinen Hunger zu stillen.—Viele Nächte schon lagen wir versteckt in dem Schilfwald:—verzehrt war der Vorrat von getrockneten Fischen, den ich in dem Kahne mitgenommen hatte. Ich bezwang meinen Hunger und kaute das jung aufgeschossne Schilf:—für mich, wahrlich, hätt' ich's nicht gethan!—Aber mein Bub, der mit mir war, erst kurz ist er von dem elbischen Fieber genesen, das in dem Rohrmoos haust:—er ist erst sieben Jahr'—das Kind weinte so bitterlich vor Hunger!—Und bat und bat: ,Vater, Vater, gieb mir zu essen.'—Das zerschnitt mir das Herz!—Ich speerte einen starken Hecht, der nah dem Stein sich sonnte,—ich zerschnitt ihn:—ich wollte ihn dem Knaben zu essen geben, ungekocht! Aber der Ekel würgte ihn: er weinte nun nur noch still—: er bat nicht mehr! Da rieb ich Feuer aus zwei trockenen Hölzern und briet den Fisch auf der Platte des Steins und gab dem Kind zu essen.—Und ich aß auch selbst,«
»Ich mußte rügen,« sprach Adalo. »Aber ich bitte das Heerding, keine Strafe zu sprechen über den Mann. Ist doch um der That willen kein Schade geschehen! Ein Vater ...—« »Schweig, Kläger,« unterbrach ihn der Richter. »Du hast gerügt:—er hat gestanden: du hast hier nichts mehr zu thun, als das Urteil zu vernehmen. Ich frage: was steht auf Heerbannbruch, wann der Feind im Lande haust?—Wie? Ihr schweigt?—Das ganze Volk konnte der Ungehorsam verderben! Wie? Ihr weigert mir, das Recht zu weisen?« fuhr der Alte grimmig fort. »Oder solltet ihr Graubärte nicht mehr wissen, was schon die Knaben lernen?—Gebt Bescheid, weiset mir das Recht—:« und drohend stand er auf,—»oder ich reiße den Dingschild von der Esche und klage den Göttern: die Alamannen haben ihres Volksrechts vergessen!—Was steht auf Heerverrat und Heerbannbruch?«—»Der Tod!« scholl es jetzt mit vielen Stimmen. »Ich wußte es,« sagte der Fischer schlicht. »Lebt Wohl, Landsleute! Sieg und Heil wünsche ich euch.«
Aber der Herzog fragte weiter: »Welches Todes muß er sterben? Durch Weiden-Wiede? Durch Wasserwoge? Durch rot ritzendes Messer? Oder durch rot brennendes Reißig?« Da trat einer der beiden Alten wieder vor und sprach: »Er hat durch die That Ziu, den Kriegsgott, gekränkt und Wodan, den Siegsender. Ziu heischt Blut auf dem Opferstein:—Wodan will ihn wehen wissen im Winde. Wodan ist der größere Gott und Zius Vater: es weicht der niedere, es weicht dem Vater der Sohn: Wodans Recht geht vor: der Bannbrecher ist Wodan geweiht:—er wird gehängt am Weidenstrang unter dem Kinn, das Antlitz gen Mitternacht, an dürrer Eibe—ein Wolf ihm zur Rechten und ein Wolf ihm zur Linken—des friedlosen, rechtlosen Rechtsbrechers ältestes Abbild.«
»Er ist Wodan geweiht,« wiederholte der Richter feierlich:—»wenn Wodan ihn will!—Fragen wir den Gott.« Mit Staunen blickten alle, mit leiser Hoffnung der Verurteilte zu dem Alten auf, der nun fortfuhr: »Schimpflich und schandvoll ist es dem Manne, zu schaukeln zwischen den Zweigen, zwischen Himmel und Hügel! Und er war wacker bisher:—nur gegen seines Kindes Weinen war er zu weich! Nutzlos seinem Volke stirbt er, hängt er da hoch am Holze. Wohlan: fragen wir Wodan, ob er vielleicht ihm vergiebt? Wolltet doch ihr alle, wie der Kläger selbst, zuerst die That ungestraft lassen. Das ging nicht an! Dem Hohen muß sein Recht dargeboten werden: aber—vielleicht will er es nicht nehmen. Ich rate: Fiskulf soll eine That wagen, in der er, zu seines Volkes Heil, fällt, unmeidbar fällt, wenn nicht etwa Wodan selbst sich seiner erbarmt und ihn rettend davonträgt in dem weithin wallenden Mantel.« »Sprich, rede! Was darf ich thun?« rief der Mann mit leuchtenden Augen. »Alles! Alles! Gern will ich den Speertod sterben: nur nicht den Strang der Schmach!«—»Du sollst zuerst, vor allen andern, auf das stolzeste Schiff des Römerführers springen und:—du verstehst dich ja so gut darauf, die Flamme zu wecken!—Feuer werfen in seine Segel,« »Ja, ja! Das soll er! Heil dem Herzog!« riefen da Tausende. Der Fischer aber sprang hart an den Stuhl des Richters, hob beide Hände zu ihm auf und rief: »Dank dir, Herzog! Ja, du kennst Wodans wahren Willen! Das größte Schiff der Römer,—das Feldherrnschiff in Arbor:—nicht?—Wohlan:—ich weiß noch nicht, wie ich an das Schiff gelangen werde da drüben:—aber ich sterbe oder ich vollbring's.« Da sprach der Herzog: »Das ist meine Sorge. Du sollst nicht zu jenem Schiff kommen:—Wodan wird das Schiff zu dir führen:—dann thu', wie ich dir sage.«—»Gern! Gern! Oh, gebt mir meine Waffen wieder!« Auf einen Wink des Richters gaben Fronboten ihm seinen Speer und seinen Schild, die mit F gezeichnet auf der Stufe beisammen lagen, zurück und er trat nun in den Ring der Heergenossen, von denen mancher sich nicht scheute, ihm die Hand zu reichen.
»Ein freudiger Werk nun wartet euer,« begann der Herzog aufs neue: »Die Schwertleite verlangt, der Volkswaffen erste Gewährung, ein Knabe von edler Sippe, gar viele von uns kennen ihn, und, wer ihn kennt, will ihm wohl. Zwar ist er noch nicht sehr groß, der zarte Held: aber ich eide: ich sah ihn gestern auf fünfzehn Schritte mit dem Speer einen mittelguten Lindenschild durchwerfen. Und groß war sein Mut und kühn sein Wagen, da er, Leben und Freiheit verwegen einsetzend, freiwillig des Römerlagers Wall erkletterte, wichtigste Kunde daraus holte und in des Herzogs Hand brachte.« »Wer ist's? Wer ist es?« fragten da viele.
Da trat Adalo vor, den jungen Bruder an der Hand: »Sippilo, mein tapferes Brüderlein.« Nun sprach der Herzog:
»Ich frage das Heerding: Soll er die Waffen empfangen? Flügge ist er, der junge Edelfalk!« Und ein freundlich Lächeln leuchtete über das Antlitz, das so grimmig dräuen und zürnen konnte.
»Heil ihm! Heil dem Edeling! Heil dem Knaben! Gieb ihm die Waffen.« Sippilo errötete über und über wie ein Mädchen. Es ließ ihm sehr gut, »Willst du selbst, o Herzog,« bat Adalo, »die Gunst ihm gönnen, ihm die Waffen zu geben? Stets soll er dann, ergreift er Schwert oder Speer, des Helden gedenken, dem zuerst er sie dankte, und des Gebers würdig sich weisen.« »Ich will,« sprach der Richter, erhob sich und winkte dem Knaben. Dieser stieg die eine Stufe vor dem Richterstuhl hinan: Hariowald ergriff den kleinen, runden Schild, der vor ihm lag, und reichte ihn dem Knaben dar, der eifrig danach griff und mit dem linken Arm in den obern Schildbogen fuhr, mit der Hand den unteren ergreifend.
»Ich, Hariowald, Hariomars Sohn, des Linzgaues Graf, für dieses Sommers Römerkrieg aller Alamannen gekorener Herzog, ich sage dich, Sippilo, Adalgers Sohn, den Waffen gewachsen und der Waffen würdig und wert.
Mit dem Schild hier beschirme,
Besser als die eigne Brust,
Lieber als den eignen Leib und das Leben,
Der edeln Alamannen
Land und Leute.
Schildrunen, Schirmrunen
Brannte dein Bruder
In das feste Gefüge:
Sie halten und heften
Dir schützend den Schild,
So lange du selber
Haftest und hältst
Fest an deinem Volk.«
Darauf übergab ihm der Alte den Speer und sprach:
»Siegrunen ich selber, siegessichre,
Ritzt' ich dir, rote,
Auf des spitzen Speeres,
Des scharfen Schaft:
Ein Sterblicher strecke
Dir nimmer ihn nieder
Noch zerschlage den Schlanken:
Einst lös' ihn dir leicht
Ans treu haltender Hand,
Wann du, weißbärtig, gewannst
Auf dem Schilde den Schlachttod
In seligem Siege—,
Dann lös' ihn dir leicht
Aus treu haltender Hand,
Auf Schwanenschwingen zu dir geschwebt,
Der Walküren aus Walhall
Schimmernd-Schönste,
Und trage dich Treuen
Hinauf zu dem Hohen!«
Zuletzt umgürtete er ihn mit dem Wehrgehäng, in welchem das Schwert in der Scheide stak, und sprach:
»Wie der Gurt dich umgürtet,
So nun hält dich das Heer
Der Alamannen zu eigen:
Wie der Gurt dir gehört,
Dir zum Schmuck und zum Schutz,—
So gehörst du, ein Glied,
Uns zu Schmuck und zu Schutz,—
Uns Alamannen zu eigen,«
Sippilo aber zog das kurze Schwert aus der Scheide, hielt den Griff gegen die leuchtende Sonnenscheibe und sprach:
»Dies Schwert will ich schwingen
Für mein freies Volk,
Für sein Recht, seinen Ruhm
Und für Sippilos Sippe!
Üb' ich anderes jemals,—
Soll die scharfe Schneide,
Die klare Klinge, die kluge,—
—Denn sie achtet dieses Eides!—
Mich Treulosen treffen zum Tode!—
Sonne, du sahst es:—
Es hörte's der Hohe,
Und Ziu als Zeugen
Und der Alamannen
Hochhelmiges Heer.«
Freudig sprang der Knabe nun die Stufen hinab und stellte sich, froh der jungen Waffen, neben seinen Bruder unter lautem Beifallruf der Menge, zumal seiner Versippten und der Gefolgen mit dem Hirschhornzeichen auf den Schilden.
»Nun das nächste Werk des Rechts. Ein Abwesender will seinen Knecht im Heerding freilassen. Suomar, Suoberts Sohn, der in den Ostsümpfen Wache hält, giebt seinen Knecht Zercho frei. Ich hab' ihn losgekauft um guter Dienste willen für das Heer: sein Herr, den ein Bote befragte, willigt ein, ihn freizugeben: und Adalo, der Edeling,—so will er—soll für ihn sprechen und thun. Bringet den Knecht.«
Da ward Zercho, der bisher außerhalb des Ringes der Freien geharrt hatte, von zwei Fronboten vor den Steinstuhl geführt: seine Augen leuchteten vor Freude. Darauf trat Adalo vor, Bogen und Pfeil in der Hand und sprach: »Als Fürsprech Suomars, deines Herrn, künd' ich vor offenem Ding, daß er einen vierjährigen, tadellosen Hengst, zwei Rinder römischer Zucht, zwanzig wolltragende Schafe, einen ehernen, siebenfach geschlängelten Armring und einen Silbersolidus von Hariowald, dem Grafen des Linzgaues, dafür empfangen hat, daß er dich, Zercho, den Jazygen, den er dereinst als Speergefangenen vom Händler in Vindonissa gekauft, freigebe. Und er giebt dich frei durch meine Hand und Rede: nimm hin den letzten Schlag,«—er gab ihm einen leichten Streich auf die Wange—»den du als Knecht zu dulden hast, und siehe du, sehet alle ihr freien Männer: wie ich den Pfeil hier entsende,—so frei und frank, los und ledig, läßt dich Suomar, der bisher dein Herr war: frei magst du gehen, wie dieser Pfeil fliegt:—frei und von keinem gehalten!«
Damit schoß er den Pfeil, der mit den Federn des Reihers beschwingt war, hoch in die Luft:—sausend entfuhr das Geschoß dem Langbogen, dessen Sehne tönend an den schön geschweiften Schaft von hartem Eibenholze schlug. Zeicho blickte dem Pfeil nach:—hoch—hoch, bis er im Blau verschwand:—er sah aber nicht klar,—denn seine Augen schwammen: mit Mühe verbiß er das laute Schluchzen. Er wollte, nach langjähriger Gewöhnung, niederfallen und, dankend, des Edelings Füße umfassen, seine Hände küssen,—rasch hielt ihn dieser ab, und der Herzog fiel ein:
»Frei bist du nun, Zercho: des freue dich, Freier! Denn ob dein Herr gar gelinde Hand hatte:—Knechtschaft ist kläglich und verkümmert Kraft und Mut: nur das Leben des Freien ist Leben:—der Unfreie atmet, aber er lebt nicht.«
Adalo aber reichte ihm den Bogen und sprach: »Hier diese Waffe, welche deine Freiheit vor allem Volk erwies,—sei die erste, die du führst im Heer und für das Volk der Alamannen: das nun auch dein Volk geworden ist.« Mit strahlenden Blicken und hoch erhobenem Haupte trat der Freigelassene in den Ring der Freien.
Der Richter aber furchte die Stirn: »Nun an das letzte Urteil des Heerdings!—Andere Götter schweben nun heran, als jene, die soeben des Knaben Stirnlocken unsichtbar gestreift:—furchtbare Götter!—Klage ist gekündet gegen einen Gaukönig der Alamannen.«—
»Ebarbold! Der Verräter! Der Ungehorsame! Der Heerverderber! Der Eidbrecher!« So scholl es drohend aus der Menge. »Friede! Schweigen im Ring!« gebot der Richter. »Wo ist der Kläger?« Da trat des Königs Waffenträger vor, zog das Schwert und sprach:
»Ich, Ebarvin, Erlafrids Sohn! Denn ich habe, wie alle Männer unseres Völkerbundes, schwere Eide geeidet bei allen Göttern und bei den Schrecken Hels, Trotz und Verrat gegen Bund und Herzog der Alamannen zu wehren, zu rügen und zu rächen, wo, wie, wann immer ich kann. Wohlan! Zwanzig Winter habe ich dem Vater König Ebarbolds und ebensoviele Winter diesem Ebarbold selbst den Schild getragen:—schwer fällt mir jedes Wort aufs Herz, das ich gegen ihn rede: aber schwerer wiegt der Eid, der furchtbare, den mir der Herzog abnahm für den Bund der Alamannen.—Wohlan: ich klage gegen König Ebarbold um Bannbruch, Banntrotz und Heerverrat. Dreimal hab' ich ihn gewarnt, dreimal hab' ich ihm offen gedroht, sein Trachten dem Herzog aufzudecken und dem ganzen Volk. Er hat dazu gelacht. Er hat es nicht glauben wollen. Er hat gemeint: ›Näher liegt dir am Herzen die Haut als der Mantel, näher steht dir der Ebergau als das Volk, näher dein Gefolgsherr als der Herzog.‹ Er irrt. So war es ehedem, so war es lange, lange Zeit. Und das war unser aller Unheil.
Wir haben's endlich gelernt:—die Römer haben's uns mit ehernen Ruten beigebracht:—wir haben's gelernt in blutigen Nöten: das Volk, der Volkerbund ist das Höchste: denn er allein schützt alle: mehr als der Finger gilt die Hand. Er aber hat mich und alle seine Gefolgen, ja alle Heermänner unseres Gaues bereden wollen und, da wir's weigerten, hat er uns befehlen wollen kraft seines Königsbannes, wenn das Volksding den Kampf beschließe und der Herzog aufbreche mit dem Heer, nicht zu gehorchen, sondern abzuziehen vom Weihberg, im Notfall mit Gewalt uns durchzuschlagen und von den Römern Schonung für unseren Gau zu erbitten unter Geiselstellung und Unterwerfung.«
Da durchdrang ein furchtbares Brausen die Reihen: die Waffen klirrten: der Zorn des Volks brach grimmig los: einige Jüngere sprangen, dräuend die Schwerter zückend, gegen den Angeklagten, welcher schweigend, aber trotzig, dicht vor dem Richtersteine stand.
»Halt,« rief der Herzog, »nieder die Waffen! Wer sie nochmal zückt im Dingfrieden, im Heerfrieden,—dem geht's an die Hand.« Er war rasch aufgesprungen und hielt nun von der oberen Stufe über des Bedrohten Haupt schützend seinen langwallenden, dunkeln Mantel.—Sofort legte sich der Lärm: beschämt traten die Hitzigsten zurück in den Ring. »Ich frage dich,« begann nun der Richter, »König Ebarbold', Sohn—«
»Spare die Worte, Graf des Linzgaus,« fiel dieser finster blickend, aber furchtlos, ein. »Es ist alles wahr. Bringt mich um: ihr habt die Macht dazu; so habt ihr denn das Recht. Ich will nicht leben!—Hätte ich leben wollen,—glaube mir, ich hätte fliehen können in meinen Gau oder ins Römerlager, lang bevor du mir durch deine Zwangboten die Königswaffen meiner Sippe abnehmen und mich auf Schritt und Tritt bewachen ließest, während du den elenden Fischer nur entwaffnet hast. Freilich: du hättest mich ja sogar binden lasten dürfen, nach dem neuen Bundesrecht!—Mich, vieler Könige Sohn und eines Gottes Enkel!—Seit ich meines treuesten Gefolgen, meines alten eigenen Schildträgers Abfall erfahren—ekelt mich's der Zeit!—Ich will nicht mehr leben in einem Volk, nach einem Recht, da das Scheußliche geschieht, daß der Gaumann den Gaukönig, der Gefolge den Gefolgsherrn geringer wertet als den leeren Schall dieses ›Bundes‹, als den kurz herrschenden ›Herzog‹ aus einem fremden Gau. Ich bin zu alt und zu stolz, dies neue Recht zu lernen! Du, machtgieriger Alter, hast mich doch schon lang in deinen blutigen Gedanken deinem wilden Wodan geweiht.« »Nicht ich, du dich selbst, Ebors Sohn.«
»Also gut,—bring' mich um,«
»Nicht ich,—du selbst hast dich ausgethan aus deinem Volk durch solche Gesinnung! Ja, es ist besser, daß solche Männer, wie du bist, sterben, als daß sie leben: die Gaukönige, wenn sie trotzen, müssen Wodan bluten, der da Volkskönig ist über alle unsere Götter und alle unsere Völker.« »Mein Geschlecht,« sprach der König stolz, »steigt durch hundert Ahnen auf zu den Göttern: aber nicht zu jenem listigen, dessen geheime Ränke du nachahmst, der zwischen Völkern und Fürsten Zankrunen ausstreut: von dem Friedensgott, Fro, der Fruchtbarkeit spendet, stammen wir; seinen goldborstigen Eber hat er uns, seinen Söhnen, als Wahrzeichen, gesetzt auf Helm und Schild. Ihn ehrt' ich von je und den Frieden zumeist!« »Ha, Gott Fro,« erwiderte der Alte, nun grimmig,—denn er vertrug es schlecht, seinen Wodan schelten zu hören—»Gott Fro wird wenig sich freuen, schaut er nun bald seinen Enkel an übler Eibe zappeln, wie die langschnäblige Schnepfe, die in der Schlinge sich fing. Denn:—ich frage das Heerding:—sein Mund ist geständig der schwersten Schuld:—was droht ihm das Recht?« »Den Strang! Den Weidenstrang!« scholl es nun tausendstimmig. »Den Schmachbaum! Hängt ihn sogleich!«—»Aber zwischen zwei Hunde:—er ist der Wölfe nicht wert!« Da zuckte Schmerz über des Königs stolzes, kühnes Antlitz: er scheute nicht den Tod:—aber die Schmach. Er fuhr leise zusammen. Scharf hatte es der Herzog bemerkt. »Ich, der Richter,« hob er nun langsam an, »ich darf dies Urteil nicht schelten,—und der Schuldige kann es nicht.—Aber bedenkt, ihr Speermänner! Wenig Ruhm wird es unserem Namen bringen bei den anderen Völkern, wenn das Gerücht unter sie fährt: ›ein König der Alamannen schwebt wegen Heerverrats zwischen Wolken und Wasser.‹—Ihr habt dem geringen Mann, dem Fischer, den Halm der Hoffnung dargereicht, ob ihn etwa der Hohe vor dem Schmachtod errette, ihn zu sich hinaufreiße nach Walhall oder gar—wider die Möglichkeit fast!—bei Vollendung der That, die ihr ihm aufgegeben, das Leben ihm wahre. Wohlan:—viel schwerer zwar ist dieses Königs Schuld als des allzu kindliebenden Vaters:—aber ehrt in ihm den Sproß des Erntegottes! Reizt zur Rache nicht Fro, daß er nicht viele Jahre unsere Saaten schlage mit Mißwachs! Leicht ist er erzürnt, der Gott des goldborstigen Ebers! Und gedenket auch dankbar dessen, der dieses Mannes Vater war.«
»Ein wackerer Held!« scholl es in der Runde.
»Bei Strataburg fiel er, in der blutigen Mordschlacht, an der Spitze des Keiles seines Gaus:—tapfer vorkämpfend seinem Volke fiel er endlich zusammen,—rücklings fiel er, auf seinen Schild: mit vielen Wunden auf der Brust, denn er wollte, der eberkühne Mann, den Rücken dem Feinde nicht zeigen. Dieser Held schaut jetzt aus Walhall auf uns nieder,—bang' klopft ihm das Herz um dies drohende Schmachgeschick:—Alamannen, laßt ihn nicht den Sohn zwischen Hunden hangen sehen:—gönnt auch dem König—wie dem Fischer—eine lösende That!«
Da warf der Verurteilte einen Blick des Dankes zu dem Manne empor,—den er so bitter haßte. Das Volk schwieg noch: sein Groll war allzu heiß. »Wenn er aber entspringt?«—»Wenn er mitten im Kampf zu den Walen überlauft?« So riefen zwei Männer zugleich.
Da entrang sich ein tiefes Stöhnen der Brust des trotzigen Königs: »Von dem Fischer hat das keiner gefürchtet! So niederträchtig darf man mich erachten.« Und er schlug die geballte Faust vor die Stirn.
Da trat Ebarvin vor, sein Ankläger, und sprach: »Hart waren diese Fragen und unverdient. Wenige im Volk werden das argwöhnen vom König des Ebergaus. Er sprach wahr: lang vor heute hätte er fliehen mögen: er wollte nicht fliehen. Ich glaub' ihm: ich kenne ihn, seit er zu sprechen lernte: nie hat er gelogen, so lang' er sprechen kann' er will sterben aus Groll gegen den Völkerbund, der da die Könige beugt und zwingt—und vielleicht auch:—aus Reue und Scham!«—
Der König machte, tief getroffen, eine rasche Wendung von dem Sprecher hinweg und schloß die Augen fest: aber gleich schlug er sie wieder auf mit trotzigem Blick.
»Wohlan, ich, ein freier, unbescholtener Mann mit breitem Ackergut im Ebergau,—ich bürge für ihn mit Leib und Leben, mit Eigen und Ehre! Ich gelobe für ihn: jede Waffenthat, die das Volk ihm auferlegt, dadurch vom Strang sich zu lösen, vollführt König Ebarbold: oder er fällt dabei auf seinen Schild.« »Ich danke dir, Ebarvin,« sprach der Gequälte, hoch sich aufrichtend: dies Vertrauen that ihm wohl, tief in der Seele. »So sei's! So sei's!« rief die Menge, bevor der Richter die Frage stellen konnte. »Der Herzog soll die That ihm küren!« »Wohlan,« sprach dieser, ohne Besinnen: »sie ist gekürt! Im Lager der Römer lebt ein Held, der ist ihr Haupt und ihre ganze Stärke: fällt der, fällt alle ihre Kriegskraft auseinander. Nennt mir den Mann!«
»Saturninus!« scholl's von vielen Seiten. Denn wiederholt schon hatte der Tribun in Germanien befehligt, und gar mancher der nun auf dem Weihberg Versammelten hatte früher um römischen Sold gedient.
»Ebarbold, bring' uns aus der Schlacht des Saturninus Haupt—und sei gesühnt! Willst du das, Eberheld?«—»Ich will's,« sprach dieser, hochaufatmend. »Reicht mir mein Schwert—gebt mir die Waffen wieder,«—der Schildträger hielt ihm die Scheide hin: er riß die Klinge heraus, streckte die Spitze gegen die Sonne und sprach: »Ich schwöre bei dieser Klinge—des einarmigen Kriegsgotts heil'gem Ebenbild: im nächsten Kampfe töt' ich den Tribun oder falle durch sein Schwert.« Lauter Jubel, lärmender Beifall erscholl nun: alle, auch die zuvor am bittersten gegrollt, waren jetzt doch im Innersten froh, daß statt der schmählichen Bestrafung des Stolzen eine ehrende Lösung gefunden war. Zufrieden blickte der Herzog auf das brausende Gewoge herab.
Nachdem er der Erregung der Menge Zeit gegönnt, sich auszutoben, gab der Alte den zwölf Fronboten einen Wink:—diese eilten in den dichten hinter der Esche rauschenden Eichenhain—dann schlug er auf den Schild und sprach: »Gerichtet nun ist nach gerechtem Recht und nach des Volkes edlem Willen. Der Richter hat sein Werk gethan: nun höre auf deinen Herzog, du Heer der Alamannen!«
Tiefe Stille ward sogleich: gespannt ruhten aller Augen auf ihm, der nun aufsprang, den Schild vom Baume hob und an den linken Arm hing, während er, den Speer in der Rechten, von der hohen Steinplatte herab, also sprach:—mächtig erhob er nun, erztönig, mit ganz anderem Klange, die Stimme, die gewaltig über das Heervolk scholl: »Viele von euch, ich weiß es,—und nicht die schlechtesten Speerleute!—haben schweigend gegrollt oder auch laut murrend gescholten, daß ich so lange gezögert, euch zum Kampf zu führen. Der Feind stand im Land und wir wichen in die Wälder:—er verbrannte die Hallen und Gehöfte:—wir sahen, thatenlos, aus sicherer Ferne Feuer und Rauch aufsteigen:—allmählich kamen auch aus den entlegenen Gauen, bundgetreu und eidgehorsam, die Heerleute:—und immer noch zögerte der Herzog!—Und indes festigte der Feind von Tag zu Tag sein Lager!—Ja, wir wußten es wohl:—jeder Morgen konnte von der Seeburg da drüben auf hochschnäbeligen Schiffen ihm fast nochmal so viel Krieger zuführen, als er schon im Lager zählte. Warum säumte der Alte immer noch? Wann schlägt er los?«
»Jawohl, warum zögern? Wann geht's zum Kampf?« wiederholten ungeduldig viele Stimmen.
»Er zögerte,« fuhr der Herzog fort und seine Stimme dröhnte—»weil er nicht einen Teil, nicht die Hälfte, weil er sie alle, alle treffen wollte, so viele als nur erreichbar! Alle die Mordbuben, die Brandbrenner, die der Knabe im Kaiserpurpur da drüben überm See wieder einmal losgelassen hat auf unser freies Volk! Morgen—getreue Männer haben's mir rascher gemeldet, als es das Römerlager selbst erfährt,—morgen in der Frühe kommen sie herübergeschwommen, die stolzen Schiffe: morgen Mittag ankern sie am Ufer zunächst dem Lager:—und morgen nach Mitternacht führt euch der alte Hariowald zum Sturm auf Lager—und Schiffe zugleich!«
Da brach die so lang zurückgehaltene Kampfeswut furchtbar los: brausende Rufe und wilder Waffenlärm drangen durch die Luft. »Schauet,« fuhr er fort, »schon tragen die Fronboten aus der Landesgötter heiligem Hain, aus geheimnisvollem Schauer der nie vom Tag durchleuchteten Waldnacht, sie herabholend von den uralten Eichen, die Feldzeichen, die sieghaften, unsrer Geschlechter und Gaue herbei.«
Ein von Ehrfurcht leise gedämpfter Ruf der Freude grüßte den Zug der zwölf Fronboten, welche nun paarweise, in feierlich gemessenen Schritten, von den Seiten der Esche hervortraten und die Feldzeichen verteilten an die aus dem Ring vorschreitenden Vertreter der einzelnen Landschaften und Sippen.
Ebarvin ergriff das Zeichen des Ebergaues: auf hohem Speer ragte über einer Querstange das dräuend hauende Eberhaupt. Adalo ergriff einen gleichen Schaft, der ein mächtiges Hirschgeweih trug. Und fast alle Ungetüme des Urwalds und heiligen Tiere der Götter waren in ähnlicher Weise verwertet: neben den riesigen Hörnern des Auerstiers und des Wisent prangten die breiten Schaufeln des Elchs: Wodans Wolf und Donars Bär und Loges Fuchs sperrten dräuend die Rachen, Zius Schwert, gerade aufwärts starrend, trug ein blutrot bemalter Schaft: ein andrer zeigte Donars Hammer zwischen zwei ehern geschmiedeten, rotzackigen Blitzen: drei Lanzen trugen je ein weißknochiges Pferdehaupt, den gekrümmten Bug noch wild umflattert von schwarzer, roter, brauner Mähne. Auf anderen Stangen sträubten der Seeadler, der Königsadler, der Lämmergeier die Flügel und drohten mit den erhobenen Fängen. Einem von Holz gezimmerten Flügeldrachen hatte man die Häute wirklicher Schlangen, der Ringel- und der Kupfernatter, übergezogen, die knisternd im Winde raschelten. Und da man, wie die Mähnen den Rossen, auch den wilden Tieren die Schur samt dem Schweif von dem Haupte herab hatte hängen lassen und da fußlange rote, gelbe, blaue Bänder um die Querstange flatterten, fehlte es nicht an der rauschenden, wehenden Bewegung, an welche wir bei »Fahnen« zu denken gewöhnt sind. Unter diesen Randstreifen war gar manches Stück eine Trophäe: ein zerhauener Fetzen aus einer eroberten Drachenstandarte, oder ein Purpurwimpel, wie sie die römischen Geschwader und Kohorten schon seit lange unter dem Kreuz, dem »Labarum«, statt der abgeschworenen, heidnischen Adler führten.—Als die Vertreter der Gaue und Geschlechter die geliebten und geehrten Bildstangen empfangen hatten und in ihre Reihen zurückgetreten waren, fuhr der Herzog fort: »Heil euch, ihr alten Zeichen des Kampfes und Zeugen der Siege! Heil euch und Gruß, ihr Göttergeweihten! Vor euch, ihr Streitvertrauten, vor euch wag' ich, zukunftschauend, ergriffen von der unsichtbar euch umschwebenden Götter Gewalt, vor euch wag' ich ein weissagendes Wort. Ihr, meine Waffengenossen, alamannische Männer,—zweifelt mir diesmal nicht am Siege. Ihr wißt: prahlen vor der That ist nicht des Alten Art: aber diesmal weissag' ich euch sichern, völligen, herrlichen, seligen Sieg! Alle unsere Götter helfen morgen zusammen! Nicht am wenigsten Loge, der Flammende! In Feuer und Glut werden Zelte versinken und Schiffe! Die Seefrau wird viele Hunderte in ihrem Netz niederziehen zum feuchten Grund. Aufthun wird die Erdgöttin, die furchtbare, ihren geheimnisvollen Schos, auf welchen die frechen Fremdlinge mit ehernen Füßen gestampft: die Rächer wird sie, ihres Landes Söhne, ausstreuen mitten in des Feindes festester Schanzburg! Denn er, der Hohe, hat die Verhaßten verblendet, daß sie sich in unserem ganzen Gau den für sie verderblichsten Lagerort gewählt! Und wenn sie nun flüchten aus den Zelten nach den Schiffen, im Schrecken der Nacht und im flackernden Schein ihrer brennenden Schanzen:—dann sollen sie am See rennen in das gleiche Verderben: in Feuer und Blut.
Und wenn die letzten der flüchtigen Schiffe mit halbverbranntem Mast und Bug, verfolgt, gehetzt von unseren raschen Kähnen, wirklich glücklich das Südufer und die Hafenburg erreichen, aus der sie so siegessicher ausgezogen:—wer weiß—ich sage nicht mehr—wer weiß, ob sie nicht dort erst ganz das ungeahnte Verhängnis umgarnt. Nein!—Schweiget noch—hört mich zu Ende—! Bevor ich nun das Heerding löse und euch entsende, alle Waffen aufs beste zu rüsten, die Spitzen und Schneiden frisch zu schleifen, und reichlich—aber nicht allzureichlich!—zu schmausen und zu trinken, dann aber bald,—hört ihr?—bald den Schlaf zu suchen—denn morgen Nacht werdet ihr nicht schlafen!—vernehmt noch eins! Noch einen Beschluß müßt ihr fassen vor dieser Schlacht!—Gedenket, ihr Männer, wie von Geschlecht zu Geschlecht diese Römer an unserem Volke gefrevelt!
Wie sie wieder und wieder Treu' und Verträge gebrochen! Wie sie uns nicht gönnen das arme Land, das wir dem Sumpf, dem Urwald abgerungen! Wie sie, gegen die Verträge, ihre Zwingburgen immer wieder in unsere Marken vorgeschoben! Wie sie Tausende von unsern Ahnen nackt, waffenlos, kämpfen ließen mit wilden Tieren im blutgeröteten Sand ihrer Festspiele dort in der Tiberstadt, sich weidend, hoch auf sicheren Gerüsten, an den Todesqualen der Unsrigen unter den Tatzen, in den Zähnen brüllender Untiere! Wie sie zu Tausenden mit Gewalt unsere Jünglinge in ihre Kohorten steckten und verbluten ließen, oft jenseit des salzigen Meersees! Ha, wißt ihr's noch, ihr Alamannen des Schwarzwaldes, wie sie euren König Widigab zum Gastmahl luden des Kaisers und ihn beim Becher meuchlings erstachen? Habt ihr's vergessen, ihr Alamannen des Ebergaues, die ihr euch untergeben hattet unter dem Beding, nach eurem eignen Recht zu leben, wie sie um geringster Ursach' willen eure freien Männer geißeln ließen durch ihre Liktoren? Gedenkt ihr's noch, ihr Alamannen vom Brisagau, wie sie friedlichen Durchzug von euch verlangt hatten und wie sie dann, nahe dem heiligen Hain der Göttin Ostara gelagert, Erlaubnis erbaten, den achtzigjährigen Priester und seine Urenkelin, die sechzehnjährige Maid, im Haine aufzusuchen:—ein Feldherr und einer ihrer verschorenen Priester war's und hundert Krieger,—wie sie erkundeten, was wohl euer größtes Heiligtum sei? Und wie die Jungfrau arglos die heilige Erzschale darwies, welche die holde Göttin dereinst euch auf dem Regenbogen niedergelassen,—wie sie plötzlich beide ergriffen, wie vor den Augen des waffenlosen Volkes der Christenpriester die heilige Schale ekel besudelte,—wie der Feldherr den greisen Priester erschlug und die junge Priesterin fortschleppte, zu Gewalt und Schmach,—und wie die Krieger Feuer warfen in den heiligen Hain? Wißt ihr's noch, ihr Leute vom Alpgau, wie mitten im Frieden ein Centurio eures Gaugrafen junges Weib verunehrt hat an ihrem eigenen Herde, daß sie selbst sich erhing an ihrem Gürtel, über ihrem Ehebett? Habt ihr vergessen, wie oft sie unsere Mädchen, ja und auch die Knaben!—wie Herdentiere aneinandergekoppelt an ihrem langen Wirbelhaar, fortgetrieben zum Dienst ihrer scheußlichen Laster, vor denen die reinen Götter von Asgardh schamrot und zornrot wenden die Stirnen? Ihr habt es nicht vergessen! Ich hör' es! Ich seh' es! Wohlan: so thut wie ich rate: keine Gefangenen! Tötet sie alle!—Nicht Einen verschont:—verschmäht jedes Lösegeld.—Das ganze Heer: Führer, Krieger und Troß, sei Wodan und Ziu geweiht.—Ihr wollt—ich sehe es! So sprecht mir nach und schwört:
»Dir, Wodan, geweiht
Und dem zornigen Ziu
Sei was da lebt in dem Lager
Und auf schaukelnden Schiffen:
Bald badet in Blut ihr,
Gewaltige Götter,
Vom Knöchel zum Knie!«
Und in wilder Bewegung die Waffen schwingend, wiederholten die Tausende den furchtbaren Eidspruch:
»Dir, Wodan, geweiht
Und dem zorngen Ziu
Sei was da lebt im Lager
Und auf schaukelnden Schiffen:
Bald badet in Blut ihr,
Gewaltige Götter,
Vom Knöchel zum Knie!«
»Gleich entschar' ich das Heer—nur noch Eines vernehmt:—eures Herzogs Gelöbnis. Gefangen haben die vielen tausend Gepanzerten, die in die friedlichen Gaue brachen, ein einzig Geschöpf: ein wehrloses Weib, ein munteres Mägdlein. Viele, so mein' ich, kennen sie ...«—»Bissula! Die Kleine! Die Holde! Die Rotelbin, Suoberts Kind!« So riefen viele Stimmen. »Ja Bissula, Suoberts Tochter. Wohlan:—wer sie befreit,—wer sie nach der Schlacht aus dem Römerlager mir zuführt,—dem geb' ich den ganzen Herzogsteil an der Lagerbeute.« Da traf ihn ein dankbarer, aber trauriger Blick Adalos: der wagte nicht mehr zu hoffen.—
»Gelöst ist der Ring, zu Ende das Heerding,« fuhr der Alte fort, stürzte die aufrecht gegen den Stamm gelehnte Steinplatte um und stieg von den Stufen herab. Sofort strömten, unter Heilrufen für den Herzog, die Scharen nach allen Seiten auseinander, den Berghang hinab, jetzt gegliedert und verteilt nach den Heerzeichen, die den Geschlechtern und Gauen vorangetragen wurden.
Auch Adalo wollte gehen: aber der Herzog winkte ihm, zu bleiben, nahm ihm das Feldzeichen mit dem Hirsch aus der Hand, und übergab es Sippilo, der es mit großem Stolz den Berg hinabtrug.
»Bleibe,« sprach der Alte, als auch die Fronboten als die letzten die Dingstätte verlassen hatten, »du mußt wissen, wie, nach meinen Gedanken, nach meinem Willen diese Schlacht verlaufen soll. Denn, ruft der Hohe mich hinauf, bevor der Sieg errungen, mußt du ihn vollenden. Und deshalb mußt du nun alles erfahren,—viel mehr als die Heerleute!—was ich seit Wochen vorbereitet, wann ich in schlummerlosen Nachten sann, und was ich geheim ins Werk gesetzt in diesen Tagen. Komm—setze dich zu mir—: auf dem Stein hier breiten wir aus das Bild des Römerlagers, das wir deinem mutigen Brüderlein verdanken.—Viel, viel hat mir's genützt.—Schon gestern sagte ich dir, wie verteilt die Gaue und Geschlechter die vier Seiten und Thore des Lagers zugleich angreifen.«—»Ja: aber wo du mit deinem Haufen angreifst, verschwiegst du:—und—wo ich kämpfen soll.«—»Ich? Ich nehme den kürzesten Weg: den von unten.«—»Nein! Nein! Laß den mir! Er ist der—gefährlichste.« »Ja, ja,« lachte der Alte vor sich hin. »Und du ahnst noch gar nicht, wie gefährlich er ist. Wisse denn: der Aufstieg kann nicht, wie wir gehofft, zu allererst und unvermerkt, überraschend geschehen, sondern erst, nachdem der Feind, durch den Angriff auf den Nordwall aufgeschreckt, in vollen Waffen bereit steht.«—»Dann ist's unmöglich! Aber warum?«—»Weil, wie ich erst vorgestern Nacht erkundet, die Walen bei dem Ausschaufeln des Nordgrabens den äußersten, nördlichsten Teil des Erdgangs zugeschüttet haben. Oder er ist, wohl vermöge der Erschütterung, eingestürzt. Als ich in den Gang aus dem Walde vor dem Lager eindrang—«—»Wie? Du selbst?«—»Ja, ich selbst:—vorgestern Nacht—kam ich nur wenige Schritte weit: ich stieß auf lauter von oben hereingefallene Erde. Ich mußte zurück. Aber ich schlich mich nun, ober der Erde, so nah an den Graben, daß ich von einem Baum aus hineinschauen konnte: der ganze Graben—er ist jetzt wieder trocken—war von ihren Wachtfeuern hell erleuchtet. Da sah ich: die Erdgöttin unseres Landes hat die Augen der Fremdlinge getäuscht! Sie haben den großen Felsstein, der die Fortsetzung des Ganges aus dem Graben in ihr Lager hinein sperrt, nicht verdächtig gefunden und nicht hinweggewälzt. Er wird freilich in Jahrzehnten nicht von der Stelle gerückt:—denn immer nur zwei Männer aus der Hirschhornsippe kennen ja das von Geschlecht zu Geschlecht vererbte Geheimnis: und nur selten einmal erheischt das Bedürfnis, es zu verwerten.—So haben sie den Fels nicht als von Menschenhand dahin gewälzt erkannt und gerade auf der Rasendecke desselben eines ihrer Banner aufgepflanzt. Gar nichts ahnen sie von dem Gang! Denn sieh:—das Lagerbild zeigt es:—hart neben der Nerthustanne, über den Altarsteinen der Idisin, haben sie ein Zelt, leer, nur mit Vorräten und Waffen gefüllt, errichtet:—du siehst, hier!«—»Ja, wahrlich! Gerade über der Mündung ist das Zelt gespannt. Aber da draußen—im Nordgraben—sind zahlreiche Wachen angegeben:—thrakische Speerträger wechselnd mit Batavern! »Ja, das eben ist's.—Die müssen erst vertrieben sein mit Gewalt, bevor ich den Fels hinwegwälzen und empordringen kann.«—»Das wird Blut kosten! Und lange währen! Die Thraker und noch mehr die Bataver sind ihre allerbesten Scharen. Schlimm, wenn gerade die Bataver die Reihe trifft!—Sie stehen uns nicht nach an Heldenschaft!«—»Gleichviel. Sie müssen fallen, bevor der alte Dachs in den alten Bau fahren kann.«—»Und dann erst,—nachdem der Kampf alle Feinde in die Waffen gerufen—dann willst du ...—? Laß mich an deiner Statt!«—»Gehorche!—Du wirst genug Arbeit finden am Südthor, am Seethor!—Haben wir das Lager erstürmt, wird sich die ganze Flut der noch Lebenden nach den Schiffen durchs Südthor ergießen. Sie dürfen nicht in geschlossener Ordnung an den See gelangen, den dort tobenden Kampf am Ende gegen uns wenden. Du wirfst dich am Südthor den Ausbrechenden entgegen und treibst sie ins brennende Lager zurück oder sprengst sie doch ganz auseinander:—hörst du? Nicht als Verstärker des Widerstands der Schiffe,—als Vermehrer des Entsetzens nur dürfen sie aus dem Lager ankommen am See. Das ist deine Aufgabe:—Saturninus, bleibt er am Leben, wird sie dir schwer genug machen.«—»Also am Südthor!«—»Ja:—und dorthin hab' ich bestellt, falls sie irgend es zu erreichen vermag:—Bissula!«—»Dank!« »Danke mir nicht! Denn dir verbiet' ich, für das Mädchen zu kämpfen:—du kämpfest mir nur für den Sieg. Aber sorge nicht: Wenn sie noch lebt, wird sie gerettet. Zercho und Sippilo hab' ich von jeder andern Kampfespflicht gelöst und ihnen nur das eine aufgegeben: die Kleine zu finden und zu bergen. Dich aber—brauch' ich zu höherem Werk. Nur einen scheu' ich,« sprach er leiser, »in dem ganzen Heer:—Saturninus! Das ist so einer, wie ihre alten Führer waren, aus der Zeit ihrer besseren Kraft:—aus jenen Tagen, von denen Großvater und Vater mir mit Grauen erzählt, da es fast nicht möglich war für allerhöchstes Heldentum, ein Römerheer zu schlagen! Wer weiß, ob Ebarbold ihn fällt! Den König müssen wir zuerst an ihn lassen—er hat die Vorhand:—aber, falls von den beiden der Römer übrig bleibt und ich ihn nicht vor dir erreiche und töte nach des Königs Fall—ich werde mir alle Mühe geben!—sorgst du mir, Adalgers Sohn, daß Saturninus nicht sein Heer geschlossen hinunterführt an den See: halt' ihn auf, solang du stehen kannst in deinen Schuhen.«—»Solang ich kann!—Aber ich staunte, wie du dem Fischer die Aufgabe stelltest.—Kommen auch die Römerschiffe herüber:—wie kannst du wissen, ob er sie vom Land her—sie ankern ja, sie ziehen sie nicht ans Ufer—erreichen mag? Wie soll Fiskulf vom gestürmten Römerlager her—?« »Der stürmt nicht mit,« lachte der Alte fröhlich in seinen Bart, den er vergnüglich strich. »Kommt auch nicht vom Lande her an das Feldherrnschiff:—er kommt seewärts!«—»Schwimmend?«—»Nein, fahrend! Wisse, was noch keiner weiß: denn geschwätzig ist die Menge.—Außer den fernsten Alamannengauen hab' ich geheim die Hermunduren gewonnen, die das Wasser des Mains trinken, uns Zuzug zu leisten für diesen Krieg.—Du wähntest, die Kähne in den beiden Schilfwäldern im Osten und im Westen vom Idisenhang seien jetzt nur von Wehrunfähigen gefüllt, nachdem ich die Männer meist hierher gezogen? Nein, Freund! Die Kähne,—fast dreihundert,—in den beiden Schilfwäldern, sie sind nicht leer an Männern! Die Weiber und Kinder wurden heut' Nacht ans Ufer gebracht: über zweitausend Alamannen und Hermunduren springen hinein!—Von links und von rechts, von Aufgang und von Niedergang zugleich schweben sie in der Stille, in dem Dunkel der Nacht gegen die hochgeschnäbelten Schiffe: und sobald die erste Fackel auf dem Idisenhang hochgeschwungen ins Römerlager fliegt,—fallen unsere Kähne vom offenen See und von links und rechts die Römerschiffe an. Ha, du meinst, wie Nußschalen sind unsere Einbäume gegen jene Riesen? Wohl: aber hast du nie gesehen, daß viele kleine mutige Schwalben den Sperber in die Flucht schlagen? Wohl sind sie winzig, unsere Schelche:—aber zweihundert und mehr gegen sechzig! Und lustig sollen Harz und Pech der Seewaldstannen brennen, entflammt in tausend dürren Reisigbündeln, in Segellinnen und Takelwerk der Trieren.«
»Das hast du—alles—allein—ersonnen?« fragte der Jüngling. »Ha, mehr, Weitergreifendes als das!—Gleich dem Höllenwolf sperrt dieses Rom den Rachen auf, ganz Mittelgardh zu verschlingen! Wie? Sie wollen uns nicht einmal am Nordufer des Sees so viel Land gönnen, als unser wachsend Volk braucht, darauf zu leben? Wohl: laß doch sehen, ob den Unersättlichen zur Strafe für neue und alte Frevel die Götter nicht auch das Gebiet nehmen, das die Gewaltthätigen bisher noch behauptet hatten:—das Südufer!« Adalos Staunen wuchs. »Von jenem Arbor schwimmen morgen ihre stolzen Riesenschiffe gegen uns: die von ihnen, die dem Nachtbrand entrinnen, nicht soll sie, hoff' ich, flüchten sie heimwärts, der Horst wieder aufnehmen, von dem dies Raubgevögel ausflog.«—»Wie! Arbor?« »Lange beredet habe ich gemeinsame That auch mit unsern äußersten Ostgauen: sie weigerten nicht die Bundeshilfe, wie die Menge hier wähnt, weil sie die Scharen der Ostgauen nicht hier gesehen hat. Ohnehin,« lachte er listig, »haben die Ostleute meist Könige.—Es war nicht notwendig, alle diese Gaukönige hier zu haben, wo Ebarbolds Schicksal sich entscheiden mußte. Hei, die anderen Könige helfen einstweilen, da, wo ich sie hinschickte: auf dem Südufer!—Aber nicht sie allein! Es galt, auch die noch von Rom geknechteten Brüder unseres Stammes zu befreien. Seit lange tragen mit Knirschen die Alamannen und die anderen Siedler,—mehr Unfreie als Halbfreie!—die da drüben von den Zwingburgen niedergehalten werden, von der Linden-Insel, hinter Brigantium herum, bis über Arbor und Constantia hinaus, das jährlich schwerer lastende Joch! Längst waren sie bereit, loszuschlagen, wenn nur nicht die Seeburgen allzustark besetzt schienen:—diese Festen fürchten sie aus alter Erfahrung—und wenn ihnen von uns Hilfe kam. Wohl: am wenigsten jetzt, da der Kaiser so nahe, da ein römisch Heer drohend auf dem Nordufer steht, am wenigsten jetzt fürchten die Zwingherren einen Angriff auf ihre Festen am Südufer. Morgen werden auf den Schiffen fast alle Krieger, die sonst Arbor schützen, mit herüberfahren, an dem lustigen Beutezug teilzunehmen: nur spärliche Wachen lassen sie zurück. Aber sobald das Lager auf dem Idisenhang in Flammen steht,—ein prachtvoll Feuerzeichen, das Ziu selbst entzündet!—fallen die empörten Colonen über Arbor von der Landseite her. Tausend freie Alamannen der Ostgaue helfen dazu:—sie sind weit, weit hinter Brigantium, durch die Bergpässe geschlüpft, in kleinen Haufen, und in den Wäldern und Gehöften der Colonen versteckt seit zwei Tagen.—Zugleich sprengen unsere Leute aus den Ostsümpfen—Suomar führt sie—auf dreißig Kähnen im Dunkel der Nacht,—sieh: deshalb konnte ich die Mondgöttin nicht am Himmel brauchen!—bis vor Arbor geschwommen, die Ketten des Hafens: und wenn nicht der Christengott aus den Wolken greift, die Zwingburg zu retten, findet die Morgensonne die freien und die befreiten Alamannen auf den Wällen von Arbor!—Schon mehrmals haben wir's gewonnen, geplündert, halb verbrannt und—geräumt, so daß gar bald die Römer sich wieder hineinsetzen mochten: so thöricht sind wir nicht mehr! Gewinnen wir's diesmal,—so bleiben wir drin für immerdar! Dann ist ein Glied aus der ehernen Kette gesprengt,—und von da aus werden wir dann allmählich leichter auch die anderen Festen zur Linken und zur Rechten, von Brigantium bis Constantia, zwingen. Ich werde den Tag nicht mehr sehen, aber du, Jüngling, da das Südufer des Sees und das Land bis tief, tief hinein in die hohen Berge mit dem ewigen Schnee auf den Häuptern frei alamannisch Eigen ist: dann denk' an diese Stunde und an Hariowald, den Alten.«
Mächtig erregt sprang der Greis auf:—sein weißes Haar, sein wallender Silberbart flogen prächtig im Winde. »Mein Herzog,«—rief der Jüngling begeistert,—»das ist gewaltig!—Sprich, wenn wir morgen diesen großen Sieg nach deinen Gedanken gewonnen,—willst du dann nicht statt Graf König heißen unseres Linzgaus und des Ebergaus, wenn dessen König fällt?« »Nein,« antwortete der Alte ruhig, »es wäre nicht weise! Ich hab' es längst erwogen. Ein anderes, wähn' ich, ist Wodans Wille mit unserem Volk!—Ebarbold hat keine Gesippen: nach seinem Tod werden sie, schlage ich aus,—gar keinen König mehr küren. Und das ist gut. Denn nahe ist die Zeit herangerückt,—obzwar noch nicht ganz gekommen,—da ein Volkskönig, ein Einziger, alle Gaue der Alamannen unter sich versammelt: der Weg wird freier, leichter für diesen Allkönig zurückzulegen, je weniger Gau könige, je mehr bloße Grafen über den Gauen stehen. Wir beide, wir wollen dem künftigen Volkskönig die Bahn ebnen, nicht sperren. Nein, nein! Und die Leute im Ebergau sollen auch nicht sprechen: ›Ebarbold mußte fallen, weil Hariowald König heißen wollte.‹ Jener Volkskönig kommt! Dann wird freilich das Volk kaum mehr wissen von mir und von dir! Nur ein Sänger etwa wird zuweilen Harfen in des Ein-Königs Halle von Hariowald dem Alten, und von Adalo dem Jungen, wie sie in einer Nacht dreimal zugleich die Walen schlugen!—Wir aber, Adalo, wir beide, schauen dann aufs freie Land der Alamannen nieder, das von den Alpen reicht bis übern Wasgenwald! Von Wodans Tischbank schauen wir herab.
Und wohl erwart' ich's, trete ich dereinst über Walhalls Schwelle, daß der Hohe aufsteht von seinem Hochsitz und mir entgegenschreitet, das Trinkhorn in der Hand. Denn viele Männer wahrlich,—weit mehrere durch meinen stets Krieg schürenden Rat als durch meinen Speer,—hab' ich ihm in fünfzig Jahren hinaufgesandt durch den Bluttod, zu füllen seinen Saal, zu mehren sein Heer. Ja, mein Adalo, wir schauen dann hinunter auf unseres Volkes Herrlichkeit und lachen einander zu: ›wir zwei haben auch daran mit gebaut in jener Nacht auf dem Idisenhang.‹
So—Adalo—so lob' ich dich: deine Wange glüht:—dein Auge blitzt! Das ist der rechte, das ist Wodans Geist, der nun über dich kommt. Und der allein, dieser Kampfmut, schafft dir auch deines Herzens heißesten Wunsch:—nicht die dumpfe Verzweiflung der letzten Tage, in der du, Unseliger!—jenen geheimen Antrag an die beiden Feldherrn geschickt!—Still!—Freilich wußte ich's!—Es war nicht schwer, zu raten, was in dem Briefe stand, was du botest, nachdem sie bereits alles, was du sonst zu geben hast, verschmäht hatten. Ich wußte aber auch ganz gewiß, daß sie dich abweisen!—Darum allein ließ ich deinen Boten,—du wähntest unentdeckt!—durch die Verhacke. Gern säh' auch ich sie frei, das wilde, rote Waldröslein vom Seebühl, in unseres Volkes Eichkranz die rote Blume:—aber deine Bissula steckt—mit dem Sieg!—im Römerlager dort:—Willst du sie haben, haue sie dir heraus, zugleich mit dem Sieg und deines Volkes Heil! Nein, danke mir nicht!—Rede nicht!—Gehe nun!—Ich muß jetzt einsam sein!«
Im Römerlager waren unterdessen sehr ernste Dinge geschehen. Die freundschaftliche Stimmung zwischen den beiden römischen Führern war in Spannung, die Unbefangenheit Bissulas gegenüber dem einen und dem andern war in Furcht und Mißtrauen umgeschlagen. Die beiden Freunde, einst so nah verbunden, mieden einander und beschränkten Verkehr und Gespräch auf das vom Dienst unerläßlich Geforderte. Dabei bemerkte die nun argwöhnisch beobachtende Gefangene an Ausonius grollende Bitterkeit, sonst seiner Gutmütigkeit sehr fremd, gegenüber dem Tribun.
Dieser dagegen zürnte offenbar nicht: auch bei kühler Zurückhaltung schien er den älteren Freund zu schonen, ja mit einer Art von Mitleid zu behandeln.
Die Kleine selbst aber war recht übel daran. Ihre Harmlosigkeit war zerstört.—Sie wußte nicht, wen sie ängstlicher scheuen sollte von den beiden Männern, deren Freundschaft, wenn nicht durch sie, doch um ihretwillen zerrissen schien.
Schon diese Empfindung schmerzte die Gutherzige. Dazu trat aber beängstigend die schwere Sorge um die Zukunft, die Furcht vor dem Ungewissen, der Trotz—der recht ohnmächtige und seiner Ohnmacht bewußte—gegen den Zwang, den fremde Beschlüsse der so stolz Eigenwilligen jetzt schon aufnötigten, noch empfindlicher drohten für die allernächste Zeit.
Denn mochten die beiden Römer in allem andern, was die Gefangene anging, verschieden denken:—darin schienen sie einig: Bissula sollte nicht wieder frei werden, nie wieder in die Waldhütte am See zurückkehren, in die traute Nachbarschaft.—Bei diesem Gedanken traten Thränen in die einst so mutwilligen oder stolzen Augen. Wie schmerzlich gestand sie sich's, daß ihre Thorheit, ihr Trotz ganz allein all' dies Unheil über sie heraufgeführt hatten!—Wie gut, wie klug, wie treu hatte es Adalo gemeint! Und diese Thränen, heiße, bittere Thränen der Reue, ja der Sehnsucht,—sie thaten ihr doch so wohl! Und auch jetzt, in ihrer selbstverschuldeten Not, hatte er sie nicht aufgegeben! Der erste Gruß, der von ihrem Volke zu ihr gedrungen, er war von ihm gekommen: den jungen Bruder, den er so warm liebte—und deshalb hatte ja auch sie den Knaben so gern!—, hatte er zu ihr gesendet und ihr seine Bruna geschickt, ihr altes Gespiel!—
Wohl hatte sie sich vor den Soldaten schlau verstellt und sich laut gewundert über des Tieres »Zuthunlichkeit«. Aber sobald sie im Zelt mit der Treuen allein war, hatte sie den mächtigen Kopf zärtlich in die beiden weißen Arme geschlossen, der freudig Brummenden die breite Stirn geküßt und den Nacken geklopft. Da griff sie das Halsband,—strich drüber hin, fühlte eine Vertiefung, zog sie aus dem krausen Fell ans Licht der römischen Ampel, erkannte Runen und las:
»durchs Seethor«.
Hoch und heiß klopfte ihr Herz! Also hatten die Freunde ihre Flucht bereits beraten! Sie gaben ihr die sicherste Richtung an, die Seite des Lagers, wo die Genossen sie erwarteten! Aber unmöglich konnte die Meinung sein, sie solle jetzt, ohne weiteres, durch das »Seethor«, das heißt: durch die Tag und Nacht scharf bewachte »Porta decumana«, zu dringen versuchen. Nicht jetzt!—Aber wann? Offenbar, sobald irgend etwas geschähe, das die Flucht überhaupt ermögliche:—alsdann sollte sie jene Richtung vorziehen. Aber was sollte geschehen? Ein Angriff der Alamannen? Ausonius lachte darüber. Und Saturninus sogar, der Vorsichtige, hatte gemeint: »Wenn sie nicht herein fliegen, wie die Schwalben, die sich jetzt zur Reise rüsten, kommen sie nicht in dies feste Lager.«
So zerarbeitete sie ihr Köpfchen, über alle Möglichkeiten grübelnd, die ihr die Freiheit verschaffen könnten—gegen oder mit Willen der Römer. Sollte sie nochmal Ausonius bitten? Nein! Eine seltsame Scheu hielt sie seit der letzten Unterredung von ihm zurück.
Nie hatte sie den wohlredenden, klugen Mann anders als wie die Tochter den Vater verehrt:—aber neulich, bei dem Vorschlag, sie mitzunehmen, hatten seine Augen so seltsam auf ihr geruht:—so—wie noch nie zuvor. So,—ähnlich wenigstens!—wie Saturninus sie damals angeblickt hatte, als er sie vor der Waldhütte griff,—seither aber nie wieder, auch nicht, als er ihr verkündete, sie gehöre ihm und er gebe sie nicht frei. Und so kam es, daß die feinfühlige Kleine, verschüchtert durch die plötzlich entdeckte Wärme des älteren Mannes, sich sicherer, unbefangener bewegte in der Nähe des jüngeren, aber streng zurückhaltenden.
Sie mied Ausonius: sie suchte fast Saturninus, dem sie schon gleich seit Anfang und dann im ganzen Verlauf ihrer Gefangenschaft als wachsamen Beschützer zu danken gelernt hatte. Oft und oft wandelte sie nun, seit sie Brunas Runenbotschaft gelesen, gegen das »Seethor« hin—ohne Hoffnung, es je unbesetzt oder nachlässig behütet zu finden—dazu hielt der Tribun zu scharfe Zucht, zu scharfe Aufsicht!—nur um sich die Örtlichkeit, die Gassen, die Zelte genau einzuprägen, die in der Nachbarschaft des Thores einen Versteck gewähren möchten, in nächster Nähe einen günstigeren Augenblick abzuwarten. Sie hatte für diesen Zweck bald ins Auge gefaßt einen hochragenden Haufen von aufeinander getürmten Balken, Schanzkörben und Brettern, die bei der Errichtung des Lagers nicht verwendet und hier, links vom Thor, aufgeschichtet worden waren: er überragte hoch ihre Gestalt, hinter ihm war sie vom Thore und von der auf das Thor führenden Zeltgasse her nicht wahrnehmbar. Aber verweilen wollte sie nie länger hier, um nicht Verdacht zu wecken. Auch suchte sie viel lieber die entgegengesetzte, die Nordseite des Lagers auf, dort, wo die hohe Tanne der Erdgöttin neben den breiten Opfersteinen des Altars hochwipfelig und breitästig emporstieg, und wo von der Wallhöhe der Blick frei über die Wälder hin schweifte nach den fernen Höhenzügen, wo sie, hinter Nebelgewölk verschleiert, den Weihberg ragen wußte. Immer dorthin, nicht in die Ostsümpfe, nicht zu Suomar flogen ihr die Gedanken.—Um die Großmutter bangte sie manchmal:—aber Zercho hatte sie gewiß geborgen,—und zwar, nach deren Wunsch, nun, nachdem »der rote Trotzkopf« nicht mehr »nein« sagen konnte, wohl auf dem Weihberg. »Deshalb,« das schützte sie gern sich selber vor, »deshalb muß ich immer an den Weihberg denken! Ach nein! Es ist ja doch nicht wahr! Es ist nicht um der Großmutter willen! Adalo, Adalo hilf!« So hatte sie gerufen am Abend nach der Verweigerung ihrer Freilassung, hoch aus dem Geäst der Tanne, welche sie gern heimlich erkletterte, ganz einsam und ungestört zu träumen: und dabei hatte sie die beiden schönen Arme recht sehnsüchtig geöffnet und sie stehend ausgestreckt über den Lagerwall hinweg nach Nordwesten, nach den Bergen hin, von wo ein spätes Gewitter wetterleuchtete.
Auch an dem Abend, der auf die Musterung gefolgt war,—es war der Tag des Heerdings auf dem Weihberg—wandelte sie durch die Gassen des Lagers, sinnend, träumend von ihrer Befreiung:—ach, von ihrem Befreier!—Bruna, die Getreue, hatte sie an den Pfosten ihres Zeltes festgebunden. Denn wiederholt hatte es schlimme Händel gegeben, wenn sie das gute Tier mitnahm durch die Lagergassen: die bösen Troßbuben warfen es—aus sichern Verstecken—mit Steinen, daß es schwer gereizt ward. Und zumal auf des Ausonius Neffen hatte es so wütenden Haß geworfen, daß es sich drohend, brüllend, auf den Hinterbeinen erhob, wann es seiner ansichtig ward, obwohl er es ängstlich mied und niemals neckte. Nur mit äußerster Mühe, indem sie selbst das aufgerichtete Tier umklafterte, hatte sie einmal verhütet, daß es ihn zerriß. »Deine Bärin versteht Latein,« hatte da Saturninus gelächelt, der ihr zu Hilfe sprang. »Sie hat es verstanden, als Herculanus neulich schwor, sie solle ihm dereinst zu Rom im Amphitheater unter den Bissen seiner thessalischen Hunde büßen, was sie hier Übles gegen ihn im Schilde führe.« »Bruna in Rom?« hatte sie trotzig gerufen. »So wenig—wie Bissula in Burdigala!« Aber sie hatte fast geweint dabei vor Zorn und Haß—und Furcht.
In schweren Gedanken der Sehnsucht und Sorge war so das sonst so heitere Kind auch an diesem Abend wieder von ihrem Zelt nach dem Seethor und von hier, verscheucht durch das Anrufen der thrakischen Posten, durch das ganze Lager bis in die Nähe der lieben Tanne gelangt, die ihr die Eiche des heimatlichen Waldhauses zu ersetzen begonnen hatte: denn auch der Baum der Erdgöttin gewährte bequemen Aufstieg, wie auf einer Treppe, auf den bis zu den Opfersteinen niederreichenden Zweigen, und im Mittelstamm einen von unten undurchspähbaren Schlupfwinkel mit behaglicher Rückenlehne und—mit dem geliebten Ausblick über die römische Zwingburg hinweg nach den fernher grüßenden Höhen.—
Die Sonne war langst gesunken. Rasch kommt das Dunkel in jener Landschaft, sobald die leuchtende Scheibe hinter den Waldufern des Westsees verschwunden. Der Mond war gar nicht sichtbar, nur einzelne Sterne. Von fernher trug der Wind verschollene Laute zu ihr aus dem Wald:—das Wiehern eines Rosses—den Klang einer Waffe—einen Ruf der Wachen vor dem Thor. Ach, jener Wachen, die auch sie hier in ihrem weiten Gefängnis bewachten, ihr die Flucht, die Wiederkehr zu den Ihren verwehrten—auf wie lange noch?—Wehmut überkam sie und das Gefühl aufsteigender Thränen. Weinend aber sollten sie die Zwingherrn gewiß nicht sehen:—sie wollte sich ausweinen—da oben! Leise huschte sie hinauf. Und nun saß sie so still in dem Versteck der Zweige, daß ein verspäteter Vogel,—eine Amsel—, ohne sie zu bemerken, wenige Äste oberhalb ihres Hauptes sich zur Nachtruhe niederließ.—Da bemerkte sie, daß an den Mündungen von zwei einander entgegenlaufenden Lagergassen je ein Mann hinter einem Eckzelt behutsam hervortrat: sie machten sich Zeichen: vorsichtig blickten sie nochmal rückwärts und seitwärts: nun eilten beide einander entgegen und traten gerade unter die Tanne, auf deren nördlicher Seite, so daß der breite Stamm sie nach der Lagerseite hin vollständig deckte. Leise, leise bog das Mädchen das Antlitz nieder: es war ein Behelmter und ein Mann ohne Rüstung: die Züge konnte sie nicht erkennen. Nun hoben sie an zu sprechen: zwar flüsternd, aber die Lauscherin verstand doch gar manches: und sie erkannte nun die Männer—an den Stimmen. »Ich sage dir aber, es muß heute noch sein! Er hat den Schreibsklaven auf morgen früh befohlen—mit dem Siegel! Er will sein Testament ändern, ein Kodicill beifügen! Was hilft mir sein Tod, hat er vorher der Dirne das Beste in des Schos geworfen?« Der andere wandte etwas ein, was das Mädchen nicht vernahm. »Ah,—die—sie ist ja unerreichbar!« erwiderte der erste. »Die Rothaarige! sie steht im Schutz der höllischen Dämonen!«—»Wieso?«—»Nun: neulich Nacht! Todesangst schüttelt mich seither, seh' ich die braune Bestie! Der heiße Atem, der scheußliche, des Untiers, dampfte mir schon aus dem offenen Rachen in das Gesicht! Um ein Haar hätte sie mich umklammert und erdrückt!—Heut' Abend noch—jetzt gleich—beim Nachtmahl!« »Horch, was war das?« warnte erschrocken der andre. »Da oben in der Tanne! Hörtest du nichts?«—»Bah, der Abendwind in den Zweigen!«—»Nein, nein! Das war—«—»Nun, der Vogel da war's! Da fliegt er ja auf!« Laut ihren Angst- und Warnungsruf schmetternd, flog die aufgescheuchte Amsel davon: die Lauscherin hatte in ihrem Entsetzen die Hand auf das heftig pochende Herz gedrückt und durch diese leise Bewegung den ganz nahe sitzenden Vogel erschreckt. »Wohl denn, beim Tartarus! So will ich's wagen. Er klagte heute wieder vor vielen Zeugen über Fieber, über allerlei Schmerzen.«—»Hast du auch Schierling genug? Soll ich dir mein Fläschchen geben? Ich hab' es mitgebracht—hier, ich trag' es immer auf der Brust.«—»Genug für sechs Oheime!«—»Aber das Zeug muß verdächtig schmecken: scharf, bitter!—Wenn er es zu früh merkt?«—»Deshalb habe ich zur andern Hälfte Honig darein gemischt! Du aber verwahre deinen Vorrat sorglich! Vielleicht muß auch Prosper, falls er Verdacht schöpft ..—«—»Oder die Barbarin, wenn er schon das Testament—« »Gehen wir!« unterbrach der andre. »Also in den Kaiserbecher! Er trinkt aus keinem andern.—Rasch:—ich links.«—»Ich rechts!« Die Stimmen verstummten. Nach zwei Seiten verhallten die Schritte.——
Entsetzt, fast gelähmt von Schrecken, glitt das Mädchen den Stamm herunter. Auf der Erde angelangt, wankte sie:—sie hielt sich an dem Stamm an. Einen Augenblick fragte sie sich, ob sie eingeschlafen sei und geträumt habe? Denn sie konnte die That nicht fassen, nicht glauben! Der eigene Neffe—diesen gütevollen Mann! Und doch—es war so. Und Eile that not. Die Stunde des Nachtmahls war bereits angebrochen. Und er trank dabei immer gleich zuerst aus dem Kaiserbecher—mit den drei schönen Frauengestalten—auf das Heil des Kaisers Gratianus. Und jene beiden hatten Vorsprung. Und es war eine ziemliche Strecke von dieser äußersten Nordwestecke des Lagers bis zu dem »Prätorium« im Süden. Sie wandte sich und lief, so rasch sie konnte, erreichte aber nur die nächste Gassenecke: da schrie sie laut auf.
Denn ein eiserner Griff hielt sie am Arme fest. »Hilfe!« schrie sie verzweifelt. »Hilfe! Für Ausonius!« »Was schreist du, Kleine, wie ein sterbend Häslein?« antwortete eine tiefe Stimme. »Wohin so pfeilgeschwind?«—»Laß mich! Wer du auch seiest! Es gilt des Präfekten Leben! Wer bist du?«—»Nignomer bin ich. Ich folgte dir, unbemerkt, bis du auf den Baum stiegst. Hättest auch jetzt nichts von mir gesehen, wärst du nicht plötzlich wie von den Elben geritten davon gerast. Wohin?«—»Zum Präfekten! Sie wollen ihn morden!«—»Ach was nicht gar? Wer?«—»Frage nicht! Komm mit! Eile! Ach, vielleicht ist's schon zu spät.« Der Bataver gab dieser unverkennbaren Verzweiflung nach.—Ohne ihren Arm loszulassen, sprang er neben ihr her. »Wo ist der Tribun?« fragte sie im Laufen. »Beim Präfekten: mit einer Nachricht von Arbor.«—»Dank den Göttern! Nur der kann helfen!« Und weiter rannten sie durch die nun völlig finsteren Lagergassen, an deren Ecken nur in weiten Abständen manchmal Feuer glimmten. Da stürzte das Mädchen. Der Germane riß sie auf: »Ein Zeltstrick! Du mußt mehr in der Mitte laufen. Aber du hinkst! Hat's weh gethan?«—»Ein wenig. Vorwärts!« Aber sie wankte:—die Füße versagten. »Nun ist's doch recht gut, daß ich dich auffing,« meinte der Starke, und schwang sie, wie ein Kind, auf seinen Arm. Und sie, die sonst jeder Berührung grimmig wehrte, ließ es willig geschehen. »Schlinge die Arme um meinen Nacken, Kleine. So, nur herzhaft! Es währt nicht lang,« (»leider!« dachte er: aber er hütete sich, es zu sagen) »—gleich sind wir da.« Und rüstig eilte er vorwärts mit seiner leichten und holden Last.
In dem geschmackvoll und reich ausgestatteten, schön geschmückten Zelt des Präfekten brannte in einer Marmorschale, die von hohem bronzenem Fußgestell, köstlicher korinthischer Arbeit, getragen wurde, eine kleine bläuliche Flamme, Licht und Wohlgeruch zugleich verbreitend. Ausonius lag auf dem niedrigen Lectus: vor ihm stand der Tribun. Prosper, der alte Freigelassene, war beschäftigt, den Speisetisch von Citrusholz, der auf Rollen lief, heranzuschieben. Herculanus trat ein, grüßte freundlich, legte den braunen Mantel ab und nahm auf dem zweiten Lectus, Ausonius gegenüber, Platz.
»Wo steckt Davus?« fragte er ungeduldig den Freigelassenen. »Mich dürstet!« »Sollte längst hier sein,« gab der Gefragte zur Antwort. »Treibt sich sehr oft unnütz herum, niemand weiß, wo. Patrone, du solltest ihn wieder einmal in den Block sperren.« »Wie,« lachte Ausonius, »hast du wirklich, du gestrenger Sklavenaufseher, den Block mitschleppen lassen? Auch von Vindonissa noch bis hierher?«—»Drei schöne Stücke sogar, Patronus. Nimmst du schlechte Sklaven mit, muß ich gute Blöcke mitnehmen.« Saturninus schickte sich nun an, zu gehen: »Die Dienstgeschäfte sind zu Ende, Präfekt, für heute. Vielleicht schon morgen also kommt Rannienus mit den Schiffen! Er schickte heute einen Schnellsegler übern See: in den allernächsten Tagen, schreibt er. Dann geht's—endlich!—sogleich an die Arbeit. Aber,« mahnte er in wohlwollendem Ton und trat dem Lectus wieder einen Schritt näher, »verstatte du eine Warnung, Präfectus Prätorio von Gallien. Sieh, gestern schon und heute noch stärker klagtest du über Unwohlsein: über Frostschauer, wechselnd mit fliegender Hitze: willst du nicht morgen lieber hier im Lager bleiben—Bissula soll dich pflegen!—als mit uns in die sumpfigen Wälder ziehn? Ich fürchte, du hast bereits das Sumpffieber.«
Da trat Davus ein, den gefüllten, schon gehenkelten Mischkrug und mehrere leere Becher tragend.
»Davus, du fauler Hund,« schrie ihm Herculanus entgegen. »Rasch! Ich verdurste! Wein her!« Saturninus aber fuhr fort, besorgt sich über den Liegenden beugend: »Herber, alter Caecuber soll gut sein gegen dies Fieber! Darf ich dir von meinem Vorrat senden, Präfectus Prätorio?« Aber Ausonius schwieg noch. Widerstreitende Gefühle hatten seit den letzten Reden des Illyriers in ihm gerungen. Einerseits war sein Groll recht heftig gegen den eigensinnigen Soldaten, der, aus unbegreiflicher Grille, seinem liebsten Herzenswunsch entgegentrat! Aber Saturninus hatte ihn auch in diesen Tagen der Spannung so ehrerbietig behandelt, während er dem alten Freund recht schnöde begegnet war. Und er liebte den Wackeren so herzlich! Und nun diese rührende, ungekünstelte Sorge um seine Gesundheit,—des Ausonius gutes Herz siegte! »Saturninus! Deine Wärme thut wohl:—mein Neffe denkt nur an eine Krankheit: seinen eigenen Durst!—Die Dienstgeschäfte, Tribun, sind wohl zu Ende: aber ich bitte dich: bleibe! Als mein Gast! Laß uns vergessen, was uns—vorübergehend!—trennte—und laß uns gedenken der schönen, alten Freundschaft!« Rasch ergriff Saturninus die dargebotene Hand und drückte sie warm: »Das war dein Herz, Ausonius! Danke dir! Gern bleib' ich!« Und er ließ sich auf dem dritten Lectus nieder, der im Hintergrund des Zeltes, dem Eingang gegenüber, im rechten Winkel auf die beiden andern stieß.
»Du solltest es längst wissen: ich will nur dein Wohl:—dein wahres Glück.« Da wandte sich Davus von dem Schenktisch neben dem Eingang seinem Herrn zu: sehr langsam ging er: denn er trug drei Becher, alle drei gefüllt: in der Rechten, auf einer Silberplatte, zwei kleine und den großen Kaiserbecher in der linken Hand. Er hatte, das Antlitz dem Zelteingang, den Rücken Saturninus zugewendet, auf dem Schenktisch aus der kleinen Amphora geschöpft und dann aus dem großen Mischkrug Quellwasser nachgegossen. Hastig sprang Herculanus auf, riß ihm einen der Becher von der Silberplatte und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Einen mißbilligenden Blick warf ihm der Oheim zu, während er sprach: »Konntest du meinen Trinkspruch nicht abwarten?« Ausonius ergriff den Kaiserbecher mit den drei Grazien: Davus brachte den letzten Becher dem Illyrier und stellte die Silberplatte auf den Speisetisch.
»Der erste Trunk,« sprach Ausonius, »gilt sonst dem edeln Kaiser, dem ich diese schöne Schale verdanke. Aber heute mag Gratianus warten—heute zuerst:—unsere Freundschaft, mein Saturninus!« »Und alles,« lächelte dieser, »was am heißesten dein Herz erfüllt!« Ausonius hob den Pokal. Da ward von außen der Zeltvorhang zurückgerissen: herein stürzte Bissula, wild flatternden Haares,—leichenblaß,—Blut strömte von ihrem nackten rechten Arm: gellend schrie sie: »Gift! Trinke nicht, Ausonius!« Und kopfüber fiel sie auf des Präfekten Ruhebett.
Blitzschnell sprang Herculanus herzu, rettend dem Oheim den Becher aus der Hand zu reißen und ihn zu verschütten. Aber bevor er ihn erreichte, umklammerten ihn eisern die Arme des Tribuns, der seinen Becher hatte fallen lassen. Herculanus kam, trotz heftigen Ringens, keinen Zoll vorwärts. Davus, den alten Freigelassenen über den Haufen rennend, sprang gegen die Thür. Laut schrie Prosper auf; aber weiter als bis in die Thür kam auch Davus nicht. Denn hier stieß er auf den Bataver Rignomer, der ihn an der Gurgel packte und sehr fest hielt. Entsetzt, betäubt hatte Ausonius den Becher vor sich hin auf das Eßtischlein wedergestellt: er richtete nun des Mädchens Haupt in die Höhe. »Gift?« fragte er tonlos. Mich vergiften? Wer?« »Der Sklavenhund natürlich!« schrie Herculanus und rang wütend gegen die Umklammerung des Illyriers an. »Bist du mit Davus im Bunde, Tribun? Was hemmst du mich, den Schurken zu bestrafen?« Und wirklich gelang es ihm nun, die rechte Hand loszuwinden:—er griff nach dem Dolch in seinem Gürtel. »Laß ihn nicht los,« schrie Bissula, die nun zu sich gekommen war. »Er ist der Anstifter!«
Da traten, von Prosper, der hilfeschreiend hinausgestürzt war, herbeigeholt, zwei Thraker, die vor des Präfekten Zelt auf Wache standen, und zwei zufällig des Weges kommende Illyrier herein und ergriffen, auf des Tribuns Befehl, Herculanus und den Sklaven; dieser, erblaßt, zitternd, vermochte kaum aufrecht zu stehen. Ausonius aber sank stöhnend zurück auf die Kissen.
Nun trat Saturninus, nicht mehr behindert, in die Mitte des Zeltes und sprach: »Im Namen des Kaisers Gratianus! Als Feldherr und Befehlshaber dieses Lagers eröffne ich die Untersuchung. Sprich, Mädchen! Eine furchtbare Anklage erhebst du, eine Sklavin, eine gefangene Barbarin, gegen einen römischen Anführer. Wäge deine Worte! Auf falscher Anklage solcher That steht der Tod.« Aber Bissula erschrak nicht. Sie hatte nun Kraft und Besinnung wiedergefunden: nicht an sich dachte sie: nur an den teuren Freund, der da seufzend auf den Kissen lag, und den sie nie geliebt hatte wie jetzt in seinem hilflosen Seelenschmerz.
Kurz, klar, einfach erzählte sie das Gespräch der beiden, das sie, unfreiwillig, von der Tanne herab belauscht. »Elende Lüge,« schrie Herculanus, mit dem Fuße stampfend. »Die Dirne will des Oheims Buhle werden und den Neffen, den Erben, verderben. Alles ist erfunden! Das ganze Baumversteck! Wie ich hier eintrat, stand sie schon lauernd neben dem Zelt.« »Das ist niederträchtig gelogen,« sprach Rignomer, vortretend. »Ich schwöre, daß sie eben von dem Baume kommt: schon seit einer halben Stunde war ich ihr—unvermerkt—gefolgt.« »Aha, hörst du, Oheim? Noch ein Verliebter!« höhnte Herculanus. »Nein,« sprach der Tribun, »es geschah auf meinen Befehl.« Rignomer aber war ganz rot geworden vor Scham und Zorn: er ballte die Faust gegen Herculanus: »Warte du nur«,—lachte er grimmig,—»du mit deinem geflickten Mantel!—Vor meinen Augen stieg das Kind auf den Baum;—ich stand, verdeckt vom Zelt, sechs Schritt gegenüber:—bald kamen zwei Männer von rechts und von links, huschten unter den Baum, sprachen leise—und gingen dann auseinander.« Der Sklave ward noch bleicher als zuvor—er wankte: ohne die Fäuste, die ihn emporrissen, wäre er zur Erde gesunken. Aber Herculanus fragte trotzig: »Hast du sie vielleicht, die beiden Männer—im Finstern!—erkannt? oder—auf sechs Schritt!—ihr Geflüster verstanden?«—»Keins von beiden! Aber das Kind glitt gleich darauf, im höchsten Schreck, von dem Baum—rief mir zu ›Mord! Gift gegen Ausonius!‹—und rannte mit mir hierher: das letzte Stück, bis an das Zelt, von mir getragen.« »Also Barbarin und Barbar gegen mich verschworen!« trotzte Herculanus. Da trat Saturninus auf den Sklaven zu, der mit schlotternden Knieen zwischen den beiden Thrakern hing: »Du weißt, welch' furchtbare Todesqualen dem Sklaven drohen, der den eigenen Herrn zu ermorden versuchte?« Davus sank nieder bis auf den Boden,—die beiden Männer vermochten kaum ihn wieder emporzuziehen. »Wohlan! Was liegt an deinem elenden Leibe! Ich sichere dir Leib und Leben zu—im Namen des Kaisers!—du kommst nur in die Bleibergwerke, wenn du sofort gestehst.« Da stöhnte der Sklave: »Dank, Herr, tausend Dank! Ja, ja. Es ist alles, wie sie sagen. Seit einem Jahre schon lockt und drängt er mich! Der Dämon des Goldes hat mich verblendet. Es ist alles wahr!« »Ha,« schrie Herculanus, tobend gegen seine Wächter, »also auch der Sklave in der Verschwörung gegen mich?« »Gebt den Wein im Kaiserbecher,« sprach dieser, »einem Hunde zu trinken und habt acht, wie lang er noch lebt. Schierling ist's! In meiner Tunika—greift hinein—trag' ich in einem Fläschchen den Rest.« »Ich zweifle nicht an beidem: Gift im Becher:—dasselbe Gift im Fläschchen!—Natürlich,«—lachte Herculanus grimmig, »der Sklave that's hinein:—in beide! Aber Ausonius wird nicht sterben—vor verändertem Testament, vor Enterbung des Neffen: denn die Barbarin erscheint rechtzeitig als Retterin.« Einstweilen hatte der Tribun aus des Sklaven Brustlatz ein kleines Bernsteinfläschchen hervorgeholt und auf den Tisch neben den Kaiserbecher gestellt. Ausonius richtete schmerzliche Blicke darauf: er schien es zu kennen. »Und was der da zu sich steckt,« fuhr Herculanus fort, »das soll mich überführen?« »Nein,« rief Davus, nun zornig,—»du selbst sollst dich überführen!—Tribun, greif' auch in seine Tunika—: das gleiche Gift im gleichen Fläschlein trägt er da verborgen:—konnte ich ihn dazu zwingen? Oder konnte ich es hinein zaubern?« Da erbleichte Herculanus:—der Trotz, die Lebenshoffnung wich von ihm:—er bäumte sich knirschend in den Fäusten der Illyrier. Aber diese hielten fest, während ihr Landsmann Saturninus aus seiner Tunika ein ganz gleiches Bernsteinfläschlein hervorzog und neben das erste stellte.—»So fahrt denn in den Orkus allesamt! Hättet ihr doch alle das Gift im Leibe!« schrie Herculanus.
Aber Ausonius raufte sein graues Haar und klagte: »Wehe, wehe! Ich kenne sie gut! Ich selbst habe sie—beide Fläschlein—meiner lieben Schwester, seiner Mutter, geschenkt! Ach, und meiner Schwester Sohn! Mich ermorden! Um das elende Geld! Das ich ihm ja alles vermacht hatte! Nur ein paar Jahre hätte ich noch gerne gelebt!« Und laut weinend verhüllte er sein Haupt:—mitleidig streichelte Bissula ihm, vor ihm niederkniend, beide Hände.
Saturninus aber sprach: »Jeder Zweifel ist ausgeschlossen:—auch ohne dies Geständnis seiner Wut.« »Oh meiner Melania, meiner liebsten Schwester Sohn,« jammerte der Arme. »Ich hatte ihn längst im Verdacht,« fuhr der Tribun fort. »Aber nicht dich allein wollte der Bube morden,—auch dieses Kind, dem alle gut sind!« »Was? wie?« fuhr Ausonius empor. Auch Bissula stutzte. »Deshalb eilte er uns allen voraus—allein—in ihr Gehöft,—auf ihrer Spur! Er hatte zum Todesstoß gegen sie ausgeholt, als ich ihm in den Arm fiel.« »Was? Entsetzlich!« rief Ausonius. »Ja, das wohl! Aber,« fiel die Kleine, gutmütig und wahrheitsbeflissen ein, »aber da hatte er mich noch nicht als seines Oheims Freundin erkannt!« »Doch, doch!« klagte der Präfekt, »Er hat mir selbst erzählt, ein rotes Haar hat ihn auf deine Spur gebracht!—Wie oft hatt' ich dich ihm geschildert!—Und sowie er dich gesehen, hab' er dich gleich erkannt! Er habe dich mir bringen wollen! Und er hat ...—!« »Und gestern Nacht,« fiel Rignomer nun grimmig ein, »schlich er mit gezücktem Dolch in ihr Zelt: (—leider schlief einer, der davor hätte wachen sollen!—) Aber die Bärin wachte—und«—rasch breitete er den braunen Mantel aus—»hier riß sie dem Fliehenden ein Stück heraus.« »Dies Stück,« sprach Saturninus, es aus dem Gürtel ziehend und auf das neu angenähte legend, »du siehst:—es paßt genau.« »Den Fluch der Furien über euch alle!« schrie Herculanus. »Hinaus mit beiden!« gebot der Tribun. »Prosper, zwei deiner Sklavenblöcke! Denn es genügt nicht, sie in einem offenen Zelt bewachen zu lassen! Das ist immer unsicher und erfordert beständig ein paar ganz verlässige Mannschaften, deren wir nicht allzuviele entbehren können. Rignomer, du sperrst sie darein—mit beiden Füßen—getrennt voneinander!—Dein Kopf dafür, daß sie nicht jetzt unterwegs entkommen.« »Sie sollen nicht,« brummte der Bataver, den das Wort von der Liebschaft unaussprechlich ergrimmt hatte. Er wußte selbst nicht warum.—»Vorwärts!« Geführt von Rignomer schoben die vier Wachen und Prosper die Überführten aus dem Zelt.
Kaum waren die Vorhänge niedergerauscht, als Ausonius ausrief: »Er soll nicht sterben! Meiner Melania Sohn! Er soll fliehen—in Verbannung!«
»Das wird der Kaiser entscheiden. Du aber, Freund Ausonius, preise den Himmel, der dir dies Kind gesendet. Ihr allein dankst du das Leben.« Der Präfekt zog die Kleine zu sich auf das Ruhebett:—er küßte ihre Hände, ihre Stirn,—sie ließ es geschehen. Denn sie weinte. Er wollte auch ihren Mund küssen. Aber er vermochte es nicht! Das sonst so trotzige Geschöpf war gar so kindlich, so hilflos: vor lauter Rührung über—seine Rettung.
So strich er nur mit der Hand über ihr schönes Haupt und sprach, selbst ganz gerührt: »Die Christen haben einen Glauben, über den ich oft gespöttelt: von einem Schutzengel, den Gott dem Menschen gesellt. Ich werde nie mehr darüber spötteln!—Du, Bissula, du bist mein Schutzengel!« »Engel aber dürfen nicht Sklavinnen sein,« sprach der Illyrier, mit einem Lächeln, das ihm sehr schön stand. »Ich schenke dir dies Kind, Ausonius:—sie ist nun deine Sklavin. Thu' mit ihr, wie du willst.«—»Ich lasse sie frei—in diesem Augenblick! Bissula,—du bist frei.« »Oh Dank! Dank! Dank!« jauchzte das Mädchen und sprang von dem Lager auf. »Jetzt—fort!—Gleich fort zu den Meinen! Zur Großmutter! Zu—« »Nicht so rasch, Kleine,« wandte Saturninus ein. »Auch die pflichttreue und dankbare Freigelassene—es fehlt auch noch jede Form solcher Rechtshandlung!—muß des Patronus Willen folgen. Ich bezweifle, daß er dich entfliegen läßt, du holdes Waldvöglein.« Bittend, flehend heftete sie die rührenden Augen auf Ausonius: aber dieser sah es nicht: er blickte, starr vor Staunen, auf den Tribun. »Freund—ich verstehe dich nicht!—Warum jetzt auf einmal?—Fast glaubte ich, du selbst ...—?«—»Schonen wir des Kindes. Nur so viel will ich sagen:—das wird sie hören können, ohne allzustark rot zu werden: und es steht ihr so gut, das plötzliche Erröten!—Man braucht nicht gerade ein Dichter zu sein, mein Ausonius, um unsere—vergieb, um deine—Kleine sehr, sehr reizend zu finden!—Ich leugn' es nicht:—da ich zuerst sie sah:—nun, sie mißfällt ja keinem Mann! Aber bald sagte ich mir, was Freundespflicht gebot,—und erwog, wie mein Leben ungeteilt dem Kriegsgott angehört. Ich befahl meinem Herzen, meinem Blut zu schweigen: sie gehören einem Soldaten: sie gehorchten sogleich!« Bissula war bei diesen Worten, der Verwarnung zum Trotz,—oder vielleicht ihr zufolge!—über und über rot geworden und weit, weit von den beiden Männern hinweg gewichen. Eben wollte sie zum Zelte hinaushuschen: aber Saturninus haschte sie, mit schonender Hand, am Haare, hielt sie lachend daran fest und sagte: »Bleibe nur, Kleine:—jetzt ist's—von mir aus—mit dem ärgsten vorbei.« »Warum aber,« forschte Ausonius weiter, »diese ganze Zeit ...?—Gestern noch ...—?«—»Weil ich deines Neffen mörderische Pläne—freilich nur gegen sie!—ahnte. Nur als ihr Herr konnte ich sie schützen! Weilte sie, wie du gewollt, in deinen, des Arglosen, Zelten:—jede Stunde der Nacht und des Tages konnte er die Ungehütete treffen.—Ich hütete sie:—für dich!—Nun ist's nicht mehr nötig. Nun folge deinem Herzen.—Ich lasse euch allein.«
»Ja, was soll denn nun noch werden?« fragte Bissula weinerlich und hielt den Tribun—sie wußte nicht, warum—am Arme fest. »Ich bin so müde!« klagte sie.—»Laßt mich jetzt doch schlafen gehen!—Und morgen:—fort! Zu den Meinen!«
»Ja, edler Freund,« sprach Ausonius mit einer gewissen Feierlichkeit, sich langsam erhebend von dem Lectus, »bleibe! Ich will es selbst so! Du sollst der erste Zeuge sein: mein Entschluß ist gefaßt: unabänderlich! Bissula—: mein Leben dank' ich dir: dafür giebt es nur einen Lohn: dies Leben, mein Leben selbst.« Erschrocken fuhr das Mädchen zurück: sie verstand ihn nicht!—»Eine Sklavin,—das stand außerhalb der Möglichkeit. Auch meine eigene Freigelassene—es ist gegen das Gesetz für einen senatorischen Mann!—aber ich erhalte die Dispensation vom Kaiser, ohne Zweifel,—und über die Witze der Kollegen setze ich mich hinweg.«—»Was willst du denn mit mir?« fragte die Kleine ängstlich. »Außerdem Kaiser,« fuhr er bedachtsam fort, »steht kein Mann im Westreich über mir:—nur etwa zwei sind gleichen Ranges mit mir:—ich bin Präfectus Prätorio von Gallien! Und noch mehr:—was noch niemand weiß—auch du nicht, mein Saturninus:—der Kaiser hat mir für das nächste Jahr eine allerhöchste Ehre im Römerstaate zugedacht!—Dies kommende Jahr wird seinen Namen tragen—von mir.« »Konsul wirst du?« rief der Tribun ehrfurchtsvoll. »Was ist denn das? Was ist's?« fragte die arme, nun ganz Verschüchterte, der diese Feierlichkeit und die vielen römischen Würdennamen immer mehr unheimlich wurden. Aber wohlgefällig nickend fuhr Ausonius fort: »Und als Dichter lebt keiner meinesgleichen!—Bissula:—das alles sollst du mit mir teilen!—Morgen fährst du mit mir nach Vindonissa zum Kaiser!—Ja, ja—schüttle nicht das Trotzköpflein!—du folgst mir für das ganze Leben—denn ich, Ausonius, Ausonius von Burdigala:—ich erhebe dich zu meiner Gattin!«—Er hatte sich nun hoch aufgerichtet und breitete beide Arme gegen sie aus.
Mit glühenden Wangen, mit laut klopfendem Herzen, mit vor Scham und Scheu—und Zorn!—blitzenden Augen hatte sie, allmählich errötend, die letzten Worte gehört und entsetzt auf den Näherdringenden geschaut. Jetzt stieß sie einen lautgellenden Schrei aus: »Nein! Nein! Niemals!« Sie riß sich von Saturninus, der sie halten wollte, los und sprang aus dem Zelt. Draußen rannte sie, hochaufatmend, so rasch die Füßlein sie trugen, durch das nächtlich schweigende Lager, erreichte ihr Zelt, band Bruna los, zog sie zu sich herein, drückte sie zur Erde, warf sich neben sie auf den Boden und vergrub, in strömende Thränen ausbrechend, das Gesicht in dem weichen, dichten Fell.—Das treue und kluge Tier merkte wohl, daß etwas nicht in Ordnung war. Die Bärin leckte ihr die Finger: ein ganz leises, leises, zärtliches Brummen vollführte sie dazu, wie eine Mutter ihr krankes Kind beschwichtet. Das eintönige, immer gleichmäßige Gedröhne wirkte einschläfernd, wie ein gesummtes Wiegenlied. Und so, im Schutz der Bärin, manchmal noch heftig aufschluchzend, schlief sie allmählich ein.
Ausonius war seiner Retterin tief dankbar:—gewiß!—und er hatte sie ja überschwenglich belohnen wollen. Aber er war doch auch recht empfindlich gereizt durch diese rauhe, wilde, thörichte, ja undankbare Verschmähung. Und noch dazu vor dem Tribun,—dem jüngern Manne! Diese Erbitterung beschäftigte ihn sehr lebhaft, mitten in dem Schmerz um den verbrecherischen Neffen. Dem Verwöhnten hatten Schicksal und Menschen von Geburt an kaum je einen Wunsch versagt: sogar die Forderung poetischer Begabung hatten ihm die Musen—und zwar, wie er fest überzeugt war, in selten erreichter Fülle—gewährt, und die Zeitgenossen versagten ihm keine Anerkennung, spendeten ihm jeden Kranz, nach dem er auf irgend einem Gebiete trachtete.
Sein kaiserlicher Zögling überhäufte ihn mit den höchsten Würden und Ehren des Staates: er war einer der reichsten, gebildetsten Männer im Abendland: er war liebenswürdig, heiter, gutartig, beinahe schön zu nennen von Antlitz, noch nicht gar zu alt:—Tausende der vornehmsten Römerinnen würden sich glücklich gepriesen haben, wenn ...—Und dieses Barbarenmädchen schlug ihn aus! Es war rein nicht zu begreifen! Und er beschloß, diese »Dummheit« nicht zu dulden.—Da sie zur gewohnten Stunde zum Frühmahl nicht erschien, schickte er Prosper nach ihr aus. Unverrichteter Dinge kam der Alte wieder: sie war nicht in ihrem Zelt und nirgends im Lager zu finden. Ausonius erschrak.
»Ah, Thorheit!« sagte er sich dann. »Unmöglich kann sie aus einem rings geschlossenen Römerlager entfliehen, das ein Saturninus bewachen läßt.« Aber er beendete doch hastig, unruhig sein Frühstück und ging aus, sie zu suchen: allein—. Denn er wollte seiner künftigen Gemahlin—das ward sie ja zweifellos!—ersparen, von Freigelassenen oder Sklaven aus irgend einem Versteck hervorgestöbert zu werden, in welches ihr thörichter, kindischer Eigenwille sie getrieben haben mochte. Zunächst eilte er unter die Tanne: umsonst: sie steckte nicht auf dem Baume: jetzt, bei hellem Tage, konnte man deutlich durch die Zweige sehen.—Er ging an ihr Zelt, trat ein: es war leer.—Aber als er wieder herausschritt, bemerkte er die breiten Fußstapfen der Bärin: er folgte der Spur: sie führte gegen Süden, an das »Seethor«, die Porta decumana. Schon war er dem Thore nahe, da begegnete er Saturninus.
»Kehre um, ich bitte dich!« sagte dieser gutmütig. »Ist sie nicht da unten?«—»Doch! Ich entdeckte sie, zufällig, vom Wall herunterschauend. Neben der Porta decumana hat sie sich, hinter Balken und Schanzzeug, verborgen, wie ein krankes Vögelein, das sich in einen Winkel verkriecht, dort einsam, das Köpfchen unter den Flügel geduckt, zu sterben. Gönne ihr Zeit! Sie wird sich—vielleicht!—drein finden.« Nur widerstrebend ließ sich Ausonius mit sanfter Gewalt am Arme fassen, umdrehen und zurückführen. Er zürnte heftig. Und er schämte sich vor dem Tribun. Unwillig sagte er: »Ich hoffe:—bald!« »Ja,« meinte Saturninus zögernd. »Wenn nicht ...—«—»Nun?«—»Wenn nicht ein anderer ihr im Herzen steht.«
»Das hat sie bestimmt geleugnet. Ganz zornig ward sie bei der Frage. Und Lügen ist des Trotzkopfes Fehler am wenigsten! Sie ist ja auch noch ein halbes Kind! Du siehst, wie sie sich benimmt. Nur einem Kind, einem unerzogenen, kann man solche Aufführung überhaupt hingehen lassen.«
Aber der andere zuckte die Achseln. »Warten wir's ab. Ich gönne sie lieber dir als einem—Barbaren. Aber denk' an das Anerbieten jenes Adalus!—Das kann doch nur ...—«—»Gewiß! Aber das beweist doch nicht, daß sie ihn liebt.« Ärgerlich wehrte er sich hartnäckig gegen eine Annahme, die seine Wünsche dauernd vereiteln konnte. Und um so hitziger verwarf er den Gedanken des Warners, je zudringlicher diese Besorgnis in ihm selbst, wenn niedergekämpft, leise immer wieder aufstieg. »Übrigens,«—fragte er den Tribun, ablenkend, »was willst du thun mit den Verhafteten? Laß beide entfliehen!«—
»Unmöglich! Meine Pflicht!«—»Mein Neffe darf nicht sterben!« »Es wäre zwar das beste,« grollte der Illyrier, »für ihn selbst und—seine › Gegen-Menschen‹: denn › Mit-Menschen‹ hat dieser Selbstling nicht! Aber ich habe es gefürchtet von deiner Weichheit! Nun: tröste dich! Da ich dem Sklaven das Leben gesichert, dem bloßen Werkzeug, kann der Kaiser den Anstifter auch nur in die Bergwerke schicken.—Aber du achtest ja gar nicht auf meine Worte. Wo sind deine Gedanken?« Ausonius war plötzlich stehen geblieben: er stieß den Stab, den er trug, heftig auf die Erde und rief:
»Höre! Wenn ich nun doch—gleich—zu ihr ginge? Ihr—ausführlich!—zuredete? Sie hat gestern Nacht, in der Aufregung, wohl gar nicht alles gehört,—begriffen!—Denke nur: Konsul!«
Aber der andere lächelte und zog den Widerstrebenden mit fort: »Laß sie, Ausonius. Du verschüchterst sie immer mehr. Vielleicht ist ihr ein alamannischer Fischerjunge lieber als ein römischer Konsul.«—»Undenkbar!«—»Doch, doch! Sehr denkbar!—Ich will dir nur gestehen: sie hat mich flehentlich gebeten ...—«—»Ei, Ei!—Wann?«—»Jetzt eben, da ich vom Walle zu ihr niederstieg und für dich sprechen wollte!—Sie bat mich, sie zu schützen—vor deiner weiteren Werbung ...—« »Ha, die Undankbare!« rief Ausonius, sehr zornig.
Dies Anrufen des Tribuns gegen ihn kränkte ihn am bittersten; er hatte die Empfindung: die Jugend findet sich zusammen—von selbst—gegen das Alter! »Hüte dich,« warnte der Illyrier ernsthaft, »selbst sehr undankbar zu werden!« Aber das verfing nicht in diesem Augenblick bei der tief getroffenen Eitelkeit. »Da du nun doch mal,—wie soll ich sagen?—ihr Vormund oder ihr Verteidiger geworden bist gegen mich« ...—»Ich habe diese Stellung nicht gesucht.«—»Aber auch nicht abgelehnt! So sage denn deiner Schutzbefohlenen meinen ernsten, meinen strengen Willen: sie folgt mir jedenfalls morgen auf einem der Schiffe des Nannienus zum Kaiser nach Vindonissa, dann nach Burdigala. Ich thue nach deinem Rat—ich gehe nicht mit euch in die Wälder:—der Schmerz, der Ärger,—gar mancherlei Aufregung machen mich krank:—ich fühl's. Ich muß vor allem vom Kaiser die Dispensation einholen, als Senator meine Freigelassene zu heiraten: das liegt mir jetzt zumeist am Herzen. Das ist die Hauptsache!—Und bitte, mach' ihr klar,—ganz klar!—daß sie irgend ein Recht aus meinem gestern—übereilt—hingeworfenen Wort von der Freilassung durchaus nicht erworben hat. Sehr richtig hast du selbst gestern gleich bemerkt: dies Wort machte sie nicht frei: es fehlt an jeder vom Rechte vorgeschriebenen Form. Dies Wort ist nur ein Versprechen. Wenn ich will, ist sie auch jetzt noch meine Sklavin,—aber nicht mehr deine, sag' ihr das! In Burdigala dann, nachdem sie römisches Leben gekostet, mag sie wählen, was sie lieber ist: des Konsuls Gemahlin, oder seine Sklavin und einer Bärin Gespielin! Ich kann sie zur Ehe nicht zwingen,—jedoch das sag' ihr,—in ihr Barbarenland lass' ich sie nie zurückkehren.«
Saturninus wollte den sehr Erhitzten begütigen, aber schmetternde Tubatöne riefen nun beide Führer auf die Wälle. Die römischen Trompeten begrüßten mit freudigen Klängen die Schiffe des Nannienus, die nun, mit aller Leinwand vor dem Südostwind fliegend, rasch nah und näher kamen.—
Es war ein stolzer Anblick.
Nachdem der wackere Comes von Britannien, selbst ein segelkundiger Bretone, die sträfliche Verwahrlosung der Schiffe und die Unterschleife der schuldigen Beamten zu Arbor entdeckt, hatte er Nacht wie Tag unermüdlich gearbeitet und arbeiten lassen, seinem Freund und langjährigen Kriegsgefährten Saturninus doch noch die Schiffe und Verstärkungen zuführen zu können, auf denen dessen ganzer, die Umzingelung und Vernichtung oder doch bedingungslose Unterwerfung der Alamannen abzielender Plan aufgebaut war.
Und so hatte er denn wirklich im Laufe von wenigen Tagen und Nächten die vorgefundenen vernachlässigten Vollschiffe wieder in wogentüchtigen Stand gesetzt und dazu aus alten Handelskähnen und Fischerboten größten Umfangs eine Zahl von neuen Fahrzeugen zurecht gezimmert, die zwar entfernt nicht der stolzen Flotte des venetischen oder brigantinischen Sees zu vergleichen war, wie sie vor anderthalb Jahrhunderten Wasser und Ufer hier beherrscht hatte, aber doch bei dem für jetzt geplanten Absuchen der Barbarenverstecke längs allen drei Landseiten und dem Abfangen ihrer etwa über den See hin versuchten Flucht aus dem Kesseltreiben des Tribuns ausreichende Dienste leisten konnte. Seine zwanzig hochbordigen Kriegsschiffe mußten, wenn nicht vor Anker liegend, sondern in voller Fahrt kämpfend, durch die bloße Wucht ihres von Rudern und Segeln getriebenen Anpralls ganze Schwärme der kleinen Barbarenkähne zum Sinken bringen, wenn solche dagegen anzufahren wagten. Und jedem solchen Vollschiff hatte er je zwei bis drei kleinere, flachbordige und wenig tiefe Boote beigegeben, Vorräte und Truppen zu landen, den Verkehr der tiefgehenden Biremen, die vor Anker gehen mußten, mit dem oft sehr seichten, in Sumpf verlaufenden Ufer zu vermitteln. So waren es wohl über sechzig Segel, die im vollen Glanz der strahlendsten Septembersonne, nun gerade gegenüber dem Idisenhang teils vor Anker gingen, teils in ununterbrochener Kette eine Art Schiffbrücke von dem Ankerplatz bis an das Ufer bildeten.
Die mannigfaltigen Gestalten der Segel:—denn zu den dreieckigen, latinischen der Römer hatte man im Drang der Eile auch allerlei barbarische, altkeltische, wie sie seit Urzeiten hier auf dem See heimisch waren, und alamannische gesellt,—und ihre bunten Farben, zumeist blendend weiß, aber auch viele dunkelgelb, im Sonnenglanz schimmernd, vom frischen Winde gebauscht und gebläht, das wogende, wimmelnde Leben der aus den Schiffen ans Land und vom Ufer in die Schiffe drängenden Soldaten, die Begrüßungen alter Genossen, die freudige Anerkennung für das in Arbor Geleistete, die drohenden Ausrufe gegen die Barbaren, mit denen nun gründlich aufgeräumt werden sollte:—das alles gab ein Schauspiel voll Glanz, Leben, Bewegung und kriegerischen Lärms.
Das größte Fahrzeug—ein altes Kriegsschiff, es wies noch die Amphitrite als Schiffsbild,—zeigte Purpurwimpel, und auch das vorderste kleine Fockmastsegel prangte in dieser Farbe. Denn es trug den Befehlshaber des Geschwaders.
»Endlich!« hatte der tüchtige Offizier gerufen, als er, der erste von der ganzen Armada, aus seinem Admiralitätsschiff in das Boot, das vor dessen Bugspriet schaukelte, gesprungen war. Er lief über die ganze Reihe der kleinen Schiffe hin bis an das Ufer und schwang sich von dem letzten Nachen aus in ungeduldigem Satz über den Sumpfgrund auf das festere Ufer, dem Illyrier entgegen, der ihn mit beiden vorgestreckten Armen auffing.
»Endlich, Freund, bring' ich die Schiffe und Männer,—es hat lang gedauert.«—»Ich weiß, es war nicht deine Schuld.«—»Die Schuldigen hat der Kaiser schon in die Bergwerke geschickt.—Wo ist der Präfectus Prätorio?« »Oben.—Im Lager. Er ist nicht ganz wohl.«—»Ich habe Briefe für ihn vom Kaiser.« »Ist noch keine Nachricht vom Kaiser Valens da?« fragte Saturninus besorgt.—»Doch, ganz neuerliche.«—»Wie steht es mit ihm und mit den Goten?«—»Gut mit ihm und schlecht mit den Barbaren. Sie leiden elend Hunger! Sein letzter Brief weist ausdrücklich—und ziemlich hochfahrend!—jede Hilfe Gratians und unseres Heeres ab.« »Er will den Ruhm des Siegs nicht mit dem Neffen teilen,« meinte der Tribun, zu Roß steigend und den Freund einladend, auf dem für ihn mitgeführten schönen Pferd bergan zu reiten.
Nannienus schwang sich in den Sattel und fuhr fort: »›Eine entscheidende Schlacht‹, schreibt Valens, ›steht bevor.‹ Er zieht auf Adrianopel, wo die Goten lagern.—Ei, sinkt hier der Gaul ein! So hoch hinauf noch Sumpf?«—»Ja, lauter alter Seegrund.—So ist dort am Ister die Entscheidung wohl schon gefallen!—Nun, unser kleiner Feldzug wird nun auch bald zu Ende sein. Wie viele Helme bringst du?«—»Dreizehnhundert.«—»Mehr als genug! Morgen früh teilen wir uns. Fünfhundert Mann bleiben im Lager: mit dem Rest ziehst du nach Nordosten, ich nach Nordwesten, bis wir sie endlich finden und einander zutreiben, diese unfaßbaren Feinde.—Du hast auf der Überfahrt auf dem See nichts Verdächtiges bemerkt?«—»Gar nichts! Kein Segel weit und breit.«—»Nun wir Schiffe haben, können wir auch die beiden Schilfstrecken absuchen, die sich rechts und links stundenlang hinziehen.—In dem westlichen Sumpf meinten wir einmal Rauch aufsteigen zu sehen.«—»Den See absuchen? Das soll morgen gleich geschehen, noch vor dem Abmarsch. Eine Seeschlacht auf dem venetischen See! Seit den Tagen des Tiberius ist das kaum mehr dagewesen.«—»Ich aber bin froh, dich hier auf dem Festland zu wissen mit den Deinen: willkommen nochmal auf dem barbarischen Ufer und in meinem Lager.«—Damit ritten beide, gefolgt von einem glänzenden Geleit von Anführern des Nannienus und von den Schuppengepanzerten des Tribuns, zur Porta decumana ein. Dies Thor stand jetzt weit geöffnet. Denn in aufgelöster Ordnung strömten immer noch die Leute des Tribuns hinaus und den Berghang hinunter, dann durch feuchte Wiesen und Sumpf die kleine halbe Stunde bis an das Ufer, die Waffenbrüder von der Flotte zu begrüßen. Wie ein Mäuslein hatte sich Bissula geduckt und so klein gemacht wie möglich, unvermerkt aus ihrem Versteck östlich vom Seethor mit hinauszuschlüpfen. Aber die Wachen des Illyriers waren streng geschult: zwei riesige Thraker hielten—je einer hinter und vor der Schwelle—die Speere gekreuzt vor die Öffnung des Thores und faßten jeden scharf ins Auge, der hinaus oder auch herein wollte. Glücklich war die Kleine durch die ausgespreizten Beine des einen gekrochen: da stieß sie mit dem Kopf gegen den Speerschaft des vor der Schwelle Stehenden. Der Mann ward merksam, erkannte sie und schob sie sanft, aber unwiderstehlich zurück. »Nein, nein!« lachte er. »Du schon gar nicht hinaus! Du rotes Schlängelein! Gäbe zwiefache Hiebe! Vom Tribun rechts, vom Präfekt links! Drin geblieben!«
Thränen des ohnmächtigen Zornes in den Augen mußte sie zurücktreten: und da draußen, da winkte die Freiheit:—da lachte—zum erstenmal sah sie hier durchs offene Thor—in blauer Pracht der liebe See:—da rechts rauschten die Bäume, die Adalos Hof umgaben:—und da flog eine Möwe, schreiend vor Lust des Lebens und vor Freude am freien Flügelschlag, in mutwilligem Flugspiel über das Schilf des Ufersumpfes hin!—Ach!—und sie—sie mußte zurück ins Lager:—in ein ungewisses Schicksal!—Morgen schon fort aus dem Lande:—und—wohin dann? »Oh Adalo, hilf bald!« Seinen Namen hatte sie seit gestern Nacht immer und immer wieder vor sich hin geflüstert, wie wenn er ein Zauberwort, ein schützendes, wäre.—In ihrer Lagergasse angelangt, band sie die Bärin los, die der Lärm der Krieger wild aufregte, und zog sie am Halsband mit sich in ihr Zelt, das sie den ganzen Tag nicht mehr verließ. Sie ward auch nicht gestört. Prosper brachte ihr Wein und Speisen: er sagte, der Herr sei durch Nannienus und die andern Gäste ganz in Anspruch genommen. Aber morgen in aller Frühe, lasse er ihr gebieten, möge sie sich bereit halten: es gehe zu Schiff nach Constantia, dann zum Kaiser nach Vindonissa und von da in die schöne Heimat. Bissula gab keine Antwort. Sie ließ die Speisen unberührt. Sie lauerte, einem gefangenen Waldtier ähnlich, im hintersten Winkel ihres Zeltes an der Erde, soweit wie möglich entfernt vom Eingang, die Augen starr auf diesen gerichtet und mit Angst und Schreck auf jedes Geräusch achtend, das durch die Lagergasse ihrem Zelte näher drang. Die treue Bärin lag quer über der Schwelle: das war ihr einziger Trost.
So waren die Stunden des Tages verstrichen.
Die Sonne war prachtvoll in den See gesunken: rasch stieg die Dunkelheit: der Mond stand nicht am Himmel. Frühzeitig hatte der Comes von Britannien die Abendtafel des Ausonius verlassen. Fruchtlos wollte dieser wirtliche Wirt ihm noch einen Rundtrunk aufnötigen. »Nach dem Sieg, Ausonius, so viele Becher du willst. Aber ein Seemann muß nüchtern sein. Auch gehört er aufs Wasser, nicht auf Waldhügel. Ich fühle mich hier, fern von meinen Segeln, wie ein Wal, der nicht mehr mit der Ebbe zurück kam und nun schnappend auf dem Lande liegt. Das einzig richtige Wasser ist freilich Salzwasser—« »Weil man's nicht trinken kann,« meinte Ausonius und füllte ihm die Schale nochmal. »Aber in Ermangelung des Meeres ist doch auch dieser langgestreckte See nicht übel.—Grüße mir Herculanus, deinen Neffen: vielleicht ist bis morgen seine Krankheit gebessert, so daß ich ihn in seinem Zelt aufsuchen kann. Und morgen, Saturninus, mit dem frühsten, durchsuch' ich dir die beiden Schilfseen. Wenn nicht Alamannen, wird's dort allerlei seltenes Wassergevögel zu jagen geben.«—Er ging mit seinen Anführern, sie stiegen zu Pferd und ritten, von Fackelträgern zu Fuß geführt, den Berg hinab in ihr Schiffslager. Denn etwa die Hälfte der Angekommenen schlief auf dem Ufer unter mitgeführten Zelten, die andere Hälfte auf den Schiffen.
Nannienus fragte, sowie er an Bord stieg, die Wache am Steuer, einen verlässigen bretonischen Landsmann, ob nichts zu melden sei. »Von hier nichts, Herr! Nur hinter Arbor brennt es, so scheint's, auf dem Mercuriusberg: oder sie feiern eines ihrer Opferfeste. Sieh hin!«—»Ja, das ist in einem der Gehöfte der alamannischen Colonen. Horch!—was war das?«—»Wilde Schwäne, Herr! Sie müssen zu Hunderten in den beiden Schilfwäldern nisten. Sie rufen und antworten sich sehr oft.«—»Dann sind gewiß keine Menschen drin versteckt,—dies edle Tier ist überaus scheu und klug.—Wer kommt da, dich abzulösen?«—»Ich bin's, Albinus, der Veteran aus Arbor.«—»Gut: du wachst die erste und die zweite Stunde nach Mitternacht. Wecke mich vor Tagesgrauen.«
Mitternacht hatten die Lagerrufer ausgerufen oben auf dem Idisenhang und unten bei den Schiffszelten, ohne daß die in tiefster Ruhe liegenden Schläfer irgend gestört worden wären.
Nur an dem Nordthor bellten seit lange heftig die in einem leeren Zelt hier angebundenen edeln Hunde des Tribuns, die dieser, ein eifriger Weidmann, von Vindonissa mitgefühlt hatte: eine kostbare Koppel edelster britannischer Zucht, die geschult in der Arena zu Rom den wilden Auerstier zu stellen, nun in den Urwäldern gleiche Kunst und mutvolle Kraft bewähren sollten. Sie waren nicht zu beruhigen, ob der Wärter sie schlug oder streichelte. Laut drang ihr scharfes, zorniges Gebell aus dem nahe gelegenen Nordthor in den Graben vor diesem, in welchem die ganze Kohorte der Bataver die Wache bezogen hatte. Hell stiegen die Flammen und dicht die Rauchsäulen ihrer Wachtfeuer aus dem nun wieder trocknen Graben empor.
Jenseit des Grabens, nördlich gegen den Wald zu, etwa hundert Schritt vom Graben und Wall entfernt, stand Rignomer mit Brinno und noch zwei Stammgenossen auf Vorposten. »Hört ihr die Hunde?« fragte Rignomer. »Bin nicht taub!« brummte Brinno. »In einem fort, das bedeutet was!« fuhr jener geheimnisvoll fort. »Freilich. Hunger werden sie haben. Oder sie haben die Bärin der Kleinen gestellt.«—»Was Bärin! Die schläft da, wo—andre gern schlafen möchten! Nein, nein! Hunde—weißt du's nicht?—sind geistersichtig und götterhörig.—Es ist etwas nicht geheuer. Zwischen Mitternacht und Tagesgrauen reitet der Nachtjäger über die Waldwipfel. Vorhin war mir, ich hörte da ober mir, über dem seinen Hügel, ein Roß wiehern—durch die Lüfte hin!«—»Ach was! Ich habe noch kein Pferd fliegen sehen.«—»Aber Er stiegt mit dem achtfüßigen Grauschimmel durch die Wolken und über die windwogenden Wälder, wann er die Holzweiblein jagt. Horch, was war das?—Zur Rechten!«—»Ein Eulenschrei! Ganz nah!«—»Und da,—einer zur Linken.« »Hört,« rief da der Dritte, »klang da, gerade vor uns, nicht Erz auf Erz—wie Waffenklirren?« »Nein,« meinte der Vierte, »aber leisen Hufschlag hör' ich! Horcht:—mehrere Hufe!—Jetzt wieder!—Schon näher!—Feinde!« »Ja—das sind Feinde!«—sprach nun auch Rignomer, ergriff das Horn und wollte es an den Mund führen:—aber er vermochte es nicht!—Entsetzen, lähmender Schreck, schüttelndes Grauen ergriff den tapfern Mann, sein Haar sträubte sich, Hand und Stimme versagten:—starr vor markdurchrieselnder Furcht blickte er vor sich in den Waldhügel vor und über ihm, der urplötzlich lebendig zu werden schien.
Hinter jedem Baum, aus jedem Busche sprang ein Krieger hervor:—aber nicht diese hundert Alamannen schreckten den kampferprobten Bataver: sondern ein anderer Anblick.
Von zwei glutroten Pechfackeln, die zwei Reiter zur Rechten und zur Linken in den Händen kreiselnd schwangen, bald in grellem Aufflackern, bald nur wieder halb beleuchtet,—sprengte auf grauweißem Roß eine gewaltige, übermenschlich hohe Gestalt von oben her auf ihn ein.—Weißes Haar und ein wogender Bart umflatterten ein grimmiges, aber majestätisches Antlitz, über dem ein nie gesehenes Vogeluntier, belebt, die weißen Schwingen drohend gegen den Söldner zu schlagen schien:—so sauste er heran—schweigend—weit vorgestreckt einen furchtbaren Speer, die Schultern wie von einer Wolke umflogen von dunklem, lang nachflutendem Mantel: jetzt, ganz nahe schon, stieß der Reiter den Schrei aus: »Wodan! Wodan hat euch alle!«
Da warf der Germane Schild und Speer von sich und mit dem Schreckensruf: »Wodan über uns! Wodan führt sie! Alles ist verloren!« rannte er, was er konnte, zurück gegen den Graben. Zwei seiner Wachgenossen folgten, besinnungslos, seinem Beispiel, und alle drei sprangen in den Graben mit dem lauten Geschrei! »Alles verloren! Wodan über uns! Flieht!« Rignomer galt als der Tapferste unter seinen Stammgenossen.—Daher riß auch jene Bataver, welche zu weit entfernt waren, seine Worte zu verstehen, schon sein Beispiel mit fort: sahen sie doch ihren Anführer waffenlos, haltlos, unter allen Zeichen höchsten Entsetzens, aus dem Graben gegen das Nordthor laufen, dies aufreißen und im Lager verschwinden. »Flieht! flieht! Alles verloren!« Das hatten die meisten verstanden: und mit den gleichen Rufen kletterten sie nun den Wall hinauf oder ergossen sich in das aufgerissene Thor.
Nur Brinno war nicht geflohen aus der Vorwache: er war bei Rignomers Geschrei, ebenfalls sehr erschreckt, hinter den nächsten Baum gesprungen; hier aber, scharf nach dem furchtbaren Reiter spähend, faßte er sich gleich wieder: »Unsinnige!« rief er seinen fliehenden Stammgenossen nach. »Sein Gaul hat ja nur vier, nicht acht Füße! Das ist er nicht!« Und beherzt trat er vor, mit gefälltem Speer. Aber im Augenblick war er niedergeworfen von des Herzogs Roß, und bald darauf setzten etwa dreißig Reiter in sausendem Sprung in den Graben, der nicht mehr verteidigt ward. Nach rechts und nach links jagten die Reiter den längs der Grabensohle Fliehenden nach: der Platz um das Thor herum war fast leer, sauber gefegt im Nu.
Der Herzog war gegen das Thor selbst angesprengt: aber wie er davor anlangte, flog es von innen zu, einzelne Flüchtige zurückschleudernd und aussperrend, die noch hatten eindringen wollen. Da sprang der Herzog ab: augenblicklich stand sein kluges Tier unbeweglich. Er winkte seinen Reitern und einer kleinen Schar, die inzwischen zu Fuß den Graben erreicht hatte, ihm rasch nach links vom Thor gegen eine mächtige Steinplatte hin zu folgen, während eine große Menge anderer Fußkämpfer nun den Graben ebenfalls erreichte und, auf mitgetragenen Leitern, die—merkwürdigerweise!—ganz genau gemessen so hoch waren, als der Wall von der Grabensohle aus, oder auch einer auf des andern Rücken steigend, den Wall zu erklettern trachteten oder das Thor mit Axtschlägen bearbeiteten.
Aber jetzt stießen sie hier auf mannhaften Widerstand. Von den Wällen herunter flogen Pfeile, Speere, Balken, Steine auf sie nieder: das Gefecht stand: es war nicht gelungen, in das von den Flüchtigen aufgerissene Thor mit einzudringen. Saturninus war es gewesen, der es mit eigener starker Hand zugeworfen und den mächtigen Eisenriegel vorgeschoben hatte: geweckt durch das wütende Gebell seiner Hunde, hatte er, die Wachsamkeit der Posten prüfend, einen nächtlichen Rundgang durch das Lager gemacht, und er leitete nun vom Wall herab hier die Verteidigung: mit eigener Hand stieß er die erste angesetzte Sturmleiter um. Jedoch gleichzeitig tobte nun bereits der Kampf auf den drei anderen Seiten des festen Lagers.
Auch Bissula, auf deren brennende Augen der Schlaf sich nicht gesenkt, hatte sehr bald erkannt, was vorging: sie hörte—mit seligem Grausen—den Schlachtruf der Alamannen, die freudigen Kriegshörner ihres Volkes. »Sie sind's! Sie kommen!« hatte sie laut gejauchzt. »Ihnen entgegen!« Damit war sie aus dem Zelt gesprungen, die treue Genossin am Halsband mitführend. Jede nächste, noch so gefährliche Gelegenheit wollte sie erhaschen, aus dem Gürtel des festgeschlossenen Lagers zu entweichen.
Aber das war viel schwerer als sie vermutete. Sie hatte schon die allergrößte Mühe, nur in die Nähe des ihr angewiesenen »Seethors« zu gelangen. Die streng regelmäßige, in rechtwinkligen Vierecken durchgeführte Anlage des Lagers erschwerte dies ungemein: denn in allen Gassen, auf allen Plätzen standen jene Truppen, die nicht auf den Wällen fochten, in Reserve, dicht geschlossen, Mann an Mann: gleichviel, ob ihr zugewendet oder abgekehrt,—diese Reihen ließen sich nicht durchbrechen.—
Ihre Freundin Bruna hemmte sie, statt sie zu fördern. Das Tier war durch den Lärm von ein paar tausend schreienden Menschen, das Klirren der Waffen, die vorübersprengenden Rosse, durch die von allen vier Seiten aufsteigende Brandlohe so wild erregt, daß das Mädchen schwere Mühe hatte, die Tochter des Alamannenwaldes abzuhalten, sich in den Kampf zu mischen und die Legionare zornig anzufallen.
So hatte sie sich lange Zeit nur wenig gegen das ersehnte Thor vordrängen können. Aber jetzt ergab sich plötzlich eine Lücke in der vor ihr stehenden Kriegerreihe.
Ein Zug Panzerreiter jagte die Lagergasse von Norden herunter gegen das Thor zu: die Illyrier vor ihr öffneten die Glieder, die Reiter durchzulassen: furchtlos packte Bissula den Schweif eines Rosses und ließ sich, ohne die Bärin loszulassen, fortschleifen: so gelangte sie glücklich bis auf die Via principalis, aber hier fühlte sie sich am Arme gefaßt: sie ließ das Pferd los, das nun heftig ausschlug: zornig blickte sie sich um: Prosper, der Alte, war es.
»Halt,« gebot er. »Bissula, du bleibst bei mir. Der Patron hat's befohlen: er schickt mich zu dir. Mitten im Getümmel hat er dein gedacht! Ich soll dich bewachen, bis der Angriff abgeschlagen.« »Laß mich,« rief sie zornig und wollte sich losreißen. »Nein, du sollst nicht. Ich hafte für dich. Du folgst mir.« Nun begannen sie, heftig zu ringen: aber der Mann war stärker als das Mädchen: sie wäre nicht losgekommen.
Da richtete sich Bruna, grimmig brüllend, auf die Hinterbeine und griff mit den Pranken nach dem Feind ihrer Herrin: mit einem Schreckensruf sprang der Freigelassene, loslassend, zurück und im nächsten Augenblick schlüpfte Bissula unter den Beinen der Pferde der Panzerreiter durch, welche, die Stirn gegen Süden, jetzt allein noch sie von dem Seethor schieden.
Sie flog durch die lange schmale Mittelgasse, die Via media, in deren Zelten der Troß untergebracht war. Da sah sie Herculanus und etwas weiter unten Davus, jeden in einem in die Erde gerammten Eichenblock, sitzen, die beiden Füße in Löcher gezwängt und mit starken Querketten an die Blöcke gefesselt. Sie lief erschrocken weiter. Erst jetzt sah sie sich um nach Bruna:—diese war ihr nicht gefolgt! Jenseit der Reiter hörte sie ihr dumpfes Gebrüll erschallen; zugleich sah sie ein Rudel ungeheurer Hunde unter wütendem Gebell gegen das grimme Tier anspringen: einen aus der Meute sah sie noch von der furchtbaren Pranke zur Seite geschleudert, daß er verendend aufschrie.
Aber sie konnte nicht mehr warten,—noch weniger umkehren!—Sie eilte weiter. Denn schon sah sie vor sich das ersehnte Ziel: das decumanische Thor! Oh, und schon donnerten unablässige Axthiebe von außen an die dröhnenden Eichenplanken und die ehernen Beschläge. Das waren die Ihrigen, die Retter, die Befreier! Aber das feste Thor hielt wacker aus: und von der Wallkrone hagelten die Geschosse nieder auf die ungedeckten Stürmer. Sie drängte sich so nah als sie konnte an das Thor. Nur eine Reihe Soldaten trennte sie von demselben. Da hörte sie von draußen eine helltönende Stimme: Entzücken durchrieselte sie:—sie kannte diesen Ton!—»Feuer an das Thor! Alle Fackeln hierher!« Da, jeder Vorsicht vergessend, sprang sie durch die Reihe der Krieger, zwei von ihnen auseinander schiebend, legte den Kopf an das Thor und rief aus aller Kraft: »Adalo! Hilf! Adalo!« »Bissula!« scholl es von draußen und ein furchtbarer Axthieb schmetterte—der erste, der durchdrang!—in den rechten Flügel des Doppelthores einen klaffenden Spalt, daß die Späne krachend nach innen flogen. Zugleich hörte sie von oben, vom Wall her, zwei Stimmen zugleich ihren Namen rufen. Sie blickte empor und sah Zercho und Sippilo, die, vor allen anderen, den Wall rechts vom Thor erklettert hatten. »Hierher, Kleine!« rief der Sarmate, ein Fischerseil nach innen hinabgleiten lassend, während er das andere Ende um die den Wall überragende Sturmleiter schlang. »Wo bist du, Bissula?« rief Sippilo, weit vorgebeugt und mit einer Fackel hinableuchtend. »Ach! Sie ist nicht zu sehen!« Das Mädchen, links vom Thore stehend, vermochte nicht, durch die Soldaten nach rechts hindurchzudringen: sie mußte noch mit ansehen, wie auf der Wallkrone ein starker Thraker mit einem schweren Schanzpfahl, den er der Quere nach, mit beiden Händen gepackt, trug, gegen die beiden allzu Kühnen—sie standen immer noch allein da oben!—vorsprang und beide mit einem Stoß nach rückwärts vor den Wall hinauswarf. »Hallo, Sippilo,« rief draußen Adalo, »was war das?« »Ein Purzelbaum!« antwortete der Knabe lachend und sprang wieder auf. »Aber du—Zercho!—Weh!—du fällst ja wieder um?«—»Leider! Der Fuß—: er ist wohl gebrochen!« »Faßt ihn,—zwei Leute,« befahl Adalo, »und tragt ihn aus den Geschossen!«—»Wohin?«—»In meine Halle,—sie steht ja noch!« Einen Schrei hatte noch die Kleine ausgestoßen, als sie beide Freunde rücklings stürzen sah: aber im nächsten Augenblick vergingen ihr die Sinne.
Ein Soldat, den sie wiederholt hatte zur Seite schieben wollen, wandte sich zornig:—er wollte dem lästigen Kameraden, den er in dem Dränger vermutete, einen Schlag versetzen: da erkannte er das Mädchen. Der Zorn verging ihm sofort. »Zurück, Kleine!« rief er. »Hier wirst du des Todes!« Und in wohlmeinender Absicht wollte er sie nach links zur Seite schleudern: aber der Ungefüge wandte zu viel Kraft auf oder das Gewicht der Zierlichen war allzugering,—sie flog mit solcher Gewalt mit dem Kopf gegen einen Balken ihres alten Versteckwinkels, daß sie betäubt, bewußtlos liegen blieb, wo sie gefallen war.
»Bissula!« rief Adalo nochmal durch den klaffenden Spalt des Thores.
Aber er erhielt keine Antwort.
Bald wäre nun aber doch wohl der Edeling mit den Seinigen durch dies Thor eingedrungen, dessen einer Flügel draußen Feuer gefangen hatte und immer stärker zu glimmen und zu rauchen begann, während der andere unter den wuchtigen Axthieben immer breiter auseinander splitterte, wäre nicht auf der entgegengesetzten Seite des Lagers eine Wendung des Kampfes eingetreten, die auch für das Ringen um die Porta decumana entscheidend werden sollte.
Kaum war Bissula in Betäubung gesunken, als durch alle Lagergassen, welche von Norden gegen dies Südthor führten, Reiter, ledige Rosse, Fußvolk, Troßknechte, Sklaven in wilder Flucht hinabstürzten mit wüstem Geschrei.
»Flieht,« rief ein Schuppengepanzerter, in vollem Jagen an Herculanus und Davus vorbeisprengend. »Die Barbaren über uns!« »Das Lager ist genommen!« schrie ein Kelte, aus einer Seitengasse hervoreilend. »Sie sind am prätorischen Thor über den Wall gestiegen!«—»Nein, die Erde hat sich aufgethan! Der Orkus hat die Barbaren mitten ins Lager hinein gespieen!« »Flieht,« kreischte das Weib eines Troßknechtes, »ich sah Saturninus von seinen eigenen Leuten niedergerannt!—Alles ist verloren!« Und in der That:—so schien es. Ausonius war durch Prosper geweckt worden. Während er sich waffnete, erschien Decius, ein wackerer Anführer, der ihn im Namen des Tribuns aufforderte, die Verteidigung der Porta principalis dextra mit einer Kohorte der XXII. Legion zu übernehmen: dieselbe sei bereits dahin beordert: »Ich werde dich begleiten.«—»Was? Die Barbaren? Sie greifen an?«—»Hörst du sie nicht?«—»Ja wirklich! Auf welcher Seite?«—»Auf allen Seiten!«—»Ich eile.« Damit schritt Ausonius, den Helm aufsetzend, aus dem Zelt. »Was ist der Beschluß des Tribuns?« fragte er, indem er in die nächste Lagergasse rechts einbog. »Ausfallen?«—»Nein! Im Lager bleiben! Es verteidigen bis aufs äußerste! Die Übermacht draußen ist zu groß.« Damit hatten die beiden die Legionäre und bald mit ihnen das Ostthor des Lagers erreicht:—von hier entsendete Ausonius Prosper, Bissula zu schützen, aber auch zu bewachen, daß sie nicht entspringe.
Inzwischen hatte sich Saturninus überzeugt, daß für den Augenblick dem Wall neben dem prätorischen, dem Nordthor keine dringende Gefahr drohe. Er eilte die Walltreppe herunter, des Kämpfers Aufgabe wieder mit der des Feldherrn vertauschend. Er erteilte auf dem freien Raum am Fuße des Walles, etwa hundert Schritt nördlich von der Tanne der Erdgöttin, den um ihn versammelten Führern kurz und rasch seine Befehle: »Alle Reiter sitzen ab und kämpfen zu Fuß von den Wällen: bis auf das erste Geschwader der Panzerreiter, dies aber steigt nicht ab—hört ihr?—bei Todesstrafe!—unter keinem Vorwand:—es führt alle ledigen Pferde an die Porta decumana: denn kommt es zum Ausfall oder«—fügte er leiser, nur für seine Nächsten verständlich, bei—»zum Abzug aus dem Lager, geht es gen Süden, Nannienus die Hand zu reichen. Ist er selbst nicht angegriffen, wird er alsbald die Barbaren dort an jenem Thor vom Rücken fassen.«
»Hilfe an die Porta principalis sinistra!« erbat ein von Westen her ansprengender Reiter.
Saturninus wandte sich, mit diesem Boten zu sprechen.
So drehte er der Tanne den Rücken zu: aber kaum hatte er dem Reiter ein paar Worte zugerufen, als ein hinter dem Feldherrn stehender Centurio einen Schrei des Entsetzens ausstieß und ihn am Arme packte: »Schau um, Tribun!—Dort—bei der Tanne—die Erde bebt—der Abgrund thut sich auf:—die Altarsteine sind aufgesprungen!« Da tönte schon der Schlachtruf der Barbaren: »Wodan! Wodan! Alamannen!« mitten im Lager, und Saturninus sah erbleichend, wie wenige Schritte neben der Tanne eine hochragende Riesengestalt in weißem Helm mit langem Speer einen keltischen Bogenschützen niederstach, der aufschreiend zurückspringen wollte: drei—sechs—acht—schon waren es zwölf Barbaren tauchten aus der Erde auf. Mit einem wilden Schrei des Zornes warf sich der tapfere Mann gegen den Riesen.
Aber er erreichte ihn nicht mehr: seine eigenen Soldaten rannten ihn nieder. Es waren die »Kelten«: hitzig, tapfer im Angriff, aber nach einer ungünstigen Wendung leicht entmutigt.
Sie sahen die Feinde mitten im Lager: nur wenige hatten bemerkt, woher sie gekommen, wie gering ihre Zahl, die freilich jeden Augenblick wuchs: von blindem Schreck ergriffen, viele die Waffen wegwerfend, ergossen sie sich in wilder Flucht.
»Verrat! Verrat! Die Feinde sind im Lager!«
Mit diesem Geschrei hatte sich ein ganzer Schwarm von Fliehenden zwischen den Herzog und den Römerfeldherrn geworfen. Dieser war sofort wieder aufgesprungen. »Steht, ihr Memmen,« rief der Unverzagte und stemmte sich abermals, mit gezücktem Schwert, den Sinnlosen entgegen. »Seht euch doch um! Es ist ja nur eine Handvoll. Und wohin wollt ihr denn fliehen? Hinaus? Unter die Übermacht der Feinde? Nur das Lager rettet euch!«
»Zu den Schiffen! Zu Nannienus! Über den See! Nach Arbor!« »So stirb, du Feigling!« rief er grimmig, und stieß den nächsten Schreier nieder:—es war ein Fahnenträger der ›Kelten‹: er riß dem Sinkenden die von Purpurwimpeln umflatterte Drachenfahne aus der Hand, schwang sie empor, rief »Roma! Roma!« und drang vor. Wirklich brachte er für einen Augenblick die Fliehenden zum Stehen:—dem kühnen Häuflein der Eingedrungenen drohte jetzt allerhöchste Gefahr:—aber da ward des Feldherrn Ohr und Auge abgelenkt nach der Wallkrone.
Viele, viele der Verteidiger hatten bei dem Lärm in ihrem Rücken umgeschaut, Germanenhelme mitten im Lager erblickt, den Schreckensruf der Kelten gehört, den Feldherrn selbst stürzen sehen in dem Knäuel der Flüchtigen: sie mußten das Lager von andrer Seite her genommen glauben: sie fürchteten, jeden Augenblick von hinten angegriffen zu werden. Da waren sie in Scharen von der Wallkrone in das Lager herabgesprungen oder auf den Walltreppen herabgerannt. Die Angreifer draußen, bisher durch einen dichten Hagel von Geschossen in Schach gehalten, sahen plötzlich ganze Reihen von Verteidigern da oben verschwinden, ganze Strecken des Walles leer werden: mit wildem Jauchzen kletterten sie nun kühner, zuversichtlicher auf den Leitern hinan: und als der Tribun jetzt empor sah, sprangen bereits die siegreichen Stürmer in dichten Massen vom Wall herab, von Norden her auf die wenigen um ihn gescharten Römer einhauend, während von Osten des grimmen Riesen furchtbarer Speer einen nach dem andern niederstreckte, den er erreichte.
Noch einen schmerzvollen Blick warf Saturninus auf die Wallkrone: ungezählte, immer neue Barbaren tauchten da oben auf! Da rief er mit laut durch den Schlachtlärm dröhnendem Befehl: »Räumt das Lager! Folgt dieser Fahne! Zur Porta decumana hinaus! Schließt die Reihen! Löst ihr sie,—seid ihr verloren!«
Das wirkte. Daß die eherngeschlossene Ordnung das beste, das einzige Mittel gegen germanischen Ansturm war, hatten diese Soldaten oft erfahren: die Hoffnung, die Waffenbrüder auf den Schiffen zu erreichen, belebte den Mut: nach Süden abziehend, folgten sie fechtend, in guter Ordnung, dem bewährten Führer.
Wohl drängten die Verfolger von Norden und von Osten hitzig nach: aber die Weichenden erhielten auf ihrem Rückzug nach Süden unablässig erhebliche Verstärkungen von Osten und von Westen, wo die Quergassen auf die Nord-Süd-Straße (die Via media) von beiden Seiten senkrecht mündeten.
Denn einstweilen hatten auch die Verteidiger des West- und des Ostthores den Schlachtruf der Alamannen innerhalb des Lagers und das Fluchtgeschrei der Ihrigen erschallen gehört, den hoffnungslos gewordenen Widerstand aufgegeben und sich, der bei Rückzug ein für allemal geltenden Lagervorschrift gemäß, auf die lange Mittelgasse zusammengedrängt, die nach der Porta decumana führte, dem stets vom Feind abgekehrten, d. h. der römischen Rückzugslinie zugewendeten Thore.
Ziemlich aufgelöst, fluteten freilich die Truppen vom Westthor herbei, wo die Stürmer schon früher erhebliche Fortschritte gemacht hatten. In guter Ordnung dagegen führten Ausonius und Decius die Legionare der XXII. vom Ostthor heran.
Saturninus erblickte jene beiden von weitem: erreichen konnten sie sich, getrennt durch den ganzen Strom der Marschierenden, nicht.
So gelangten die Scharen in besserer Haltung, nur in den hintersten Reihen von den Barbaren eingeholt und gedrängt, allmählich bis auf die Stelle, wo die Via principalis nahe dem decumanischen Thor die auf dieses zu führende lange Mittelstraße schnitt: hier war der ganze Troß, viel hundert Karren und Wagen, zusammengedrängt, ja ineinandergefahren.
Eine solche Wagenburg, für germanische Völker auf der Wanderung eine wertvolle Verteidigung, war für römische Marsch- und Fechtordnung die allergefährlichste Hemmung und Störung: denn, mochte man bei dem Versuch, sie zu passieren, sie umgehen oder überklettern,—in jedem Falle lösten sich notwendig die festgeschlossenen Glieder in lauter kleine Häuflein, ja in einzelne, die hintereinander sich vorbeidrücken oder über die Wagen hinwegsteigen mußten.
Nicht umsonst aber hatte der alte Herzog den Lagerplan studiert: genau hatte er sich gemerkt, wo der Troß, die Wagen und Karren, verzeichnet standen, und mit Eifer hatte er alle Haufen seiner Krieger, wie sie nun durch die längst von innen aufgerissenen drei Lagerthore aus Nord, West und Ost ihm zuströmten, so über die Lagergassen verteilt in ihrem Vordringen und Verfolgen, daß sie von allen Seiten durch die Langgasse und durch die Quergassen die Flüchtigen gerade auf diesen Punkt zusammentrieben.
Dabei erfüllte den Alten mitten in dem Rausch des Sieges noch eine andere Freude: die über den gewaltigen Fortschritt, den seit einem Menschenalter die Gehorsamszucht seiner Alamannen gegenüber dem Heerbefehl des Herzogs gemacht hatte.
Die Überlieferungen der Väter und seine eigene Jugenderfahrung kannten gar manchen Fall, da Germanen der schon gewonnene Erfolg dadurch wieder verloren ging, daß die Sieger, gegen das Gebot ihrer Führer, in ungezügelter Beutegier anfingen, das eroberte Lager zu plündern, sich, aufgelöst, über Zelte und Troßwagen herzumachen, wetteifernd, wer den Genossen zuvorkäme, so daß die Römer, der Verfolgung und Bedrängung zum großen Teil entledigt, sich stellen, sammeln, und in geschlossenen Reihen den zerstreuten Plünderern Lager und Sieg wieder entreißen konnten.
Mit stolzer Freude sagte sich daher jetzt der Alte: »Sie haben doch was gelernt, durch mich—unter mir—ja, mir zu Liebe!« Er hatte vor Beginn des Angriffs vorgeschlagen,—denn zu befehlen hatte er nicht: »Das Lager und alles, was es birgt, gehört dem ganzen Volksheer:—nach dem vollendeten Sieg. Wann die Morgensonne darauf niederscheint, wird gleich geteilt nach Gauen, Gesippen und Köpfen: wer vorher nur eine Schale oder eine Waffe für sich nimmt, gilt als Dieb, der sein Volk bestohlen hat, und hängt.« Und die Scharen hatten zugestimmt und treu hielten sie Wort: nicht einer ließ vom Kampf ab oder wich aus der Reihe, zu plündern, oder bückte sich auch nur, die kostbaren Gold- und Silbergeräte aufzulesen, welche die aus den Zelten des Ausonius fliehenden Sklaven hatten bergen—oder auch stehlen—wollen, aber bald weggeworfen hatten, um leichter, unbelastet, das Leben zu retten.—Gehorsam ihrem Herzog trieben daher die Eingedrungenen von allen Seiten die Fliehenden gegen die Mittelstraße des Lagers zusammen. So staute sich denn hier die wirre Flut, die sich bisher durch viele einzelne Kanäle gen Süden gewälzt, vor diesem Hindernis auf und geriet in langewährendes Stocken. Während die ersten noch in raschem Lauf auf den schmalen Seitenpfaden links und rechts an der breiten Wagenreihe sich vorbeidrückten oder, noch nicht zu sehr von den Nachmännern gedrängt, über die Karren kletterten, ward beides nur noch unter heftigstem Ringen der Fliehenden um den Vortritt möglich, seit auf die gut geschlossenen Kolonnen der beiden Führer jetzt die Hunderte der vom Herzog aufgejagten und hierher zusammengetriebenen Versprengten stießen.
Mit der Kraft der Verzweiflung drängten diese vorwärts, zumal seit sie mit Grausen erkannt, daß Wegwerfen der Waffen und Ergebung vor dem Tode nicht rettete. »Wehe, sie schlachten alles! Gebt Raum! Laßt uns durch! Sie morden die Gefangenen!« »Nein,« rief der Herzog dem nächsten Schreier zu, »sie morden nicht die Gefangenen: denn sie haben keine!« und stieß ihn nieder. So löste sich die Haltung auch der bisher noch geschlossenen Reihen.
Saturninus gelang es, rechts, westlich von der Wagenreihe, an dieser sich vorbeizudrängen: er eilte gleich weiter gegen das Thor; doch sah er—denn hell beleuchteten jetzt bereits den Schauplatz zahlreiche Zelte, in welche die Sieger die lodernden, mit Pech und Harz bestrichenen Reisigbündel geworfen hatten,—an der Ecke der letzten Querstraße zwei seiner schönen großen Hunde, mit aufgerissenen Eingeweiden, übereinander geworfen, liegen, während er die anderen in einer Querstraße wütend bellen hörte, und dazwischen durch ein dumpfes Brüllen vernahm.—Im nächsten Augenblick war er schon wieder weit vorgeschoben von den Nachdrängenden.—Er sah sich um nach Ausonius, der bisher beritten gewesen. Er gewahrte denselben, wie er, abgestiegen, sich bemühte, über die Wagen hinwegzuklettern. Das ging nur langsam: und schon drang näher und näher gerade auf diesen Haufen von Fliehenden los, von Osten her, der Schlachtruf der Verfolger.
Der Tribun befahl einigen Pionieren, auf die er stieß, sich zu Ausonius Bahn zu brechen, die Karren, die ihn hemmten, mit ihren Beilen niederzuschlagen, jenem und der linken Kolonne Platz zu schaffen. Nicht gern gehorchten die Mannschaften, nicht gern kehrten sie, schon das decumanische Thor vor Augen, um, den wütenden Drängern wieder entgegen: aber nochmal obsiegte die altrömische Kriegszucht und der gewohnte Gehorsam gegenüber dem verehrten Feldherrn: sie wandten sich also Ausonius entgegen, während der Tribun vorwärts eilte an das decumanische Thor.
Die hier aufsteigenden Flammen, die dröhnenden Axtschläge der Angreifer, die das schlimme Krachen von splilterndem Holze begleitete, spornten ihn zur Eile: dies Thor durfte nicht von außen geöffnet werden, sollte sein letzter Rettungsversuch gelingen. Aber kaum hatte er den Platz vor dem Thor erreicht, als von der linken Kolonne, von Ausonius her, neues, verzweiflungsvolles Geschrei erscholl. Bevor die Pioniere sich bis zu dem Präfekten Bahn gebrochen hatten, ward dessen Umgebung von den Pfeilen und Wurfspeeren der Verfolger erreicht: er selbst verschwand plötzlich vor ihren Augen, zwischen zwei Troßwagen hinunter stürzend.—Lautes Wehegeschrei seiner Begleiter erscholl.
Da machten die Pioniere Kehrt und flohen in der entgegengesetzten Richtung: von links drohten die Barbaren—so flüchteten sie nach rechts in eine der Querstraßen, welche die Langstraße kreuzten.
»Flieht,« rief der erste, gerade an Herculanus vorbeilaufend, der verzweifelte, fruchtlose Anstrengungen machte, mit den von Fesseln nicht gehemmten Händen den festen Eichblock aus der Erde zu reißen oder seine Füße aus den eng gebohrten Löchern und Eisenklammern zu lösen, »Flieht! Ausonius ist gefallen!«
»Ausonius ist tot!« schrie der zweite, sein schweres Beil wegwerfend, das ihn im Laufen hinderte. Es fiel nahe vor dem Gefangenen nieder.
Hastig streckte der beide Arme danach aus, den heftigen Schmerz in den hierbei gezerrten Füßen, an den gequetschten Knöcheln nicht achtend: Triumph! Es reichte gerade! Mit den äußersten Fingerspitzen wenigstens konnte er den Stiel der Axt berühren, langsam näher rücken, nun ihn mit den Fingern packen und an sich heranreißen. Da hinkte ein Sklave des Ausonius, von einem Pfeil verwundet, langsamer heran. »Oh der gute Herr! Ausonius! Er ist gefallen! Er ist tot!« »Tot?« rief ihn Herculanus an, »gewiß tot?«
Aber der Flüchtling hatte ihn nicht gehört oder nicht hören wollen,—er war schon weiter, hatte Davus erreicht, »Hilf mir!« jammerte dieser. »Laß mich nicht hier verbrennen—oder in der Barbaren Hand fallen!« »Elender Mörder!« war die einzige Antwort,—schon war der Flüchtling um die Ecke gebogen.
Einstweilen hatte Herculanus mit beiden Händen die scharfe Axt gepackt und, sich nach unten bückend, mit aller Kraft Streiche geführt gegen den Eichenklotz, da, wo er, drei Schuh breit, seine beiden Füße auseinander hielt, in der Mitte der beiden, von oben nach unten eingebohrten Löcher. Endlich sprang der Eichblock auseinander: dadurch waren die beiden eingebohrten Löcher zerschlagen: die beiden Ketten, welche die Füße an die beiden Hälften gebunden hatten, zerhieben zwei weitere Axthiebe: der Gefangene war frei!—
Aber nur mit Mühe und mit heftigen Schmerzen konnte er die Beine bewegen, die durch das Sitzen während so vieler Stunden steif geworden und durch den Druck um die Knöchel angeschwollen waren. Doch der Drang, zu leben, die Hoffnung auf Rettung überwand die Pein: er schritt—anfangs noch ganz langsam—auf Davus zu, der ihm mit Neid zugesehen. »Hilf auch mir heraus,—du—du allein hast mich hierher gebracht.« »Ja, Verräter, ich will dir heraus helfen,« lachte der andere grimmig. Er schlug ihm das Beil in den Schädel und lief nun rascher—bei jedem Schritte wurden seine Füße gelenker—gegen das Westende der Querstraße zu: denn näher und näher drang von Osten her der Lärm.
Hierher reichte noch der Brand des Lagers nicht: er schlüpfte in ein Zelt und verbarg sich: hatte er doch seine Landsleute fast ebenso wie die Barbaren zu scheuen: hier fand er einen kurzen Dolch, wie ihn die Thraker führten: er steckte ihn zu sich, und legte die langstielige, schwere Axt weg, die ihn bei dem versuchten Laufen gehindert hatte,—
»Ausonius tot! Vielleicht alle tot, die um jenen Vorgang wußten!« Von diesem Gedanken kam er nicht los, während er vorsichtig zwischen zwei Falten des Zeltes herauslugte, zu beobachten, ob nicht bald Römer und Barbaren ihm den Weg aus dem Lager frei gäben.
Allein der Neffe irrte. Ausonius war nicht tot. Bei dem Versuch, von einem Wagen auf den andern zu springen, war er zwischen beiden hinabgestürzt und hatte sich den Fuß etwas verletzt. Aber Decius und einige Legionäre der XXII. hatten ihn wieder aufgerichtet und alsbald an das decumanische Thor geleitet. Hier hatte einstweilen der Tribun rasch seine Anordnungen getroffen, die vereinzelt eintreffenden Flüchtlinge gesammelt, eine Kernschar seiner Illyrier um sich gereiht, der er auch die Fahne übergab. »Wo ist die Ala der Panzerreiter, die ich hierher befehligt hatte, das Absitzen verbietend? Sie brauchen wir jetzt—an der Spitze des Ausfalls.«
»Ach, Tribun, in der Not, in der Bedrängung des Thors und der Wälle sind wir doch alle abgestiegen und haben zu Fuß mitgefochten,—unsere Gäule sind durchgegangen: sie rasen durch die Seitengassen.«—»Das ist des Herculanus Mannszucht! Also—die Reiter fehlen uns! Wohlan, dann die Speere voran! Die Verwundeten in die Mitte! Hierher Ausonius, hinter meine Schar! So! Auf mit dem Riegel! Reißt das Thor auf! Wir schlagen uns durch, nach den Schiffen! Zum Ausfall! Drauf!«
Da wurden denn plötzlich die bisher so zäh verteidigten Thorflügel, der rechte halb zerschmettert, der linke halb verbrannt, von innen aufgeschlagen, und die Römer brachen, die letzte Kraft zusammenfassend, von ihrem trefflichen Feldherrn in Person geführt, durch sein Beispiel und durch die Aussicht auf Rettung zu einer äußersten Anstrengung gespannt, hinaus ins Freie.
Furchtbar war der Zusammenstoß.
Die Wirkung des überraschenden Anpralls auf die Barbaren war sehr stark. Sie wurden, so viele ihrer auf dem schmalen Erdstreifen zwischen Thor und Graben gestanden, sämtlich in den Graben hinunter geschleudert.—Adalo war nicht in dieser Zahl:—er war für einen Augenblick hinter den Graben zurückgewichen, die Anlegung eines Notstegs aus Baumstämmen über denselben anzuordnen, der gerade gegen das Thor führen sollte: er wollte dann auf demselben seine Krieger mit Balken gegen das bereits morsche Thor anrennen lassen, es vollends einzustoßen. So entging er dem Sturz in den Graben, den Sippilo mitmachte, übrigens, wie bei dem Fall vom Wall herunter, unverletzt: hurtig kletterte der Knabe den Südrand des Grabens hinauf: die Sturmhaube mit den Rehkrickeln hatte er schon bei dem ersten Fall verloren, aber Schild und Speer auch diesmal tapfer festgehalten. Einen Augenblick lang schien es freilich, als ob auch die Römer, sowie sie das Thor durchschritten und nun freien Ausblick nach dem See gewonnen hatten, in neuem Schreck sich auflösen würden.
Denn einstweilen war auch der Angriff auf die Schiffe und das Schiffslager, wie es nun schien, geglückt. Bisher hatten die Verteidiger auf den Wällen immer noch sehnlich auf Nannienus geharrt und vergebens über die stürmenden Barbaren und deren Pechfackeln hinweg nach dem See ausgeblickt.
Aber jetzt, da sie das Freie vor dem Thor erreicht, sahen sie eine mächtige Lohe am Seeufer aufflammen: den Lärm des Gefechts, das etwa eine halbe Stunde entfernt da unten entbrannt war, hatten sie, umtobt von dem unmittelbar um sie herumrasenden Kampf, nicht wahrnehmen können: nun aber erkannten sie alle, was Saturninus längst aus dem Ausbleiben des tapferen Freundes erschlossen hatte: die Flottenabteilung war selbst aufs heftigste bedrängt.
»Die Schiffe brennen! Das Schiffslager in Flammen! Die letzte Zuflucht hin!« riefen gar manche, sprangen aus den geschlossenen Reihen, flohen—und wurden augenblicklich von den Germanen eingeholt und vor den Augen der Ausharrenden niedergestoßen. »Ihr seht,« rief Saturninus, »wie es den Flüchtlingen geht! Bleibt geschlossen, wollt ihr am Leben bleiben. Geschlossen hinab an den See und wir retten uns selbst und die Freunde!« Das war einleuchtend. So folgte die ganze Schar dem unverzagten Führer, der, selbst der erste, den südlichen Grabenrand erklettert hatte.
Sowie er oben angelangt war, hörte er seinen Namen, aus den Reihen der Barbaren laut gerufen, an sein Ohr schlagen. »Wo ist Saturninus, der Feldherr der Römer?« klang es auf lateinisch. Von dem brennenden Lager grell beleuchtet, drang ein Führer der Germanen im reichsten Waffenschmuck den Seinen voran. Ein Eberhelm deckte sein Haupt: ein graubärtiger Gefolge hielt den langen Schild über ihn und fing damit zwei gutgezielte römische Wurfspeere zugleich. »Wo ist Saturninus? Ich muß ihn finden!« wiederholte der Germane, wieder einen Satz vorspringend und den nächsten Thraker mit der Streitaxt niederschlagend. »Hier,« antwortete der Tribun. »Doch jetzt ist nicht Zeit, zu unterhandeln.« »Nein, aber zu sterben!« rief Ebarbold und schmetterte die Streitaxt gegen den mächtigen, gewölbten Erzschild des Feldherrn. Hier biß sie ein, ohne den Träger zu verletzen. Vergeblich mühte sich der König, die Waffe wieder herauszureißen: sie stak unbeweglich. Und schon zückte der Römer das kurze, mörderische Breitschwert zum tödlichen Stoße.
Da sprang der graue Schildträger dazwischen, und warf den Schild vor seinen Herrn, Aber das norische Eisen drang durch die Eberschur und durch das Holzgefüge des Schildes dem Alten in die linke Brust: er fiel, durch die Wucht des Stoßes nach hinten geschleudert, auf den Rücken.
Ebarbold hatte inzwischen den Stiel der verfangenen Streitaxt fahren lassen, das lange, ungefüge Hiebschwert von der Seite gerissen und in weit ausholendem Streich über den stolz geschweiften Helmkamm des Feldherrn geschwungen: aber eh' es niederschlug, fuhr ihm schon das kurze Römerschwert, vom Blut des Waffenträgers rot, in den Hals: sterbend fiel er an des Alten Seite nieder.—
»Du—mit mir—für mich!«—mehr konnte er nicht sprechen. »Glaubtest du, ich würde von dir lassen?—Nicht ungefolgt soll der Eberkönig eingehen in Wodans Saal!—Nicht schimpflich auf die Ferse schlagen, wie geringem, unbegleitetem Manne, soll dir Walhalls Thüre! Wir—beide!—haben unser Wort gelost!—Und zusammen—in Heldenehren—fahren wir nach Walhall.«
—Da sank des Alten Haupt verstummend auf seines Königs Schulter. Sie schwiegen—beide: sie starben.—
Über die Gesunkenen hinweg war der Illyrier vorwärts gesprungen,—nachdem er zuvor den immer noch in seinem Schilde steckenden Stiel der Streitaxt des Königs mit dem Schwerte kurz vor der Axtöse abgehauen,—unter wildem Jubeln seiner Landsleute, die den Zweikampf genau gesehen: die Männer aus dem Ebergau aber bestürzte der Fall ihres Königs. Sie stutzten,—hielten an,—wichen.
»Vorwärts, hinunter an den See!« befahl der Tribun. »Seht ihr, sie weichen!« Es war ein gefährlicher Augenblick. Denn auch der nächste Haufe hinter den Eberleuten wankte, verwirrt von deren Rückwärtsgängen.
»Steht, Männer des Linzgaues!« rief da eine metalltönige, helle Stimme, und gegen den Tribun heran brach sich Bahn durch Alamannen und Römer ein Jüngling, von goldbraunen Locken das schöne Haupt umflattert. Aber die Römer hatten nicht Lust, noch Gewohnheit, ihren Feldherrn Einzelkämpfe mit den Barbarenfürsten ausfechten zu lassen. Ein riesiger Illyrier trat von links aus der Reihe vor seinen Führer und zielte scharf auf des Jünglings Antlitz mit seinem Wurfspeer: der Speer kam nicht zum Fliegen: denn bevor er geschleudert ward, sprang ein alamannischer Knabe von unten gegen den Hochausholenden und traf ihn mit seinem ganz kleinen Speerlein in die vom klaffenden Panzer jetzt nicht geschützte Achselhöhle:—er schrie und fiel.
»Dank, Brüderlein!« rief Adalo, und nun, dicht vor Saturninus haltend, rief er diesem auf lateinisch zu: »Wo ist Bissula?« Allein der Römerfeldherr hatte nicht Gedanken übrig für ein Barbarendirnlein—nur damals im Lager, als er ihre Bärin brüllen hörte, war der Gedanke an die Kleine pfeilschnell durch sein Gehirn geflogen:—er gab keine Antwort und zückte nur drohend das vom Blute Ebarbolds triefende Schwert.
Des Edelings Speer flog: Saturninus fing ihn mit dem Schild: aber dieser war nun, mit der langen Lanze behaftet, so ungefüg zu handhaben, daß er ihn fallen ließ. Er sprang mit scharf gezieltem Schwertstoß gegen den Jüngling, der sofort nach seinem Wurf das kurze Schlachtbeil aus dem Gürtel gerissen hatte. So grimmig hatte jeder nur des andern Fällung im Sinn, daß keiner an die eigene Verteidigung dachte. So trafen beide: und beide fielen.—
Mit Anspannung aller Kraft—und sie war groß!—hatte der Alamanne auf des Gegners Stirne gezielt: unwillkürlich hatte dieser den Helm vorgesenkt: der fürchterliche Hieb zerschlug aber doch diese beste Arbeit der besten römischen Helmfabrik—zu Trier—und drang durch Erz und Doppelleder des Helmfutters noch in den Schädel. Der Helm ward später gefunden: und dieser »Schwabenstreich« ist lange gefeiert worden in der Halle des Hirschhofs.
Aber deren Herr schien nie mehr in diese zurückkehren, sondern Ebarbold und Ebarvin folgen zu sollen. Denn gleichzeitig hatte das Römerschwert den schlichten Holzschild des Germanen durchbohrt und war tief in dessen linke Schulter gefahren. Sippilo fing des nach rechts stürzenden Bruders Haupt,—ein paar Gefolgen faßten seine Füße, und so trugen sie ihn rasch aus dem Gefecht.
Decius, von des Ausonius Seite vorspringend, übernahm nun den Befehl über die Römer. Aber er konnte die Ordnung nicht mehr retten. Denn der Fall des Führers—Dank Adalos furchtbarem Streich—entscharte jetzt in wilder Flucht den Hügel hinab die bis dahin zusammenhaltende Schar. Zuerst stoben nach rechts und links auseinander die Vordersten, die den Zweikampf mit angesehen.
Die tieferen Glieder hielten noch zusammen: aber nun traf sie ein Stoß von rückwärts, vom Lager her—und da war alles aus.
Das war Hariowald, der Herzog. Endlich—viel zu spät für seinen Grimm—hatte auch er das Lager durchmessen, die Porta decumana erreicht. Das größte Hindernis für die Verfolgung war nun geworden, was vorher der Hauptgrund für das Stocken, Stauen und die Auflösung des römischen Rückzugs gewesen war: der Troß, die Wagenburg.
Hinter derselben, also zwischen ihr und dem Seethor hatten zahlreiche Römer, hatten zumal die germanischen Söldner, die Bataver, gewöhnt an solches Gefecht, wieder standgehalten; und ziemlich lang hatte es gewährt, bis der Herzog durch Feuer, Beilhiebe und Blut sich Bahn dadurch gebrochen. Wohl hatte er gleich nach links und rechts durch die Querstraßen Scharen entsendet, das Hindernis zu umgehen und die Verteidiger in beiden Flanken zu fassen,—mit Todesangst hatte Herculanus die Alamannen durch die Quergasse an seinem Zeltversteck vorbeitoben hören:—aber manche Zeltgassen standen in vollen Flammen, andere waren ebenfalls von verlassenem Gepäck und Troßgerät gesperrt: so hatte es lange gewährt, bis endlich der Herzog mit den Seinen, die Wagenburg durchbrechend, die letzten Verteidiger vor sich hertreibend, das decumanische Thor erreichte und nun mit seiner ganzen siegtrunkenen Schar den Römern des Decius in den Rücken fiel. Da war alles verloren!
Decius gelang es nur, einen ganz kleinen Haufen Illyrier zusammenzuhalten, nicht zwanzig Mann, die den verwundeten Feldherrn und Ausonius in der Mitte, die Reihe der Linzgauer durchbrachen, die einige Zeit mit der Bergung Adalos beschäftigt waren, und geradeaus gen Süden, nach dem See zu flüchten.
Klar war es: wenn überhaupt, war nur noch auf den Schiffen Rettung möglich. Denn alle die Flüchtlinge, die seitwärts nach rechts und links, nach West und Osten, auseinanderstoben, ereilte das Verderben. Ohne Führung, ohne Richtung, nur im allgemeinen nach dem See hin, liefen sie einzeln, paarweise, in kleinen Häuflein. Die Meisten gerieten in dem Dunkel der Nacht in die Sümpfe, der Furten unkundig und der wenigen erhöhten Steige: sie versanken, ertranken oder wurden von den Verfolgern niedergestreckt.
Hariowald erfuhr, sowie er das freie Feld erreicht hatte, des Königs Fall—er nickte schweigend—und, aus Sippilos Mund, des Edelings Verwundung. »Schwer?«—»Ja!«—»Wo?«—»In der Schulter:—durch und durch gestoßen!«—»Hm!—Er ist in seine Halle getragen?«—»Ja!«—»Holt sofort zu ihm die blinde Greisin—Waldrun—vom Weihberg,—Sie kennt die stärksten Kräuter: und sie weiß auch, wann und wie sie ohne Widerwort und bösen Ausgang—müssen gebrochen sein.«—»Sie ist wohl schon in dem Hirschhof.«—»Wie?«
»Sie hat die Nacht vorher geträumt, diese Schlacht sei sieghaft gewonnen, aber sie habe meinen Bruder, wie er schwer wund auf ihren Knieen lag, gepflegt. Sie bestand darauf, daß der Sarmate sie noch vor Beginn des Kampfes in unsere Halle herunter führte. ›Ich warte dort auf den Wunden‹ hat sie gesagt.«
»Aber du, Kleiner, du blutest ja auch,—da—am Arme.«—»Nur ein Wurfspeer hat mich gestreift! Ist nicht viel!«—»Genug für das erste Mal! Du wankst ja—was hast du noch weiter?«—»In der Wade—ein Pfeil: er ging aber gar nicht tief.«—»Du kannst ja kaum mehr stehen!—ich befehl's—hörst du? Bei Herzogsbann! Nach Hause mit dir!—Auch für dich wird Waldrun ein Kräutlein haben. Fort!«
Den unmittelbaren Befehl auch über die der Führer verwaisten Haufen Ebarbolds und Adalos übernehmend, zog der Herzog alle seine Scharen in breitester Front, die Flüchtlinge allumklafternd, auseinander und gab nur den einen Befehl: »Treibt sie in den See!« Mit Jauchzen und getreulich ward dies Gebot befolgt.
Der Herzog hatte sich auf eines der zahlreichen im Lager und nun auch schon vor demselben reiterlos umherrennenden Rosse geschwungen, seine Leute ahmten eifrig diesem Beispiel nach, und so ward denn die Verfolgung eine wilde Hetzjagd, zu Pferd und zu Fuß, die Höhe herab über das stets abfallende Gelände bis an den See. Das brennende Lager im Rücken, die brennenden Schiffe vorn warfen ein schauerlich schönes, ungleich flackerndes Licht auf das wilde, kriegerische Nachtbild.
Aber schon mischte sich, freilich noch ganz leise, leise, ein anderes Licht in das Gemälde, da, wohin das grellrote der Fackeln und der lodernden Zelte nicht drang: es war nicht mehr ganz schwarze Nacht: fern, im äußersten Osten, hob das Grauen des Tages an: denn mehr als zwei, fast drei Stunden der Septembernacht waren in dem Kampf um das Lager verflossen, seitdem die Rufer die zweite Stunde nach Mitternacht verkündet hatten.
Inzwischen hatte sich Bissula längst wieder von ihrer Betäubung erholt. Schon der schmetternde Tubaruf der im Ausfall vorbrechenden Römer hatte sie geweckt. Sie richtete sich auf hinter ihrem Versteck, hinter den Balken und Schanzkörben, die, mannshoch übereinander geschichtet, sie völlig verdeckten. Sie lugte durch die klaffenden Zwischenräume der Balken: mit freudig klopfendem Herzen sah sie es nun weit geöffnet stehen, jenes »Seethor«, das sich bisher so unerbittlich und undurchdringbar vor ihr verschlossen gehalten hatte. Vorsichtig, geduckt, wie ein Kätzchen, das der greifenden Hand enthuschen will, schlüpfte sie nun bis an die Westecke ihres Balkenversteckes und spähte zu dem Thor hinaus.
Aber wie heiß sie die Freiheit ersehnte und wie vertraut die furchtlose Tochter des Seewalds mit allerlei Gefahren und Schrecknissen des Urwalds oder der Wogen war:—sie blieb denn doch ein Mädchen: und sie hatte sie noch nie geschaut, die Schrecken der »männermordenden Feldschlacht!«
Sie sah jetzt diese blutigen Bilder, von welchen ihr nur etwa der Oheim oder ein Sänger bei einem Siegesfest erzählt hatte: sie sah und sie—erbebte.
Von dem Schein der beiden jetzt lichterloh brennenden Thorflügel, von den Fackeln der Römer, von den entflammten Reisigbündeln der Alamannen beleuchtet sah sie, ganz nah, jenseit des Grabens, das blutige, das mörderische Ringen, das bei dem Zusammenprallen der ausbrechenden Römer mit den Sturmhaufen der Ihrigen anhob. Sie sah Dinge, die sie mit markdurchrieselndem Entsetzen erfüllten!
Wie gelähmt, zitternd an allen Gliedern, ließ sie sich auf einen hinter ihr liegenden Schanzkorb niedergleiten und starrte mit großen, weit geöffneten Augen durch das Thor in das furchtbare Schauspiel, von dem sie, bei allem Grauen, den Blick nicht losmachen, vor dem sie die Lider nicht senken konnte. Sie erblickte einmal Saturninus,—dann verschwand er wieder, von seinen Illyriern verdeckt:—da tauchte er wieder auf—weiter vorn. Sie erkannte den König des Ebergaus:—er hatte auf dem letzten Sonnwendfest ihr eine Spange geschenkt:—da sah sie ihn rücklings niederstürzen—er stand nicht mehr auf! Neben ihm—eine kleine Gestalt—das helmlose Haupt von lichtem Gelock umflattert,—ja das war Sippilo! Der Sturz vom Wall hatte ihm also nicht geschadet!—Aber da nahte ihm von der Seite ein baumlanger Illyrier, der eine mächtig brennende Fackel als fürchterliche Waffe schwang:—laut schrie sie, alle Gefahr vergessend, auf:—der Knabe gewahrte gar nicht den über ihm geschwungenen Brand:—da stürzte der Soldat:—einen Augenblick sah sie im Schein jener Fackel Adalo, der den Bruder gerettet hatte,—sie jubelte auf bei dem Anblick—: aber die Fackel war nun erloschen, wie ihr Träger fiel: beide Brüder waren ihr entschwunden. Gleich darauf horte sie laut klagend den Ruf vieler Stimmen: »Adalo! Weh Adalo! Weh um den Edeling!«
Schreck und Angst um den Freund drückten ihr das Herz zusammen: ach! sie konnte nichts mehr von ihm erspähen! Und schon erscholl von ihrem Rücken, vom Lager her, neuer, brausender, rasch näher dringender Lärm. Es war Hariowald, der nun mit den Seinen die letzten aus der Wagenburg vertriebenen Bataver—sie erkannte Rignomer—und die aus allen Zeltgassen flüchtenden, versprengten Römer vor sich her und zu dem decumanischen Thore hinaustrieb. Sie wollte nun zu den nachsetzenden Alamannen durchzudringen versuchen. Aber Pfeile und Wurfspeere der Verfolger flogen dicht um sie,—ein verirrter Schleuderstein schlug krachend neben ihrem Kopf an einen Balken: erschrocken warf sie sich ganz auf das Antlitz nieder und ließ den gefährlichen Strom von Feind und Freund in der Ferne an sich vorüberbrausen. Doch bald ward es nun still, ganz still im Lager. Auch draußen, vor dem Thore, zog sich der Lärm des Kampfes sehr rasch hügelabwärts gegen den See hin.—Sie richtete sich wieder auf und sah durch das Thor. Ferne schon sah sie—wenig deutlich—das Gewoge sich die Hänge hinabwälzen: sie konnte kaum die Gestalten unterscheiden: aber laut drang das Siegjauchzen ihres Volkes an ihr Ohr. Helle Freude flammte dabei durch ihr Herz: sie sprang auf: »Sieg!« jubelte sie mit. »Freiheit! Heia!« Aber gleich darauf sagte sie sich selber, vorwurfsvoll: »Und Ausonius?—Und auch Saturninus, der Wackere?—Ach! und:—Adalo!« Dieser Schmerz, diese fürchtende Sorge um ihn, trieb sie kaum minder als der Drang nach der eigenen Befreiung hinweg aus ihrem sichern Versteck: sie beschloß jetzt, die Flucht aus dem Thor auf das gefürchtete, noch kürzlich so laute, nun aber grauenhaft schweigende Schlachtfeld zu wagen. Das Lager war ja leer.
Wenigstens schien es so: sie blickte, an die Ecke des Balkenhaufens schleichend, vorsichtig nach allen Seiten umher. Wohl dachte sie auch der treuen Bärin: »Bruna! Hierher Bruna!« rief sie, so laut sie konnte, in die Lagergassen hinauf: aber keine Bruna kam!—
Sie sah,—die brennenden Zelte leuchteten jetzt, auch schon hier von den Flammen ergriffen, ausreichend dazu,—in der Nähe keinen aufrechtstehenden, weder Feind noch Freund. Nur am Boden,—da regte sich's hier und da. Stumm lag ein erschlagener Kelte quer vor der Zeltgasse, den Helm auf dem Haupte, den Speerschaft noch in der erstarrten Faust. Mit Grausen—sie hatte noch keinen Toten gesehen: beim Tod ihrer Eltern hatte sie wenige Jahre gezählt,—stieg sie behutsam, um die Leiche gewiß auch mit dem Gewande nicht zu streifen, das Kleid hoch aufhebend—über die breite Brust des Gepanzerten. »Noch drei Sprünge,«—dachte sie, »und ich bin vor dem Thor,« Schon hatte sie den Fuß erhoben, hurtig zu laufen,—da drang hinter ihr dumpfes Stöhnen an ihr Ohr. Unwillkürlich—obwohl von neuem Grauen geschüttelt—blickte sie um: das Furchtbare übt einen seltsamen Zwang, der zugleich anzieht und abstößt—: es war ein Verwundeter—ein Römer, der ein paar Schritte hinter ihr, tiefer im Lager, das Haupt an eine Zeltstange gestützt, lag, den rechten Arm auf die Erde gestemmt, die Linke auf die Brustwunde gepreßt: er mußte das Mädchen erblickt haben: denn statt zu stöhnen rief er jetzt—auf lateinisch—»Wasser—oh, ich bitte, Wasser!«
Wohl graute ihr: wohl bangte ihr, nochmal in das Lager zurück, von der draußen vor dem Thore winkenden Freiheit hinweg, sich zu wenden. Aber das Herz des Weibes siegte über die Furcht. Sie sah sich um, ob sie das Flehen des Durstenden erfüllen könne. Da fiel ihr Auge auf eine der großen Tonnen, die, stets mit Wasser gefüllt, nach römischer Lagerordnung neben jedem Thor stehen mußten. Sie waren so hoch, daß sie kaum hinein sehen konnte: aber sie hob sich mit beiden Händen an den Rand empor und sah, daß noch genug Wasser darin war.
Aber woher ein Gefäß nehmen? Allerlei Gerät lag um sie her verstreut: doch kein Becher, keine Schale. Da kam ihr ein Gedanke, bei dem sie zuerst schauderte. Jedoch mutig bezwang sie das mädchenhafte Grauen, trat zu dem toten Kelten, löste ihm—mit zitternden Fingern—das eherne Schuppenband, das ihm den Helm unter dem Kinne festhielt, zog ihm schonend, sacht—als ob der Tote es spüren könne—den Helm vom Haupt, eilte damit zu dem Faß, schöpfte die Höhlung halb voll und trug nun den Helm—mit dem lang wallenden, auf der Erde nachschleifenden Roßschweif des Kammes, mit beiden Händen, langsam schreitend, um nicht zu viel zu verschütten, dem Ächzenden zu, der mit stieren Augen jeder ihrer Bewegungen folgte und lechzend den Mund öffnete. Sie kniete neben ihm nieder, hielt die Halbkugel des Helmes seitwärts an seine bärtigen Lippen und gab ihm zu trinken:—er schlürfte das Ganze leer. Tief aufatmend legte er das Haupt zurück an die Zeltstange und sprach mit Anstrengung. »Bist du Christin?« Trotzig schüttelte die Alamannin die roten Locken: »Mich befreunden Freia und Frigga!«—»Gleichviel,«—sprach der Sterbende—»diesen Trunk, Mädchen, lohnt dir Christus, der Heiland!«
Sie erhob sich nun langsam: ihr Blick fiel in die nächste Zeltgasse zur Linken:—und mit gellendem Angstschrei ließ sie den Helm fallen und rannte, so rasch sie konnte, davon, auf das Thor zu.
Denn in dieser Gasse sah sie, von den brennenden Zelten grell beleuchtet, geduckt wie ein Raubtier, gegen sie heranschleichen, einen Dolch in der Hand,—Herculanus.
Dieser hatte sich bisher vor Römern wie Germanen gleichmäßig in jenem Zelt der Quergasse verborgen gehalten, in das er geflüchtet war. Jetzt war es ringsumher so still geworden, daß er das Lager für verlassen halten durfte: gleichwohl hätte der Vorsichtige das Zelt noch nicht verlassen, wenn ihn das Feuer, mehr noch der Qualm des glimmenden Zeltleders, aus dieser Zufluchtsstätte nicht vertrieben hätte. Scheu spähend war er aus den Vorhängen geschlüpft: da war sein erster Blick gefallen auf die Verhaßte, die sein Verderben verschuldete! Mit einem kurzen, halberstickten Schrei wilder Rachefreude sprang er nun, nachdem er sich entdeckt sah, mit gezücktem Dolch gegen sie vor.
Aber die Kleine hatte guten Vorsprung: erst mußte er die wohl fünfzig Schritt lange Quergasse durchmessen, ehe er nur das Eckzelt erreichte, an dem sie soeben noch gekniet: und seine schmerzenden Füße verstatteten ihm nicht, so schnell zu folgen als sein Haß verlangte. Bissula flog einstweilen, wie ein gehetztes Reh, die Mittelgasse hinab, dem Thore zu: im Thor sah sie sich um! Ach, er mußte die Richtung ihrer Flucht erraten haben,—denn er lief ebenfalls auf das Thor zu: er sah sie das freie Feld gewinnen. Er eilte nach.
Zunächst hatte ihn lediglich der Haß unwillkürlich fortgerissen und die Rachsucht. Aber nun, nachdem er diesen Antrieben besinnungslos gefolgt war, sagte er sich mitten im Laufen:
»Ausonius ist tot:—ich bin sein Erbe.—Und tot sind vielleicht in dieser Stunde wie Davus so die wenigen andern, die von dem Vorfall wußten:—die Barbarin lebt? Hat er sie einstweilen schon zur Erbin eingesetzt? Schwerlich! Und wenn auch,—das Testament ist wohl verbrannt mit dem ganzen Lager,—und ist es sogar gerettet,—was kann es schaden, wenn nur diese Mordnacht die als Erbin Eingesetzte mit verschlingt? Wie dem sei,—sie soll—sie darf nicht leben!«
Schon hatte auch er das Thor erreicht. Das Tagesgrauen verbreitete bereits so viel fahlen Schein, daß er die fliehende Gestalt jenseit des Grabens bald entdeckte: ihr ganz weißes Gewand verriet sie, auch ihr hellrotes flatterndes Haar, wann der Wind den Flammenschein des brennenden Lagers in der Richtung ihrer Flucht aufflammen ließ. Er sprang in den Graben, schrie auf und fiel um: die Füße schmerzten allzusehr! Nur mit Mühe und mit heftiger Pein gelangte er, kletternd und sich mit den Händen emporziehend, auf den Südrand des Grabens.
Der Vorsprung der Fliehenden war größer geworden. Grimmig erkannte er das: er verdoppelte, die Schmerzen verbeißend, die widerstrebenden Füße zwingend, seine Anstrengung, sie einzuholen. Wohl war die Fliehende hart erschrocken, als sie bei dem Austritt aus dem Thor in der Ferne nun abermals vor sich wie hinter sich Lohe aufsteigen und Kampflärm ertosen hörte: von der Ankunft der Schiffe, von dem Lager am See hatte sie durch Prosper erfahren: sie begriff also, daß nun wohl der Kampf um jene Schiffe tobe. Aber ohne Besinnen folgte sie dem Trieb, der sie von Herculanus hinweg gerade hinunter an den See fortgerissen hatte: dort traf sie, wenn auch abermals die Schrecken der Schlacht, doch sicher ihre Landsleute. So lief sie geradeaus hügelabwärts, stets eifrig ausspähend, ob sie nicht schon unterwegs irgend eines Alamannen ansichtig werde.
Aber die Menschen, auf welche sie traf, waren nicht Alamannen: Römer waren's und lagen tot oder sterbend am Boden.
Einmal erschreckte sie ein plötzlich ansprengendes Pferd, das quer über ihren Weg rannte: zitternd machte sie Halt, hinter einem Busch sich bergend: aber das Roß trug keinen Reiter: zwei—vier—sechs leere Pferde jagten dem ersten nach: von Römern und Alamannen, die da hätten drohen oder schützen können, war weit und breit nichts zu sehen: längst hatten sich Flucht und Verfolgung bis an den See hinabgewälzt. Da unten freilich wogte noch lärmender Kampf.
Von dem Busche zurückblickend—sie mußte einen Augenblick Halt machen, so heftig schlug ihr Herz—sah sie eine dunkle Gestalt, in dem Morgendämmer nun, deutlich wahrnehmbar, ihr immer noch hastig nachsetzend: ja es schien ihr, als ob, hinter derselben, ein zweiter Verfolger vom Lager nachgeeilt sei oder sich vom Boden erhoben hätte!
Aufs neue rannte sie vorwärts: sie hoffte zuversichtlich, ihre Landsleute am See zu erreichen, bevor sie eingeholt wäre: denn das Kind des Waldes war im Laufen geübt und ihr Vorsprung nicht unerheblich. Aber nach wenigen Schritten befiel sie neues Entsetzen. Sie hörte—diesmal gerade hinter sich—abermals die Hufschläge eines Pferdes: sie hatte zuerst gehofft, es sei wieder reiterlos: aber es folgte ihr schnurgerade und nun hörte sie allerlei Zurufe in der Sprache der Feinde, die das Roß zur Eile treiben füllten. Ein furchtbarer Gedanke durchschoß sie: um jeden Preis mußte sie umschauen, um zu prüfen, ob—ja, es war, wie sie gefürchtet! Herculanus hatte einen der ledigen Gäule, die seinen Weg kreuzten, ergriffen, sich darauf geworfen und verfolgte nun die mit Anspannung ihrer letzten Kräfte Fliehende—zu Pferd.
Sie hörte deutlich die schweren Füße in die sumpfigen Pfützen des Wiesenbodens einschlagen:—hörte, ach, lauter und lauter, also näher und näher!—den wilden Zuruf des Reiters und den Vierschlag der von Eile beflügelten Hufe. Kleiner, immer kleiner ward nun sehr rasch der Zwischenraum, der sie trennte. Todesangst überkam sie: sie gedachte, wie der Grausame in der Waldhütte schon sie hatte erstechen wollen wie ein Opfertier. In dieser Todesnot drängte sich ein Name, nur einer auf ihre Lippen: »Adalo!« schrie sie, »Adalo! Hilf, rette mich, rette Bissula!« Vergebens! Kein Mensch weit und breit:—keine Antwort.
Auch an der Uferstrecke, auf die sie zueilte, ward nicht gekämpft: nur tief im See schwammen brennende Römerschiffe und verfolgende kleine Kähne der Alamannen. Und ganz nahe schon war das verderbliche Roß! Schon hörte sie das Schnauben des mit Fersenstößen und Zügelschlag und Zuruf zu rasender Eile getriebenen Tieres.
Da—oh Rettung!—gewahrte sie im grauen Morgenlicht, ganz nahe dem Ufer, zwischen Schilf versteckt, zwei alamannische Kähne nebeneinander! Zweifellos waren das keine Römerschiffe: keine dreieckigen Segel, kein hoher Bug,—sie glaubte sogar an der Spitze des einen Kahnes Adalos Hausmarke, das sechzehnendige Hirschgeweih, zu erkennen.—Ja, ja—da ragte es:—es war sein Nachen für den Felchenfang: einige Männer führten die Ruder.—Mehrere Male rief sie laut: »Hilfe, Alamannen, Hilfe für Bissula!«—Oh Wonne! Man hatte sie gehört. Die Männer ruderten aus Leibeskräften, beide Nachen flogen gegen das Ufer hin gerade ihr entgegen! Und nun—neue Freude!—horte sie hinter sich einen lauten Schrei und einen dumpfen, schweren Fall mit platschendem Geräusch: sie mußte umsehn!
Ja, da war das Pferd, überhetzt von dem mitleidlosen Reiter, gestürzt:—es lag auf d« Seite und schlug mit den Beinen um sich. Aber ach! Zu früh hatte sie frohlockt! Unversehrt war der Reiter aufgesprungen und rannte nun—nur wenige Schritte war er noch entfernt—mit erhobenem Dolch auf sie zu. Hinter dem Pferd schien der zweite Verfolger aufzutauchen. Und das rettende Boot war noch mehrere Schiffslängen fern im See! Ohne Besinnen sprang das Mädchen in das Wasser, watete, so lange es Grund fand, stieß sich dann mit kräftigem Ruck vom Boden ab, breitete die weißen, kraftvollen und kraftgeübten Arme aus und schwamm auf das nächste Bot zu. Kein Mädchen am Nordufer übertraf Bissula im Schwimmen: aber schwer hemmte sie das lange, das faltige Gewand: es wickelte sich sofort, sowie es ganz durchnäßt war, um ihre Füße und hinderte sie gewaltig, dem Vorstoß der Arme mit den Beinen zu folgen. Und:—Entsetzen!—Geplätscher hinter ihr verkündete, daß ihr der Verfolger—oder gar zwei: denn zweimal hatte sie einen Sprung oder schweren Fall zu vernehmen geglaubt—bis in den See hinein gefolgt war! Diese Furcht lähmte ihre letzten Kräfte: auch die Arme versagten ihr nun: sie sank mit dem Gesicht tief ins Wasser. Noch einmal hob sie sich daraus empor: da fühlte sie von hinten von dem Verfolger ihr langes Kleid gepackt und landwärts gezerrt: doch augenblicks ließ die Faust wieder los: ein gellender Todesschrei schlug an ihr Ohr: gleich darauf folgte ein dumpfes, zorniges Gebrüll: sie wandte den Kopf und sah Herculanus versinken in den Armen einer gewaltigen schwarzbraunen Gestalt. »Bruna!« rief sie noch. Dann drohten ihr die Sinne zu vergehen. Die Ohren brausten ihr so wunderlich, Wasser, allzuviel Wasser war ihr in Nase, Mund und Ohren gedrungen. Sie sank.
Da faßten sie vier starke Arme an den Schultern und den—zum letztenmal—hoch aus dem Wasser gereckten Händen. Mit gewaltiger, aber schonender Kraft fühlte sie sich in den Kahn gehoben. Sie schlug die Augen auf: Ausonius und Saturninus standen vor ihr. Sie schrie laut auf im Schmerz der bittersten Enttäuschung—und schloß, ohnmächtig, die Lider.
Den Ausgang des Kampfes um das Schiffslager und die Schiffe hatte auch das Eintreffen der Truppen des Saturninus nicht mehr rückwenden mögen: schon lang vorher, ja fast im Augenblick, da dieser Kampf begann, war die Entscheidung gefallen. Denn die Überraschung war hier beinahe noch vollendeter gelungen, als bei dem Angriff auf den Idisenhang.
Nannienus, der wackere Feldherr, hatte sich, trotz der Kühle der Septembernacht, auf dem Hochverdeck—über dem zweiten Ruderstockwerk seiner dreißigrudrigen Bireme—die einfache Lagerstätte bereiten lassen, bestehend aus einer Wolldecke über den Schiffsplanken, einem gerollten Tau unter dem Nacken und seinem bretonischen Fließmantel als Decke. Auf die Warnung des Kolonisten aus Arbor, der nun die Wache am Steuer antrat, vor der nächtlichen Kühle des Sees, hatte er lachend geantwortet: »Ei, wie oft kreuzte ich nachts, nicht wärmer gebettet, zwischen Britannien und Gallien! Soll sich der germanische Ozean vor diesem Süßwasserteich schämen? Nichts besseres zum Schlaf, als das schaukelnde Schiff unter mir und die Sterne über mir!—Leider giebt es heut' Nacht keinen Mond und wenige Sterne. Seltsam, dieses Schwanengetön.——Habe nie geglaubt, daß es so viele Wildschwäne giebt!«—Unter dem Gedanken an die Schwanenrufe war er eingeschlafen. Sie verfolgten ihn in Schlaf und Traum. Von beiden Seiten sah er zahllose weiße, braune, schwarze Schwäne aus den Schilfwäldern heranwogen gegen sein Geschwader: drohend hoben sie die hoch zum Schlag gesträubten Schwingen.—
Nach langem Schlaf erwachte er: allmählich, wie nach gesundem Schlummer nur langsam, nicht auf einmal, die Gedanken sich vollklar einzufinden pflegen. Ihm war—träumte er noch immer?—als ob wirklich das Rufen und Singen der Schwäne von beiden Seiten her näher drang, begleitet von eigenartigem, leisem Schwirren, Surren, Rauschen, hin und wieder auch einmal von lauterem Plätschern im Wasser. Noch halb im Schlaf fragte er den Mann am Steuer: »Was ist das für ein Gesurre vom Schilf her?« »Die Schwäne, Herr, die Wildschwäne!« antwortete der Gefragte, der alte römische Kolonist aus Arbor, ein treu kaiserlich gesinnter Invalide der XXII. Legion. »Ich kenne das genau! Zu vielen Tausenden hab' ich sie oft bei Sonnenuntergang in die Schilfwälder dieses Sees einfallen sehen.—Sie rüsten schon zur Reise.«—»Nein,« rief der Bretone aufspringend. »Das sind nicht Wasservögel, das plätschert allzustark!« Er hob den Helm aufs Haupt und lugte nun scharf aus. »Die Nacht ist pechschwarz,—aber sieh: da aus dem Schilf schwimmt was heran: Schwäne?—Nein, nein!«—Er riß das Schwert aus der Scheide:—»Das sind Boote!—Zu den Waffen!—Lichtet die Anker!—Der Feind!«—
Im selben Augenblick flammte hoch auf dem Idisenhang grelles Licht auf, leuchteten rote Fackeln im Schiffslager am Ufer, flog über des Admirals Helmbusch ein brennender Strohkranz in das halb gereffte Segel, blieb, darin verfangen, liegen und schon züngelte flackernd die Flamme, vom Nordwind angeblasen, das Segel, die Rahen, den Mast empor. Und schon auch kletterten auf allen Seiten die Wandungen herauf dunkle Gestalten.
Und wildes Geschrei der Überfallenen, im Schlafe Gemordeten erscholl auf allen Schiffen und vom Schiffslager am Ufer her. Dem ersten Enterer sprang Nannienus mit gezücktem Schwert entgegen' aber dieser Verzweifelte schien des eigenen Lebens nicht zu achten: ohne den Hieb zu parieren, der haarscharf an seinem helmlosen Haupte niederfuhr, hatte er eine Art Harpune, das heißt einen acht Fuß langen Speer mit scharfer Spitze und nach rückwärts gebogenem Haken, wie sie im Winter zur Erlegung der größten Waller durch Löcher in das Eis des Sees geworfen wurden, in den ehernen Gürtel des Feldherrn eingeschlagen, diesen mit gewaltigem Ruck au sich gerissen und über Bord geschleudert.
Er fiel in einen alamannischen Nachen, der hart am Steuerbord seiner Bireme lag, auf eine Ruderbank: er lag da geraume Zeit betäubt vom Aufschlagen des Kopfes: der Kahn war leer: alle seine Insassen hatten geentert.
Als er erwachte, sah er sein Admiralsschiff und die meisten anderen Fahrzeuge in hellen Flammen stehen, desgleichen sein Schiffslager und sogar das Lager des Saturninus hoch auf dem Idisenhange brennen.
Da erkannte er, daß alles verloren war.
Überall sah er bereits seine flüchtige Armada, soweit sie nicht in Flammen stand, durch die Barbaren verfolgt. Er trachtete, sich nach Arbor zu retten. Eilfertig schnallte er den verräterischen Römerpanzer ab,—den Helm hatte er schon im Sturz verloren.
Nun gewahrte er, unter dem Gransen des Bootes zusammengerollt, einen germanischen Mantel liegen, er warf ihn um, stellte sich an das Steuer,—im Stehen ruderte und steuerte man diese Einbäume—drehte das viereckige grobe Segel windgerecht und flog bald, unbeachtet von den Germanen, welche den Kahn als alamannischen erkannten, über den See gen Arbor hin.
Nur einmal drohte ihm äußerste Gefahr: er hatte ein hochragendes römisches Schiff eingeholt, dessen Segelwerk zum Teil noch brannte, es ward aber das Feuer mit sichtbarem Erfolg von der Mannschaft gelöscht. Eben wollte er es anrufen und befehlen, ihn aufzunehmen, als er, zu seinem Schrecken, erkannte, daß die Bemannung des Schiffes aus Alamannen bestand,—wie Er in ein germanisch Boot geraten war—die auf der genommenen Bireme andere fliehende Römerschiffe nach Arbor hin verfolgten. Eilig ruderte er den Einbaum von dem großen Fahrzeug hinweg.
Und nun sah er, daß auch in Arbor eine furchtbare Lohe gen Himmel schlug.
Das war der Scheiterhaufe der römischen Herrschaft in der Seefestung: mit Grauen erriet er es, wandte seinen Kahn gen West-Süd-West und trachtete, statt des verlorenen Arbor die ferne, aber sichere Hafenburg Constantia zu erreichen.
Das Schiffslager war unter ganz besonderem Menschenverlust der Römer genommen worden. Einen Lagerwall und Graben hatte man in den wenigen Stunden nach der Ankunft nur der Form nach aufgeworfen, weil es einmal die alte gute Römerregel vorschrieb und weil Nannienus auf der Einhaltung bestand. Aber er selbst drückte ein Auge zu über der lässigen Ausführung. Sollte doch schon morgen bei Tagesanbruch dies Lager verlassen und dessen Mannschaft zur Besetzung des Idisenhanges und zum Marsch gegen die Barbaren verwendet werden. So war der Graben nur wenige Fuß tief ausgehoben, der Wall nur wenige Fuß aufgeschüttet worden: weitere Befestigungen unterblieben. Daher drangen die Alamannen sofort von allen Seiten in das von Schlaf und Wein zugedeckte Lager. Und der alte Herzog hatte ihnen einen Rat gegeben, den er aufgegriffen hatte aus den Liedern eines wandernden Sängers, der in des Gaugrafen Halle zur Harfe alte Vorzeitsgeschichten seines eigenen Stammes vorgetragen hatte. Der Mann war ein Bataver und hieß—in seltsamer Mischung!—Julius Claudius Civilis Chlodomer. Wandernd zog er von Stamm zu Stamm, soweit man nur irgend seine Mundart noch verstand, und sang und erzählte die alten Lieder und Sagen. Und so berichtete er denn auch, wie vor drei Jahrhunderten sein Volk, das wasservertraute, geführt von seinem Ahnherrn, der, obwohl Germane, die gleichen römischen Namen trug wie nun der Spätenkel, grimmig gegen das römische Joch gekämpft und manchen Sieg erfochten hatten, begeistert von Veleda, einer weissagenden Jungfrau der Brukterer.
Und er sang, wie sie einmal am Rheinstrom in mond- und sterneloser Nacht ein römisches Schiffslager überfielen: die Schiffe ankerten im Strom, am Ufer standen viele Zelte. Da durchschnitten die eingedrungenen Bataver vor allem die Haltseile, die, um die Pfosten geschlungen, die Zelte aufspannten: von ihren eigenen auf die Häupter der Schläfer niederstürzenden Zelten begraben, verwickelt und gefangen, wurden die Wehrlosen leicht überwältigt:
»Wie Fische gefangen
In nächtlichen Netzen
Sie zappelten zeternd in ihren Zelten.«
Diese Siegstäbe des Batavers hatte sich der alte Herzog scharf eingeprägt:—das hatte ihm am besten gefallen an der ganzen Dichtung,—und nun wandte er an, was er gelernt hatte.
Die Überfallenen wurden erst geweckt durch die über ihnen zusammenbrechenden Zelte, durch Flammenschein von allen Seiten und—dann erst—durch das Siegesgeschrei der Germanen. Ohne Widerstand stoben sie auseinander, sahen auch die Schiffe, die nächste Zuflucht, brennen, wollten nun zu dem Kugellager emporeilen, sahen aber auch da oben Feuergarben aufsteigen und flohen nun, planlos, ziellos, links und rechts am Seeufer hin, wenig verfolgt von den Siegern, die sich vielmehr vor allem der römischen Kleinschiffe bemächtigten und in diesen ihren Waffenbrüdern beistanden, die stolzen Biremen zu entern. Jene römischen Kleinschiffe faßten immerhin mehr Mannschaft und waren viel hochbordiger, zum Erklettern der Wandungen der gewaltigen Kriegsschiffe viel mehr geeignet, als die kleinen, niedrigen Fischerkähne—fast lauter Einbäume—der Alamannen. So kam es, daß alsbald gar mancher germanische Nachen, völlig leer, an das Ufer trieb, dessen Bemannung in römischen Kleinschiffen die römischen Großschiffe verfolgte oder bereits geentert hatte.—
Als Decius mit seinem kleinen Häuflein von Illyriern und Batavern, die er um den verwundeten Feldherrn und um Ausonius zusammengehalten hatte, das brennende Schiffslager erreichte, erkannte sogar Saturninus, die in vollen Flammen stehenden Biremen vor Augen,—widerwillig genug,—daß auch hier alles verloren und an Fortsetzung des Kampfes nicht zu denken war. Er willigte zögernd ein, jetzt nur mehr an rettende Flucht zu denken. Rignomer zuerst, der schon im Seethor sich dem Feldherrn angeschlossen hatte, entdeckte, am Ufer hin- und herspähend, mehrere verlassene, in der Nähe treibende Kähne der Alamannen. Er sprang ins Wasser, erreichte, watend und schwimmend, den ersten, stieg hinein, fand die Ruder uneingezogen in den Weidenwieden steckend, ergriff sie, ruderte auf die nächsten drei leeren Kähne los, knüpfte sie mit den am Gransen in das Steueröhr geschlungenen Stricken aneinander und brachte rasch sein kleines Geschwader so nah an das Land, daß in den größten Kahn der verwundete Feldherr gehoben und das ganze Häuflein der Flüchtigen—zu je fünf oder sechs—in die drei andern Nachen aufgenommen werden konnte. Auf seinen Rat legten sie alle die weithin kenntlichen, hochragenden Römerhelme und auch die glänzenden Römerpanzer ab. Sie trennten sich auf seinen Vorschlag—dem segelkundigen Bataver folgte auch Decius gern,—um die Augen der Feinde nicht so leicht auf sich zu ziehen: so hoffte man unvermerkt, vereinzelt, das Südufer—Arbor—zu gewinnen.—
Als Hariowald mit den Seinen an das Ufer herab gelangte, fand er nur mehr die Aufgabe vor, rasch alle erreichbaren römischen wie germanischen Schiffe, die etwa unbenutzt am Ufer lagen, mit seinen Männern zu besetzen und die Verfolgung der Kriegsschiffe über den See hin fortzusetzen. Er sprang in einen römischen Transportnachen und ließ sich an das Feldherrnschiff des Nannienus rudern, dessen Brand die Enterer nach Bewältigung der Besatzung gelöscht hatten. Ein Mann warf ihm von dem hohen Bord eine Strickleiter in den Nachen und reichte ihm die Hand, ihm an Bord zu helfen. Es war nun Morgendämmerung: der Herzog erkannte Fiskulf, den Fischer. Erstaunt sprach der Alte: »Wie? Hat dich Wodan wirklich gerettet! Dann ist er noch mächtiger—und noch gütiger!—als ich geahnt.« »Muß wohl sein,« lachte der andere vergnügt. »Ich war der erste hier oben, warf den ersten Brand in das Hauptsegel und schwang den Walenfürsten steuerbord-über, wie einen Seelachs aus dem Eisloch. Das schöne Schiff aber habe ich dann retten, löschen lassen. Ich dachte: nehmen ist doch noch besser als verbrennen. Hab' ich mein Wort erfüllt?«—»Übertroffen.—Und du bliebst unversehrt?«—»Nicht ganz: ein Ohr trag' ich fortan zu wenig. Das muß man sagen:—scharf schleifen sie ihre Kurzschwerter, diese Walen, und kräftig hauen sie! Schau' her: nicht die Mutter, die mich geboren mit zwei Ohren, sollte glauben, daß hier je ein Ohr aus dem Haare gelugt: so glatt und haarscharf hat er mir's abgehauen.« Der Herzog gab ihm die Hand: »Du trittst in meine Gefolgschaft, Fiskulf! Du hast jetzt gelernt, auf mich zu hören und mir zu gehorchen!«—»Ja, Herr, auch mit einem Ohr! Vermiss' ich künftig das zweite, werd' ich mir immer sagen, weshalb ich's eingebüßt.«—»Und wie der Hohe dir das ihm verwirkte Leben geschenkt:—vergiß das nie!—Jetzt aber wollen wir die Walen mit ihrem eigenen Prachtschiff über den See nach Arbor jagen! Zieht alle Segel auf!«—»Herr, woher nehmen? Sind alle verbrannt.«—»So spannt eure Mäntel als Segel auf: der Wunschwind hilft sie blähen: ein frischer Westnordwest springt ein um Sonnenaufgang. Seht ihr, wie sich bereits die Wellen kräuseln? Da bricht der erste Strahl des Morgenrots aus dem Gewölk! Hurtig, ihr Männer, faßt die römischen Ruder,—die Morgensonne muß uns auf dem Südufer grüßen! Ha, seht ihr, dort drüben? In Arbor steigen mächtig Rauch und Flammen auf! Unsere Ostleute, die Hermunduren und die—jetzt freien!—Stammgenossen, bisher unterm Joch der Fremden, haben Wort gehalten! Auf! Hinüber nach Arbor, den dritten Sieg der einen Nacht zu feiern!« Er selbst ergriff das Steuer, und majestätisch rauschte das stolze Admiralschiff der Römer, den Hintergransen der Nordküste zukehrend, nun von den Siegern gerudert, über den See.
Die Mäntel, braun, blau, gelb, rot, blähten sich in einer frisch blasenden Nordwestbrise: und sausend schoß das gut gebaute Schiff durch die Flut, die schon unter dem hellen Morgendämmer, den heitern Himmel wiederstrahlend, ihr wunderschönes Blau gewann. Vor dem mächtigen Bug brachen sich weißschaumig die Wellen und spritzten hoch den Gischt empor: und leichte rosige Wölklein spiegelten sich, von Osten her, in der Flut.—
Vom dunkeln Mantel umwallt, vom weißen Haar umflattert, vom weißglänzenden Helme gekrönt, hob sich prachtvoll vom Himmel ab die hohe Gestalt, die unbeweglich am Steuer saß, den Speer über die Schulter gelehnt. So verschwand allmählich Schiff und Steuermann den Augen, die ihm vom Nordufer nachspähten.
Auch Rignomer sah ihn, hinter seinem Segel versteckt, vorlugend und erkannte ihn genau. »Sie können mich schelten, soviel sie wollen!« brummte er. »Wo ist Brinno geblieben, der ihm trotzen wollte?—Sie können sagen, was sie wollen! Ob auch in Menschengestalt—er ist es doch!«
Aber der Bataver ward aus seinen mythologischen Studien jäh aufgeschreckt. Er hörte von Osten her den germanischen Ruf: »Römer! Römer! Drauf los!« und sah einen Kahn voll Alamannen wenden und auf sie zuhalten, »Rasch! Auseinander! Nach allen Seiten!« gebot er. Und die Kähne der Flüchtigen stoben auseinander. Zwei verlor er bald aus dem Gesicht. Auf sie lenkte sich die Verfolgung, die Germanen jagten sie in den Weitsee hinaus—nach Süden. Er selbst steuerte und ruderte zugleich, von mehreren Soldaten unterstützt, ganz dicht am Lande hin nach Westen, wo er eine kleine Strecke hohen Schilfs glücklich erreichte.
Er barg den Nachen darin: bald stieß der zweite Kahn, der Decius trug, zu ihm. In diesem Schilfversteck nun gewahrte Ausonius, auf des Saturninus Befehl nach dem Ufer ausspähend, ob nicht noch versprengte Römer aufzunehmen seien, die im Morgendämmer nun deutlich sichtbare Gestalt eines Mädchens in hellglänzendem, weißem Gewand, das in raschester Flucht gerade auf die beiden Kähne zueilte: schon glaubte er, Bissula zu erkennen: da schlug vollends ihre wohlbekannte Stimme an sein Ohr,—ihr Ruf: »Adalo, Alamannen, helft Bissula!« er sah auch einen Reiter, der sie wütend den Hügel herab verfolgte. Er befahl, rasch ans Ufer zu fahren. Prosper, auch Rignomer zögerten. »Herr,« warnte dieser, »sie morden alles!«—»Gleichviel! Bissula! Es gilt Bissula!« Da gehorchte Rignomer sofort,—er hatte hinter seinem Segel die Kleine nicht sehen und hören können—drehte das Steuer und blitzschnell schoß der Kahn gegen das Ufer.
Rignomer trieb nun die Soldaten an, aus allen Kräften zu rudern—auch die übrigen im Kahn erkannten jetzt die Fliehende—und so kamen die Retter gerade noch recht, die Sinkende aufzunehmen.
Lange, lange lag sie, nach voller Erschöpfung der Kräfte, ohnmächtig am Boden des Kahnes. Rignomer hatte ein Fischernetz, das er unter dem Gransen gefunden, zusammengeballt und ihr als Kopfkissen untergeschoben. Ausonius lehnte, auf der Ruderbank sitzend, das schöne Köpfchen gegen seine Kniee: besorgt blickte er auf sie herab. Rignomer rieb ihr die erstarrten Hände.
Die beiden Kähne verließen inzwischen das Schilfversteck, ruderten zunächst gerade südlich in den See hinaus und wollten sich dann in weitem Bogen, die Verfolgung umgehend, östlich nach Arbor wenden.
Aber sie kamen nicht weit. »Was hast du beschlossen, Feldherr?« fragte Decius, aus dem dicht daneben rudernden Kahn herüber rufend. »Rache!« antwortete Saturninus grimmig. »Rache für diese unerhörte Schmach! Sobald ich Arbor erreicht habe, flehe ich den Kaiser an, wenn jemals Saturninus sich um das Reich verdient gemacht hat, mir drei Legionen zu geben. Sie sollen diese Nacht entgelten, die Barbaren!« »Haltet an,« gebot da Rignomer. »Schon lange sehe ich ein Schiff—ein römisch Schiff—gegen uns anfahren.« »Wo? Woher?« fragte Decius. »Es birgt am Ende auch Barbaren!«—»Nein, nein! Es kommt ja von Südwest!—Seht dort, von Constantia her!« »Ja,« rief nun Decius. »Das ist des Kaisers schnellstes Eilschiff! Ich erkenn' es—es führt die große Purpurflagge:—also trägt es den Kaiser selbst ...—« »Oder einen vom Kaiser entsandten Magister militum,« bemerkte Saturninus. Die beiden Kähne machten Halt: das rasche Schiff brauste heran.
Es mochte zuerst Barbaren in den Kähnen vermutet haben: aber bald entdeckte die Besatzung die römischen Freunde: es erreichte nun die Flüchtigen.
Da stand an Bord des Eilschiffes neben einem reichgerüsteten Feldherrn:—Nannienus. »Oh Freund,« rief Saturninus, das Haupt erhebend, »daß wir uns also wiedersehen!—Und du, Andragathes, was bringst du? Hoffentlich Hilfe, Verstärkungen! Wir sind geschlagen:—Heer und Schiffe verloren!« Und er stöhnte. »Ich weiß es, mein Saturninus!« antwortete der Gesandte des Kaisers. »Nannienus hier, den ich auf dem See, in einem Barbarenkahne fliehend, aufnahm, hat mir alles erzählt, was er selbst erlebt,—was er über dich fürchtete! Ach, was ist diese kleine Schlappe,—was sind diese zwei oder drei tausend Mann gegen den furchtbaren Schlag, der uns getroffen!« »Was ist geschehen?« fragten die römischen Führer erschrocken. »Ein zweites Cannae! sagt Gratian.«—»Oh welches Wort!«—»Kaiser Valens und sein ganzes Heer ist erschlagen!—Erschlagen von den Goten bei Adrianopel: vierzigtausend Römer liegen tot auf ihren Schilden, dreißigtausend sind gefangen. Der Kaiser Valens verbrannte, verwundet, auf der Flucht, in einem erstürmten Bauernhause!—Alle Ostprovinzen sind überflutet von den Goten,—selbst Constantinupolis, es ist bedroht! Gratian hat dich, Saturninus, zum Oberfeldherrn für das gesamte zitternde, verwaiste Ostreich ernannt. Er befiehlt dir, augenblicks zu ihm nach Vindonissa zu eilen, von da sein ganzes Heer sofort gegen die Goten an die Donau zu führen:—du bist seine, bist des Reiches letzte Hoffnung. ›Nur Saturninus kann noch retten!‹ das gebot er, dir zu sagen,« »Und dieser Saturninus ist ein Stümper,« klagte der Illyrier, »und dazu ein wunder Mann. Von suebischen Räubern überfallen und schimpflich geschlagen,—aufs Haupt geschlagen in jedem Sinne!« lachte er grimmig. »Ah,« fiel Nannienus schmerzlich ein, »das ist gar nichts gegen mein Geschick!—Eine kaiserliche Flotte—unter meinem Befehl!—genommen und verbrannt von elenden Kähnen für den Weißfischfang!« »Oh,« fuhr Saturninus fort, »und nun nicht einmal mich rächen und meine Feldherrnehre an diesen Nachtbrennern!—Aber das Reich:—des Kaisers Befehl,—das geht allem vor!—Ich gehorche!—Auf, wendet das Steuer!—Wir fahren nach Constantia. Von da nach Bindonissa!—Folge sofort, Ausonius. Hörst du nicht?« »Sogleich,« erwiderte dieser.—»Sie schlägt die Augen auf.«
Der Schnellsegler des Kaisers schickte sich an, den Kahn des Saturninus in das Schlepptau zu nehmen. Dies schien das Schonendste für den Verwundeten, den man nicht auf das hochbordige Schiff heben mochte. Mit dieser Arbeit beschäftigt, achteten die übrigen Römer in den beiden Kähnen nicht auf die Kleine, die sich nun aufrichtete. »Ausonius!« sprach sie matt,—auf ihn fiel auch jetzt ihr erster Blick.—»Wieder von dir—gefangen.«—»Gerettet von mir,—von uns Römern,« sprach er, strenger, als er, zumal mit ihr, zu reden pflegte.
Denn seltsame Wandlungen hatten sich in dem Beweglichen vollzogen. Noch war er nicht darüber klar, wie alles in seiner Brust,—wie alles zwischen ihm und ihr enden solle. »Zwar nicht meinen Namen, nicht uns hast du zu Hilfe gerufen!—Einen ganz andern Retter trugst du im Sinn! Aber gerettet haben dich nicht Alamannen, sondern wir:—wir Römer.«—»Vor deinem eigenen Neffen,—nur er verfolgte mich!« wandte sie heftig ein. Schaudernd erwiderte der Präfekt: »Ihn hat die Strafe ereilt!—Laß diesen Gedanken!—Ich habe dich gerettet: ich zuerst habe dich erkannt und habe, Freiheit und Leben wagend,—denn deine wölfischen Stammgenossen sind ja wilde Tiere und Mörder—befohlen, den Kahn zu wenden, nur um dich zu retten.—Also: Leben gegen Leben! Darin sind wir ausgeglichen.—Aber,« fuhr er ernst und feierlich und wohlmeinend fort, jedoch mit einem strengen und seltsamen, wie prüfenden Ton,—»aber wir haben doch noch nicht abgeschlossen miteinander, Kleine. Du hast mir weh, sehr weh gethan mit deinem wilden, rauhen, kindischen Nein!—Fast so weh, wie der Giftplan des—Verstorbenen! Der furchtbare Todesernst dieser Nacht hat mich erst gelehrt, wie lieb ich dich habe: immer hab' ich an dich gedacht, an dein Geschick, an deine Rettung! Mich selbst rief der Dienst: aber ich schickte dir meinen Treuesten ...—« »Um meine Befreiung zu hindern!«—»Dich zu schützen, Undankbare! Als ich unter den Geschossen der Barbaren vom Wagen stürzte und zu sterben glaubte im nächsten Augenblick: auch da hab' ich nur dein! dein gedacht! Ich hab's erprobt in furchtbarster Probe: meine Liebe zu dir ist echt, ist keine Laune! Nur mit meinem Leben wird sie enden.—Und so—noch einmal—nicht als Lohn für deine rettende That—die hab' ich dir heimgezahlt!—nicht als Gnade oder Geschenk—wenn dich dieses Wort verletzt hat!—Noch einmal, zum letztenmal im Leben—und bedenk' es wohl, niemals geb' ich dich frei:——noch einmal frag' ich dich: willst du meine Dienerin sein oder meine Gemahlin? Ich bitte dich,—hörst du es?—ich, Ausonius, ich bitte dich: werde mein Weib!«—»Nie! Niemals!« rief das Mädchen und sprang vom Boden auf. »Vermessene!« erwiderte der Verschmähte, gekränkt und bitter gereizt: »Du vergißt,—du bist abermals meine Gefangene—abermals in meiner Gewalt.« Ein stummer Blick Bissulas in die Wogen des hier sehr tiefen Sees war die einzige Antwort. »Aber,« fuhr Ausonius, ohne die Bedeutung dieses Blickes zu verstehen, fort: »Ich kenne ihn jetzt, den Grund dieser trotzigen, sinnlosen Weigerung!—Du hast mich getäuscht, da du sagtest, du habest keinen Geliebten.« »Ich habe keinen, der mich liebt,« sagte sie mit bitterstem Weh: Thränen füllten ihre Augen, während sie starr vor sich hinsah. »Du lügst!« rief Ausonius. »Jener Adalo!« Bissula zuckte zusammen. »Wahnsinnig muß er dich lieben!« Bissula horchte hochauf:—staunend sah sie ihn an: glühende Scham und seliger Schreck zugleich erfüllten sie. Aber er fuhr fort: »Hätte er sonst, ein freier Fürst der Alamannen, mir und Saturninus feierlich das Angebot gethan: ›Laßt ihr die Jungfrau ungeschädigt frei, so stellt sich Adalo als Gefangener‹.—Weißt du, was das heißt? Fürs Leben, als Sklave!«—»Das hat er—er—gethan? Für mich?« Und stürmischer Jubel brach aus ihren Augen, aus ihrer Seele. Ausonius sah schweigend in ihr Antlitz. Dann sprach er: »Wie er dich liebt,—zeigt dieses Angebot.—Wie du ihn liebst—verrät dein glückstrahlend Auge!—Aber,« fuhr er prüfend, langsam fort,—»wisse—er trennt uns nicht mehr!—Du kannst die Meine werden, ohne ihm die Treue zu brechen. Denn ...—« er faßte ihre Hand——»Was ist? Was ist mit ihm? Rede!«—»Er ist tot.«—»Ah!« schrie Bissula auf. Und ehe Ausonius sie hindern konnte, hatte sie sich losgerissen aus seiner Hand, war auf das Ruderbrett des Kahns gesprungen und mit stummem Weh die Hände über dem Haupt zusammenschlagend, warf sie sich nach vorn. Aber ein starker Arm fing sie auf:—es war Rignomer. »Halt, heißherzig Kind!« rief er, wohlmeinend. Jedoch wütend rang die Kleine gegen ihn an,—sie wollte hinab in den tiefen See:—bedenklich schwankte der schmale Kahn.
»Beruhige dich,« sprach da Ausonius, ernst und traurig. »Er lebt!« »Oh wie grausam konntest du spielen!« klagte das Mädchen, das der Bataver nun sanft auf die Ruderbank gleiten ließ: sie schluchzte in hellen Thränen,—aber es waren Thränen der Freude. »Kein Spiel,—nur eine Probe war's! Also—mit Schmerzen seh' ich's—also wirklich so herzgrundtief liebst du den blonden Knaben?—Auch wenn er gefallen, wolltest du lieber ihm in den Tod folgen, denn mir als Gemahlin—in Glanz und in Glück?—Oh Bissula: das ist hart!«—»Vater—Väterlein—zürne nicht! Ich kann nicht anders.—Ist es aber auch gewiß—er lebt?«—»Ja—du kannst nicht anders! Das ist es! Ich seh' es jetzt!—Getrost.—Er lebt! Ich sah ihn, fortgetragen von den Seinen. Saturninus und er tauschten Stoß und Hieb.« »Ja! Und,« warf der Tribun gutmütig ein—»sei ruhig, Kleine:—sein Hieb war wahrlich nicht schlechter als mein Stoß:—ich lebe noch: so wird er auch noch leben.« »Oh Ausonius!« flehte Bissula, bittend beide Hände erhebend. Doch er ließ sie nicht ausreden. Er strich sich mit der Hand nur einmal über die Augen. »Es ist vorbei!—Diese Stunde hat mich zum Greise gemacht!« sagte er unhörbar zu sich selbst. Dann fragte er: »Wo willst du ausgesetzt sein,—vor Suomars Waldhütte?«—»Dank, heißen Dank! Aber nicht dort, sondern links von hier: da unter den Weiden,—wo auf der Höhe ein Edelhof ragt.« »Der seine!« rief Ausonius. »Den du ihm erhalten hast!« ergänzte Saturninus. »Alles sehr schön und edel, beinahe rührend!« fuhr der Tribun fort, der ganz hart bleiben wollte, aber doch der Kleinen, in deren Augen nun Freudeglanz und feuchte Tropfen zugleich wie Maienregen lagen, freundlich über die Hand strich. »Allein den Präfectus Prätorio von Gallien lass ich nicht mehr an jenes Ufer voller Mordwölfe zurückkehren.—Nein,—keinenfalls!—Auch keinen römischen Krieger wag' ich mehr. Wer schafft sie ans Land?«—»Ich mich selbst—allein!« rief die Eifrige. »Daß dich auf dem Wege nach dem Edelhof wieder ein römischer Mordwolf verfolgt: die sind ärger!« rief da die Stimme eines Unsichtbaren auf germanisch. »Nein, großer Tribun,« schloß der Satz auf lateinisch, »ich werde das Kind zu seinen Freunden bringen.«
Und Rignomer trat nun wieder hinter dem Segel hervor, das ihn verdeckt hatte,—ganz verändert sah er aus: den Römerhelm hatte er schon längst abgelegt: nun hatte er auch den Panzer abgeschnallt und einen braunen alamannischen Mantel umgeworfen, den er im Kahn gefunden: statt der römischen Waffen trug er auf der Schulter eine lange eisengespitzte Stange, mit der man die Kähne schob und fortstieß, so lange man Grund fand.—
»Du?« fragte Saturninus.—»Auch du bist des Todes, greifen sie dich,—einen Krieger in römischem Dienst!«—»Verzeihung, das bin ich nicht mehr. Schon um Mitternacht lief meine Dienstzeit—das letzte der langen sieben Jahre, aus: was ich von da ab noch gethan—« »Es war danach,« grollte Saturninus. »Geschah freiwillig. Ich erneue den Dienstantrag nicht! Nein! Nein! Genug—mehr als genug—hab' ich davon! Der Kaiser schuldet mir noch den Sold für den letzten Monat:—ich lass' ihn fahren! Ich gehe heim zu meiner Mutter an die Yssala. Aber vorher bring' ich dies verlaufene Kind nach Hause,« Damit faßte er ihre Hand: »Spring' über!—Kleine: sieh, der andere Kahn ist leer: sie sind alle auf das Eilschiff hinaufgeklettert—spring' über!—Fröhlich! Es geht nach Hause!« »Es sei!«—sprach Ausonius ohne Groll, aber ernst: »Leb' wohl, Bissula! Wir scheiden:—auf niemals wiedersehn!« Er wandte sich ab.
Da warf sich das Kind an seine Brust und küßte ihm unter strömenden Thränen die edle Stirn:—so schön war sein Antlitz nie gewesen: »Ausonius! Leb' wohl!« Gleich darauf sprang sie in den zweiten Kahn, in welchem Rignomer bereits stand und sie auffing. Noch einmal wandte sie sich gegen den andern Nachen, der nun, mit einem Tau an dem Hinterbug des Eilschiffes befestigt, diesem zu folgen begann, wie es, von vielen Rudern bewegt, gen Südwesten zu brausen anhob.
»Vater Ausonius:—Dank!« rief sie.
Aber er hörte es nicht.
Er hatte das graue Haupt fest an die Maststange gepreßt, angewandt von der davongleitenden jungen Freundin: er weinte bitterlich.—
Rasch flog das Eilschiff, den Kahn nachschleppend, davon.
Kraftvoll holte der Bataver am Ruder aus:—schnell näherte sich der leichte Nachen dem Ufer. Das Mädchen sah nicht mehr dem verschwindenden Römerschiffe nach. Mit klopfendem Herzen sprang sie vor, an die Spitze des Kahns. An diesem ragte von dem Schiffsschnabel Adalos stolze Hausmarke: das sechzehnendige Geweih—sie konnte sich nicht enthalten, es zärtlich mit der Hand zu streicheln.—
Aber gleich darauf wandte sie sich, lachte hell auf, schlug freudig in die Hände, daß es patschte, und rief: »Nun, Rignomer, sollst du mal sehen, was Ruderziehen heißt.—Das geht mir viel zu langsam!«
Sie hob zwei Ruder von dem Boden des Kahns, steckte sie geschickt in die Weidenwieden, ergriff sie mit beiden Händen und ruderte nun stehend, das Gesicht dem Lande zugewendet, mit einer Kraft und einer geübten Regelmäßigkeit, daß Rignomer staunend ausrief: »Bei Freias Augen, Mädel, du könntest jeden Tag Bootsjung' auf der Yssala werden!—Das kannst du auch?—Schade, daß du nicht mit mir zu meiner Mutter gehst!« Sausend schoß der Kahn ans Land, in den Ufersumpf. Mit hohem Satz, bevor Rignomer ihr helfen konnte, war sie draußen.
Scharf auf den Edelhof hatte der sichere Steuermann gehalten: so sahen sie nun den stattlichen Holzbau gerade über sich auf der Anhöhe ragen. »Ah, Dank sei Donar,« jubelte die Kleine. »Er hat sein Lieblingstier gerettet:—wie die Bärin mich.«—»Was? Was suchst du im Schlamm?«—»Schau—Bärenspuren—ganz frische! Sie ist nicht ertrunken! Sieh, da von rechts her, am Ufer entlang ist sie gelaufen, auf dem alten Pfad, wo Sippilo und ich immer zum Fischen gingen.«
»Wer ist Sippilo?« fragte der Bataver. »Noch ein Adalo?«—»Ach was! Ein Kind!—Und sieh nur: von hier ab geht die Spur gerade auf zum Edelhof!—Komm doch!—Nicht gehen! Springen! Hügelan hupfen!« »Nein, Kleine,« sagte der Begleiter ernsthaft. »Hupfe du,—ich hupfe nicht mit.—Den Weg scheinst du ja zu kennen: recht gut zu kennen!—Weit und breit ist kein Mordmensch zu sehen.—Du kommst auch ohne mich wohlbehalten in den Hof.—Aha, da ragt auch ein mächtig Hirschgeweih vom First.—Also deshalb deine Freude über das Schiffszeichen!—Nun, leb' wohl, Kleine!—Das Wiedersehen, das heißt das deinige mit Adalo und all' den andern Hirschen:—das schenk' ich mir!«—»Sie würden dir danken für soviel, das du mir gethan!«—»Dank' für den Dank! Hab's nicht für die gethan.«—»Wohin?« »Nach Hause. Nach Nord und West. Nein! Sorge nicht um mich. Ich komme schon durch. Hier auf der Brust, Kleine, trag' ich den Sold und den Beutewert von fast sieben Jahren! Und auf der Schulter diese Stoßstange,—mit beiden zusammen kommt man weit.—Leb' wohl!—Und,«—flüsterte er ihr leise ins Ohr,—»folg' meinem Wort: verdirb es niemals mit dem, der sich euren Herzog nennt,—denn das ist:—Er!«
Damit strich er ihr mit plumper Zärtlichkeit über das Haar und das hold gerundete Haupt, und sprang nach Westen hin den See entlang. Noch einmal blieb er stehen, nach ihr umzuschauen:—er wollte ihr nochmal winken.
Aber sie sah ihn nicht.
Sie lief—mit glühenden Wangen—hügelaufwärts.
Es war nun heller Morgen. Prachtvoll strahlte die Sonne auf Gebirge und See. Schmale Wolkenstreifen, die bisher wie ein Schleier und ein langgezogener Speer das Haupt und die Mitte des Säntis umgeben hatten, sanken rasch ins Thal. Es hatte in der Nacht einen ganz leichten Schnee auf Säntis und Tödi und die andern höchsten Berghäupter gelegt: der glänzte wie glitzernder Krystall.
Friedlich war's hier. Der Krieg hatte—dank Bissula!—seine Zerstörung hierher nicht getragen. Funkelnder, starker Reiftau lag reichlich auf allen Halmen. Das Waldkind, solang abgesperrt von See und Hag und Feld, empfand die junge Freiheit in der wiedergegebenen Natur wonnig: tief holte sie Atem: ja sie wandte sich einmal, trotz aller Ungeduld ihres eiligen Laufes, stehen bleibend, gegen den hellblau leuchtenden See und die weiß und goldig strahlenden Häupter der Berge.
»Ich weiß euch nicht alle mit Namen zu nennen, ihr guten, ihr holden, ihr lieben Götter, die ihr das alles so wacker geleitet habt und mir geholfen auf dem Land und im Wasser:—und die ihr daher leuchtet aus Sonne und Bergglanz!—Und Adalo lebt, das ist das Beste, das Allerbeste, was ihr gethan habt!—Ihr Götter—ich kenn' euch nicht alle: aber ich dank' euch allen miteinander!«
Und sie streckte beide Arme weit geöffnet der Sonne entgegen.
Doch hastig, damit die Seefrau und der Bergkönig Donar, der auf dem Säntis thronte, es nicht übelnähmen,—grüßte sie mit beiden Händen, rasch nacheinander sie hebend und senkend, wie man etwa einen guten Freund auf dem See, ihn von weitem erkennend, begrüßt, nach dem Wasser zu und nach den Bergen hinüber.
Nun sprang sie wieder ungeduldig den Hügel aufwärts. Wohl hatten die meisten Singvögel längst den See verlassen. Aber ein Rotkehlchen, das hier immer überwinterte, erkannte die Freundliche, die ihm gar oft in den Schnee Futter gestreut:—zutraulich flog es stets ein paar Schritte vor ihr her und begrüßte sie mit kurzem, leisem Zwitscherton:—erst vor der Hallthüre huschte es zur Seite.
In der großen Halle des Edelhofes lag Adalo auf flacher Erde ausgestreckt, aber auf gar weichen Fellen, das Haupt gegen die Stufen des Hochsitzes gelehnt, die Füße gegen den Eingang. Seine Locken ruhten im Schose Waldruns, der Greisin: er hatte die Augen geschlossen. Zu seiner Linken lag, in umgekehrter Richtung, Zercho, das Haupt gegen die Thüre gewendet, einen mächtigen Metbecher neben sich.—Zu seiner Rechten stand Sippilo, ängstlich die Augen auf des Bruders Antlitz gerichtet. Neben dem Wunden aber lag Bruna, die Bärin: sie leckte ihm, leise brummend, die schlaff herabhängende Hand. Sie zuerst rührte sich, den Kopf hebend, als auf dem glattgestampften Sand vor der Thüre leichte Tritte hörbar wurden. Da sprach die Blinde leise, daß der Wunde es nicht höre, zu den beiden andern: »Das ist Bissulas Schwebeschritt.« Bissula erschien in der Thüre. Sippilo sprang auf, Zercho hob den Kopf: aber das Mädchen winkte allen, zu schweigen: unhörbar schwebte sie, barfuß, zu Adalos Lager heran und legte ihm die kleine Hand auf das Haupt.
»Bissula?« sprach dieser, die Augen aufschlagend.
Sie beugte sich über ihn:—ihre roten Locken fluteten auf sein bleiches Gesicht. »Bist du's, Kleine?—Nein, nein! Die schönste der Walküren kommt und trägt mich hinauf—seht ihr die Schwanenflügel?«—Ihr weißes Gewand rauschte um seine Schultern.—Auf, nach Walhalls leuchtenden Höhen.«
Einen Blick qualvoller Angst warf das Mädchen auf Waldrun. »Getrost,«—sagte diese fest,—»er bleibt leben. Und alles wird, wie ich gesagt.«—»Du mußt jetzt immer bei uns bleiben!« rief Sippilo und ergriff ihr Gewand, als wollte er sie gleich festhalten.—Bruna hatte sich freudig brummend erhoben und legte eine Pranke gegen ihr Knie, mit klugen Augen zu ihr emporschauend: dankbar streichelte sie dem Tier das breite Haupt und reichte Zercho die Hand, der sie demütig küßte:—lachend, mit weinenden Augen, schluchzte er: »Oh Geistchen, rotes Geistchen!«
Nun aber machte sie sich los, beugte sich nieder und rief: »Nein, Adalo, keine Walküre, Bissula ist es, die kleine, die rote, ach, die so arg, so bitter böse! Adalo,—schweig—rede nicht,—ich weiß alles—ich weiß auch, was du für Bissula thun wolltest,—was du geboten hast! Das war auch einmal böse von dir! Still—still!—Es war ja—so—so wie du nur bist—von allen Menschen auf der Erde—nur du allein!—Schweige jetzt, Lieber,—rühre dich nicht.—Ja, ja, hier bleib' ich, deine Pflegerin,—deine Magd, so lange du mich brauchst.—Ach, ich bitte dich so sehr,—ich bitte dich:—nimm mich! Nein, nein! Laß deinen Arm ruhen! Noch nicht an deine Brust! Aber ich will alles thun mein Leben lang—so blind gehorsam!—wie du es willst: nur laß mich bei dir sein,—dein Eigentum!«
Und sie senkte das Köpfchen auf seine Brust.
Da richtete er sich auf, küßte das rote, das flutende Haar, küßte den roten, den schon wieder lächelnden Mund und die noch thränenden Augen und sprach selig: »Oh Bissula,—du Liebe!—Du Böse!—Du meine Braut!«