Beast 500000 Mann warten vergeblich auf den Angriffsbefehl! - Ist der Chef tot? von KURT MAHR Wenige Tage nach dem tragischen Tod seiner geliebten Frau legt Perry Rhodan, der Solare Administrator, den Plan vor, mit einem Blitzangriff der gesamten terranischen Raumflotte das arkonidische Robotgehirn auszuschalten, das sich trotz immer noch bestehender Druuf-Gefahr als Terras Hauptgegner erweist. Der Angriffsplan wird mit Hilfe großer Computersysteme bis ins letzte Detail ausgearbeitet, und die terranischen Flotteneinheiten mit einer Gesamtbesatzung von 500000 zu allem entschlossenen Kämpfern sammeln sich unauffällig in einem Raumsektor, der etwa 500 Lichtjahre vom Geheimstützpunk t GRAY BEAST entfernt liegt. Doch der Angriffsbefehl läßt auf sich warten, denn der Stützpunkt selbst, auf dem die wichtigsten Männer des Solaren Imperiums weilen, wird zur ATOMHÖLLE ... 1. In dem Augenblick, da die Transition endete, sah Paul Brackett die Reihe rasch wandernder, grüner Zacken über den Oszillographenschirm laufen. Paul Brackett war noch halb im Verzerrungsschmerz des Hypersprungs befangen; aber er wußte sofort, was die Zacken zu bedeuten hatten. Panik ergriff ihn. Die RIGEL, Schlachtkreuzer der terranischen Flotte, befand sind auf dem Rückweg zum Flottenstützpunkt Gray Beast. In der Nähe der Überlappungszone, in der die beiden fremden Zeitebenen der Druuf und des Einsteinraumes einander trafen, hatte die RIGEL Material für den geheimen Stützpunkt auf Hades im Druuf-System entladen und mit Hilfe der Transmitter ans Ziel gebracht. Das hatte ein paar Stunden gedauert. Stunden, in denen die Hälfte der achthundertköpfigen Besatzung damit beschäftigt gewesen war, nach den Schiffen der arkonidischen Blockadeflotte Ausschau zu halten, die die Überlappungszone unter ständiger Beobachtung hielten und die Druuf jedesmal zurückschlugen, wenn sie in den Einstein -Raum herüberzuwechseln versuchten. Den Arkoniden war der terranische Flottenstützpunkt Gray Beast unbekannt, und es war vorläufig das Hauptanliegen der Terraner, daß er es auch weiterhin blieb. Das bedeutete, daß irdische Schiffe beim Verkehr zwischen Gray Beast und der nur wenige Lichtjahre entfernten Überlappungszone, die gleichzeitig das Operationsgebiet der arkonidischen Blockadeflotte war, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen anzuwenden hatten, um die Arkoniden nicht auf die Spur des Stützpunktes zu bringen. Das war in den vergangenen Wochen gelungen - ein Meisterwerk der Verdunkelungstaktik, wie jedermann zugeben mußte. Im Augenblick allerdings, davon war Paul Brackett überzeugt, beg ann die Katastrophe. Die Zacken waren nach rechts über den Bildschirm des Oszillographen gelaufen und verschwunden. Das ganze Zwischenspiel hatte nicht länger als zwei oder zweieinhalb Sekunden gedauert. Aber der Robot-Regent auf Arkon hatte seine Funkspione überall sitzen, und bei der hektischen Aufmerksamkeit, die sie auf jedes noch so kleine unerwartete Signal verwandten, wäre ihnen selbst noch ein kürzeres nicht entgangen. Paul Bracketts Oszillograph war mit dem Eigenfrequenzdämpfer der RIGEL gekoppelt. Der Dämpfer bewirkte, daß die bei Beginn und Ende einer jeden Transition vom Hypertriebwerk des Schiffes abgestrahlten Energien sich nicht durch den Raum ausbreiteten, sondern noch im Schiff selbst absorbiert wurden. Wenn der Dämpfer einwandfrei funktioni ert hätte, hätte Paul Brackett keine grünen Zacken sehen können. Er hatte sie aber gesehen, also arbeitete der Dämpfer nicht mehr korrekt. Die Restenergie der Transition hatte sich in den Raum hinaus entladen, und irgendwo im Umkreis von höchstens fünf Lichtjahren bemühte sich in diesem Augenblick mindestens ein arkonidischer Orterspezialist darum, die eigenartigen Signale zu deuten. Denn, ihrer fünfdimensionalen Struktur entsprechend, breitete sich das Wellenfeld der Energieentladung mit unmeßbarer Geschwindigkeit aus. Es gab keinen Zweifel daran, daß die Arkoniden in spätestens ein paar Minuten wissen würden, was sie von den Signalen zu halten hatten. Noch zwei Minuten später würden sie ausfindig gemacht haben, von welchem Ort im Raum die Signale ausgegangen waren. Dieser Ort lag von Myrtha, dem Zentralgestirn des Gray -Beast-Systems, nur zwanzig Astronomische Einheiten entfernt. Die Arkoniden würden wissen, wo sie weitersuchen mußten, wenn sie den Ort erst herausgefunden hatten. Paul Brackett gab Alarm. Das Heulen der Sirenen erfüllte das gewaltige Schiff bis in den hintersten Winkel. Gespräche verstummten, Männer kamen in Bewegung und glitten hastig zu ihren Plätzen. Paul Brackett nahm das Interkom-Mikrophon zur Hand und erklärte den Leuten, was geschehen war. Währenddessen gab der Funkoffizier einen knappen Bericht nach Gray Beast. "Es kann alles bedeuten", schloß Paul Brackett. "Einschließlich einer arkonidischen Kampfflotte von zehntausend Schiffen, die vor Gray Beast auftauchen, um den Stützpunkt zu vernichten." * Der Massenstart war in vollem Gang. Ein Schiff nach dem anderen hob vom Boden ab und schoß mit singendem Triebwerk in den blauen Himmel, die mächtigen Kolosse der Superschlachtschiffe ebenso leicht und elegant wie die schimmernden Kugeln der Leichten Kreuzer. Die terranische Flotte machte sich auf den Weg - von Gray Beast nach Arkon, um dem Robot-Regenten handgreiflicher als bisher zu erläutern, was die Terraner von einem Verbündeten hielten, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht war. Das war Perry Rhodans großer Tag: Der 23. Oktober 2043. Terras geballte Macht holte zum Schlag gegen Arkon aus. Die Erde schickte sich an, den galaktischen Mächten zu zeigen, welche Rolle sie von nun an zu spielen gedachte. Unter dem Kommando von General Deringhouse versammelten sich die Einheiten der Flotte an einem weit von allen Schiffahrtswegen abgelegenen Punkt, etwa fünfhundert Lichtjahre von Gray Beast entfernt. Auf Gray Beast selbst blieben nur dreiundzwanzig Schiffe zurück, außerdem die Mindestzahl von Mannschaften, die zur Aufrechterhaltung des Stützpunktbetriebes notwendig war. Denn es befanden sich immer noch ein paar Fahrzeuge auf dem Wege zur oder auf dem Rückweg von der Überlappungszone, von wo aus der in der Druuf-Ebene gelegene Stützpunkt Hades mit Nachschub versorgt wurde. Die RIGEL zum Beispiel war noch draußen. Außer den Bedienungsmannschaften blieben vier wichtige Männer auf Gray Beast zurück, weil sie dort noch ein paar notwendige Dinge zu erledigen hatten und erst später, kurz vor dem Zeitpunkt des Angriffs auf Arkon, sich der wartenden Flotte anschließen wollten: Perry Rhodan; Atlan, der Arkonide; Reginald Bull und der Mutant Fellmer Lloyd. In einem Tiefbunker außerhalb des eigentlichen Stützpunktgebiets waren sie damit beschäftigt, aus dem Kombinatorik-Sektor eines großen positronischen Computers die letzten Maßregeln für das Vorgehen gegen den arkonidischen Robot -Regenten zu entnehmen. Sie begannen mit der Arbeit kurz nach elf Uhr Terrania -Zeit. Um elf Uhr vierunddreißig der gleichen Zeit hatte ein Schlachtkreuzer namens RIGEL unter dem Kommando von Major Paul Brackett seine Arbeit in der Überlappungszone beendet und machte sich unter Beachtung aller Vorsichtsmaßnahmen auf den Rückweg nach Gray Beast. * Sie hatten die Aufgaben untereinander verteilt und arbeiteten mit äußerster Konzentration - Männer, die ihre Arbeit so schnell und so gründlich wie möglich erledigen wollten. Der erste Zwischenbericht kam von Reginald Bull. Bull hatte ein mit Buchstaben und Zahlen von oben bis unten bedecktes Blatt Maschinenfolie vor sich liegen, las es aufmerksam durch und räusperte sich schließlich, um folgendes zu sagen: "Wir müssen die X-Zeit um mindestens vier Stunden verschieben", erklärte er. Er sah sich nicht um, sondern starrte weiter auf das Blatt. Er war jedoch sicher, daß alle ihre Arbeit unterbrachen und zu ihm herüberschauten. "Zu viele Zweige, wie?" fragte Rhodan. "Genau", antwortete Bull. "Die Maschine ermittelt zweitausendvierhundertunddreiunddreißig Zweigmöglichkeiten. Dabei entfallen auf jeden Zweig im Mittel wieder fünf Unterzweigmöglichkeiten, die teilweise gegen Ende rekombinieren." Jetzt sah er auf. "All diese Informationen", fuhr er fort, "müssen noch in die Automaten der Schiffe programmiert werden. Wir können die Programme zwar in einer halben Stunde herstellen; aber sie zu verteilen, dazu brauchen wir länger." Perry Rhodan hatte sich auf dem Sessel herumgedreht, so daß er mit dem Rücken zum Programmpult saß. Rechts von ihm saß Atlan, der Arkonide. Er hatte den linken Ellbogen auf das Pult gestützt und hielt den Kopf in der linken Hand. Nachdenklich sah er Reginald Bull an. "Alle Zweigmöglichkeiten und Unterzweige mit weniger als null Komma vier Wahrscheinlichkeit streichen, schlage ich vor", sagte er. Perry Rhodan lächelte matt. "Der Admiral gibt die ewige Vorsicht auf und erklärt sich zu vereinfachenden Schritten bereit", spottete er; aber es war ein freudloser Spott. Atlan drehte den Kopf. "Du weißt", antwortete er, "daß wir die X-Zeit nicht beliebig weit hinausschieben können. Der Regent hat seine Schiffe überall. In dem Augenblick, in dem die Ansammlung von terranischen Einheiten entdeckt wird, kennt er das Spiel, und von da an ist es für uns zu spät" Rhodan nickte. "Ich weiß das. Aber wenn ich alle Zweigmöglichkeiten mit weniger als null Komma vier Wahrscheinlichkeit ausschließe, dann gehe ich ein großes Risiko ein. Null Komma vier ist nicht wenig, wenn man bedenkt, daß die Eins aus der Wahrscheinlichkeit eine Gewißheit macht." Atlan zuckte mit den Schultern. "Reden wir einmal anschaulich", schlug Reginald Bull vor. "Die Kombinatorik findet insgesamt etwa fünftausend Stammöglichkeiten - also fünftausend verschiedene Arten, wie der Regent auf unsere Angriffe reagieren könnte. Alle diese fünftausend zusammen haben eine Wahrscheinlichkeit von null Komma neunacht. Die restlichen null Komma nullzwei, die noch an der Eins fehlen, verteilen sich auf abermals zehntausend Stammöglichkeiten, die die Maschine jedoch im einzelnen nicht anführt, weil sie zu wenig wahrscheinlich sind. Wir haben alle Stammöglichkeiten mit einer Wahrscheinlichkeit von weniger als null Komma nullsechs verworfen. Das reduziert die Zahl der Stämme auf siebzehn. Sagen wir: Eine der Stammöglichkeiten ist die, daß der Regent auf unseren Angriff mit dem Abzug der Blockadeflotte reagiert. Dann hätten wir binnen weniger Minuten mehr als zehntausend Schiffe im Rücken. Diese Stammöglichkeit hat eine Wahrscheinlichkeit von null Komma einsdrei, sie gehört also mit zu denen, die wir in Erwägung ziehen müssen. Jetzt kommen wir zu den Zweigmöglichkeiten. Eine davon ist die, daß der Regent die abgerufene Blockadeflotte, anstatt uns damit anzugreifen, zum Schutz von Arkon III beordert und sie einen Verteidigungsring bilden läßt. Auch darauf sind wir vorbereitet. Diese Zweigmöglichkeit hat die Wahrscheinlichkeit null Komma viervier, sie liegt also oberhalb der Grenze, die Atlan vorgeschlagen hat. Ebenso wahrscheinlich ist es, daß der Regent die Flotte uns angreifen läßt. Bleibt eine Wahrscheinlichkeit von null Komma einszwei für irgendeine andere oder auch mehrere Zweigmöglichkeiten. Zum Beispiel die, daß die Blockadeflotte auf Arkon III landet, wichtiges Material, unter Umständen auch Einzelteile des Regenten selbst, an Bord nimmt, damit verschwindet und uns eine lange Nase dreht. Nach Atlans Vorschlag würden wir diese Zweigmöglichkeit unter den Tisch fallen lassen." Er seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Haarstoppeln. "Ich glaube, das können wir uns nicht leisten." "Dieser Ansicht bin ich auch", stimmte Rhodan ernst zu. "Die Idee ist gut, aber der Vorschlag selbst ist zu kraß. Wir streichen alle Zweigmöglichkeiten von weniger als null Komma eins. Auf welche Zahl würde das die Zweige reduzieren?" Reginald Bull rechnete nach. "Fünfunddreißig", antwortete er. "Das reicht aus. Mit den Unterzweigen halten wir es genauso. Was bleibt dann übrig?" "Einundvierzig Unterzweigmöglichkeiten." "Und die Gesamtwahrscheinlichkeit dafür, daß wir mit unsere? Auswahl die tatsächliche Reaktion des Regenten erfaßt haben?" Diesmal dauerte die Rechnung ein wenig länger. "Null Komma neundreisieben." Perry Rhodan schlug mit der Hand klatschend auf das Pult. "Das genügt uns", entschied er. "Selbst wenn man in Erwägung zieht, daß der Regent bemüht sein wird, sich eine möglichst wenig wahrscheinliche Reaktion auszudenken." "In Ordnung", stimmte Bull zu. "Dann brauchen wir weiter nichts zu tun, als die Programmschablonen anzufertigen. Eine für jede Einheit?" "Zwei", bestimmte Rhodan. Atlan, der Arkonide, hatte seine Haltung nicht geändert. Er stützte den Kopf in die Hand und starrte nachdenklich vor sich hin. "Nicht einverstanden, Admiral?" fragte Perry Rhodan, während er mit dem Sessel herumwirbelte. Atlan schüttelte den Kopf. Es konnte ebenso gut "nein" bedeuten wie, daß die Frage nicht richtig gestellt war. "Die Sache ist riskant", murmelte er. "Ich wollte, ich könnte es dir beweisen, Perry. Aber vorläufig weiß ich noch nicht, wo der Haken sitzt." Er sah auf. "Ich meine, wir brauchten noch ein paar Monate Vorbereitung. Mindestens ein paar Monate. Bist du ganz sicher, daß nicht deine Verbitterung über Thoras Tod die Triebkraft ist, die dir diesen Plan eingab?" Perry Rhodan hatte eine rasche Antwort auf der Zunge. Dann überlegte er es sich jedoch und antwortete erst eine Weile später. "Nicht ganz sicher, Arkonide", gestand er kopfschüttelnd. "Vielleicht ist wirklich Thoras Tod der Anlaß. Aber was soll die Frage? Haben wir uns nicht jeden einzelnen Zug, den wir unternehmen wollen, hundert- oder tausendmal durch den Kopf gehen lassen? Haben wir nicht unsere Pläne so sorgfältig wie möglich gemacht? Haben die positronischen Automaten nicht einwandfrei errechnet, daß die Wahrscheinlichkeit für ein Gelingen des Vorstoßes unter den gegebenen Umständen mehr als neunzig Prozent beträgt? Spielt es da noch eine Rolle, welches der eigentliche Anlaß war?" Atlan zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, daß es eine Rolle spielt. Pläne, auf die man nur im Zustand der Erregung, aber nicht mit nüchternem Verstand kommt, haben meist irgendwo einen Fehler. Und natürlich ist die Existenz des Fehlers unabhängig davon, ob man ihn sieht oder nicht." "Die Positronik hätte ihn entdeckt", antwortete Rhodan. Daß Atlan mit seinen Plänen nicht völlig einverstanden war, bedrückte ihn auf merkwürdige Weise. Seitdem sie zusammenarbeiteten, hatte es so gut wie keine Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gegeben. Dies war die erste schwerwiegende. In Sekundenschnelle ließ Perry Rhodan sich noch einmal all die Gründe durch den Kopf gehen, die ihm plausibel gemacht hatten, daß gerade jetzt ein günstiger Augenblick für den Angriff auf Arkon gekommen sei. Er fand auch diesmal keinen Fehler, und da auch die Computer keinen gefunden hatten, kam er zu der Ansicht, daß Atlan ganz einfach ein Pessimist sei. Er mochte damit zu tun haben, daß Arkon, wenn es auch unter der Regentschaft eines mächtigen Roboters stand, seine Heimat war. Im Zusammenhang mit der Heimat spielten Ressentiments stets eine Rolle; aber die terranische Flotte konnte nichts mit Ressentiments anfangen. Perry Rhodan warf einen Blick auf die Uhr. Es war jetzt elf Uhr dreiunddreißig. * Auf den Rundsichtschirmen der Optik waren die Schiffe nicht zu sehen. Aber auf den dunkelgrün leuchtenden Mattscheiben der Ortergeräte zeigten sie sich als strahlende Knotenpunkte eines feinmaschigen, regelmäßigen Netzes. General Deringhouse betrachtete das Bild nachdenklich, fast andächtig. Sie waren alle versammelt, mehrere tausend Schiffe, die bereit waren, dem Robot-Regenten auf Arkon Respekt vor seinen terranischen "Verbündeten" einzuflößen. Eine riesige Flotte - nach irdischen Maßstäben. Deringhouse glaubte, je länger er das Bild betrachtete, die Kraft körperlich zu spüren, die diesen Schiffen innewohnte. Er wußte, wie groß die Macht war, die sie besaßen. Es war ihm klar, daß die Gesamtenergie der Flotte, von einem Verantwortungslosen angewandt, ausreichen würde, um ganze Sonnensysteme aus den Fugen zu reißen und zu vernichten. Nun, auch das arkonidische war nur ein Sonnensystem. Von gewaltigen Festungsringen umgeben, gewiß, aber nur ein einzelnes System. Die Schwierigkeit war, dachte er, rasch und tief genug vorzustoßen. Gelang das, dann hatte der Regent den Krieg verloren, bevor der Krieg begonnen hatte. Der Schlag wird gelingen, dachte Deringhouse. Wir werden vor Arkon stehen, während sich das Robotgehirn noch mit dem Druuf-Problem befaßt. Und danach wird es in der Galaxis anders aussehen. Wir werden uns frei bewegen können und keine geistigen Kopfstände mehr machen müssen, um die galaktischen Positionen der Erde und unserer wichtigen Stützpunkte geheimzuhalten. Wir hätten es schon längst tun sollen, dachte er weiter. Wir wissen, daß der Regent in den vergangenen siebzig Jahren keine Fortschritte in technischer Hinsicht mehr gemacht hat. Wir sind ihm an Qualität überlegen, und dafür, daß die Quantität nicht entscheidet, wollen wir nach Kräften sorgen. Er wußte, daß die verantwortlichen Offiziere nicht anders dachten als er. Der Schlag gegen Arkon lag seit zwei Jahren in der Luft, und in den vergangenen Monaten hatten sie sozusagen die Luft anhalten müssen, um nicht ungeduldig zu werden. Als der Startbefehl kam, hatte die ganze Flotte einen einstimmigen Schrei der Begeisterung ausgestoßen. Deringhouse sah noch einmal auf den Schirm. Fünfhunderttausend Männer warteten fieberhaft darauf, daß sie beweisen könnten, was in ihnen steckte. Nimm dich in acht, Arkon! Um elf Uhr sechsunddreißig Terrania-Zeit fing die Orterstation des Flaggschiffs einen Kurzimpuls auf, der von der Transition eines unbekannten Raumschiffes in fünfhundert Lichtjahr en Entfernung herrührte. Man benachrichtigte General Deringhouse davon, aber Deringhouse schenkte dem Impuls keinerlei Beachtung. In fünfhundert Lichtjahren Entfernung wartete die arkonidische Blockadeflotte darauf, daß die Druuf einen neuen Vorstoß versuc hten. Irgendeines ihrer Schiffe hatte wahrscheinlich eine Kurztransition ausgeführt und dabei den Kurzimpuls abgegeben. Es war nichts, worüber man sich den Kopf zerbrechen mußte. * Paul Brackett war angewiesen worden, das Gray-Beast-System auf dem schnellsten Wege wieder zu verlassen. Der Stützpunktkommandant auf Gray Beast hatte diese Entscheidung gefällt, ohne Perry Rhodan zu benachrichtigen. Es lag klar auf der Hand, daß auch Perry Rhodan in diesem Fall keine andere Entscheidung getroffen hätte. Es muß te verhindert werden, daß die Arkoniden Gray Beast entdeckten. Das war nur möglich, wenn die RIGEL sich wieder aus dem System entfernte, anstatt geradewegs auf den Stützpunkt vorzustoßen. Major Brackett setzte innerhalb weniger Minuten eine erneute Transition an. Er wußte nun, daß sein Eigenfrequenzdämpfer ausgefallen war und daß die Arkoniden auch diese zweite Transition würden anpeilen können. Er hoffte, daß er sie damit in Verwirrung brächte, auch, wenn das im Grunde genommen eine ziemlich selbstmörderische Hoffnung war. Denn die Arkoniden in Verwirrung zu bringen, bedeutete, sie hinter der RIGEL herzuziehen, und der drachenköpfige, schuppenhäutige Gott der alten Topsider mochte wissen, was sie mit einem einzelnen terranischen Schiff anstellen würden, wenn sie es fanden. Die Transition führte die RIGEL knapp dreißig Lichtjahre von Gray Beast weg in eine Richtung, in der weder die Erde noch der Versammlungspunkt der Kriegsflotte unter General Deringhouse lagen. Die Männer blieben in den Geschützständen. Paul Brackett hatte bekanntgegeben, daß die RIGEL sich selbst gegen die größte Übermacht verteidigen würde, wenn sie angegriffen werden sollte. Aber sie wurde nicht angegriffen. Die Arkoniden kamen nicht. Was kam, waren die deutlichen Impulse von mindestens eintausend rasch aufeinanderfolgenden Transitionen, die in dreißig Lichtjahren Entfernung über eine Strecke von nur wenigen Lichtjahren durchgeführt wurden. Was das zu bedeuten hatte, darüber konnte es keinen Zweifel geben. Paul Brackett spürte, wie ihm der Mund trocken wurde. * Der Interkom meldete sich. Perry Rhodan sah auf die Uhr. Elf Uhr vierunddreißig. Oberstleutnant Judsons Gesicht auf dem kleinen Bildschirm verriet mehr, als er mit hundert Worten sagen konnte. Judson hatte große, ängstliche Augen, und auf der Stirn standen kleine, glitzernde Schweißtropfen. "Alarm, Sir!" keuchte er. "Eine arkonidische Flotte greift den Stützpunkt an! Wir haben noch ..." Perry Rhodan unterbrach ihn. Er reagierte wie eine Maschine. Da war nichts von Überraschung, Schr eck oder Angst an ihm zu spüren. Im Bruchteil einer Sekunde begriff er die Lage. Was ihm fehlte, war eine Begründung. "Wie kam das?" fragte er knapp. "Die RIGEL", stöhnte Judson. "Dämpfer ausgefallen - sofort angepeilt." Perry Rhodan brauchte nur eine Sekunde, um alle Möglichkeiten zu durchdenken, die jetzt noch blieben. Es waren nicht viele. "Versuchen Sie, die Arkoniden abzuwehren!" befahl er. "Lassen Sie alle Abwehrstände besetzen. Und halten Sie die Schiffe unten! Ab sofort gilt volles Startverbot. Wir haben noch eine winzige Chance, daß die Arkoniden an Gray Beast vorbeifliegen und sich an Peep schadlos halten. Wieviel Zeit bleibt uns noch?" "Zehn Minuten, Sir", antwortete Judson hastig. "Wenn sie bis dahin ihren Kurs nicht ändern, können sie den Stützpunkt schon mit bloßen Augen erkennen" Rhodan nickte. "Was tut die RIGEL?" "Hat sich weisungsgemäß abgesetzt, Sir. Ich hielt es für richtig, daß das Schiff sich so schnell wie möglich aus dem System entfernt." Perry Rhodan erinnerte sich rasch: Die RIGEL stand unter dem Kommando von Major Brackett. Brackett war nicht der Mann, der mit einem ausgefallenen Dämpfer zur Erde oder sonstwohin fliegen würde, wo es wichtige Geheimnisse gab. Man brauchte sich wegen Brackett keine Sorgen zu machen. "In Ordnung", beendete Perry Rhodan das Gespräch. "Halten Sie uns auf dem laufenden!" Er wandte sich um, noch bevor Judson abgeschaltet hatte. Atlan, Bull und der Mutant Fellmer Lloyd sahen ihn an. "Es sieht böse aus", erklärte Rhodan ruhig. Der Arkonide stöhnte. "Ich wußte, daß die Sache einen Haken hat!" Perry Rhodan lächelte bitter. "Keinen, der sich vernünftigerweise voraussehen ließ", gab er zurück. "Aber du hast natürlich recht: Das ändert jetzt nichts mehr an der Lage." Sie schwiegen eine Zeitlang. Dann stand Rhodan auf und ging zu einer der Türen, die den großen Rechenraum über Gänge mit den anderen Räumen der Bunkeranlage verbanden. Unter der Tür drehte er sich noch einmal um. Seiner Stimme ließ sich keine Aufregung anmerken, als er sagte: "Mir ist eben eingefallen, die Arkoniden könnten Gray Beast unter Umständen für die Erde halten. Nicht, wenn sie ihre Augen weit genug aufmachen; aber vielleicht sind sie zu nervös, um das zu tun. Dann ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, daß sie eine Reihe un angenehmer Bomben abwerfen. Arkon-Bomben zum Beispiel, die unlöschbare Atombrände entfachen. Ich würde euch raten, Schutzanzüge anzulegen." Er ging hinaus. Sie hörten seine harten Schritte auf dem glatten Boden leiser werden. Er hatte die Lage schon während des Gesprächs mit Judson richtig eingeschätzt. Er konnte seine Aufmerksamkeit jetzt voll auf das konzentrieren, was vor ihm lag. Natürlich würden die Arkoniden Gray Beast finden. Es hatte keinen Zweck, Deringhouse und die ganze Flotte herbeizurufen. Sie würden die arkonidischen Angreifer zurückschlagen können; aber sie würden selbst Verluste dabei einstecken müssen. Die Erde aber konnte kein einziges Schiff entbehren. Und vor allen Dingen eines konnte Deringhouse mit seiner Flotte ohnehin nicht: Die Arkoniden vom Abwurf der Bomben abhalten, wenn sie das vor hatten. Er würde zu spät kommen. Also blieb er besser, wo er war. Schließlich ging es hier nur um einen einzigen Stützpunkt. Und noch nicht einmal um einen wichtigen; denn außer dreiundzwanzig Schiffen - kleinen, nur für Transportzwecke bestimmten Schiffen gab es auf Gray Beast nichts zu verlieren. Die Hauptmacht der Flotte stand unbemerkt von den Arkoniden fünfhundert Lichtjahre entfernt. Nein, die Erde und die Menschheit waren nicht in Gefahr. Es sei denn, es bedeutete für die Menschheit eine Gefahr, daß Perry Rhodan nach aller Wahrscheinlichkeit die nächsten fünf Stunden nicht überleben würde... * Perry Rhodans unerschütterliche Ruhe hatte auf Oberstleutnant Judson abgefärbt. Mit geschickten Handgriffen setzte er den Allroundinterkom in Betrieb, so daß ihn alle Männer, die sich jetzt irgendwo in einem geschlossenen Raum befanden, sehen und hören konnten, und gab seine Anweisungen. Die Befehle waren knapp und prägnant. Jeder begibt sich auf seinen Post en. Das Verlassen des Planeten ist von jetzt ab bis auf Widerruf untersagt. "Es stehen uns ein paar schwere Stunden bevor, Jungens!" erklärte Judson zum Abschluß. "Aber wir werden sie hinter uns bringen." Es war elf Uhr einundfünfzig, als er das sagte. Um elf Uhr dreiundfünfzig war es Judson und der Orterstation klar, daß die Arkoniden Gray Beast als ihr Ziel erkannt hatten. Sie hielten direkten Kurs auf den Planeten und bremsten mit hohen Werten. Mike Judson gab den Raketenstationen Befehl zu feuern, sobald die arkonidischen Schiffe sich der Oberfläche von Gray Beast bis auf weniger als zweitausend Kilometer genähert hätten. Das war um elf Uhr achtundfünfzig der Fall. Genau um zwölf Uhr trafen die ersten Abwehrraketen ihre Ziele. Über Gray Beast erschienen zehn grell leuchtende Sonnenbälle, tauchten das Land in schmerzendes Licht und verloschen wieder. Mike Judson nahm das Mikrophon des Interkoms, drückte eine Reihe von Tasten und wartete, bis Reginald Bulls Gesicht vor ihm auf dem Bildschirm erschien. "Der Angriff hat begonnen, Sir", meldete er knapp. "Wir haben zehn arkonidische Schiffe im ersten Anlauf erledigt." Ein Lächeln flog über Reginald Bulls Gesicht. "Gott erhalte Ihren Optimismus, Judson", antwortete er. "Wie ich höre, sind es insgesamt tausend." Das konnte Judson nicht leugnen. Die Orter hatten die genaue Zahl inzwischen ermittelt: Die Flotte der Angreifer bestand aus zwölfhundert schweren und schwersten Einheiten. "Wir tun unser Bestes, Sir", versicherte Judson. "Daran zweifle ich nicht", gab Reginald Bull zurück. "Wir sind auf dem Weg nach oben, um Sie zu unterstützen." Mike Judson bekam große erstaunte Augen. Er wollte etwas antworten; aber in diesem Augenblick blendete ihn ein Blitz von unerträglicher Helligkeit. In einem Wirrwarr von bunten, glühenden Ringen sah er Reginald Bulls Gesicht verschwinden. Dann zerplatzte plötzlich mit klingendem Knall die Glasscheibe, durch die Judson sonst über sein Pult hinweg auf die weite Landefläche des Raumhafens gesehen hatte. Die Faust eines Riesen ergriff ihn, hob ihn aus dem Stuhl und schleuderte ihn gegen die Rückwand. Er schrie vor Schmerz. Halb bewußtlos lag er ein paar Sekunden lang auf dem Boden. Aber als er sich aufzurichten versuchte, gelang es ihm zu seiner Überraschung ohne Schwierigkeit. Der Raum, in dem er bisher gesessen hatte, war allerdings verschwunden. Neben ihm lag ein zerbrochener Stuhl. Wände und Decken hatte der Druck der Explosion ein paar hundert Meter weit weggeschleudert und mit anderen Trümmern zu einem Haufen Durcheinander aufgeschichtet. Aus der Mitte des Landefeldes stieg der Glutstrahl einer kleinen Kernbombe in die Höhe. Judson fühlte die Hitze, die von ihr ausging. Er war froh, daß er im kritischen Augenblick das Glassitfenster noch vor sich gehabt hatte. Ohne das Fenster wäre er jetzt ein graubraunes Stück menschlicher Schlacke gewesen. Jetzt war das Fenster nicht mehr da. Die nächste Bombe würde ihn ungeschützt auf offenem Gelände treffen und nachholen, was die erste versäumt hatte. Er sah sich um. Weiter im Hintergrund hatte der Luftdruck der Explosion ein paar flache, barackenähnliche Gebäude verschont. Sie standen ein wenig windschief; aber sie waren noch in Ordnung. Er lief hinüber. Seltsamerweise spürte er keine Angst Alles, was er wollte, war ein Interkom, um mit seinen Männern in Verbindung bleiben zu können. Während er lief, erhob sich rechts vor ihm eine Abwehrrakete vom Boden. Auf glühendem Partikelstrahl schoß sie fast senkrecht in den blauen Himmel. Mike Judson blieb stehen und starrte ihr verwundert nach. Er starrte immer noch, als hoch über dem Blau der grelle Glutball der Explosion aufleuchtete und ihn blendete. Er hatte keinen Ton gehört, weder vom Abschuß, noch vom Donnern des Triebwerks. Er hob die rechte Hand und schnippte Daumen und Mittelfinger dicht neben dem Ohr. Nichts. Es blieb still. Er hatte das Gehör verloren. Ob für immer oder nur zeitweise, konnte er nicht entscheiden. Auf jeden Fall hätte ihm nichts Schlimmeres passieren können jetzt, da er in den Augenblicken höchster Gefahr Befehle geben und Meldungen entgegennehmen mußte. Hilflos und unsicher setzte er sich wieder in Bewegung. Die Kernbombe hatte Tonnen von Staub in die Luft geschleudert, und die sich ausbreitende Staubwolke begann nun den Himmel zu verschleiern. Es wurde finster. Die gleißenden Lichtfinger der Triebwerksstrahlen zuckten wie Blitze eines mächtigen Gewitters durch das Halbdunkel. Stolpernd erreichte Judson die vorderste der Baracken. Die Vordertür klemmte; aber Judson öffnete sie mit einem heftigen Tritt, in dem alle Wut über seine Hilflosigkeit lag. Drinnen war es finster. Die Bombe schien die Stromversorgung des Stützpunkts zum Teil lahmgelegt zu haben. Judson tastete sich bis zum Interkom und schaltete ihn ein. Der Interkom wurde aus einer anderen Leitung gespeist. Der B ildschirm und die Kontrollampen leuchteten augenblicklich auf. Mike Judson überlegte, was er nun tun solle. Die Welt um ihn herum lag in bedrückender, gefährlicher Stille. Er schien alleine auf dem ganzen Planeten zu sein. Das Leuchten der Raketenabschüsse, der treibende Staub, die geduckten Gestalten der Männer, die hier und dort durch die Dämmerung huschten, das alles waren Dinge, die sich in einem anderen Universum abspielten und mit Mike Judson überhaupt nichts zu tun hatten. Judson raffte sich auf. Er mußte etwas unternehmen; die dort draußen warteten auf seine Anweisungen. Er versuchte zu schätzen, wie viele von den dreiundzwanzig zurückgebliebenen Schiffen noch intakt waren, und kam auf etwa fünfzehn. Die restlichen acht hatte die Kernbombe auseinandergerissen, umgeworfen, eingedrückt oder zerschmolzen Judson wählte den Orterposten. Das rote, schwitzende Gesicht eines Mannes erschien auf dem Bildschirm. "Hören Sie zu!" bellte Judson. "Ich bin taub, ich kann Sie nicht verstehen. Wenn Sie auf meine Fragen antworten, tun Sie es mit Zeichen, oder schreiben Sie etwas auf ein Stück Papier. Ist das klar?" Er sah, wie der Mann nickte und dazu etwas sagte; aber er verstand es nicht. "Wo steht der Feind?" wollte Judson wissen. Der Orter neigte sich zur Seite. Ein paar Sekunden lang sah er vor sich hin. Dann hob er ein Stück Papier, und Mike. Judson las, in hastiger, krakeliger Schrift geschrieben: "Über den ganzen Planeten verteilt. Höhe im Durchschnitt fünfzehnhundert Kilometer." Also zu hoch für die ortsfesten Desintegratoren, entschied Judson niedergeschlagen, und vor allen Dingen für massiven Beschuß zu weit verstreut. "Wie sind unsere Verluste?" Wieder eine kurze Pause. Dann ein neues Papier. "Acht Schiffe, vierundachtzig Mann verwundet oder tot. Weiterer Ausfall droht durch steigende Radioaktivität." Die Schutzanzüge, dachte Judson verwirrt. Warum haben sie die Schutzanzüge nicht angelegt? Dann fiel ihm ein, daß er selbst keinen trug. In wenigen Minuten war zuviel passiert. Niemand hatte Zeit gehabt, an etwas anderes als seine Überraschung zu denken. "Übernehmen Sie diese Aufgabe für mich" befahl er dem Funker. "Schutzanzüge sind sofort anzulegen! Das ist wichtiger als alles andere. Und geben Sie mir Bescheid, sobald sich eine neue Entwicklung anbahnt. Im Augenblick scheinen die Arkoniden sich ruhig zu verhalten, wie?" Der Orter nickte. Mike Judson unterbrach das Gespräch. Er wußte, daß sie den Stützpunkt nicht halten konnten. Er war mit Abwehrvorrichtungen nur schwach ausgerüstet. Das lag daran, daß zur Zeit seines Ausbaus niemand damit gerechnet hatte, die Arkoniden würden in naher Zukunft mit einer riesigen Flotte nur ein paar Lichtjahre von Gray Beast entfernt operieren. Der wirksamste Schutz des Stützpunktes hatte darin bestanden, daß die Arkoniden ihn nicht kannten. Hätten sie ihn vor ein paar Tagen entdeckt, dann wäre die Flotte noch da gewesen, um jeden Angriff abzuwehren. Jetzt aber gab es nur noch ein paar kleine, unbewaffnete Transportboote, dreiundzwanzig an der Zahl, acht davon schrottreif, die dem nächsten Angriff schutzlos ausgesetzt waren. Fern am Westrand des Landefeldes raste eine weitere Abwehrrakete in den Himmel. Sie war mit einem Selbstlenksystem ausgerüstet. Innerhalb weniger Augenblicke würde sie ihr Ziel treffen und es in eine strahlende Wolke glühenden Gases verwandeln. Die Arkoniden wußten das. Warum schlugen sie nicht zu? Mike Judson starrte durch das schräge Fenster hinaus in die Finsternis. Was war das für ein Streifen gelben Lichts im Nordwesten? Ein Brand? Unsinn! Wie konnte auf einem Landefeld aus Chromplastik etwas brennen! Mike Judson rieb sich über die Augen. Aber der gelbe Lichtstreifen blieb, wurde heller und höher und schien näher zu kommen. Judson rief den Orter zum zweitenmal an. Aus den Augenwinkeln sah er, bevor der Bildschirm aufleuchtete, wie sich die Männer aus der nächstgelegenen Raketenstellung erhoben und über den Ostrand des Feldes nach hinten zu den Magazin-Gebäuden rannten. In einer Viertelstunde spätestens würden sie alle die vorgeschriebenen Schutzanzüge tragen. Das Gesicht des Orters war vor Aufregung noch röter geworden, und der Schweiß lief ihm in Strömen über die Wangen. "Was ist das für ein Feuer im Nordwesten?" fragte Judson. Der Orter vergaß, was Judson ihm über seine Ohren gesagt hatte, und antwortete mündlich. Judson sah seine Lippen sich bewegen und winkte ärgerlich ab. "Aufschreiben", schnappte er. Sekunden später las er das Papier: "Ursache noch unbekannt. Vermuten Kernbrand, Arkonbomben!" Mike Judson pfiff zwischen den Zähnen hindurch. Im Bruchteil einer Sekunde hatte er seinen Plan fertig. "Passen Sie auf", sagte er zu dem Orter. "Schalten Sie Ihre Taster ab und kümmern Sie sich nicht mehr darum. Wir haben jetzt Wichtigeres zu tun. Sagen Sie den Leuten, daß sie so schnell wie möglich die übriggebliebenen Schiffe bemannen und von Gray Beast verschwinden sollen. Wir haben hier nichts mehr zu gewinnen. Verstanden?" Der Orter nickte. Er beugte sich zur Seite und schrieb einen neuen Zettel. Darauf stand: "Welche Zielanweisung?" "Gar keine", rief Judson. "Wenn sie überhaupt durch die Kette der Arkoniden hindurchkommen, sollen sie sich nach Peep oder einem anderen Planeten des Systems halten, wo sie solange unterkommen können, bis die Flotte sie abholt." Und als er sah, daß der Orter zögerte, fügte er hinzu: "Los, beeilen Sie sich! Wir haben keine Sekunde zu verlieren!" Trotzdem schrieb der Orter einen neuen Zettel. Judson las: "Und Sie?" "Kümmern Sie sich nicht um mich!" schrie er den Orter an. "Ich finde mich schon zurecht. Ende!" Trotzdem freute er sich, daß nach ihm gefragt worden war. Alles ist in Ordnung, redete er sich ein. In ein paar Minuten werden die Männer Gray Beast verlassen haben. Du mußt dir jetzt selbst einen Schutzanzug besorgen! Er stand auf und ging hinaus. Draußen hatte sich ein heftiger Sturm erhoben. Die Luft war heiß und stickig, und Mike Judson wurde übel bei dem Gedanken, wie viele radioaktive Staubteilchen sie enthalten mochte. Er raffte sich auf und rannte. Die Finsternis war trotz des gelben Lichtstreifens im Nordwesten so vollständig geworden, daß er fürchtete, die Richtung zum Magazin zu verlieren. Er hielt nach anderen Männern Ausschau; aber entweder liefen sie alle mehr als zehn Meter an ihm vorbei, oder sie waren schon alle versorgt. Mike Judson wußte jetzt, warum die Arkoniden nichts mehr unternahmen: Sie hatten überall auf Gray Beast ihre Arkon-Bomben abgeworfen und warteten nun, wie sich das Kernfeuer ausbreitete. Wegen der terranischen Raketenabwehr brauchten sie sich keine Sorgen mehr zu machen. Eine der Bomben war in der Nähe des Landefeldes aufgeschlagen. Es war nur noch eine Frage von Minuten, wann die Feuerfront die Stellungen überrannte. Zudem waren es Robotschiffe. Ihr Selbsterhaltungstrieb war rein mechanischer Natur und taktischen Erwägungen untergeordnet. Der Sturm ließ Judson taumeln, und als er ihn schließlich gegen ein hartes, haushohes Hindernis wehte, fluchte Judson zwar über den Schmerz auf der Stirn; aber er war froh, am Ziel zu sein. Drinnen war niemand mehr. Mike Judson stemmte sich von innen gegen die Tür und brauchte alle Kraft, um sie gegen die Gewalt des heißen Sturms zu schließen. Dann lehnte er sich an die Wand und nahm sich Zeit, tief Luft zu holen. Die Dunkelheit störte ihn nicht. Im Magazin kannte er sich aus. In weniger als einer Minute fand er die Schrankgestelle, in denen die schweren Schutzanzüge hingen. Er nahm einen davon herunter und öffnete die Verschlüsse. Es kostete ihn zwei Minuten, die schwere Montur überzuziehen und ordnungsgemäß zu schließen. Während dieser zwei Minuten sah er durch die weiten Fenster hindurch fünf blasse Lichtflecken sich über die gelbe Feuerwand erheben und nach oben verschwinden. Fünf Schiffe hatten sich auf den Weg gemacht, um die Männer aus der Atomhölle von Gray Beast zu bringen. Auf dem Rückweg zur Tür stieß Judson gegen den kleinen Tisch, auf dem der Interkom stand. Plötzlich fiel ihm ein, daß Reginald Bull vor einer Viertelstunde oder waren es zwei Stunden gewesen gesagt hatte, er und Rhodan und der Arkonide würden nach oben kommen, um ihn zu unterstützen. Du lieber Himmel! Sie hatten nicht einmal die Chance, ihn zu finden, geschweige denn, ihm zu helfen. Mit dem ungelenken Handschuh nahm er das Mikrophon auf. Beim Drücken der Wahltasten vertippte er sich dreimal; aber schließlich hatte er die Nummer des Tiefbunkers, gewählt. Der Bildschirm leuchtete auf, aber Judson bekam nichts anderes als das rote Wartezeichen zu sehen. Die Leitung war frei; aber es gab niemand, der auf der anderen Seite das Gespräch annahm. Heftiger Schreck packte Mike Judson. >Sie waren auf dem Weg nach oben! Rhodan, Bull, der Arkonide und der Mutant. Sie wußten nichts von dem Atombrand, den die Arkoniden entfacht hatten. Wenn sie den falschen Ausgang gewählt hatten, liefen sie mitten in das Feuer hinein. Das durfte nicht geschehen! Mike Judson machte sich auf den Rückweg. Schritt für Schritt ging er den Weg zurück, den er gekommen war. Jetzt, da er den schweren Anzug und den Strahlenhelm trug, spürte er nichts mehr von der Hitze, die der Sturm mit sich führte. Aber die Luft war wie ein schweres Brett, das er mit der Brust vor sich herschieben mußte, um vorwärts zu kommen. Die gelbe Lichtwand war gewachsen und verbreitete durch den Staub hindurch matte Helligkeit. Mike Judson hielt sich nun nach rechts, nach Norden also, um den Bunkerausgang zu erreichen, der in der Nähe seiner ehemaligen Kommandostelle lag. Er wußte nicht genau, was er unternehmen sollte, um Perry Rhodan und seine Begleiter vor dem Chaos auf der Oberfläche des Planeten zu warnen. Aber es schien ihm eine gute Idee, in den Bunker einzudringen und den Rundgang der obersten Etage abzugehen, der alle fünfzehn Ausgänge miteinander verband. Von Zeit zu Zeit sah er links im Westen fahl leuchtende Bälle in die Luft steigen: die Triebwerke der startenden Schiffe, deren Bild Hitze und Sturm in grotesker Weise verzerrten. Er hatte die Starts gezählt und wußte, daß von den fünfzehn intakten Schiffen nur noch drei zurückgeblieben waren. Grimmige Freude erfüllte ihn über die gelungene Flucht seiner Männer. Er hoffte inbrünstig, daß nicht einer von ihnen so dumm sein würde, mit dem letzten Schiff zu warten, bis er, Mike Judson, an Bord war. Er hoffte außerdem, daß es den Fahrzeugen gelänge, unbemerkt durch die Kette der Arkoniden zu kommen. Trümmer tauchten vor ihm auf. Reste der Gebäude, die in der Nähe der Kommandostelle gestanden hatten. Er erkannte den ovalen Grundriß eines ehemaligen Wassertanks. Den Tank selbst hatte die Druckwelle davongerissen, seine Verankerung war zurückgeblieben. Judson stolperte. Der Sturm warf ihn zu Boden und kugelte ihn ein paar Meter weiter. Schmerzhaft prallte er gegen etwas Hartes, Spitzes, und als er wieder aufstand, schmerzte ihn die Brust so, als hätte er sich eine Rippe gebrochen. Nur das nicht, dachte er entsetzt. Der Bunkereingang ist mindestens noch zweihundert Meter weit. Ich muß es schaffen! Er sah, daß die gelbe Feuerwand jetzt bis zur Höhe eines Wohnhauses emporgewachsen war. Nach Norden und Süden dehnte sie sich ohne Ende. Sie mußte die Mitte des Landefeldes längst erreicht haben. Aber sie wuchs nicht weiter in die Höhe. Judson sah, daß ihre Leuchtkraft am oberen Rand weitaus geringer war als unten auf dem Boden. Ohne es zu wollen, erinnerte er sich an das, was er über Arkon-Bomben gelernt hatte: Eingestellt auf die Ordnungszahlen eines oder mehrerer Elemente, brachte sie nach der Zündung die Kerne dieser Elemente in den Kernprozeß und entfachte so einen Atombrand, der erst dann wieder erlosch, wenn der Brennstoff" verbraucht war. Daß der Brand nur am Boden entlang tobte und sich nicht in die Atmosphäre hinauf ausbreitete, bedeutete, daß die Arkoniden es vermieden hatten, die Ordnungszahlen sieben und acht, also Stickstoff und Sauerstoff, einzustellen. Die Bomben wirkten auf schwerere Elemente. Mike Judson fühlte, wie ihm die Luft auszugehen drohte. Der Schmerz in der Brust wurde unerträglich. Ich muß, war das einzige, woran Mike Judson noch denken konnte. Er stolperte weiter und wußte längst nicht mehr, ob er noch in der richtigen Richtung ging. Nach endlos langer Zeit tauchten die flachen Überreste eines Gebäud es vor ihm auf. Er erkannte es: Es war eine der Kantinen gewesen. Von hier aus mußte er sich nach links halten, schräg auf die gelbe Feuerwand zu. Er war zu weit nach Osten geraten. Der Rest der Mauer diente ihm als willkommene Stütze. Indem er sich an ihr entlangzog, sparte er Kraft und kam trotzdem ein wenig schneller vorwärts. Bis zum Bunkereingang waren es nun noch fünfzig Meter. Mike Judson dachte nicht daran, daß die Temperatur seiner Umgebung mit jedem Schritt wuchs, den er tat. Er dachte auch nicht daran, daß der Anzug, den er trug, oberhalb einer gewissen Temperaturgrenze den Dienst aufgeben würde. Er dachte nur noch an die fünfzig Meter und daran, daß er sie schaffen mußte. Keuchend, schwitzend und vor Schmerzen stöhnend arbeitete er sich durch eine Welt, in der das Chaos tobte und die dennoch völlig still war. Er nahm das Unwirkliche nicht mehr wahr. Er war besessen von dem Gedanken, den Bunker zu erreichen und Perry Rhodan zu warnen. Er sah nicht mehr nach der glühenden Wand des Kernfeuers, das sich über den Boden des Landefeldes heranwälzte, und es drang ihm auch nicht ins Bewußtsein, daß die Temperatur der Feuerwand ausreichte, um einige gefährliche Dinge zu bewirken, wie zum Beispiel das Zusammenschmelzen zweier zuvor getrennter Uran-Katalysatorhälften. Als Mike Judson von den restlichen fünfzig Metern fünfundzwanzig oder dreißig zurückgelegt hatte, war er mit seinen Kräften am Ende. Er konnte keinen Schritt mehr tun. Er fiel einfach vornüber und stemmte sich mit dem Rest seiner Kraft gegen den mörderischen Sturm, der ihn davonblasen wollte. Nur ein paar Augenblicke, dachte er. Gleich kann ich wieder weiter. Nur ein paar Augenblicke. Der Verstand besiegte den Körper. Mike Judson erhob sich wieder und taumelte weiter, obwohl in ihm keine Kraft mehr war, die die Beine in Bewegung setzen und dem Sturm trotzen konnte. Er sah das kleine Pfortenhäuschen des Bunkereingangs aus dem Dunst des radioaktiven Staubs vor sich auftauchen. Das Bewußtsein, so nahe am Ziel zu sein, gab ihm neue Kraft. Stolpernd, keuchend, taumelnd arbeitete er sich vorwärts, Meter um Meter, Fuß um Fuß. Dann kam vor ihm eine glühendheiße, feurige Bö auf, riß ihn von den Beinen und schleuderte ihn zwanzig Meter weit zurück. Hart stürzte er zu Boden und verlor unter dem Aufprall das Bewußtsein. Gerade rechtzeitig genug, um das Inferno nicht mehr zu sehen, das im selben Augenblick über den Stützpunkt Gray Beast hereinbrach und auch Judson in wenigen Augenblicken verschlingen würde. * Um zwölf Uhr neunundvierzig Terrania-Zeit überrollte die von den Arkon-Bomben entfachte Feuerwand die Raketenstellung XVII am nördlichen Rand des Landefeldes. Eine der Raketen war knapp eine halbe Stunde zuvor zum Abschuß bereitgemacht und geschärft worden, als Oberstleutnant Judsons Befehl zur Aufnahme von Schutzanzügen bekannt wurde. Die Männer hatten dem Befehl gehorcht und die Rakete stehengelassen. Als sie sich Schutzanzüge besorgt hatten, waren sie an Bord der wartenden Transportschiffe gegangen. Um die geschärfte Rakete hatte sich niemand mehr gekümmert. Das Feuer schmolz die beiden Hälften des Katalysators zusammen und vereinigte sie so zu einer kritischen Masse. Unter Temperaturen von mehreren Millionen Grad explodierte der Fusionskopf der Rakete. Ein feuriger Ball nuklearer Gewalt erhob sich über dem Landefeld von Gray Beast und ließ für ein paar Sekunden selbst die strahlende Helligkeit des gelben Kernfeuers verblassen. Um zwölf Uhr neunundvierzig Terrania-Zeit hörte der terranische Stützpunkt Gray Beast auf zu existieren. 2. Als die Druckwelle der Kernbombenexplosion den Bunker zum Zittern brachte, wußte Perry Rhodan, daß er das Gray-Beast-Spiel verloren hatte. Die Arkoniden griffen an. Sie hatten das Ziel nicht verfehlt. Und der Stützpunkt war nicht für eine wirkungsvolle Verteidigung eingerichtet. Seine wichtigste Waffe war das Geheimnis gewesen, das seine galaktische Position umgab. Ein winziger, lächerlicher Zufall, ein Defekt an einem kleinen Gerät, dem Dämp fer der RIGEL, hatte den Terranern diese Waffe aus der Hand geschlagen. Gray Beast war dem übermächtigen Angriff des Gegners fast schutzlos preisgegeben. Und die terranische Flotte stand fünfhundert Lichtjahre weit entfernt - zu weit, um noch mit Aussicht auf Erfolg in die Vorgänge eingreifen zu können. Dazu kam, daß Perry Rhodan nicht einmal eine Möglichkeit mehr hatte, die Flotte herbeizurufen. Mit der Explosion der Kernbombe war auch der große Telekomsender ausgefallen, der Gray Beast mit der Außenwelt verbunden hatte. Es gab noch eine Menge kleinerer Geräte; aber sie waren irgendwo in Magazinen und Büroräumen verteilt, und das einzige, das zur Notausrüstung des Bunkers gehörte, war nicht kräftig genug, um die fast einen Kilometer starke Erdschicht über der Bunkersohle zu durchdringen. Eine Viertelstunde nach Beginn des Angriffs erfuhr Perry Rhodan vom Orter, daß sich von Nordwesten her dem Landefeld eine gelbliche Feuerwand näherte. Der Orter äußerte Rhodan gegenüber dieselbe Vermutung, die er ein paar Mi nuten später Mike Judson auf einem kleinen Zettel zu verstehen gegeben hatte: Die Arkoniden hatten Arkon-Bomben abgeworfen. Von diesem Augenblick an gab es kein Zögern mehr. Wenn die abgeworfenen Bomben darauf eingestellt waren, das Element der Ordnungszahl vierzehn, also Silizium, in den Fusionsprozeß zu treiben, dann würde sich das Kernfeuer in den Boden hineinfressen und Rinnen kurzer Zeit auch die tiefste Stelle des Bunkers erreichen. Es blieb nichts anderes als die Flucht. Und wenn das Feuer von Nordwesten kam, dann war der vernünftigste Fluchtweg der nach Südosten. In dieser Richtung hatte der Bunker einen Ausgang, der fünfzehn Kilometer vom Südrand des Landefeldes entfernt an die Oberfläche führte. Das war weit genug, um vor dem Zugriff des Kernfeuers wenigstens eine Stunde lang sicher zu sein. Reginald Bull äußerte Bedenken. Er hatte Mike Judson versprochen, ihm zu Hilfe zu kommen. Perry Rhodan versuchte daraufhin selbst, Oberstleutnant Judson über Interkom zu erreichen und ihm klarzumachen, daß der Kampf verloren war. Die Männer des Stützpunktes sollten Befehl erhalten, sich vom Landefeld abzusetzen oder Gray Beast in den kleinen Transportern zu verlassen, wenn noch welche davon die Explosion der ersten Bombe überstanden hatten. Es meldete sich jedoch niemand mehr. Reginald Bull selbst hatte bei seinem Gespräch mit Judson zugesehen, wie die Druckwelle der Explosion Judsons kleine Kommandostelle eindrückte. Die Verbindung war abgerissen, und Judson hatte sich ins Freie gerettet, wie die Orterleute wußten. Es mußte angenommen werden, daß er von selbst den Befehl zur Räumung gegeben hatte. Im Zusammenhang mit Judson und den Männern des Stützpunkts konnte nichts mehr unternommen werden. Sie mußten jetzt sich selbst in Sicherheit bringen, wenn sie nicht im Kernfeuer verbrennen wollten. Mit der ruhigen Umsicht, die ihn in solchen Lagen gegenüber anderen Menschen auszeichnete, suchte Perry Rhodan aus den Notvorräten des Bunkers zusammen, was eine vierköpfige Mannschaft auf einem vom Kernfeuer verwüsteten Planeten brauchte - vor allen Dingen einen Mikrokom, ein paar Meßgeräte, Proviant und Waffen. Dann machten sie sich auf den Weg nach oben, schweigend und nachdenklich. Ein schnelles Gleitband brachte sie durch menschenleere Gänge zum Schacht des Südostaufzugs, und der Aufzug überwand die neunhundertundfünfzig Meter Höhenunterschied bis zur Oberfläche in weniger als drei Minuten. Der Aufzugsschacht endete zwanzig Meter unter dem eigentlichen Ausgang auf der mit einer Reihe von Laufbändern verschiedener Geschwindigkeit aufgelegten Rundstraße, die alle Bunkerausgänge untereinander verband. Auch die Rundstraße war verlassen. Wer hier unten gewesen war, als die arkonidische Flotte auftauchte, der hatte sich auf den Alarm hin an seinen Platz oben an den Abschußrampen oder in den Geschützständen begeben. Der Bunker war leer, und seine letzten vier Insassen, denen er bisher Schutz vor den mörderischen Gewalten der arkonidischen Bomben gegeben hatte, schickten sich ebenfalls an, ihn zu verlassen. Die Rolltreppe zum Ausgang hinauf war noch in Betrieb. Innerhalb des kleinen Pfortengebäudes vermittelte eine Reihe von Bildschirmen und Lautsprechern ein Bild der Außenwelt: Ein Orkan nie gekannter Stärke fauchte über das Grasland ostwärts zum Dschungel hinunter. Der Wind riß eine und undurchdringliche Wand von Staub und Rauch mit sich, und von der hellen Sonne war nichts mehr zu sehen. In den Lautsprechern tobte ein Inferno von Geräuschen. Die Männer schlössen die Helme. Trotz des wütenden Sturmes mußten sie hinaus. Es gab nur ein Ziel: Die verlassene Siedlerstadt Greenwich, etwa vier Kilometer von hier am Ufer des Green River gelegen. Dort gab es Fahrzeuge, die die Siedler bei der Auswanderung zurückgelassen hatten. Wenn es den Männern nicht gelang, Greenwich zu erreichen, dann kon nten sie der gelben Feuerwand, die sich von Westen heranschob, gleich geradewegs entgegengehen und sich von ihr verschlingen lassen. Der Wind riß ihnen fauchend die Tür aus der Hand, als Sie sie öffneten. Rhodan trat als erster hinaus, zögerte ein wenig, machte einen großen Schritt und war verschwunden. Bull und Atlan stießen einen überraschten Schrei aus, aber Fellmer Lloyd, Orter und Telepath, hob beruhigend die Hand. "Nichts passiert", sagte er leise. "Er ist dort vorne irgendwo. Der Sturm hat ihn mitgenommen." Wenige Sekunden später meldete sich Rhodan selbst. Sie sahen ihn nicht in der Finsternis, aber sie hörten seine Stimme im Empfänger: "Versucht erst gar nicht, aufrecht zu gehen. Wir werden nach Greenwich kriechen." * Die mehr als tausend Einzelimpulse umfassende Serie, die wenige . Minuten nach dem ersten Impuls von den Empfängern des Flaggschiffs DRUSUS aufgenommen wurde, machte auch General Deringhouse stutzig. Er hatte sich um den ersten Impuls nicht gekümmert; aber die Serie bedeutete, daß da irgendwo eine ganze Flotte in Bewegung war. Um terranische Schiffe konnte es sich nicht handeln, denn die Erde besaß keine zusätzlichen tausend Kampfschiffe neben denen, die sich da schweigend im All versammelt hatten. Es mußten also Arkoniden sein. Natürlich war es möglich, daß der Robot-Regent einen Teil seiner Blockadeflotte ablöste oder die Blockadeflotte verstärkte, aber irgend etwas an der Sache schien Deringhouse nicht ganz geheuer zu sein. Vielleicht war es der vorangegangene Einzelimpuls, der ihn auf den Gedanken brachte, da müsse ein einzelnes Schiff von einer ganzen Meute arkonidischer Einheiten verfolgt werden. Nach kurzem Zögern ließ er einen kurzen, gerafften Funkspruch an Gray Beast abstrahlen, und als er darauf keine Antwort bekam, wußte er, daß irgend etwas sich anders entwickelt hatte, als es in den Plänen der terranischen Flotte vorgesehen war. Gray Beast meldete sich nicht mehr. General Deringhouse traf seine Entscheidungen blitzschnell. Er übergab das Kommando der wartenden Flotte an den nächsten Offizier und ließ die DRUSUS transitionsbereit machen. Die Astrogation wurde angewiesen, die Entfernung bis nach Gray Beast in einer einzigen Transition zu überwinden. Eine Viertelstunde vor dem Sprung gab Deringhouse Alarm. Er nahm sich fünf Minuten Zeit, um seinen Leuten zu erklären, daß die DRUSUS wahrscheinlich mitten in eine arkonidische Flotte hineinspringen würde und daß sie zusehen sollten, so viele Gegner wie möglich unschädlich zu machen, ohne selbst getroffen zu werden. Er machte auch keinen Hehl daraus, daß der Stützpunkt Gray Beast wahrscheinlich verloren war. Was er für sich behielt, war lediglich, daß sich Perry Rhodan zum Zeitpunkt des Angriffs - wenn es überhaupt einen Angriff gegeben hatte - auf Gray Beast aufhielt. Wenn alle anderen Prognosen richtig waren, dann war es auch die, daß Perry Rhodan diesen Überfall mit dem Leben bezahlt hatte. Um zwölf Uhr einundfünfzig am 23. Oktober Terrania-Zeit setzte sich die DRUSUS in Marsch. Um dreizehn Uhr eins erreichte sie die zur Transition notwendige Mindestgeschwindigkeit und verschwand aus dem Einstein-Raum. Noch in derselben Minute tauchte sie wenige Astronomische Einheiten von der Sonne Myrtha entfernt aus dem Hyperraum auf. Der Sprung war genau berechnet worden. Gray Beast lag so nahe, daß die Überteleskope Einzelheiten auf seiner Oberfläche erkennen konnten. Sie erkannten den gleißenden Dampfpilz einer gewaltigen nuklearen Explosion, die gelbe Fläche des Kernbrands und die weit ausgedehnten Qualmfelder, die sich anschickten, die gesamte Tagseite des Planeten einzuhüllen. Sie erkannten noch etwas: Die winzigen, schimmernden Punkte von mehr als sechshundert Schiffen, die sich über die Oberfläche des Planeten verteilt hatten und in sicherer Höhe offenbar darauf warteten, bis der Kernbrand ganz Gray Beast aufgefressen hatte. Conrad Deringhouse gab den Befehl zum Angriff. Er wußte, daß auch ein Schiff wie die DRUSUS nicht den Kampf mit mehr als tausend Roboteinheiten der arkonidischen Flotte mit Aussicht auf Erfolg aufnehmen konnte. Aber es war sozusagen eine psychologische Notwendigkeit, einen blitzschnellen Vorstoß zu unternehmen und dem Feind wenigstens einen kleinen Teil dessen heimzuzahlen, was er auf Gray Beast angerichtet hatte. Ganz zu schweigen davon, daß es auf Gray Beast noch Überlebende geben mochte, denen der Blitzangriff der DRUSUS neuen Mut gab, indem er sie davon überzeugte, daß sie noch nicht aufgegeben waren. Conrad Deringhouse befand sich in einem Zustand dumpfer, ohnmächtiger Wut, als er den Befehl zum Vorstoß gab. Niemand außer den höchsten Offizieren des Flaggschiffs wußte bisher, daß Perry Rhodan auf Gray Beast zurückgeblieben war, als sich die terranische Flotte am verabredeten Ort zum Schlag gegen Arkon versammelte. Aber aus geheimnisvollen Quellen nährte sich unter der Besatzung das Gerücht, daß mit Gray Beast weitaus mehr verlorengegangen sei als nur ein Stützpunkt. Der Befehl zum Angriff auf das nächststehende arkonidische Schiff wurde als Beweis dafür empfunden, daß das Gerücht die Wahrheit traf. Die Arkoniden ließen sich nicht anmerken, ob sie das terranische Schiff bereits ausgemacht hatten. Sie blieben auf ihren Wartepositionen und schienen nichts weiter im Sinn zu haben, als das Ende des brennenden Planeten abzuwarten. Die Ruhe täuschte jedoch. Als die DRUSUS sich mit hoher Fahrt dem nächststehenden Schiff bis auf zweitausend Kilometer genähert hatte, begannen ihre Schutzschirme unter dem Abwehrfeuer der arkonidischen Schiffe aufzuglühen. Als lodernder Ball konzentrierter Energie schoß sie auf den Gegner zu, schüttelte das Feuer aus zwanzig feindlichen Schiffsgeschützen wie eine lästige Fliege von sich ab und feuerte selbst erst, als der Abstand zum gegnerischen Schiff den Mindestwert erreicht hatte. Der Arkonide war ein Fahrzeug der mittleren Größenklasse. Er war der DRUSUS hoffnungslos unterlegen. Seine Schirmfelder machten nutzlose Anstrengungen, die gewaltigen Energien der Desintegrator- und Thermostrahlschüsse zu absorbieren; nach drei Sekunden brachen sie zusammen. Das Schiff verschwan d im weißglühenden Feuerball einer nuklearen Explosion. General Deringhouse fühlte grimmige Befriedigung, als er das arkonidische Schiff explodieren sah. Kühl und überlegt, wie bei einem taktischen Lehrgang, ließ er die DRUSUS etwa zehntausend Kilometer weit über das Ziel hinausschießen und fortwährend beschleunigen, so daß sie anschließend transistieren und aus dem Aktionsbereich der Arkonidenflotte verschwinden konnte. Aber die Befriedigung hielt nicht an. Was war ein Schiff gegen Perry Rhodan? Zudem war es wahrscheinlich ein Robotschiff gewesen. Conrad Deringhouse hatte nicht einmal Grund, stolz auf seinen Erfolg zu sein. Das Schiff war der DRUSUS weit unterlegen, und daß er es aus einem starken Flottenverband mitten herausgefischt hatte, war, wenn man es richtig betrachtete, eher eine taktische Dummheit als eine bewundernswerte Leistung. Deringhouse zwang sich zur Ruhe. Es kostete ihn Mühe einzusehen, daß dies keine Situation war, die man rein gefühlsmäßig betrachten konnte. Gewiß: Perry Rhodan war vermutlich tot, und über den Tod eines Freundes empfand jedermann Trauer. Aber hier ging es nicht um Perry Rhodan oder Conrad Deringhouses Trauer: Es ging um die Sicherheit der Erde. Neue Anweisungen mußten getroffen werden. An einen Angriff auf Arkon war im Augenblick nicht mehr zu denken. Viel eher an einen massierten Angriff auf die arkonidische Flotte, die Gray Beast belagerte. Wozu? Um Vergeltung zu üben? Konnte einem von denen, die auf Gray Beast ums Leben gekommen waren, durch die Vergeltung geholfen werde n? Nein! Deringhouse verwarf auch diesen Plan. Und beim Nachdenken wurde ihm bewußt, was er bisher übersehen hatte: Er alleine war von nun an für die terranische Flotte verantwortlich. Es gab niemand mehr, den er um Rat fragen konnte, und niemand, der aus angeborener Genialität in der Lage gewesen wäre, die Fehler wieder auszubügeln, die er, Deringhouse, unter Umständen machte. Er war auf sich allein gestellt. Wenigstens solange, bis man auf der Erde die Dinge neu geregelt hatte. Es gab nur eines, was er vorläufig tun konnte: In sicherer Entfernung von Gray Beast darauf warten, ob nicht wenigstens einer den heimtückischen Angriff überlebt hatte und darauf hoffte, daß man ihn abholte, bevor der Planet zu einer glühenden Plasmawolke wurde. Besaß er einen Mikro kom oder gar ein größeres Hyperfunkgerät, dann würde er Notzeichen geben. Fünf Lichtstunden von Gray Beast entfernt ging die DRUSUS in Wartestellung. Das Gerücht, daß ein wichtiger Mann auf dem Planeten zurückgeblieben sei, womöglich gar Perry Rhodan selbs t, verdichtete sich fast zur Gewißheit. Conrad Deringhouse sah die Stunden ungeduldig verstreichen. Nichts rührte sich. Gray Beast schwieg. Deringhouse wußte, daß er nicht länger als drei Tage zu warten brauchte. Hatte sich bis dahin niemand gemeldet, war niemand mehr am Leben. Länger als drei Tage würde das Kernfeuer nicht brauchen, um das Werk der Vernichtung zu vollenden. * Das Gewicht der Anzüge erdrückte sie fast; aber es war die einzige Hilfe gegen den tosenden Sturm, der sie davonzublasen drohte. Die Anzüge waren mit Antigrav-Generatoren ausgerüstet, die Träger und Anzug ihr Gewicht bis zu einem gewissen Maße zu verringern erlaubten. Reginald Bull hatte den Generator nur für eine winzige Sekunde angeschaltet, als er von dem Anzug erdrückt zu werden glaubte. Der Sturm hatte ihn aufgenommen und fünfzig Meter weit davongetrieben. Eine Viertelstunde lang hatte Bull bewußtlos gelegen, und eine weitere halbe Stunde hatte er gebraucht, um in der fast und undurchdringlichen Finsternis zu seinen Begleitern zurückzufinden. Perry Rhodan kroch an der Spitze der kleinen Gruppe. Mitten am Tag riefen die dichten Qualmwolken, die von Westen her herabtrieben, eine so vollkommene Dunkelheit hervor, daß Rhodan kaum einen Schritt weit voraus sehen konnte. Mühsam orientierte er sich an jeder Kleinigkeit, die ihm von früheren Tagen her in Erinnerung geblieben war; aber je weiter sie sich vom Stützpunkt entfernten, desto mehr schwanden diese Erinnerungen, und schließlich blieb Rhodan nichts mehr anderes übrig, als dafür zu sorgen, daß sie sich strikt geradeaus und nicht etwa in einer Kurve oder gar einem Kreis bewegten. Vielleicht hätten sie das Ziel trotzdem verfehlt; aber als sie etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, geschah etwas, womit Perry Rhodan nicht gerechnet hatte: Sie trafen auf eine Art Fahrweg, der die Siedlerstadt Greenwich mit dem Raumhafen des Stützpunktes verband. Der Weg schnitt die Richtung, in der Rhodan und seine Leidensgenossen sich bewegten, nahezu rechtwinklig. Das bewies, daß sie trotz) aller Vorsicht ganz gehörig vom rechten Kurs abgekommen waren, und warf die Schwierigkeit auf, ob sie den Weg nun nach rechts oder links einschlagen sollten. Perry Rhodan entschied sich für rechts, und ein paar Stunden später zeigte sich, daß er recht gehabt hatte. Mittlerweile war die Finsternis einem gelblichroten Halbdunkel gewichen. Der Kernbrand arbeitete sich von Westen her mit zunehmender Geschwindigkeit heran. Von dem Glutball der Raketenexplosion, die der Brand ausgelöst hatte, war längst nichts mehr zu sehen. Aber die gelbe Feuerwand begann nun durch den Qualm hindurchzuscheinen und zeichnete den westlichen Horizont als einen haardünnen Strich drohender, tödlicher Glut Sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren. Das Feuer bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von etwa fünf Kilometern pro Stunde, und wahrscheinlich gleichmäßig nach allen Seiten. Das hieß: Es würde Greenwich in kurzer Zeit, wahrscheinlich spätestens in zwei Stunden, erreicht haben. Die Meßgeräte besagten, daß die Radioaktivität auf ein Maß angestiegen war, das einen Ungeschützten binnen kürzester Zeit getötet hätte. Die Außentemperatur betrug im Augenblick siebzig Grad Celsius, und der Sturm hatte eine Stärke erreicht, die sich mit den auf übliche Windverhältnisse ausgelegten Meßgeräten nicht mehr erfassen ließ. Kriechend, mit den dicken Handschuhen sich am Boden festkrallend, drangen Perry Rhodan und seine Gefährten in die Siedlerstadt ein oder in das, was frühe r einmal die Siedlerstadt gewesen war. Die Häuser standen nicht mehr. Der Sturm hatte sie umgeworfen und mit sich gerissen. Zerbrochene Fundamente, an deren Kanten der Wind sich brach, kennzeichneten die Stellen, an denen früher die kleinen primitiven Fertigbauten der Siedler gestanden hatten. Die Straße war bedeckt mit Glassitscherben. Perry Rhodan hielt an und wandte sich vorsichtig um. Er wagte es nicht, den Kopf höher als eine Handspanne vom Boden zu heben. Das Gefühl, der Sturm hätte ihn sonst abgerissen, war eindringlich und überzeugend. "Wenn es noch Fahrzeuge gibt", stieß Rhodan hervor, "dann dort, wo das Rathaus gestanden hat oder am nördlichen Ortsausgang, längs des Flusses. Wir teilen uns also. Bully, du bleibst bei mir. Lloyd, Sie kriechen mit At lan zum Fluß. Und achtet darauf, daß ihr die Richtung nicht verliert!" Lloyd und der Arkonide, die am Schluß der Reihe krochen, waren in der Dämmerung kaum zu sehen. Sie gaben eine kurze Bestätigung und verschwanden gleich darauf in der Finsternis. Perry Rhodan und Reginald Bull machten sich auf den Weg zur ehemaligen Stadtmitte, wo die Siedler einst aus den Einzelteilen zweier Häuser ein großes gebaut und es "das Rathaus" genannt hatten. Der Weg war nicht länger als einhundert Meter; aber sie brauchten eine Viertelstunde dazu. Die Macht des Sturmes wuchs von Minute zu Minute - ein Zeichen dafür, mit welcher Geschwindigkeit der verzehrende Kernbrand sich der Stadt näherte. Perry Rhodan versuchte sich zu erinnern, an welcher Stelle etwa das Rathaus gelegen hatte. Er war nur zwei- oder dreimal in Greenwich gewesen, und jetzt, da die Häuser alle verschwunden waren, machte es Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Hoffentlich hat der Sturm nicht auch die Fahrzeuge weggeblasen, war Rhodans einziger Gedanke. Er kauerte sich in den Schutz eines Fundamentrestes, der nicht weiter als einen halben Meter in die Höhe ragte. Er richtete sich halbwegs auf und gab sich Mühe, die Lampe in Gang zu setzen, die in den Stirnteil seines Schutzhelms eingebaut war. Der helle Lichtstrahl schnitt einen weißen Streifen aus dem Halbdunkel. Auf der anderen Seite tauchten grauweiße Reste von Plastikgestein aus der Dämmerung. Der Schein der Lampe glitt weiter, spiegelte sich in den Glassitsplittern, die auf dem Boden lagen, und verschwand im wirbelnden Staub, als Rhodan den Kopf so weit gedreht hatte, daß er die Straße entlangblickte. Von einem Fahrzeug war keine Spur zu sehen. "Vielleicht sind wir noch nicht weit genug", sagte Bull. "Möglich", gab Rhodan kurz zurück. "Also weiter!" Er schal tete die Lampe aus und ließ sich wieder vornüberfallen. Vorsichtig schob er sich hinter der Deckung des Fundamentrests hervor, und in diesem Augenblick sah er es. Es war nicht mehr als ein Schatten, unwirklich im staubigen Halbdunkel, aber auffällig durch die Raschheit, mit der er sich bewegte, und durch die Richtung. Er bewegte sich dem Sturm entgegen. Es dauerte nicht länger als eine halbe Sekunde, dann war der Schatten verschwunden. Perry Rhodan preßte sich flach auf den Boden und hielt an. Reginald Bull schob sich gegen ihn. Er hatte den Schatten nicht bemerkt. "Da ist jemand vor uns", flüsterte Rhodan. "Atlan oder Lloyd?" gab Bull fragend zurück. "Unmöglich. Sie sind unten am Fluß!" Plötzlich hörte er Atlans Stimme. "Was gibt es bei euch?" fragte der Arkonide. "Ich habe meinen Namen gehört." "Wo bist du, um Himmels willen?" stieß Rhodan hervor. "Unten am Fluß", antwortete der Arkonide. "Aber es gibt keinen Fluß mehr. Er ist ausgetrocknet." "Ist Lloyd bei dir?" Es hörte sich an, als müßte der Arkonide erst nach ihm suchen. "Lloyd? Sind Sie hier? Ja! Er liegt zwei Meter neben mir. Wir haben noch nichts..." "Hört gut zu!" unterbrach ihn Rhodan drängend. "Jemand ist noch außer uns in der Stadt. Ich habe seinen Schatten gesehen! Nehmt euch in acht! Wenn es einer von unseren Leuten wäre, hätte er unser Gespräch gehört und sich längst gemeldet ..." "Vorausgesetzt, er trägt einen Schutzanzug!" "Wenn er keinen trüge, wäre er längst nicht mehr am Leben. Es muß ein Fremder sein." Atlan schwieg einen Augenblick. "Na schön, und was jetzt?" fragte er dann ruhig. "Wir suchen weiter", entschied Rhodan. "Haltet die Waffen in der Hand und schießt, wenn ihr etwas seht." "In Ordnung", antwortete der Arkonide. In diesem Augenblick meldete sich Fellmer Lloyd. "Ich kann aber nichts spüren, Sir", behauptete er. "Wenn jemand in der Stadt ist, sollte ich ihn ausmachen können." "Nicht, wenn er selbst ein Telepath ist oder ein Robot", gab Rhodan zu bedenken. "Verlassen Sie sich lieber nicht allzusehr auf Ihre Begabun g." "Verstehe, Sir", antwortete Fellmer Lloyd. "Lieber auf meine Zielsicherheit!" Perry Rhodan lächelte vor sich hin. Wenn sie noch schlagfertige Bemerkungen machen konnten, dann war noch nicht alles verloren. Er sah sich nach Reginald Bull um, und der Atem setzte ihm aus, als er entdeckte, daß Bull verschwunden war. Er wurde zornig. Der Narr! Wie konnte er sich in einer Lage wie dieser alleine davonmachen! "Bully, du Narr!" zischte Rhodan. "Komm sofort zurück!" Eine Zeitlang kam keine Antwort. Panik stieg in Rhodan auf. Der Schatten hatte er Reginald Bull mitgenommen? "Bully!" rief Rhodan zum zweitenmal. "Wo steckst du?" Da - plötzlich kam eine schwache Antwort: "Perry! Hier! Hilfe!" Die Stimme klang schwach und kläglich, fast geflüstert. Perry Rhodan setzte sich in Bewegung. Bull konnte sich in den paar Augenblicken, in denen er sich mit Atlan und Lloyd unterhalten hatte, nicht mehr als zehn Meter entfernt haben. Er brauchte also nur die nächste Umgebung abzusuchen, um ihn zu finden. "Hilfe...!" klang es ein zweites Mal mit erstickter Stimme. Der Sturm, dachte Rhodan. Er muß ihn weggerissen und irgendwo gegen eine Wand geschleudert haben. Er kroch über die Straße hinüber. In der Hast richtete er sich nur ein einziges. Mal zu weit auf, da packte ihn der Sturm und trieb ihn, Kopf voran, gegen ein niedriges Mauerstück auf der anderen Seite der Straße. Instinktiv riß er die Arme hoch und fing den Aufprall ab. Stechender Schmerz fuhr ihm durch das linke Handgelenk bis hoch in den Arm hinauf. Durch den Zwischenfall hatte Perry Rhodan die Richtung verloren. "Bully?" rief er. "Hier!" kam die schwache Stimme. "Hilfe!" "Ich komme!" antwortete Rhodan. "Halt aus, Bully!" Er kroch über das Mauerstück hinweg, gegen das der Wind ihn geschleudert hatte, und mußte alle Kraft zusammennehmen, um nicht ein zweites Mal davongeblasen zu werden. Der linke Arm schmerzte fast unerträglich; aber der Schmerz machte ihn zornig, und der Zorn wiederum gab ihm neue Kraft. "Hier... Hilfe...!" flüsterte die Stimme und stachelte Perry Rhodan zu neuer Leistung an. Er befand sich jetzt hinter dem Mauerstück und hatte wenigstens für ein paar Sekunden nichts mehr mit dem Sturm zu schaffen. Er wollte sich aufrichten und die Lampe einschalten, als die Stimme sich von neuem meldete: "Perry... hier! Hilfe...!" Rhodan horchte auf. Die Stimme schien nähergekommen zu sein. Reginald Bull bewegte sich auf ihn zu. Wenn er sich noch bewegen konnte, warum schrie er dann so jämmerlich um Hilfe? "Bully?" fragte Rhodan ungeduldig. "Was ist los?" Aber als Antwort kam nur das gewohnte: "Perry... hier... Hilfe...!" Rhodan blieb stehen und richtete sich in der Deckung der Mauer auf die Knie auf. Vor ihm in der Finsternis bewegte sich etwas. "Bully? Bist du das ...?" Als Antwort kam nur ein halb ersticktes Stöhnen. Perry Rhodan duckte sich. Er sah den Schatten vor sich größer werden. Über das gedrosselte Außenmikrophon hörte er das Heulen des Sturmes, der sich an einem neuen Hindernis brach. In diesem Augenblick erkannte Perry Rhodan, daß er in eine Falle gegangen war. Was da auf ihn zukam, das war nicht Reginald Bull. Das war ein Monstrum, dem es nichts ausmachte, mitten im glühend heißen Weltuntergangssturm aufrecht zu gehen und trotzdem auf den Beinen zu bleiben. Rhodan sah nicht mehr als einen verwaschenen, mindestens zweieinhalb Meter hohen Schatten; aber das genügte ihm. Der leichte, kleine Thermostrahler glitt ihm förmlich in die Hand. Er brauchte den Lauf nur um einen flachen Winkel nach oben zu drehen und abzudrücken. Er hatte die Entfernung überschätzt. Dicht vor ihm explodierte etwas mit berstendem Krachen. Perry Rhodan sah einen grellen Lichtblitz und spürte harte, schmerzende Schläge auf dem Körper, als die Bruchstücke der Explosion ihn trafen. Er wurde zurückgeschleudert, jenseits des Mauerrestes packte ihn der Sturm und trieb ihn ein Stück weit davon. Das war seine Rettung. Wenn er auch mit dem Schädel so hart gegen ein stehengebliebenes Fundament prallte, daß er für ein paar Minuten das Bewußtsein verlor, so entrann er dadurch doch der tödlichen Hitze, die das glühende Wrack des explodierten Monstrums ausstrahlte. Eine drängende Stimme brachte ihn wieder zu Bewußtsein. "Perry! Melde dich! Perry, was ist los? Was war das für ein Krach?" Atlans Stimme, Perry Rhodan richtete sich vorsichtig auf und sah sich um. Zehn Meter weit entfernt glühte ein rotes Feuer in der Dunkelheit. Benommen und voller Schreck glaubte er zuerst, der Kernbrand hätte die Stadt in der Zwischenzeit erreicht. Dann erinnerte er sich an das Monstrum, auf das er geschossen hatte, und atmete erleichtert auf. Zu dem Schmerz im linken Arm kam nun ein rumorendes Bohren im Schädel; aber die Angst um Reginald Bull ließ ihn rasch alle Pein vergessen. Vorsichtig drehte er sich herum und kroch auf die Stelle zu, an der das Glühen allmählich dunkler wurde und erstarb. Unterwegs antwortete er Atlan. "Bei mir ist alles in Ordnung", erklärte er. "Die Arkoniden scheinen Roboter auf Gray Beast abgesetzt zu haben. Einer wollte mich in eine Falle locken, aber ich erkannte sie gerade noch rechtzeitig. Das war der Krach, den ihr gehört habt. Aber noch viel schlimmer: Bully ist verschwunden. Wahrscheinlich haben ihn die Robots auf dem Gewissen!" Über das gedämpfte Heulen des Sturmes hinweg hörte er den Arkoniden schwer atmen. "Ich weiß, daß ich dich nicht überzeugen kann, Barbar", antwortete Atlan ernst. "Aber das Kernfeuer wird die Stadt in zwanzig Minuten erreicht haben, früher, als wir dachten. Wir können es von hier aus deutlich sehen, und wenn du dir die Mühe machst, auf ein Thermometer zu sehen, wirst du es glauben. Wir haben in der Zwischenzeit einen alten Shift gefunden, den der Sturm übersehen hat. Dieser Shift ist voll flugtauglich. Er hat einen kräftigen Kursstabilisator, so daß ihm auch der Sturm nichts anhaben kann. Wir könnten dich also abholen und zusehen, daß wir so schnell wie möglich von hier wegkommen, aber ..." "Aber ist richtig, Admiral", antwortete Perry Rhodan grimmig. "Ich gehe von hier nicht früher fort, bis ich Bully gefunden habe. Er muß irgendwo in der Nähe sein. Wartet also noch zehn Minuten! Wenn ich ihn bis dahin nicht entdeckt habe, dann macht euch aus dem Staube! Niemand wird euch das übelnehmen." "Doch, Sir", antwortete Fellmer Lloyd prompt. "Ich selbst würde mir das übelnehmen." Plötzlich wurde er zornig. "Ich komme zu Ihnen rüber, Sir, und wenn Mr. Bull nicht gerade tot ist, dann werde ich ihn zehnmal schneller ausgemacht haben, als Sie das können. Wozu haben wir den Shift?" Im Hintergrund war plötzlich leises, spöttisches Gelächter. "Also schön, ihr Barbaren", sagte Atlan leise. "Alle für einen! Wir sind in zwei Minuten dort." Perry Rhodan atmete auf. Fellmer Lloyds Idee war die richtige gewesen. Wenn Reginald Bull in der Nähe und noch am Leben war, dann würde Lloyd, der Telepath, die Ausstrahlungen seines Gehirns wahrnehmen und ihn finden können. Er kroch weiter. Die rote Glut des explodierten Robots war inzwischen erloschen. Rhodan sah auf sein Thermometer; es zeigte knapp zweihundert Grad. Ein paarmal rief er Reginald Bulls Namen. Aber Bull meldete sich nicht. Er war also - im günstigsten Fall - bewußtlos. Das bedeutete: Es war nicht Bull gewesen, der vorhin um Hilfe gerufen hatte. Der Robot hatte gerufen. Ein Spezialrobot mit einem Programmteil, der die Kenntnis der englischen Sprac he umfaßte. Ein bitteres Grinsen verzog Rhodans Gesicht. Sie hatten an alles gedacht! Er schob sich dicht an dem Robot vorbei - oder vielmehr an dem, was die Explosion übriggelassen hatte. Jenseits des Robots gab es ein erstaunlich gut erhaltenes, langes Mauerstück. Rhodan benutzte es, um sich aufzurichten und den Strahl seiner Lampe durch das Halbdunkel spielen zu lassen. In diesem Augenblick sagte Fellmer Lloyds Stimme: "Wir sind gleich da, Sir! In fünf Minuten werden wir Mr. Bull gefunden haben." Es klang tröstend. Perry Rhodan lächelte und richtete den Strahl der Lampe auf einen Flecken, der sich glitzernd und schimmernd von seiner Umgebung abhob. "Überstürzen Sie sich nicht", antwortete er. "Ich habe Bull gefunden. Nach der Art zu urteilen, wie er daliegt, hat der Robot ihm einen Nervenschock verpaßt." Nachdem Major Brackett zehn Stunden gewartet hatte, ohne, daß sich etwas ereignete, gab er einen Notruf auf. Es war ein einziges Signal, einfach moduliert und auf wenige Nanosekunden Dauer gerafft. Nur ein terranischer Empfänger würde automatisch auf dieses Signal ansprechen. Ein Fremder tat es nur dann, wenn der Funker die Sendung zufällig hörte und ihr eine tiefere Bedeutung zumaß. Natürlich wußte Paul Brackett, daß diese Gefahr bestand. Zehntausende von arkonidischen Schiffen waren in diesem Sektor der Galaxis versammelt, und an Bord eines jeden Schiffes gab es mindestens einen Funker, der nach verdächtigen Sendezeichen horchte. Wenn Paul Brackett es trotzdem riskierte, ein Signal abzustrahlen, dann deswegen, weil er überzeugt war, daß sich auf Gray Beast inzwischen die Hölle aufgetan hatte, und weil er es für sinnlos hielt, mit der RIGEL noch weiter untätig zu warten. Das Signal wurde an vielen Stellen gleichzeitig empfangen. Die Schiffe der terranischen Flotte wurden auf den Notruf aufmerksam: Die DRUSUS hörte es. Und einige arkonidische Funker vernahmen es ebenfalls. Sie machten sich daran, den Kode zu finden, in dem das Signal abgefaßt war, und es auf seine ursprüngliche Länge zu dehnen. Dann versuchten sie, den Ort anzupeilen, von dem das Signal gekommen war. Das alles waren schwierige Dinge, und sie brauchten eine Reihe von Stunden dazu. Währenddessen hatte die DRUSUS sich zwar nicht gerührt, weil sie weiter auf Notrufe von Gray Beast warten wollte; aber von der wartenden terranischen Flotte hatten sich zwei Schlachtkreuzer gelöst und erreichten mit einer raschen Transition den Standort der RIGEL. Paul Brackett gab über Normalfunk einen kurzen Bericht über seine Lage. Er machte den Vorschlag, die Besatzung der RIGEL von den beiden zu Hilfe geeilten Schiffen aufnehmen zu lassen und die RIGEL selbst zu sprengen. Angesichts des Aufruhrs, in dem sich dieser Raumsektor befand, und der Tatsache, daß mit dem Auftauchen arkonidischer Schiffe, die den Notruf ebenfalls aufgefangen hatten, in jedem Augenblick gerechnet werden mußte, gab es keinen vernünftigeren Vorschlag als diesen. Eine Reparatur des lädierten Eigenfrequenzdämpfers war mit den Bordmitteln der Schiffe nicht möglich. Der Einbau eines neuen Dämpfers hätte wenigstens fünf Stunden in Anspruch genommen. Das Umschiffen der achthundertköpfigen Besatzung, die dererlei Dinge zur Genüge geübt hatte, würde dagegen nicht länger als anderthalb Stunden dauern. Paul Brackett gab die entsprechenden Befehle. Er selbst blieb bis zuletzt an Bord der RIGEL. Er schärfte die nuklearen Sprengkörper, die dazu ausersehen waren, das wertvolle Schiff nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen. Er tat es mit schweißfeuchten Händen und einem harten Klumpen in der Kehle. Er befehligte die RIGEL seit nicht mehr als sechs Monaten. Aber sie war sein Schiff. Als ein kleines Beiboot ihn an Bord des Schlachtkreuzers BILBAO brachte, sprach er kein Wort. Oberstleutnant Huyghens, Kommandant der BILBAO, war klug genug, um seinen Schmerz zu verstehen und nichts weiter zu tun, als Brackett stumm die Hand zu drücken. Den Untergang seines Schiffes erlebte Brackett nicht mehr als Augenzeuge. Die beiden Schlachtkreuzer starteten sofort, nachdem Brackett an Bord der BILBAO gekommen war. Andere aber sahen, was mit der RIGEL geschah. Arkonidische Schiffe tauchten aus dem Hyperraum auf, als die beiden terranischen Schlachtkreuzer eben verschwunden waren. Einer der Arkoniden hatte noch Zeit, längsseits zu gehen und eine Reihe von robotbemannten Beibooten auszuschleusen, um die RIGEL zu besetzen und in Obhut zu nehmen. Während die Roboter sich noch bemühten, die große Schiffsschleuse zu öffnen, explodierten die Bomben. In einem weißblauen Feuerball vergingen die RIGEL, die Roboter und das arkonidische Schiff. * Reginald Bull lebte, daran gab es keinen Zweifel. Aber er war stocksteif, und es kostete sie mehr Mühe, als sie sich jemals hätten vorstellen können, ihn ins Innere des Shifts zu schaffen. Der Sturm hatte eine unglaubliche Stärke erreicht. Die Helligkeit um sie herum wuchs stetig und rasch. Der westliche Himmel war ein einziges gelbes Leuchten, gegen das sich die traurigen Reste der Häuser, die zerfetzten Mauern und abgerissenen Fundamente grotesk abhöben. Ein einziges Mal nahm Perry Rhodan sich Zeit, auf das Armbandthermometer zu sehen. Die Außentemperatur war auf vierhundertunddreißig Grad gestiegen und stieg weiter mit einer Geschwindigkeit von etwa vier Grad pro zehn Sekunden. Die leistungsfähigen Klimaanlagen der Schutzanzüge begannen, mit Hochleistung zu arbeiten. Das Heulen des Sturms war untergegangen in einem unirdischen Donnern, das aus den Tiefen von Gray Beast zu kommen schien und den Boden vibrieren ließ. Sie erwarteten in jedem Augenblick, die Erde aufreißen und weißglühende Ströme von Magma daraus hervorbrechen zu sehen, und sie wußten genau, daß eine solche Katastrophe durchaus im Bereich des Möglichen lag. Der Kernbrand brachte bei Temperaturen von mehreren Millionen Grad die Atomkerne der Elemente zur Verschmelzung. Die bei der Fusion infolge des Massendefektes der verschmolzenen Kerne freiwerdende Energie erhöhte die Temperatur weiter und sorgte dafür, daß der Brand nicht erlosch. Für die Fusion von Atomkernen war eine große Vielfalt von Variationen zugelassen. Die Wirkung der Arkonbombe beschränkte sich nicht alleine darauf, Silizium mit Siliziumkernen, Natrium mit Natriumkernen oder Kalzium mit Kalziumkernen zusammenzuschweißen. Mit wenig geringerer Wahrscheinlichkeit war auch die Verschme lzung zweier verschiedener Kerne miteinander möglich, zum Beispiel die eines Silizium-Kerns mit einem Natriumkern. Immerhin breitete sich das Feuer in der Richtung am schnellsten aus, in der ihm die homogenste Fusionsmasse, also die einheitlichste, aus einem einzigen Element bestehende Materie, zur Verfügung stand. War das Feuer irgendwo im Westen zum Beispiel auf eine zutagetretende Kupferader gestoßen, die sich in östlicher Richtung unterirdisch fortsetzte, dann würde sich das Feuer an dieser Ader, also unterirdisch, mit höherer Geschwindigkeit entlangfressen als an dem inhomogenen Gemisch verschiedener Elemente an der Oberfläche. Es gab kein Zeichen, an dem man hätte erkennen können, ob der Kernbrand jetzt, in diesem Augenblick, schon unter ihren Füßen, unter den Fundamenten der ehemaligen Stadt Greenwich tobte. Erst, wenn das Feuer eine weniger stabile Bodenschicht erreichte, würde die ungeheure Hitze nach oben drängen, den Boden aufreißen und alles in die Höhe schleudern, was sich in der Tiefe an unvorstellbar heißen Reaktionsprodukten der Kernfusion angesammelt hatte. Der Shift stand draußen auf der Straße. Sie mußten Reginald Bull über den Mauerrest heben, hinter dem er gelegen hatte. Sie brauchten dazu eine Viertelstunde. Die Feuerwand im Westen stieg unaufhaltsam höher. Die Finsternis war längst strahlender Helligkeit gewichen. Aber der Wind blies jetzt böenartig, und jedesmal, wenn sie glaubten, es gäbe jetzt eine kleine Pause, packte er wieder zu und schleuderte sie zurück. Drüben, auf der anderen Seite der Straße, platzte eines der stehengebliebenen Fundamente mit lautem Knall auseinander. Heller Funkenregen sprühte nach allen Seiten. Fellmer Lloyd ging unwillkürlich in Deckung. Dabei ließ er Reginald Bull los, und Bull rutschte unter dem Druck des Sturms wieder bis zu der Mauer zurück, über die sie ihn eben gehoben hatten. Sie mußten zurück. Perry Rhodan spürte, wie ihm der Kopfschmerz den Schädel auseinanderzureißen drohte. Im linken Arm, den er sich beim Aufprall verstaucht hatte, tobten heiße Schmerzwellen und trieben ihm den Schweiß übers Gesicht. Die Lungen bekamen keine Luft mehr. Wenn er wie ein Erstickender den Mund öffnete, um sie vollzupumpen, fuhr ihm ein Stich durch die Brust, der ihn fast zur Raserei brachte. Er schrie vor sich hin, schalt Fellmer Lloyd einen Narren, weil er losgelassen hatte, und verfluchte ihn, weil er sich zu langsam bewegte. Aber Lloyd hörte nichts, weil er selbst ununterbrochen schrie. Selbst Atlan, der Arkonide, hatte seine Ruhe längst verloren. Mit arkonidischen Flüchen beantwortete er das Gefühl der Angst, das ihm nach der Kehle griff. Sie schafften es schließlich. Die Feuerwand hatte die Grenze der Stadt erreicht. Was an Plastikgestein den Sturm bisher überstanden hatte, zerfloß zu glühenden Bächen oder zerplatzte mit lautem Knall. Der Shift begann zu wanken. Mit einer letzten Anstrengung aller Kräfte rissen sie Reginald Bulls reglosen Körper vom Boden hoch und schoben ihn durch das offene Mannluk der kleinen Schleuse in das Innere des Fahrzeugs. Danach besaßen sie kaum mehr genug Energie, um selbst in die Schleuse zu steigen, sich dicht aneinanderzupressen, weil die Schleusenkammer nur für zwei, höchstens drei Mann gedacht war, und das Luk zu schließen. Viel zu langsam wurde die heiße Luft hinausgepumpt und durch frische, kühle aus dem Reservoir des Shifts ersetzt. Als das Grünlicht aufleuchtete, ließ Perry Rhodan sich einfach zur Seite fallen und schlug mit der rechten Schulter gegen das Innenschott. Das Schott riß auf, Rhodan stolperte in den Passagierraum, hielt sich mit letzter Kraft an der Lehne des Pilotensessels fest und zog sich auf den Sessel hinauf. Mit mechanischen Handbewegungen setzte er das Triebwerk in Gang. Willig gehorchte das Fahrzeug. Von einer Sekunde zur anderen wurden die glühenden Umrisse der Gebäudereste kleiner und verschwanden schließlich unter dem alles verdeckenden Teppich des Kernbrandes. Wie eine Maschine regulierte Perry Rhodan den Kurs des Shifts. Flughöhe: Maximal. Geschwindigkeit: Maximal. Richtung: Ost. Der Kursstabilisator arbeitete mit Höchstleistung. Die Geschwindigkeit des Weststurms nahm ab, je höher das Fahrzeug stieg. Dafür gab es nun eine Vertikalkomponente der Windgeschwindigkeit. Von der heißen Fläche des Kernbrandes stiegen die Luftmassen senkrecht nach oben. Perry Rhodan verzichtete darauf, diesen Einfluß vollständig auszugleichen. Er tat es nur soweit, daß der Shift eben noch dem Steuer sicher gehorchte. Was übrigblieb, nutzte er, um noch schneller zu steigen, als das Triebwerk alleine es fertiggebracht hätte. Nach zehn Minuten wußte er, daß sie in Sicherheit waren vorläufig! Die strahlende Fläche des Kernbrandes blieb im Westen zurück. Der Shift hatte eine Flughöhe von fünfzehn Kilometern erreicht, und in dieser Höhe lagen die Lufttemperaturen bislang nur wenige Grad über dem üblichen Wert. Die Sonne allerdings tauchte nicht mehr auf. Die entfesselten nuklearen Gewalten hatten Qualm- und Staubmassen hoch genug in die Atmosphäre geschleudert, um Gray Beast den Anblick der Sonne von nun an für immer zu verwehren von nun an bis in drei oder vier Tagen, wenn der ganze Planet für immer aufhören würde zu existieren. Zum erstenmal nahm Rhodan sich Zeit, sich nach den Gefährten umzusehen. Reginald Bull und Fellmer Lloyd lagen reglos auf dem Boden. Der Beschleunigungsschock, den der schwache Antigrav des Fahrzeugs nur ungenügend neutralisieren konnte, hatte den Mutanten anscheinend umgeworfen und unglücklich stürzen lassen. Atlan, dem Arkoniden, schien es ähnlich ergangen zu sein. Jetzt jedoch war er dabei, sich zwischen zwei Sitzbänken aufzurichten. Perry Rhodan sah ihn durch das verschmutzte Glassitfenster seines Helmes hindurch lächeln. Es war ein müdes Lächeln, die eingesunkenen, rotumränderten Augen nahmen kaum daran teil. "Haben wir es geschafft, Barbar?" fragte der Arkonide leise. Perry Rhodan nickte. Er wollte etwas antworten; aber die Stimme versagte ihm den Dienst. Er mußte ein paarmal heftig schlucken, die gequälte Lunge explodierte in einem minutenlangen Hustenanfall. Dann ging es wieder. Schmerzhaft noch, aber verständlich k amen die Worte: "Fürs erste, Admiral. Du weißt, daß wir es nie ganz geschafft haben, solange wie nicht von diesem Planeten loskommen." Atlan schob sich zwischen den Bänken nach vorne und setzte sich neben Rhodan in den Sessel des Kopiloten. "Ich habe über den arkonidischen Robot nachgedacht", sagte er. "Sicherlich war er nicht alleine." "Sicherlich nicht", gab Rhodan zu. Er war zu müde, um neugierig zu sein, worauf der Arkonide hinauswollte. "S}e sind ohne Zweifel mit einem raumtüchtigen Beiboot von einem der arkonidischen Schiffe gekommen, nicht wahr?" "Ohne Zweifel. Aber wir haben keine Zeit mehr gehabt, nach ihrem Beiboot zu suchen. Ganz abgesehen davon, daß sie sich wahrscheinlich schon früher davongemacht haben als wir." "Eben. Aber vielleicht suchen sie noch ein zweites Mal nach uns... an einer Stelle, von der das Kernfeuer noch weit entfernt ist." Perry Rhodan sah zur Seite und brachte ein schwaches Lächeln zuwege. "Dann allerdings, Admiral", antwortete er mit Nachdruck, "wollen wir uns rechtzeitig um ihr Beiboot kümmern." Atlan nickte nachdenklich. Als er nach einer Weile wieder zu sprechen begann, hatte seine Stimme einen anderen Klang. "Um zum Augenblick zurückzukommen", sagte er sachlich. "Was haben wir vor?" "Eine ganze Menge", antwortete Perry Rhodan. "Zuerst: Einen halbwegs sicheren Platz zu finden, auf dem wir wenigstens ein paar Stunden Ruhe haben." "Auf einer Insel", schlug Atlan vor. "Ich freue mich", erwiderte Perry Rhodan mit freundschaftlichem Spott, "daß unsere Beobachtungen auch in di esem Punkt übereinstimmen. Die Atmosphäre von Gray Beast ist an dem Kernbrand nicht beteiligt. Wir können infolgedessen als sicher annehmen, daß die Arkon-Bomben, die hier abgeworfen worden sind auf die Elemente der Ordnungszahlen sieben und acht, nämlich Stickstoff und Sauerstoff, nicht einwirken. Eine der üblichen Bombeneinstellungen ist die Nummer Zehn. Wenn alle Elemente zu reagieren beginnen, deren Ordnungszahl größer als zehn ist, dann reicht das vollständig aus, um den festen Kern einer Welt zu zerstören. Die Atmosphäre wird sozusagen automatisch vernichtet." Er sah Atlan an, und der Arkonide nickte beifällig. "Das bedeutet", nahm er den Faden auf, "daß Wasser, weil es sich aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff zusammensetzt, primär nicht in Mitleidenschaft gezogen wird." "Primär", wiederholte Perry Rhodan nachdrücklich. "Der Kernbrand kommt am Ufer eines Meeres nicht etwa zum Stillstand. Die Hitze am Rand des Feuerfeldes reicht aus, um das Wasser zu verdampfen und den Meeresgrund allmählich freizulegen. Aber der Prozeß wird gebremst. Durch das Meer hindurch breitet er sich um einen Faktor zehn langsamer aus als auf festem Land. Allerdings besteht für den, der sich auf einer Insel aufhält, außerdem noch die Gefahr, daß der Brand sich in der Zwisc henzeit unterseeisch bis zu seiner Insel vorgefressen hat und daß der Insulaner in Wirklichkeit auf einem potentiellen Plasmavulkan sitzt, anstatt in Sicherheit zu sein." "Ganz richtig", ergänzte Atlan. "Da wir aber gezwungen sind, selbst die kleinste Chan ce wahrzunehmen, werden wir bald auf einer Insel landen." "Wir werden ein paar Ortungen vornehmen", fuhr Rhodan fort, "um zu sehen, ob die Arkoniden noch da sind. Wenn nicht, dann geben wir Notsignale. Man wird uns innerhalb weniger Stunden abholen." "Und dann ...?" Die Frage hing eine Zeitlang drückend in der Luft. Trotz seiner Müdigkeit überhörte Perry Rhodan den eigenartigen Unterton nicht, der in Atlans Stimme schwang. "Und dann", antwortete er ruhig, "werden wir unsere Vorbereitungen für den Angriff au f Arkon fortsetzen." Er fügte hinzu: "Ich denke nicht an Rache. Dies hier ist keine persönliche Angelegenheit zwischen mir und dem Robot -Regenten. Es ist eine Frage der Existenz der Erde. Wir haben einen Stützpunkt und eine Menge guter Männer verloren, das ist, was sich in den vergangenen Stunden geändert hat. Nicht geändert hat sich hingegen die Notwendigkeit, den Regenten auf Arkon zur Räson zu bringen." Atlan starrte vor sich hin. Erst nach ein paar Minuten antwortete er: "Ich glaube, du hast recht, Barbar. Und ich bewundere deine Zähigkeit!" Der Shift bewegte sich mit einer Geschwindigkeit von fünfhundert Kilometern pro Stunde. Mehr leisteten die Triebwerke nicht. Ein Shift war ein Allzweck-Fahrzeug, das sich als Auto, Flugzeug, Boot und Unterseeboot in gleicher Weise verwenden ließ. Er war vorgesehen für Expeditionen, die sich nach der Landung eines Raumschiffes auf einem fremden Planeten das Gelände nicht aussuchen konnten, auf dem sie sich bewegen wollten. Die Konstrukteure hatten nicht die Absicht gehabt, ihn als Rennfahrzeug zu gestalten. Die vier Flüchtlinge, zwei davon immer noch bewußtlos, brauchten also knapp drei Stunden, um die vom Stützpunkt etwa vierzehnhundert Kilometer entfernte Ostküste des Kontinents zu erreichen. Der Ostküste war, durch einen Meeresarm achtzig Kilometer von ihr getrennt, eine schmale, von Süden her heraufziehende Halbinsel vorgelagert. Jenseits der Halbinsel begann der große Zentralozean, der an dieser Stelle eine Breite von nahezu siebentausend Kilometern besaß. In den Ozean gestreut lagen Hunderte von kleinen und winzigen Inseln. Perry Rhodan hatte als geeignete eine ausgesucht, die die Breite des Zentralozeans etwa halbierte. Während des Fluges über den östlichen Teil des Kontinents hatten sie das Ausmaß der Katastrophe, die der arkonidische Angriff über Gray Beast gebracht hatte, voll erkannt Sie hatten die Brandflächen fünf verschiedener Arkonbomben überflogen. Die Welt stand im Aufruhr. An verschiedenen Stellen hatte sich der Kernbrand schon tief ins Innere des Planeten gefressen und war an anderer Stelle mit der vereinigten Wucht von zehntausend Vulkanen wieder zum Vorschein gekommen. Säulen weißglühenden Plasmas stiegen von den Eruptionsstellen in die Höhe und verbreiteten sich an der Stratosphärengrenze zu gigantischen Pilzen. Meere glutflüssigen Gesteins bedeckten die Oberfläche des Planeten, wo am Tag zuvor noch dampfender, grüner Dschungel gestanden hatte. Die Flüsse waren verschwunden. Gewundene Wände weißen Dampfes kennzeichneten den Lauf, den sie früher genommen hatten. Die Außenmikrophone des Shifts übertrugen das unaufhörliche, mörderische Knallen, Prasseln, Zischen und Brodeln des Weltuntergangs, der sich anschickte, einen ganzen Planeten in wenigen Tagen zu verschlingen. Von dem Schmerz, der Furcht und der Panik, die die Tiere dieser Welt in diesen Stunden erduldeten, drang kein Zeichen bis in die Höhe, in der der Shift sich bewegte. Die Phantasie der Menschen, die hoch über dem Toben der Elemente sich in Sicherheit zu bringen suchten, reichte nicht aus, um si ch das Elend auszumalen, das über Gray Beast gekommen war. Gegen Sonnenuntergang erreichten sie die Küste. Sie wußten, daß es Zeit war für die Sonne unterzugehen. Sie sahen sie nicht. Kurz nach dem Überfliegen der Halbinsel kam Fellmer Lloyd wieder zu sich. Er klagte über Kopfschmerzen. Perry Rhodan schickte ihn nach dem Medikamentenkasten. Rhodan selbst konnte Tabletten gebrauchen. Sein Kopf war nicht besser dran als der Fellmer Lloyds, und der Schmerz im linken Arm war so gewachsen, daß er die Hand kaum mehr benutzen konnte. Eine Stunde später kam auch Reginald Bull wieder zu sich, nachdem der Körper die schlimmsten Folgen des Nervenschocks überwunden hatte. Er tat es auf die übliche, trocken -dramatische Weise. Er richtete sich halb auf, stöhnte und beklagte sich schließlich: "Was ist das für ein Hospital, in dem man die Patienten auf dem Boden liegen läßt?" 3. Die Ausbreitung hyperelektromagnetischer Wechselfelder, wie sie sich der zeitverlustfreie Funkverkehr durch die unermeßlichen Weiten des Weltraums zunutze macht, ist ein Schulbeispiel für die Unanschaulichkeit der modernen Physik. Zwar lassen sich hyperelektromagnetische Schwingungsvorgänge mathematisch durch ähnliche Formeln darstellen wie die elektromagnetischen Vorgange der klassischen Elektrodynamik. Doch wohnen auch dieser schon eine Reihe unanschaulicher Züge inne, und die Hyperelektrodynamik hat, von einem Außenstehenden betrachtet, zunächst nichts weiter getan, als die Unanschaulichkeit zur Forderung zu erheben und die letzten Reste der Anschaulichkeit verschwinden zu lassen. Das menschliche Vorstellungsvermögen ist nicht dazu geeignet, sich das Bild eines Vektors zu machen, der sich in fünf achsengerechte Komponenten zerlegen läßt und seine Größe in einem fünfdimensionalen Raum periodisch verändert. Darüber hinaus bedarf es einer neuen physikalischen Theorie, um zu erklären, daß in diesem fünfdimensionalen Raum, Hyperraum genannt, die Beschränkungen der Relativitätsmechanik nicht mehr gelten und die ablaufende Zeit mit einem neuen Maßstab gemessen werden muß, was darauf hinausläuft, daß alle Vorgänge im Hyperraum sich unmeßbar viel schneller abspielen als im Normal- oder Einstein-Raum. Dieses Phänomen allerdings macht sich die Raumschiffahrt mit "Hypersprüngen" und "Transitionen" ebenso sehr zunutze wie die Hyperfunktechnik. Ansonsten - nicht nur, was die formelmäßige Darstellung anbelangt - haben die hyperelektromagnetischen Wellen, kurz Hyperwellen genannt, mit den elektromagnetischen manches gemeinsam. Wie für diese, gibt es auch für jene Materialien, die sie durchdringen, in denen sie absorbiert oder von denen sie reflektiert werden können. Obendrein wohnt den Hyperwellen, die für den üblichen Funkverkehr benutzt werden, soviel Energie inne wie etwa Röntgenwellen des elektromagnetischen Spektrums im Wellenlängenbereich zwischen zehn und hundert Angström-Einheiten. Diese Tatsache ermöglicht es der Hyperwelle, Wirkungen hervorzurufen, wie wir sie eben vom Röntgenlicht her schon kennen : Die Hyperwelle vermag zu ionisieren und anzuregen. Auf diesem Effekt basiert die hochentwickelte Hyperfunk-Peiltechnik. Man stelle sich eine Kugel aus einem Material vor, das Hyperwellen zu einem hohen Prozentsatz absorbiert. Man stelle sich die Kugel weiterhin so dick vor, daß selbst die energiereichste Hyperwelle nicht weiter als bis zum Kugelmittelpunkt vorzudringen vermag. Dann hat man eine Hyperfunk-Peilantenne. Die Kugel ist in Tausende von winzig schmalen Kugelsektoren unterteilt, Kegeln also, deren Spitze im Kugelmittelpunkt, deren Basis in der Kugeloberfläche liegen. Das verleiht der Kugelantenne die facettierte Oberfläche. Die schmalen Kegel sind, um bei einem gewohnten Bild zu bleiben, nichts weiter als aus fester Materie bestehende Ionisationskammern. Die von einer auffallenden Hyperwelle erzeugte Ionisation kann gemessen werden. Gemessen werden kann ebenso die Richtung, aus der die Welle einläuft. Bestimmt werden kann überdies - wenn der Peiler den komplizierten mathematischen Zusammenhang von ausgestrahlter Leistung, aufgefangener Leistung, Wellenwiderstand des Vakuums und aller sonstigen Materie, die zwischen Sender und Empfänger liegt, beherrscht - die Entfernung zwischen Sender und Empfänger, so daß also schließlich alle Bestimmungsstücke vorhanden sind, die der Peiler braucht, um den Sender ausfindig zu machen: die beiden Winkelkoordinaten in Theta und Phi und der Betrag des Radiusvektors. Der Peiler allerdings hat trotzdem noch Sorgen. Wie alle Messungen ist auch die Anmessung eines Senders mit einem unvermeidlichen, vom Auflösungsvermögen der Apparatur herrührenden Fehler verbunden, der "Unsicherheit", wie der Peiler sie nennt. Bezeichnet man den Abstand von Sender und Peiler mit r, dann wächst die Unsicherheit nach einer Faustregel der Funker mit er 1.6. Das bedeutet: Kann ein Peiler aus einer Entfernung von einem Lichtjahr den Standort eines Senders genau angeben, dann wächst die Unsicherheit bei einem Abstand von zehn Lichtjahren auf plusminus vierzigtausend Kilometer, bei einem Abstand von hundert Lichtjahren auf plusminus eine Million sechshunderttausend Kilometer. Da das zu durchsuchende Volumen der dritten Potenz der Unsicherheit proportional ist (man betrachtet die Unsicherheit als den Radius der Kugel, innerhalb deren nach dem Sender gesucht werden muß), wächst der zeitliche Aufwand, den ein Peiler betreiben muß, um wirklich die Hand an den Sender legen zu können, im Mittel mit r4,6. Um auch das am Zahlenbeispiel deutlich zu machen: Der Peiler, der aus einer Entfernung von einem Lichtjahr einen Sender ausgemacht hat, braucht im Mittel eine Minute, um ihn wirklich zu finden. Dabei ist der Anmarschweg nicht eingerechnet, nur die Suche im Zielgebiet. Dann benötigt der Peiler, der beim Auffangen des Signals zehn Lichtjahre entfernt war, statt dessen vierzigtausend Minuten, also rund achtundzwanzig Tage. Natürlich sind diese Angaben einseitig. Sie haben viele Voraussetzungen, wie zum Beispiel die, daß der Feuer in zehn Lichtjahren Abstand das gleiche Gerät wie der in einem Lichtjahr Abstand benutzt und nicht etwa ein besseres, was die Unsicherheit und die Suchzeit verringern, oder ein schlechteres, was sie erhöhen würde. Diese Dinge sind bei der praktischen Rechnung natürlich von spürbarem Einfluß. Was jedoch bleibt, ist die Tatsache, daß der weiter entfernte Peiler wesentlich größeren Aufwand betreiben muß, um einen einmal angepeilten Sender ausfindig zu machen, als der Peiler, der dem Sender im Augenblick der Peilung näher stand. Derlei Überlegungen sind nicht nur nützlich, um die Funkoffizier-Aspiranten der Raumfahrtakademie an den Umgang mit der Hyperfunktechnik zu gewöhnen, sie können - im entscheidenden Augenblick - auch die galaktische Geschichte in eine andere Bahn werfen. * Von oben sah die Insel auf dem Ultrarotschirm wie ein alter, an den Rändern aufgestülpter Pfannkuchen aus. Als der Shift sank, erkannte man, daß der aufgestülpte Rand eine rings um die Insel laufende Bergkette von durchschnittlich zweitausend Metern Höhe war. Es war die merkwürdigste Insel, die je einer der vier Insassen des Fahrzeugs in seinem Leben zu Gesicht bekommen hätte. Aber sie war für den Aufenthalt auf Gray Beast für die letzten Stunden vor dessen endgültigem Untergang denkbar geeignet. Das Randgebirge würde alle Springfluten abhalten, die vom aufgeregten Ozean her der Insel etwas anhaben wollten. Der Shift schien am Ende seiner Kräfte zu sein, als er sich auf die Pfannkucheninsel hinabsenkte. Während des ganzen, mehr als zehnstündigen Fluges hatte er für die Kursstabilisierung etwa zwanzigmal mehr Energie verbraucht als für das Triebwerk, und die Anzeigen auf Perry Rhodans Schaltpult wiesen darauf hin, daß die Reserven unter den gegenwärtigen Umständen höchstens noch für einen Flug über fünfzig Kilometer ausreichten. Davon abgesehen, fühlten sich die vier Insassen des Fahrzeugs wohler, als es den Umständen entsprach. Eine vor zwei Stunden vorgenommene Ortung hatte ergeben, daß sich wenigstens über dem Teil des Planeten, den die Ortergeräte erfaßten, keine arkonidischen Schiffe mehr befanden, allerdings auch kein terranisches. Der Feind war also abgezogen. Er hatte gesehen, was er mit seinen Bomben angerichtet hatte, und schien davon überzeugt zu sein, daß ihm die Welt Gray Beast niemals mehr bedrohlich werden könnte. Fellmer Lloyd hatte den Medikamentenkasten ausgeleert und für jeden etwas gefunden: für sich selbst, Atlan und Perry Rhodan ein schmerzstillendes Mittel und für Reginald Bull ein Präparat, das die Überreste des Nervenschocks aus den schmerzenden Gliedern vertrieb. Sie fieberten dem Augenblick entgegen, in dem sie, von einem festen Standort auf der Insel aus, einen Notspruch aufgeben und von da an auf die Ankunft eines irdischen Schiffes warten konnten. Perry Rhodan setzte den Shift genau im Mittelpunkt der kreisförmigen Insel auf. Er blieb einen Augenblick ruhig sitzen, ließ den Blick über das unberührte Buschland gleiten, das den Inselkessel ausfüllte, und sah dann auf die Meßgeräte, die die Radioaktivität außerhalb des Shifts registrierten. Der Wert lag bei sechzig rem pro Stunde. Das war mehr, als ein vernünftiger Mann sich auch nur für ein paar Minuten zumutete. Rhodan schaltete seufzend die Ultrarotlampen aus. Der Bildschirm erlosch. Die kleine Kabine des Shifts schien von der finsteren Umwelt, in der der Weltuntergang tobte, völlig abgeschlossen. "Wir bleiben hier", entschied Rhodan. "Hat keinen Zweck, die Nase nach draußen zu stecken." Er gab Fellmer Lloyd einen Wink. Lloyd nahm die kleine Tragetasche auf, die er, bis Atlan und er den Shift fanden, getreulich über der Schulter getragen hatte, und stellte sie vor Perry Rhodan neben das Pult. Rhodan schlug den Plastikverschluß zurück und starrte ein paar Sekunden lang nachdenklich auf die kleine Schaltplatte, die darunter zum Vorschein kam. Was geschieht, wenn der Sender nicht mehr funktioniert? war das einzige, woran er in diesem Augenblick denken konnte. Dann hob er entschlossen die Hand und drückte auf den grünen Knopf in der rechten unteren Ecke der Platte. Augenblicklich leuchtete die in den Knopf eingelassene Kontrollampe auf, und das helle Singen, das das Gerät gleichzeitig von sich gab, erschien allen, die es hörten, das angenehmste Geräusch, das sie seit einem Tag vernommen hatten. Viel mehr war nicht zu tun. Da Perry Rhodan an Bord des Shifts keine Möglichkeit hatte, die Mikrokomantenne im Richtstrahlverfahren auf den Punkt auszurichten, an dem sich die terranische Flotte zum Angriff auf Arkon versammelt hatte, konnte er nur ein sich allseitig ausbreitendes Signal abgeben. Der Notruf war kodifiziert, und als besonderer Programmteil im Innern des Senders vorhanden. Ein zweiter Knopfdruck genügte, um den Ruf auszulösen und auf die Reise zu schicken. Es klickte leise, als Rhodan den Knopf drückte, und ein zweites Mal, als er ihn zurückspringen ließ. "Von jetzt an", sagte er dumpf, "dreißig bis achtzig Minuten. Dann sollten sie hier sein." * Andre Larchalle war ein junger Mann mit fest verankerten Minderwertigkeitskomplexen. Nach Ansicht seiner Lehrer war er beinahe ein Genie, nach seiner eigenen hatte er im Leben noch keine einzige echt e Leistung vollbracht außer der, daß er sein Leutnantspatent anstatt nach acht, schon nach sechs Semestern erhalten hatte. Andre Larchalle war wachhabender Offizier in einem der Funkräume der DRUSUS. Wie es seine Art war, bediente er selbst ein Gerät, anstatt sich in den bequemen Sessel des Wachoffiziers zurückzuziehen und zu warten, bis seine Runde herum war. Als das Signal einlief, war Andre Larchalle mit einem einzigen Satz auf den Beinen. Noch bevor der grauhaarige Sergeant, der an den Auswertegeräten drei Plätze weiter saß, überhaupt bemerkt hatte, daß etwas geschehen war, stand Andre Larchalle schon hinter ihm und fauchte: "Los! Worauf warten Sie noch! Was sagt die Auswertung?" Mißmutig starrte der Sergeant auf die Geräte. "Was sagt die Auswertung wozu. Sir?" fragte er ruhig. Im selben Augenblick leuchtete eine Reihe Lampen vor ihm auf. "Dazu." antwortete Larchalle giftig. "Machen Sie schnell! Vielleicht ist es das Signal von Gray Beast!" Das Signal. Es konnte nur ein einziges geben: Hilfe! Abholen! Seit mehr als einem halben Tag wartete die ganze DRUSUS auf dieses eine Signal. Der grauhaarige Sergeant brauchte nicht mehr als eine Sekunde, um von schläfriger Behaglichkeit auf höchste Aktivität umzuschalten. Erstaunlich schnell glitten die Finger über die Reihen der Befehlstasten. Im Innern des Pults, vor dem er saß, entstand ein rasselndes und klickendes Geräusch. Ein kleines positronisches Rechenaggregat war dabei, die von der Kugelantenne gelieferten Daten zu verarbeiten und die notwendigen Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Dann hatte die Positronik die Daten. Andre Larchalle riß dem grauhaarigen Sergeant den Resultatstreifen ungeduldig aus der Hand und lief drei Plätze weiter, um den Streifen einem jungen Korporal zu geben. Mit flinken Fingern schob dieser den Streifen in den schmalen Schlitz eines kleinen Kastens, der fest angeschraubt vor ihm auf dem Pult stand. Dann drückte er ein paar Schalter, die unterhalb des Kastens in der Pultplatte selbst angebracht waren, und lehnte sich zurück. "Wie lange braucht das Ding?" fragte Larchalle. Die Frage war völlig überflüssig; er kannte die Antwort selbst: Zwischen zehn und zweitausend Minuten, je nachdem, wie gut der Katalogteil war, zu dem die von der Auswertung ermittelten Daten gehörten. Andre Larchalle kehrte zu seinem Platz zurück und zwang sich zur Ruhe. Er überlegte sich, ob er den Kommandostand benachrichtigen solle - noch bevor der Ausgangspunkt des Signals feststand. Er war schon dabei, den Rufknopf des Interkoms zu drücken, da überlegte er es sich noch einmal. In diesem Augenblick ertönte das Klingelzeichen. Mit einem Satz war er bei dem jungen Korporal und riß ihm die auf Plastik gedruckte Antwort der Katalog-Positronik aus der Hand. Auf dem kleinen Blatt standen nur wenige Zeichen. Sie besagten: Myrtha-System, Umlauf VII, plus/minus 1225000 M. Jetzt, da Andre Larchalle das Ergebnis in den Händen hielt und sah, daß es das war, das er sich gewünscht hatte, fiel plötzlich alle Erregung von ihm ab. Er blickte sich um, und seine Männer, die ihn erwartungsvoll anschauten, sahen, daß seine Augen leuchteten. "Wir haben sie, Leute!" verkündete Larchalle. "Auf Gray Beast lebt noch jemand." Dann kehrte er zu seinem Platz zurück und benachrichtigte den Kommandostand. * Der Boden vibrierte auch hier. Der Sturm jedoch besaß innerhalb des Bergringes nur noch einen Bruchteil der Gewalt, mit der er draußen Unheil stiftete. Sie hatten den Shift verlassen und waren in die Dunkelheit hinausgegangen. Wenn das Raumschiff kam, dann waren sie zu Fuß schneller an Bord, als wenn sie den Shift in die Schleuse zu bugsieren versuchten. Fünfzehn Minuten von der halben Stunde, nach der die Retter frühestens erscheinen konnten, waren vergangen. Sie hätten glücklich sein und sich über die bevorstehende Rettung freuen sollen; aber am Zittern des Bodens erkannten sie, daß der Kernbrand die Wurzel der Insel von unten her schon längst erfaßt hatte. Sie wußten nicht, ob ihnen das Unheil noch eine Viertelstunde Zeit lassen würde. Perry Rhodan hatte sich den Mikrokom umgehängt und den Empfänger durch eine Kontaktleitung an seinen Helm angeschlossen. Er wartete auf eine Antwort, obwohl er wußte, daß er keine bekommen würde, wenn der Kommandant des zu Hilfe eilenden Raumschiffes nicht gerade ein Narr war. In einer Lage wie dieser war selbst das Minimum an Funkverkehr schon Risiko genug. Trotzdem wartete Rhodan. Sie sprachen kaum miteinander. Sie hockten auf Felsbrocken, die über das Buschland verstreut lagen, hatten die Füße auf den Boden gestemmt und lauschten dem zitternden Dröhnen, das aus der Tiefe kam. Die Außentemperatur lag knapp unter dem Siedepunkt. Rhodan warf einen Blick auf die Uhr. Fünfundzwanzig Minuten waren bereits vergangen. In fünf Minuten würde er ein zweites Peilzeichen geben, damit das Schiff sich zurechtfand. Er ließ den Arm sinken und begann die Sekunden zu zählen. Er war bis zweiunddreißig gekommen, da packte von unten her etwas den Stein, auf dem er saß, und schleuderte ihn in die Höhe. Wie ein hart getretener Fußball flog Perry Rhodan davon. Undeutlich sah er die Schatten der Büsche rasend schnell auf sich zukommen. Er breitete die Arme aus, um den Sturz abzufangen. Krachend fiel er in ein Gewirr von Ästen, Zweigen und harten Blättern. Das bremste seinen Sturz. Rhodan riß den Busch, der ihn aufgefangen hatte, durch den Aufprall in zwei Stücke. Er war nur ein wenig benommen. Zwei Sekunden später stand er wieder auf den Beinen und versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung er gekommen war. Da zuckte greller Lichtschein auf und blendete ihn. Bruchteile von Sekunden später dröhnte der Donner einer gewaltigen Explosion in den Lautsprechern und brachte seine Ohren zum Singen. Er griff zum Helm und drosselte die Außenmikrophone. Eine harte Druckwelle fegte heran; aber im grellen Schein des gelben Lichts sah er die Büsche sich wie das Wasser eines Sees bewegen und ging rechtzeitig in Deckung. Etwas warf mit Steinen und Erdbrocken nach ihm und deckte ihn fast zu. Dornige Büsche schrammten über seinen Anzug. Etwas traf ihn hart an der linken Schulter und weckte den alten Schmerz. Perry Rhodan stemmte sich hoch und begann zu schreien. Er schrie die Namen der Gefährten, und von irgendwoher kam Antwort. Er verstand nicht, was sie riefen. Rechts, kaum einen Kilometer entfernt, stieg eine glühende Säule in den schwarzen Himmel. Röhrend und brausend, von der Gewalt Hunderttausender von Hitzegraden gepreßt, schossen Gas und Plasma in die Höhe, rissen die Erde weiter auf und schufen neue Öffnungen, aus denen andere feurige Ströme sich erhoben. Der Kernbrand hatte die Insel er reicht. Die Insel barst auseinander! Perry Rhodan blieb stehen, wo er stand. Es hatte keinen Sinn mehr. Es gab keine Rettung mehr. Irgend jemand schrie immer noch. Perry Rhodan achtete nicht mehr darauf. Das ist das Ende, alter Narr, dachte er grimmig. Du hast geglaubt, du könntest die Erde innerhalb von siebzig Jahren in die führende Macht der Milchstraße verwandeln. Hier hast du die Rechnung dafür. Du mußt sie bezahlen. Es gibt keinen Ausweg mehr. Er sah sich um, ruhig, beinahe lässig, wie er es sein ganzes Leben lang getan hatte. Aus der einen Plasmasäule, die den Untergang der Insel eingeleitet hatte, waren zwanzig, vierzig, hundert geworden. In der Mitte der Insel gab es noch einen länglichen, schmalen Fleck, der bisher von allem Unheil verschont geblieben war. Die Büsche brannten dort, aber der Boden schien ruhig zu sein. Sollte er dort hinüberlaufen und sein Leben um ein paar armselige Sekunden verlängern? Während er noch überlegte, sah er eine geduckte, rennende Gestalt zwischen den Büschen auftauchen. Sie bewegte sich in grotesker Weise, mit segelnden, vier Meter langen Sprüngen. Es war Bully - oder Atlan oder Lloyd. Er hatte den Antigrav eingeschaltet und verringerte dadurch sein Gewicht. Er lief auf die Stelle zu, die das Chaos bisher noch nicht err eicht hatte. Perry Rhodan wunderte sich darüber. Was für einen Sinn hatte es, um das Leben zu rennen, wenn das Leben so und so verloren war? Er kniff die Augen zusammen, damit ihn die Helligkeit nicht störte. Und in diesem Augenblick sah er es. Undeutlich, von unten her beleuchtet, schimmernd und gewaltig. Das Raumschiff! * Man hatte General Deringhouse nicht wecken müssen. Er hatte sich geschworen, jede Stunde wach zu sein, in der noch Hoffnung darauf bestand, jemand von Gray Beast zu retten. Conrad Deringhouse war selbst am Interkom gewesen, als Andre Larchalle seine Meldung machte. Mit der unnachahmlichen Geschwindigkeit, die seine Leute an ihm bewunderten, machte Deringhouse die DRUSUS aktionsbereit. Die DRUSUS nahm Höchstfahrt auf. Die Ortergeräte blieben ruhig. Es schien keine arkonidischen Schiffe mehr in der Nähe zu geben. Conrad Deringhouse allerdings war in seinem Beruf zu alt geworden, um auf den Anschein etwas zu geben. Er schärfte seinen Ortern höchste Wachsamkeit ein. Er wußte, wie schwer es war, im raschen Vorbeiflug ein Schiff zu orten, das ein paar Millionen Kilometer entfernt sich völlig ruhig verhielt, kein Triebwerk arbeiten ließ und keine Funkzeichen gab. Deringhouses Mißtrauen war es, das die DRUSUS vor dem Untergang bewahrte. Das riesige Schiff hatte sich Gray Beast bis auf zwei Millionen Kilometer genähert, als der schwarze Raum arkonidische Raumschiffe auszuspeien begann. Die Orter nahmen sie wahr, als sie in Richtung auf die DRUSUS beschleunigten. Wenige Minuten später waren sie bis auf Schußweite heran. Es war eine Flotte von rund hundert Einheiten. Conrad Deringhouse biß die Zähne zusammen und gab den Feuerbefehl. Wieviel Arkoniden ihm auch immer im Weg standen - er mußte nach Gray Beast! Perry Rhodan begann zu laufen. Er schaltete das kleine Antigrav-Aggregat an und spürte augenblicklich, wie sein Gewicht sich verringerte. Er stieß sich mit aller Kraft vom Boden ab, trieb in hohem Bogen über eine plötzlich sich öffnende, abgrundtiefe Spalte hinweg und landete erst wieder in fünf Meter Entfernung. Er machte einen zweiten Sprung, und einen dritten. Er setzte zum vierten an, als das Raumschiff seine hydraulischen Landebeine ausfuhr und sie fest in den schwankenden Boden drückte. Von links her kamen zwei weitere Gestalten, stolpernd und rennend. Gleichzeitig mit Perry Rhodan erreichten sie die kaum hundert Meter lange, ovale Stelle, die das Unheil bisher verschont hatte. Das Raumschiff war in der Mitte gelandet. Ein Schott der Fußschleuse glitt auf. Eine Öffnung von nicht mehr als zweimal zwei Metern; aber sie verhieß Rettung. Sie lag fünf Meter über dem Boden, viel zu weit, als, daß jemand sie mit einem Sprung hätte erreichen können. Der Mann, den Perry Rhodan als ersten hatte rennen sehen, stand mit ausgebreiteten Armen unterhalb der Schleuse und starrte zu ihr hinauf. Der Beginn eines Rollbandes erschien in der Öffnung, glitt heraus und sank nach unten. Als das Band den Boden erreichte, standen sie alle vier nebeneinander. Perry Rhodan, Atlan, Reginald Bull und Fellmer Lloyd. Plötzlich, nach all der Hast, hatten sie Zeit für einen kleinen, aufmunternden Blick füreinander. Die Rettung war da. Nacheinander traten sie auf das schmale Band, das sie mit nach oben nahm. Es trug sie durch die Schleusenöffnung und setzte sie drinnen ab. Dann kippte es nach oben und kam rasch hereingeglitten. Es verschwand in der Bodenrinne, die ihm als Ruheplatz diente. Das Außenschott der Schleuse schloß sich. Sie waren gerettet! Sie fielen einander in die Arme und stammelten sinnlose Worte. Sie hatten dem Tod im letzten Augenblick ein Schnippchen geschlagen. Es dauerte ein paar Minuten, bis der erste Ansturm der übermächtigen Freude verebbte und sie daran zu denken begannen, daß sie nicht den ganzen Flug des Schiffes in der Kammer der Fußschleuse verbringen wollten. Sie wollten zum Kommandostand hinaufgehen und dem Kommandanten, wer immer es auch war, erklären, wie dankbar sie ihm waren. Sie gingen auf das Innenschott zu und hatten es noch nicht erreicht, als es sich von selbst öffnete. Unter der Öffnung stand ein Monstrum von einem Robot. Er war zweieinhalb Meter hoch. Perry Rhodan, der vorderste in der Reihe, blieb wie angewurzelt stehen. Halb im Traum sah er, wie der Robot den scheußlichen Mund öffnete, und hörte die Worte der mechanischen, unpersönlichen Stimme, die auf arkonidisch sagte: "Sie sind willkommen an Bord der LAN-ZOUR, eines Schiffes Seiner Erhabenheit, des Regenten von Arkon!" Die DRUSUS bewegte sich mit hoher Beschleunigung durch die Reihen der von allen Seiten auf sie eindringenden Feindschiffe. Es gab aber unter den Arkoniden kein einziges Schiff von der Größe der DRUSUS, und das bedeutete, daß ein einzelner Arkonide der DRUSUS nichts anhaben konnte. Nur das vereinigte Feuer mehrerer Fahrzeuge wäre in der Lage gewesen, dem terranischen Flaggschiff Schaden zuzufügen. Die Prallschirme der DRUSUS leuchteten in einem nicht enden wollenden Gewitter aufgefangener Energieladungen; aber General Deringhouse und seine Leute gerieten kein einziges Mal ernstlich in Gefahr. Dafür vernichteten die exakt wie auf dem Schießstand arbeitenden Geschütztürme des Flaggschiffes mehr als zehn der gegnerischen Einheiten und beschädigten fünfundzwanzig so stark, daß sie aus eigener Kraft nicht einmal das Myrtha-System mehr würden verlassen können. Der wirks amste Schutz der DRUSUS lag in ihrer enorm hohen Geschwindigkeit. Conrad Deringhouse nahm keine Rücksicht mehr auf die Vorschriften, die für die Bewegung großer Raumschiffe innerhalb von Planetensystemen galten. Im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit seiner Aggregate holte er aus dem Triebwerk heraus, was es leisten konnte. Er hatte keine Sekunde zu verlieren. Gray Beast stand vor dem Auseinanderbersten. Die arkonidischen Schiffe dagegen wurden von Robotern gesteuert. Die Roboter hatten ihre Anweisungen, welche Manöver sie in der unmittelbaren Nähe eines großen Planeten riskieren konnten, und es lag außerhalb ihrer Macht, diese Anweisungen zu übersehen. So blieben die arkonidischen Einheiten um eine ganze Größenordnung langsamer als die DRUSUS, und den organischen Wesen, die die Schlacht überlebten, erschien sie später als der aussichtslose Kampf gegen ein feuerspeiendes Ungetüm, das Tod und Verderben brachte. Conrad Deringhouse nahm kaum wahr, daß der Beschuß nachließ und schließlich völlig aufhörte. Er war ständig mit der Funkzentrale verbunden und sah vor sich auf dem Bildschirm Andre Larchalles vor Eifer glühendes Gesicht, während sie beide darauf warteten, daß die Überlebenden auf Gray Beast ihr erstes Peilzeichen sendeten. Einer von Larchalles Funkern sendete pausenlos Aufforderungen über Telekom, Gray Beast sollte sich melden. Wenn es dort unten noch jemand gab, der ein Hyperfunkgerät besaß, dann mußte er die Aufforderung hören und darauf reagieren. Aber es war kaum vorstellbar, daß auf diesem glühenden Ball, der sich aufzublähen begonnen hatte, noch jemand am Leben sei. Während die DRUSUS mit aller Leistung ihrer Triebwerke abbremste, um nicht mit interstellarer Geschwindigkeit in die hocherhitzte Atmosphäre einzudringen, wurde das Ausmaß der Vernichtung deutlich. Noch gab es eine winzige Hoffnung, daß irgendwo dort in der Tiefe ein kleiner Rest festen Bodens geblieben war, auf dem jemand, mit einem Schutzanzug ausgerüstet, sich bisher hatte am Leben halten können. Aber die Funkempfänger blieben stumm. Auf weit außen liegenden Frequenzbereichen empfingen sie zwar eigentümliche Geräusche, wie sie noch nie gehört worden waren, hyperelektromagnetische Schockwellen, die ein explodierender Planet in den letzten Augenblicken emittierte, aber sie ergaben keinen Sinn. Sie stammten aus keinem von einem denkenden Wesen bedienten Sendegerät. Die DRUSUS drang in die glühenden Gasmassen ein. Mit heulenden Triebwerken pflügte sie durch das Chaos und hinterließ eine glühende Spur ionisierten Gases, das heller leuchtete als selbst die Plasmasäulen, die in die Höhe schossen. Conrad Deringhouse gab noch nicht auf. Irgendwo unter ihm waren vor vierzig oder fünfundvierzig Minuten noch Menschen am Leben gewesen und hatten um Hilfe gerufen. Fünfmal umrundete die DRUSUS den sterbenden Planeten, jedesmal unter einem anderen Winkel zur Polachse. Selbst wenn es dort unten einen Sender gab, der schon neunundneunzig Prozent seiner Sendeenergie verloren hatte, hätte die Funkzentrale ihn hören müssen. Aber sie hörten nichts. Conrad Deringhouse wollte zur sechsten Umrundung ansetzen, als Gray Beast auseinanderbarst. Die Geräte registrierten den plötzlich scharf ansteigenden Druck der Gasmassen. Deringhouse deutete das Anzeichen richtig und schaltete die Kursstabilisatoren aus. Die DRUSUS verließ die Kreisbahn, die sie bisher mit dreifacher Fluchtgeschwindigkeit beflogen und nur mit zusätzlicher Stabilisierung hatte innehalten können, und bewegte sich tangential von Gray Beast fort in den freien Raum hinaus. Die Gefechtswachen begannen wieder Ausschau nach den Arkoniden zu halten. Auf den Panoramaschirmen im Kommandostand sah man eine gewaltige gelbweiße Gasblase, die sich ständig vergrößerte. Rote Feuerzungen stachen aus der Tiefe des Gasmeers herauf, und der angeregte Wasserstoff der höchsten Atmosphäreschichten sandte sein helles Grün dazu. Andere Farben mischten sich hinein, und Gray Beast verging in märchenhafter Buntheit, die mit dieser Intensität noch keines Menschen Auge gesehen hatte. General Deringhouse befahl den Rückzug. Während Gray Beasts bunter Ball auf den Heckschirmen zusammenschrumpfte, erreichte das Schiff die Sprunggeschwindigkeit und entfernte sich mit einer Kurztransition aus dem System. An ihrem alten Warteplatz tauchte sie wieder im Einstein-Raum auf. Deringhouse befahl, das Schiff noch zwei Stunden lang auf Position zu halten. Er wollte sehen, was im Myrtha -System nun noch geschah. Er wußte, daß es keinen Zweck mehr hatte. Auf Gray Beast war niemand mehr am Leben, und was auch immer die Arkoniden von nun an dort oder in der Umgebung taten, war für ihn nicht mehr interessant. Im Kommandostand war es ruhig geworden nach dem stimmgewaltigen Durcheinander der unzähligen Befehle, die in der letzten Dreiviertelstunde gegeben worden waren. Deringhouses Offiziere wußten, daß sie eine Schlacht verloren hatten, obwohl mancher, von den Abschußziffern her zu urteilen, anderer Meinung sein mochte. 4. Reginald Bull war der erste, der etwas sagte. "Verdammt", brummte er. "Ich hätte es gleich merken müssen. Das Schiff hat keine zweihundert Meter Durchmesser und keine fünfhundert. Es ist ein Mittelding, wie wir es in der Flotte nicht haben." Der Robot wartete geduldig. Als ob das jetzt noch wichtig wäre, dachte Perry Rhodan müde. Er sah sich um. Fellmer Lloyd hatte die Augen auf den Boden gerichtet; aber Atlan erwiderte seinen Blick offen. Perry Rhodan brachte ein schwaches Lächeln zuwege. "Es sieht so aus", sagte er, "als würdest du deine Heimat bald wiedersehen." Atlan bewegte die Lippen kaum, als er antwortete: "Nicht, daß ich es mir in dieser Weise gewünscht hätte." Der Robot meldete sich wieder zu Wort. "Kommandant Lathon ist es eine Ehre, seine Gäste begrüßen zu dürfen." Das war eine Aufforderung zum Mitkommen. Perry Rhodan ging auf den Robot zu. Der wandte sich daraufhin um und schritt in den Gang hinein, der hinter dem Schleusen-Innenschott begann. Die "Gäste" folgten ihm. Nach den ersten Augenblicken der Erschütterung begann Perry Rhodans Verstand wieder auf Hochtouren zu arbeiten. Natürlich betrachteten die Arkoniden ihn und seine Begleiter als Gefangene. Die Frage war nur, was sie mit ihnen zu tun gedachten. Rhodan hielt es nicht für eine schlechte Idee, zunächst einmal unbefangen auf einer Überführung zum nächstgelegenen Raumhafen der terranischen Flotte zu bestehen. Der Krieg zwischen Arkon und Terra war nicht offiziell erklärt, und da nach arkonidischer Sitte eine solche Erklärung zur Fixierung des Kriegsgefangenenstatus ebenso unerläßlich war wie nach irdischer, war es sinnvoll, die Aktion gegen Gray Beast Kommandant Lathon gegenüber gar nicht zu erwähnen und wider besseren Wissens so zu tun, als sei gar nichts geschehen, als handele es sich nur um eine Aufnahme von Schiffbrüchigen. Mit einem Wort: Es war am besten, man stellte sich dumm. Der Kommandoraum der LAN-ZOUR war beinahe leer, nur zwei Männer saßen oder lagen halb in bequemen Gliedersesseln, und die mittelgroße, kreisrunde Halle machte, wenn man über die vielen Instrumente hinwegsah, den Eindruck eines Theaterfoyers in der Pause bei einer schlecht besuchten Vorstellung. Der eine der beiden Männer erhob sich aus halb liegender in eine aufrecht sitzende Stellung, als der Robot mit den vier Terranern den Raum betrat. Der Robot ließ seine Begleiter an sich vorbeitreten und meldete unbewegt: "Vier Überlebende von dem explodierenden Planeten, Herr." Der Mann im Sessel machte eine gelangweilte Handbewegung, die Verstehen, Zustimmung und Entlassung zugleich bedeutete. Der andere fand die Angelegenheit offenbar so wenig interessant, daß er sich nicht einmal umsah. Sie waren beide Arkoniden - mit aller Lethargie und Gelangweiltheit ihrer Spezies. Perry Rhodan warf Atlan einen verstohlenen Blick zu und sah, wie der Admiral das Gesicht verächtlich verzog. Sie hatten auf dem Weg zum Kommandostand ihre Schutzanzüge abgelegt und sie in der Nähe der Schleuse zur Dekontamination, also zum Entfernen radioaktiven Staubes, hinterlassen. Zum erstenmal seit vielen Stunden waren sie wieder in der Lage, sich frei zu bewegen, und diese Erleichterung alleine hob Mut und Tatkraft um ein Bedeutendes. Der Arkonide, der sich aufgerichtet hatte, musterte seine Gäste geraume Zeit. Der Robot verließ inzwischen den Kommandostand. Perry Rhodan suchte auf den Bildschirmen zu erkennen, was sich draußen im Raum abspielte; aber auf den Bildschirmen war von der Umwelt der LAN-ZOUR nichts zu sehen. "So", sagte Lathon schließlich auf arkonidisch, "da wären Sie also." Perry Rhodan sah zur Seite. Für derart tiefsinnige Gespräche war Reginald Bull zuständig, nicht er selbst. Bull verstand den Wink. Er nickte grimmig und bestätigte: "So, da wären wir tatsächlich. Vielen Dank für die Rettung!" Lathon winkte ab. "Auftrag", antwortete er müde. "Nichts als ein Auftrag. Ich sehe, einer von Ihnen ist Arkonide." "Da sehen Sie richtig", sagte Reginald Bull freundlich. "Ein Überbleibsel aus der Zeit, in der sich die Arkoniden noch umsehen konnten, ohne vor Schwäche dabei mit dem Hals zu wackeln." Wenn Lathon die Beleidigung verstand, dann beeindruckte sie ihn nicht. "Ihr Name?" fragte er, zu Atlan gewandt. Atlan biß die Zähne aufeinander und gab keine Antwort. Lathon störte dies nicht. Er richtete seine lethargisch anmutende Aufmerksamkeit wieder auf Reginald Bull. "Wohin werden Sie uns bringen?" wollte Bull wissen. Lathon hob die Hand und deutete matt auf den Bildschirm. "Wie soll ich das wissen?" Das verschlug Bull den Atem. Mit dem letzten Rest von Beherrschung zischte er: "Ich denke. Sie sind der Kommandant des Schiffes?" "Ja, natürlich. Bedeutet das, daß ich wissen müßte, wohin das Schiff fliegt?" Heiterkeit war ein wirksames Ventil für Reginald Bulls aufgestaute Erregung. Er lachte laut. Dann meinte er gemütlich: "Nein, eigentlich nicht. Sie haben natürlich völlig recht. Ich dachte nur, Sie wüßten es zufällig." Lathon machte ein Zeichen der Verneinung. Das Sprechen schien ihm Mühe zu machen; aber er fand die Unterhaltung offenbar interessant genug, um sich dieser Mühe zu unterziehen. "Wir könnten natürlich", schlug Lathon vor, "von der leitenden Positronik zu erfahren versuchen, wohin sie die LAN-ZOUR steuert. Aber ich weiß erstens nicht, ob sie diese Auskunft geben würde, und zweitens werden wir es doch ohnehin erfahren, wenn wir am Ziel sind, nicht wahr?" Reginald Bull nickte. "Natürlich. Ganz richtig." Und zu Perry Rhodan gewandt, fügte er auf englisch leise und zornig hinzu: "Sprich du mit dem Narren! Er bringt mich noch aus der Fassung!" Perry Rhodan wandte sich an Lathon. "Ich wäre Ihnen trotzdem dankbar, wenn Sie sich bei der Positronik erkundigen wollten", erklärte er dem Kommandanten. "Es würde uns Unbehagen bereiten, nicht zu wissen, wohin man uns bringt." "Ich werde Ihren Wunsch gerne erfüllen", antwortete Lathon. "Ich brauche nur einen Robot zu rufen, der die Positronik abfragt." Er drückte auf einen Knopf auf der Schaltleiste seines Sessels. "Es gibt noch ein paar andere Dinge, die ich gerne wissen möchte", fuhr Perry Rhodan fort. "Zum Beispiel: Was ist aus unseren Leuten geworden, die..." "Oooh!" unterbrach ihn Lathon klagend: "Ich fürchte, ich werde das nicht alles behalten können. Geben Sie die Fragen dem Robot dort auf." Er deutete zum Schott. Das hatte sich inzwischen geöffnet, und ein Roboter war eingetreten. "Ich bin bereit", erklärte er. "Fragen Sie!" forderte Lathon auf. "Er ist instruiert." Perry Rhodan ging systemati sch vor. "Erstens: Zum Zeitpunkt des Angriffs war der Stützpunkt Gray Beast mit einhundertundzweiundfünfzig Mann besetzt. Diese einhundertundzweiundfünfzig Mann haben versucht, sich mit leichten Transportschiffen von dem explodierenden Planeten zu retten. Ist über den Verbleib der Schiffe und Mannschaften etwas bekannt? Zweitens: Zwei Stunden nach Beginn des Angriffs wurden meine Gefährten und ich von einem arkonidischen Robot aufgehalten. Kam der Roboter von diesem Schiff, der LAN-ZOUR? Drittens: Wohin gedenkt man uns zu bringen? Viertens: Wir haben den Wunsch, nach einem kleinen Raumhafen der terranischen Flotte gebracht zu werden, dessen Koordinaten ich angeben kann. Ist dieser Wunsch erfüllbar? Danke - das ist alles. Bist du imstande, meine Fragen zu wiederholen?" Der Robot tat es. Dann durchquerte er mit schweren Schritten den Raum und nahm auf einem der Bedienungspulte eine Reihe von Schaltungen vor. Er schien mit der leitenden Positronik direkt verbunden zu sein; denn als er sich wieder umdrehte, um die Antworten zu geben, hatte Perry Rhodan und seine Gefährten kein anderes Geräusch als das Klicken der Schaltknöpfe gehört. "Frage eins", begann der Robot: "Fünfzehn terranische Transporter sind von arkonidischen Schiffen aufgebracht worden. Einhundertundvierunddreißig Terraner befinden sich als Gefangene in den Händen der arkonidischen Flotte. Frage zwei: Die LAN-ZOUR sandte drei Roboter auf den explodierenden Planeten, um etwaige Überlebende zu retten." Perry Rhodan lächelte grimmig, als er sich daran erinnerte, auf welchem Wege Reginald Bull gerettet" werden sollte. "Davon kehrten zwei Roboter zurück, der dritte meldete Totalausfall. Frage drei: Die LAN-ZOUR wird in wenigen Minuten am Ziel sein. Ansonsten keine Antwort. Frage vier: Der Wunsch ist nicht erfüllbar. Ende." Perry Rhodan hatte den Blick zu Boden gerichtet. Damit, daß er auf die vierte Frage ein glattes Nein bekommen würde, hatte er gerechnet. Was ihn bedrückte, war der Verlust von achtzehn Mann, denen es offenbar nicht mehr gelungen war, Gray Beast rechtzeitig zu verlassen. Er dachte an Mike Judson, den Kommandanten des Stützpunkts. Judson war nicht der Mann, der seine Stellung verließ, solange sich noch andere in Gefahr befanden. Mike Judson gehörte also zu den achtzehn, die auf Gray Beast den Tod gefunden hatten. Das schmerzte. Bitterer Grimm stieg in Rhodan auf. Der Regent hatte den Stützpunkt ohne Warnung angegriffen, weil er ihm im Wege lag oder er ihn für die Erde selbst hielt. Es hätte andere Wege gegeben, Gray Beast auszuschalten. Solche Wege, auf denen alle sich hätten retten können. Aber der Regent war mit der Seelenlosigkeit und Rücksichtslosigkeit einer Maschine zu Werk gegangen. Perry Rhodan sah auf. "Danke", antwortete er. "Das genügt mir." Der Robot stapfte hinaus. Das Schott hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, da öffnete es sich schon wieder und ließ einen anderen Robot herein. Er richtete seine Augen auf Lathon und meldete: "Wir sind am Ziel, Herr. Ein anderes Schiff übernimmt unsere Gäste. Es wird um Beeilung gebeten." Lathon winkte müde ab. "Immer diese lästige Eile!" Dann stand er auf. "Es tut mir leid", sagte er, "einen so interessanten Gast wie Sie, Perry Rhodan, so rasch wieder verlieren zu müssen" Rhodan zuckte bei der Nennung seines Namens überrascht zusammen. Bisher hat te er nicht gewußt, daß Lathon ihn kannte. "Ich wünsche Ihnen eine gute Reise", sagte Lathon zum Schluß. Es klang wie bitterer Hohn, aber es sollte keiner sein. Lathon meinte seine Worte ernst. Er war ein müder, alter Mann, der nichts von den Dingen wußte, die um ihn herum vorgingen. Er verneigte sich, und Perry Rhodan erwiderte den Gruß. Dann wandte er sich um und ließ sich von dem Robot hinausbringen. Sie kehrten zu der Schleuse zurück, durch die sie vor einer halben Stunde hereingekommen waren. Das Innenschott war geöffnet. In dem kleinen Schleusenraum standen zwei hochgewachsene Gestalten in Raumanzügen und machten ungeduldige Handbewegungen. Vier weitere Raumanzüge lagen in der Schleuse bereit. Perry Rhodan streifte einen davon über. Eine der beiden Ges talten deutete ungeduldig auf den Helm. Rhodan verstand: Er sollte die Helmfunkanlage einschalten. Er tat es, und sofort überfiel ihn ein Schwall arkonidischer Worte - in einem eigenartigen Dialekt gesprochen. "... mehr beeilen, zum Donnerwetter! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Draußen wimmelt es von Terranern. Los!" Aus einer Tasche seines Anzugs produzierte er eine kurzläufige Waffe und schwenkte sie hin und her. Rhodan versuchte zu begreifen, was hier vor sich ging. In der Nähe waren terranische Schiffe. Warum lud man sie dann ausgerechnet hier um? Wenn er jetzt einen Notruf gab, würden die Terraner sie dann aus dieser Klemme befreien können? Die Frage ließ sich nicht beantworten, solange er nicht einen Blick hinaus in den Raum geworfen hatte. Außerdem - der Mikrokom war mit den Schutzanzügen zur Dekontamination gebracht worden. Es war gewiß zwecklos, nach den Sachen zu fragen. Die Robots an Bord der LAN-ZOUR würden sie nicht mehr herausgeben. Perry Rhodan hatte den Raumanzug geschlossen. Atlan und Reginald Bull waren ebenfalls fertig. Nur Fellmer Lloyd hatte Mühe mit dem Ankleiden. Perry Rhodan half ihm. Dabei sah er durch die Helmscheibe, daß Lloyds Gesicht dunkel gerötet war und daß ihm der Schweiß in Bächen von der Stirn lief. "Irgend etwas nicht in Ordnung?" fragte er betroffen. "Weiß nicht, Sir", ächzte der Mutant. "Mir ist ziemlich unangenehm zumute." "Es sieht nach Fieber aus", murmelte Rhodan mehr zu sich selbst, und im gleichen Augenblick kam ihm der erschreckende Gedanke, daß Fellmer Lloyd zuviel radioaktiven Staub geschluckt haben könne. Bei Strahlungsdosen zwischen fünfzig und hundert rem trat unter gewissen Umständen rasch nach der Aufnahme der Dosis das sogenannte Gamma- oder Hundert-Rem-Fieber auf. Es führte nur in besonders schweren Fällen zum Tod; aber in jedem Fall war es eine langwierige, unangenehme Krankheit. "Beeilen Sie sich!" forderte er Lloyd auf. "Diese Leute scheinen etwas tatkräftiger zu sein als Lathon. Man wird Sie behandeln." Fellmer Lloyd hatte nicht einmal mehr genug Kraft, den Anzug zu schließen. Rhodan mußte es für ihn tun. "Fertig?" fragte einer der beiden Fremden. Rhodan nickte. Sie verstanden das Zeichen. Der Robot verschwand durch das Innenschott, und das Schott schloß sich. Gleich darauf schwang das äußere auf. Der Anblick war der gewohnte: Das Meer der Sterne, weitaus vielfältiger als am irdischen Himmel und zu einem Lichtteppich verwoben, der einzelne Punkte kaum mehr zu erkennen erlaubte. Mittendrin war ein kreisrundes Loch: Das Raumschiff der Fremden. Es war mindestens zehn Kilometer weit entfernt. An der Außenwand der LAN-ZOUR haftete ein kleines Beiboot. Unter der Aufsicht des Fremden bestiegen Rhodan und seine Gefährten das Boot. Einer der Fremden kletterte vor sie in den Pilotensitz, der andere nahm hinter den Terranern Platz. Voller Bedauern dachte Perry Rhodan an die Waffen, die sie aus dem Bunker auf Gray Beast mitgenommen hatten und die jetzt in ihren zurückgelassenen Schutzanzügen steckten. Es wäre eine tollkühne, aber erfolgversprechende Möglichkeit gewesen, das Beiboot in die Gewalt zu bringen und ... Das Boot ruckte an. Auf dem kleinen Bildschirm wurde die LAN-ZOUR rasch kleiner und war schließlich nur als ein ebenso finsteres Loch im Raum zu sehen wie zuvor das Schiff der Fremden. Dessen Metallwand wurde jetzt allmählich sichtbar und schimmerte matt im Licht der Sterne. Die Einschiffung verlief rasch und reibungslos. Die Fremden, wer auch immer sie waren, schienen vor der terranischen Flotte in der Tat großen Respekt zu haben. Die vier Terraner wurden durch einen Laufbandgang und einen Antigrav-Lift zum Kommandostand des Schiffes gebracht. Wenn das Schiff inzwischen Fahrt aufnahm, so merkte man nichts davon. Im Gegensatz zu dem der LAN-ZOUR war der Kommandant des fremden Fahrzeuges von fieberhafter Aktivität erfüllt. Es gab ein paar kleine, wieselflinke Roboter, die anscheinend Ordonnanzdienste leisteten; aber die organischen Wesen waren in der Überzahl. Jetzt, da Perry Rhodan sie so eifrig hantieren sah und miteinander sprechen hörte, fiel ihm plötzlich ein, woher er sie kannte und wer sie waren: Sie waren Ekhoniden, Bewohner des Planeten Ekhas irgendwo in der Tiefe der Galaxis. Sie waren Auswanderer der Früh- und Blütezeit des arkonidischen Imperiums, also selbst Arkoniden, und hatten die Lebenskraft ihrer Art bis in die Gegenwart bewahrt. Auf dem Panoramaschirm war der Weltraum in Bewegung. Dünne Farbschleier, die sich an den Rändern der Schirme ausbreiteten, bewiesen, daß das ekhonidische Schiff dabei war, in relativistische Geschwindigkeitsbereiche vorzustoßen - wahrscheinlich, um die Hyperfluggeschwindigkeit so rasch wie möglich zu erreichen. Von der LAN-ZOUR war nichts mehr zu sehen. Der größte Teil der Kommandostandbesatzung kümmerte sich nicht um die Terraner. Lediglich zwei Männer, unter ihnen, nach den Rangabzeichen zu urteilen, der Kommandant, traten auf Perry Rhodan und seine Gefährten zu. Sie sind meine Gefangenen", eröffnete der Kommandant die Unterhaltung. "Mit welchem Recht betrachten Sie uns als Gefangene?" fragte Perry Rhodan zurück. Er hatte den Helm inzwischen abgenommen und konnte frei sprechen. Der Kommandant lächelte spöttisch. "Ich habe Sie an ein bestimmtes Ziel zu bringen und dort abzuliefern. Dazu brauche ich nicht viel Recht. Die juristischen Probleme soll mein Auftraggeber erledigen." "Unser Freund, der Robot-Regent?" fragte Rhodan spöttisch. Der Kommandant zog die Brauen in die Höhe. "Ich bin nicht befugt, Auskünfte zu geben. Weder über den Grund, noch Ziel Ihrer Gefangennahme. Sie erhalten drei Mann und einen Robot als Bewachung. Geben Sie dem Robot Ihre Namen und sonstigen wichtigen Daten an, damit ich wenigstens weiß, wen ich an Bord habe. -Im übrigen werden wir in zwanzig Stunden am Ziel sein. Wenn Sie dann noch Fragen haben, können Sie si e dort stellen." Von irgendwoher marschierten drei Mann und ein Robot auf. Die Männer sahen ebenso finster drein wie der Robot. Perry Rhodan nahm das im Vorbeiblicken wahr. Etwas anderes beschäftigte ihn im Augenblick aber weitaus mehr: "Geben Sie Ihre Nam en an!" Bedeutete das, daß der Kommandant nicht wußte, wen er da als Gefangene an Bord hatte? Der Ekhonide wollte sich abwenden. "Einen Augenblick noch", hielt Rhodan ihn fest. "Sie wissen, daß ich gegen diese Behandlung bei der ersten sich bietenden Gelegenheit protestieren werde. Und Sie können sicher sein, daß Perry Rhodan dafür sorgen..." Der Ekhonide machte eine verächtliche Handbewegung. "Ach, Perry Rhodan!" sagte er wegwerfend. "Sie wissen noch nicht, daß er mitsamt seinem Stützpunkt explodiert ist?" Rhodan wußte, was in diesem Augenblick von ihm verlangt wurde; aber es fiel ihm schwer, in dieser Sekunde der Überraschung ein Gesicht zu machen, das alles notwendige Entsetzen zum Ausdruck brachte. "Rhodan...!" stieß er hervor. "Explodiert?" Dann lachte er gezwungen. Sie müssen sich schon etwas Besseres einfallen lassen, um uns einzuschüchtern." Es schien den Ekhoniden nicht zu interessieren. Er antwortete: "Glauben Sie, was Sie wollen. Es ist nicht meine Sache. Ich hole Sie irgendwo ab und bringe Sie irgendwo hin; das ist alles, was ich mit der Sache zu tun habe." "Das ändert nichts an der Tatsache", entgegnete Rhodan hart, "daß Ihre Handlungsweise einen galaktischen Rechtsbruch darstellt. Ich bin freier Terraner. Terra und Arkon befinden sich nicht im Kriegszustand miteinander, also hat kein Arkonide oder sonst wer das Recht, mich als Gefangenen zu behandeln." Der Ekhonide schien die Unterhaltung unerquicklich zu finden. "Verschwinden Sie jetzt", sagte er müde. Er wandte sich endgültig ab und kehrte zu seinem Posten zurück. Die Wächter zückten ihre Waffen. Der Ekhonide, der sie hereingebracht hatte, öffnete das Schott. In diesem Augenblick heulten die Alarmsirenen auf. Perry Rhodan blieb wie angewurzelt stehen. Das Geräusch durchfuhr ihn mit prickelnder Erregung. Alarm für die Ekhoniden bedeutete, daß terranische Schiffe in der Nähe waren. Ungeachtet der Waffen, die die Posten auf ihn richteten, drehte Rhodan sich um und sah auf den Bildschirm. Inder Mitte stand ein hel ler, blauweiß glühender Ball. Eine Bombe oder ein Schiff war irgendwo weit hinter dem ekhonidischen Fahrzeug explodiert. Die Sirenen verstummten, und das aufgeregte Gerede der Ekhoniden wurde verständlich. Peilergebnisse wurden angesagt. Perry Rhodan kannte das ekhonidische Koordinatensystem nicht, er konnte sich unter den Daten nichts vorstellen. Um so deutlicher aber verstand er, was geschehen war, als jemand lauthals schrie: "Das ist die LAN-ZOUR! Die Terraner haben sie erwischt!" Ja, dachte Rhodan der Entfernung nach könnte es die LAN-ZOUR sein. Währenddessen traf der ekhonidische Kommandant seine Anordnungen mit einer Ruhe, die Perry Rhodan zu bewundern gezwungen war. Das Schiff beschleunigte jetzt mit einem Zusatztriebwerk, um die Fluchtgeschwindigkeit schneller zu erreichen. Die Orter suchten fieberhaft nach weiteren Anzeichen für die Anwesenheit terranischer Schiffe, fanden jedoch keine, bevor ihr eigenes in , die Transition ging. Der Verzerrungsschmerz war kurz und nicht besonders kräftig. Perry Rhodan schätzte die Entfernung der beiden Sprungpunkte auf höchstens zehn Lichtjahre. Der Ekhonide, noch ein wenig benommen, schaute zu ihm herüber. "Wir sind den Terranern noch einmal entkommen", sagte er. Er schien nicht stolz zu sein. "Ich wollte nur, ich besäße ein einziges Mal ein Schiff, das groß genug ist, um ihnen Widerstand zu leisten!" Perry Rhodan nickte und wandte sich ab. Der Halbkreis der Bewacher schloß sich hinter ihm und seinen Gefährten und trieb sie durch das Schott hinaus. Während des kurzen Weges zu den Kabinen, in denen sie untergebracht werden sollten, dachte Perry Rhodan über die LAN-ZOUR nach. Er hatte einen Verdacht geschöpft, und je länger er sich damit beschäftigte, desto mehr wurde er zur Gewißheit. Lathon hatte gewußt, wer er war. Der Ekhonide wußte es nicht. Der Robot-Regent auf Arkon kannte die terranische Mentalität und mußte als geschickter Taktiker darauf bedacht sein, die Information von Perry Rhodans Gefangennahme für sich zu behalten. Er wußte, daß die Terraner Himmel und Hölle in Bewegung setzen würden, um ihren "Chef" wiederzubekommen, wenn sie erfuhren, daß er noch am Leben war. Blieben sie dagegen in dem Glauben, Rhodan sei tot, dann würden sie sich ruhig verhalten und obendrein noch ein paar Jahre brauchen, um die entstan dene Verwirrung zu beseitigen. Für den Robot-Regenten war es am besten, wenn niemand im ganzen Universum von Rhodans Gefangennahme wußte. Das warf ein besonderes Licht auf das Schicksal der LAN-ZOUR. Es hatte nicht vermieden werden können, daß Lathon von der Identität seines Gefangenen erfuhr. Aber es konnte vermieden werden, daß er seine Kenntnisse an einen Unberufenen weitervermittelte. Nicht terranische Schiffe hatte die LAN-ZOUR auf dem Gewissen. Der Regent selbst hatte der leitenden Positronik den Befehl gegeben, das Schiff und sich selbst in die Luft zu sprengen. * Nach mehrstündiger Wartezeit kehrte die DRUSUS unter Befehl von General Deringhouse an den Versammlungspunkt der terranischen Flotte zurück. Das Warten war vergebens gewesen. Gray Beast war verloren, Perry Rhodan tot. Die X-Zeit - der Augenblick, in dem der Angriff auf Arkon beginnen sollte war schon um sechs Stunden verstrichen. Conrad Deringhouse hatte seine Pläne schon fertig, als er zur wartenden Flotte zurückkehrte. An einen Angriff auf Arkon war nicht mehr zu denken. General Deringhouse gab Befehl zum Rückzug. Die Einheiten der Flotte wurden angewiesen, sich im Wega-System, knapp dreißig Lichtjahre von der Erde entfernt, wieder zu sammeln. Eines nach dem ändern oder in Gruppen von zweien und dreien, machten sich die Schiffe auf den Weg. Zehn Stunden nach Deringhouses Befehl war der Sektor, in dem Terras geballte Macht zum Schlag gegen Arkon hatte ausholen wollen, verlassen und leer. Nicht mehr als drei Schi ffe: ein Schlachtschiff und zwei schwere Kreuzer, hatte Conrad Deringhouse abgestellt, damit sie insgeheim und unbemerkt von den Arkoniden die Verbindung mit dem in der anderen Zeitebene gelegenen Stützpunkt Hades aufrechterhielten. * Der Robot notierte ihre Namen und ließ sich von da an nicht mehr sehen, obwohl die drei Wachtposten versicherten, er halte sich ständig in der Nähe auf. Natürlich hatten sie falsche Namen angegeben. Perry Rhodan nannte sich George Barrimore, Reginald Bull war Frederick O'Lannigan, Fellmer Lloyd hieß nun Walter Highman, und aus Atlan war Talan-Nuur geworden. Der Roboter hatte die fremden Laute als Impulszeichen auf eine Registrierkarte notiert, und damit war den Forderungen der Schiffsadministration Genüge getan. Man hatte den Gefangenen drei Kabinen zugewiesen. Die Kabinen standen untereinander in Verbindung, eine diente als Schlaf-, die andere als Wohnraum, die dritte enthielt eine kombinierte Bade- und Gymnastikanlage. Über mangelnden Komfort hatten sie sich also nicht zu beklagen, wenngleich der Komfort mehr symbolischer Art war; denn sie hatten keine Ahnung, wie sie all diese Vorzüge ekhonidischer Wohnkultur in den zwanzig Stunden ausnutzen sollten, die der Flug nach Angabe des Kommandanten noch dauern würde. Sie ermittelten sehr schnell, daß Wohn- und Schlafraum mit hoher Wahrscheinlichkeit keinerlei Abhörgeräte enthielten. Um jegliches Risiko auszuschalten, unterhielten sich die vier Gefangenen jedoch nur gedämpft, so daß Mikrophone, wenn doch welche da waren, nur undeutliches Gemurmel auffangen konnten. Bevor sie dazu kamen, über ihre Lage zu beratschlagen und Pläne zu entwickeln, wurde Fellmer Lloyd ohnmächtig. Perry Rhodan hatte ihn die ganze Zeit über mit Besorgnis beobachtet, jedoch nichts unternommen, da Lloyd behaupt ete, es gehe ihm schon besser. Rhodan benachrichtigte sofort die drei Wachposten, die draußen vor den Schotts auf dem Gang standen. Ein Arzt wurde gerufen. Perry Rhodan erklärte ihm, worauf Fellmer Lloyds Krankheit nach seiner Ansicht zurückzuführen sei, und die Diagnose des Arztes bestätigte seinen Verdacht. Lloyd litt an Gamma-Fieber. Er erhielt zwei Injektionen, und seine Gefährten wurden angewiesen, ihn im Bett zu halten und sofort Nachricht zu geben, wenn sich etwas an seinem Befinden ändern sollte. Danach waren die Gefangenen wieder alleine. Fellmer Lloyds plötzliche Erkrankung hatte sie sehr nachdenklich gestimmt. Es war schwer, sich vorzustellen, wie sie etwas gegen die erdrückende Übermacht der ekhonidischen Schiffsbesatzung unternehmen könnten, solange sie gleichzeitig auch noch auf Fellmer Lloyd aufpassen mußten. Außerdem ging ihnen mit Lloyd eine wichtige Waffe verloren. Lloyd war Orter und Telepath. Er konnte Gehirnwellenmuster erkennen, Emotionen voneinander unterscheiden und bis zu einem gewiss en Grad Gedanken lesen. Das hätte ihnen einen erheblichen Vorteil über die Ekhoniden verschafft, die weder solche Gaben noch äquivalente Geräte besaßen. Dieser Vorteil war nun dahin.. Als Atlan mit dem Nachdenken bis zu dieser Stelle vorgestoßen war, erklärte er: "Trotz alledem: Wir müssen etwas unternehmen. Ich glaube nicht, daß einer von uns daran zweifelt, daß der Ekhonide uns auf dem schnellsten Weg nach Arkon bringen soll. Die Fahrzeit stimmt mit dieser Vermutung überein. Ein normales Schiff braucht von Gray Beast bis nach Arkon zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig Stunde. Sind wir aber erst einmal auf Arkon, dann gibt es für uns keine Rettung mehr. Der Regent wird dafür sorgen, daß ihm seine Gefangenen nicht mehr entwischen können." Die Antwort war ein stummes Nicken. Perry Rhodan wußte ebenso gut wie Reginald Bull, daß Atlan nicht übertrieb. Die Landung auf Arkon bedeutete das Ende. Wenn etwas zu ihrer Rettung geschehen sollte, dann mußte es jetzt geschehen, hier, an Bord des ekhonidischen Schiffes. Welche Gedanken auch immer ihnen in den nächsten Minuten oder Stunden kommen würden, es schien von vornherein aussichtslos, gegen die Besatzung des Schiffes, mit einem Kranken belastet, um die Freiheit zu kämpfen. Lediglich einen Vorteil glaubte Perry Rhodan auf seiner und seiner Freunde Seite verbuchen zu dürfen : Der Regent auf Arkon legte Wert darauf, seine Gefangenen lebendig in die Hände zu bekommen. In dem Augenblick, in dem es darauf ankam, würden die Ekhoniden also zögern, anders als mit Schockwaffen auf ihre Gefangenen zu schießen. Und für den, der ein großes Unternehmen vorhat, ist die Hoffnung, daß er selbst bei einem Mißerfolg wahrscheinlich am Leben bleiben wird, schon ein mutspendender Trost. * Tausende von Lichtjahren entfernt, fast genau im ge ometrischen Zentrum des Kugelsternhaufens M13, war um diese Zeit der Regent von Arkon damit beschäftigt, die Informationen zu sortieren, die die Befragung einhundertundvierunddreißig terranischer Gefangener erbracht hatte. Der Regent hatte nicht gezögert, die Gefangenen mit den modernsten Mitteln der Psychophysik verhören zu lassen - in der weisen Erkenntnis, daß ein Terraner kaum bereit sein würde, wichtige Geheimnisse ohne Zwang zu verraten. Trotz der modernen Methoden war die Ausbeute dürftig. Der Regent erkannte, daß auf der Gegenseite für den Katastrophenfall, wie ihn die Einbringung einer großen Zahl von Gefangenen bedeutete, weitgehende Vorsorge getroffen worden war. In der Tat war das einzige, was der Regent mit Sicherheit erfahren konnte, folgendes:, daß es sich bei dem vernichteten Planeten nicht, wie er ursprünglich kalkuliert hatte, um Terra, die Heimatwelt der Terraner, sondern um einen vorgeschobenen Stützpunkt handelte. Aber selbst diese Information verlor dadurch erheblich an Wert, daß der Regent sie schon vor der Befragung der Gefangenen besessen hatte. Kurz vor Beginn des Bombardements hatten die arkonidischen Robotschiffe nämlich Aufnahmen von der Oberfläche des Planeten gemacht und - bis auf den eigentlichen Bereich des Stützpunkts - nirgendwo Zeichen von intelligentem Leben erkennen "können. Da niemand zu glauben vermochte, die Terraner hätten ihre Städte ohne Ausnahme unterirdisch angelegt, war damit schon der Beweis erbracht, daß jene Welt nicht mit Terra identisch war. Infolgedessen galt es nun herauszufinden, wo die Heimatwelt der Terraner wirklich zu suchen sei. Die Gefangenen wurden nach der Entfernung zwischen Terra und dem vernichteten Stützpunkt gefragt. Sie weigerten sich zunächst, überhaupt zu antworten, und als der Schmerz sie schließlich dazu zwang, nannten sie Zahlen von vierzigtausend bis herab zu zehn Lichtjahren. Der Psychodetektor wies nach, daß die Zahlen ohne Erinnerungsakt genannt worden waren, das heißt: Sie waren erfunden. Der Robot-Regent stand vor der verblüffenden Erkenntnis, daß Perry Rhodans Männer auf Gray Beast nicht wußten, wie weit sie dort von ihrer Heimat entfernt gewesen waren. Noch viel weniger vermochten sie über die Richtung auszusagen. Sie waren Techniker, wie man sie auf einem Flottenstützpunkt braucht, also Bodenpersonal. Keiner von ihnen verfügte auch nur über die geringsten galaktonautischen Kenntnisse. Also konnte auch keiner von ihnen die Winkelkoordinaten angeben, die die Richtung des Radiusvektors von Gray Beast nach Terra festgelegt hätten. Die letzte Frage des Verhörs zielte auf Einzelheiten des terranischen Sonnensystems. Der Robot- Regent war überzeugt, daß er Terra trotz aller Fehlschläge würde finden können, wenn das Terra-System zum Beispiel ein Riesensystem von mehr als hundert Planeten war oder wenn Terra selbst eine abnorm exzentrische Bahn um ihre Sonne beschrieb. Solche ausgefallenen Kennzeichen waren in den galaktischen Katalogen gesondert vermerkt, man hätte sie leicht herausfinden können. Bedauerlicherweise schien jedoch das Terra-System, nach den Aussagen der Gefangenen zu urteilen, ein Ausbund an Durchschnittlichkeit zu sein. Über die Ausmaße des Systems machten die Gefangenen abermals einander widersprechende Angaben. Ihre astronomischen Kenntnisse waren äußerst mangelhaft, und der Regent schloß daraus, daß sein Gegner Perry Rhodan sie absichtlich unwissend gehalten hatte. Den einzigen Erfolg, den der Regent bei der letzten Frage überhaupt errang, bedeutete die Information, daß einer der Planeten des Terra-Systems - ob es der fünfte oder sechste, siebte oder sogar achte sei, darüber waren sich die Gefangenen wiederum nicht einig - einen Ring besaß. Auch dieser Erfolg war jedoch nur ein relativer. Er reduzierte die Zahl der möglichen Systeme von mehreren Milliarden auf mehrere hundert Millionen. Jedes zehnte Planetensystem etwa besaß einen Ringplaneten. Der erste Versuch, etwas über die galaktische Position der Feindwelt zu erfahren, endete für den Regenten also mit einem Mißerfolg. Aber noch hatte der Regent seinen großen Trumpf nicht ausgespielt. Perry Rhodan selbst befand sich als Gefangener auf dem Weg nach Arkon. Wenn auch der Robot bezweifelte, daß ausgerechnet Rhodan selbst seine Heimatwelt verraten würde, so würde er doch, wenn man ihm auf Arkon ein gewisses Maß an Freiheit ließ, versuchen, sich mit seinen Leuten in Verbindung zu setzen, und dabei vielleicht wertvolle Hinweise liefern. Somit gelangte der Regent zu der Überzeugung, daß er völlig Herr der Lage sei. * Der Ekhonide hatte offenbar die Absicht, die Strecke nach Arkon in mehreren Transitionen zurückzulegen. Damit war, wenn man die Größe des Schiffes betrachtete, zu rechnen gewesen; aber erst der Verzerrungsschmerz und das daran anschließende, auf den Bildschirmen zu beobachtende Arbeiten der Triebwerke, die das Schiff zur zweiten Transition erneut beschleunigten, gab die Gewißheit. Die Gefangenen waren sich darüber im klaren, daß nur in den Pausen zwischen zwei Transitionen etwas unternommen werden könne. Hatte das Schiff erst den letzten Hypersprung hint er sich, dann war ihre Lage aussichtslos. Nach Länge und Stärke des Verzerrungsschmerzes schätzte Perry Rhodan die Weite der Transition übereinstimmend mit Atlan auf fünf - bis siebentausend Lichtjahre. Da die Entfernung zwischen Gray Beast und Arkon rund siebenunddreißigtausend Lichtjahre betrug und die Stelle, an der sie von der LAN-ZOUR auf das ekhonidische Schiff umgestiegen waren, nicht weiter als ein paar Lichtminuten von Gray Beast entfernt sein konnten, ließ sich ausrechnen, daß es auf dem Flug nach Arkon fünf bis acht Transitionen geben würde. Zwischen jeweils zwei Transitionen lag, der Leistung der Triebwerke entsprechend, eine Beschleunigungsphase von vierzig Minuten Dauer. In einer dieser Vierzig-Minuten-Phasen mußte es also geschehen ... * Zachan verfluchte den Dienst bei der Raumschiffahrt im allgemeinen und die Langeweile an Bord der KEENIAL im besonderen. Zachan war einer der drei Posten, die die vier terranischen Gefangenen bewachten. Zachan war gleichzeitig der einzige, der sich Gedanken darüber machte, warum einer der Terraner genauso aussah wie ein Arkonide. Zachan zerbrach sich den Kopf darüber, und am meisten wunderte es ihn, daß sonst an Bord der KEENIAL sich niemand für diesen wunderlichen Zufall interessierte. Zachan marschierte im Gang auf und ab. Die langläufige Schockwaffe trug er an einem Riemen über der Schulter. Er hatte sie auf den Rücken geschoben und umklammerte den Lauf mit den Händen, weil es sich so am besten Spazierengehen ließ. Denn mehr als ein Spazierengehen war es nicht, was Zachan und die beiden anderen Posten taten. Es war lächerlich, anzunehmen, daß die Terraner versuchen würden, sich gegen ihr Los aufzulehnen. Zachan ging zwanzig Schritte und machte dann eine schnelle Kehrtwendung. Seit drei Stunden war es sein einz iger Zeitvertreib, schnelle und exakte Kehrtwendungen zu machen. Auf dem Rückweg kam einer der beiden anderen Posten an ihm vorbei, ebenfalls auf dem Zwanzig-Schritt-Weg, der hüben und drüben in einer Kehrtwendung endete und von neuem begann. Zachan sagte ihm grinsend ein Schimpfwort, und der andere blieb die Antwort nicht schuldig. Olthaur, der dritte Mann, saß weiter hinten an einer Gangkreuzung auf einem Sessel. Zachan passierte die Tür, die zur Kabinenserie der Gefangenen führte, in demselben Augenblick, in dem der zweite Posten hinter ihm seine Kehrtwendung machte. Zachan sah rückwärts, um zu erkennen, ob der andere die Wendung ebenso gut beherrschte wie er selbst. Als er den Kopf wieder wandte, entdeckte er, daß die Tür sich um einen winzigen Spalt geöffnet hatte. In halber Höhe des Spalts steckte ein Stück glänzende Papierfolie. Mit zwei schnellen Schritten war Zachan bei der Tür. Er riß die Folie heraus, sah durch den Spalt hindurch die hochgewachsene Gestalt des Terraners, der wie ein Arkonide aussah, und hörte ihn flüstern: "Mach schnell! Und laß die anderen drei nichts merken!" Zachan stutzte. Die anderen drei! Hier draußen waren nur zwei. Er zerbrach sich eine Weile den Kopf und kam darauf, daß der Terraner, der wie ein Arkonide aussah, die anderen Gefangenen gemeint haben mußte. Inzwischen hatte sich die Tür wieder geschlossen. Zachan stand davor mit dem Zettel in der Hand. Der zweite Posten war aufmerksam geworden. Selbst Olthaur beugte sich auf seinem bequemen Sessel etwas nach vorne, um zu sehen, was da vor sich ging. Zachan öffnete den Zettel und sah, daß er mit vier Reihen Schriftzeichen beschrieben war. Die Zeichen waren arkonidisch, und da sich die ekhonidische Schrift der gleichen Symbole bediente, konnte Zachan sie mühelos lesen. "Habe dem Kornmandanten eine wichtige Mitteilung zu machen. Muß unter vier Augen mit ihm sprechen. Streng geheim. Die Terraner dürfen nichts davon merken. Talan-Nuur." Der zweite Posten sah Zachan über die Schulter. "Mach sofort Meldung!" zischte er. "Die Sache scheint wichtig!" 'Zachan war weniger vertrauensselig. Die Sache könnte auch ein Trick sein. Er zeigte Olthaur den Zettel. Olthaur studierte ihn mißtrauisch. "Ich mache lieber doch eine Meldung", erklärte Zachan plötzlich. "Das wird das beste sein", stimmte Ol thaur zu. Ein paar Meter weiter im Gang gab es eine Interkom -Sprechzelle. Während Olthaur auf seinem Sessel sitzen blieb und der zweite Posten, sichtlich nervös, seinen Gang wieder aufnahm, sprach Zachan mit dem Kommandostand. Er dämpfte seine Stimme, so daß in den Kabinen der Gefangenen nichts gehört werden konnte. Zachan war überrascht, daß man seine Meldung im Kommandostand so wichtig nahm, daß man ihn mit Kommandant Chouar selbst verband. Chouar hörte sich an, was Zachan zu sagen hatte. Dann versprach er, er werde ihm einen Offizier schicken, der Talan-Nuur abholen und nach vorne bringen sollte. Zachan war mit seinem Erfolg zufrieden. Der Offizier erschien nach wenigen Minuten. Er war ein sehr junger Mann, jünger als Zachan, und unbewaffnet. "Holen Sie Talan-Nuur heraus!" befahl er. "Er soll mit zum Kommandostand kommen. Sie werden mich begleiten. Ich habe keine Waffe." Wie unvorsichtig, dachte Zachan. Ich werde auf ihn aufpassen müssen. Dann öffnete er die Tür zu den Kabinen der Gefangenen und rief: "Der Kommandant wünscht Talan-Nuur zu sprechen!" Keiner der Fremden war im vordersten Raum. Auf Zachans Ruf erschienen sie jedoch bis auf den Kranken unter der Verbindungstür zum Nebenzimmer. Zachan wiederholte seine Aufforderung. Dabei beobachtete er die Gefangenen scharf, konnte jedoch nichts Verdächtiges feststellen. Er war jetzt tatsächlich überzeugt, daß Talan -Nuur etwas Wichtiges gegen seine Mitgefangenen auszusagen habe. Der Offizier hatte inzwischen Olthaur und den anderen Posten angewiesen, während Zachans Abwesenheit besonders wachsam zu sein. Zachan werde, so erklärte er, in Kürze zurückkommen. Dann machten sie sich auf den Weg zum Kommandostand. Der Offizier ging voran, Talan-Nuur hielt die Mitte, Zachan machte den Abschluß. Die Kabinen der Gefangenen lagen in einem Seitengang. Der Seitengang mündete nach wenigen Metern auf einen mit Laufbändern ausgelegten Hauptkorridor. Es war an dieser Einmündung, wo das Durcheinander begann so plötzlich, daß Zachan viel zu lange nicht verstand, was eigentlich geschehen war. Der Offizier verschwand um die Ecke, Talan-Nuur folgte ihm. Zachan gab sich Mühe, dicht aufzurücken, um den Gefangenen keine Sekunde aus den Augen zu verlieren. Im selben Augenblick jedoch, in dem er die Ecke umrunden wollte, erhob sich hinter ihm im Gang heftiger Lärm. Zachan blieb stehen und sah sich verwundert um. Die Tür zu den Kabinen der Gefangenen hatte sich geöffnet. Der größte der Terraner stand heftig gestikulierend unter der Öffnung. Olthaur und der zweite Wachposten hatten sich vor ihm aufgebaut und die Waffen auf ihn gerichtet. Den Terraner schien das wenig zu beeindrucken. Zachan wußte nicht, was da vor sich ging. Er erinnerte sich daran, daß es seine Aufgabe war, einen Gefangenen zum Kommandostand zu bringen, und nicht, auf Olthaur und den anderen Posten aufzupassen. Er riß sich also zusammen und wollte weitergehen. * Das war der Augenblick, auf den Atlan gewartet hatte. Vor ihm trat der junge Offizier ahnungslos auf das langsamste Laufband. Der Posten hinter ihm war noch von der Gangecke verborgen, und im Seitengang erhob sich, wie verabredet, Perry Rhodans protestierender Lärm. In der Gangwand, so nahe, daß Atlan nur die Hand auszustrecken brauchte, um es zu berühren, lag das kreisrunde Druckschott des Preßluftausstiegs. Als Perry Rhodans laute Stimme hörbar wurde, glitt Atlan zur Seite. Mit geübtem Griff brauchte er nicht mehr als eine Sekunde, um das Druckschott zu entriegeln und es zu öffnen. Der Preßluftschacht war als Notausstieg gedacht, und Notausstiege hatten einfach zu bedienende Verschlüsse. Als er das Schott aufriß, zischte es laut. Der junge Offizier, auf dem Laufband schon ein paar Meter weit entfernt, wurde darauf aufmerksam, daß hinter ihm etwas nicht stimmte. Er sah sich um und entdeckte den Arkoniden, wie er sich bückte und mit aller Hast in den Schacht hineinkletterte. Eine Sekunde lang war er stumm vor Schreck, und diese Sekunde genügte Atlan, um im Schacht zu verschwinden und das Schott hinter sich zu schließen. Grelles Licht war drinnen im Schacht auf geflammt. Schimmernd und glattwandig lag die lange Röhre vor dem Arkoniden. Von draußen war kein Laut mehr zu hören. Das Schott war druck- und schalldicht. Und vor allen Dingen : Es ließ sich nicht öffnen, solange sich jemand der Anlage bediente. Atlan kauerte sich auf den runden Boden der Röhre. Es war mehr als zehntausend Jahre her, seitdem er sich zum letztenmal auf diese wenig angenehme Weise aus dem Innern eines Schiffes entfernt hatte. Eine Sekunde lang befiel ihn drückend die Erinnerung an Tarts, den alten Haudegen, und die Art, wie er ihn, den Erhabenen, damals, als Atlantis unterging, durch den Preßluftschacht aus der angeschlagenen TOSOMA entfernt hatte. Eine Sekunde nur, dann schlug er mit der geballten Faust auf den roten Leuchtknopf links in der Schachtwand. Vorne in der Röhre wurde es laut. Gewaltige Pumpen sogen die Luft ab und erzielten ein Druckgefälle längs der Röhrenachse. Vom Schott her begann es zu zischen. Preßluft strömte ein und erhöhte den Druck am inneren Röhrenende. Heulender Sturm tobte um den Arkoniden herum, die Haare wirbelten ihm wild um den Kopf. Das Blut schoß ihm zu Kopf, als er hart beschleunigt wurde, und wich wieder zurück, als er am anderen Ende der Röhre auf das Luftkissen prallte, das die mitgerissene Preßluft mittlerweile dort aufgeschichtet hatte. Das Schott der Ausstiegsschleuse lag vor ihm. Benommen richtete er sich auf und betätigte den Öffnungsmechanismus. Jetzt kam der entscheidende Augenblick! In dieser Schleuse mündeten, aus allen möglichen Richtungen kommend, mindestens noch fünf andere Preßluftschächte. Wenn der junge Offizier rasch genug gewesen war, dann hatte er das Schiff alarmiert und Anweisung gegeben, die Schleuse so rasch wie möglich zu besetzen. Unter diesen Umständen würden hinter dem Schott bereits ein paar grimmige Ekhoniden stehen und ihn, Atlan, mit vorgehaltenen Waffen in Empfang nehmen. Das war nicht alles: Wenn es in der Schleuse keine Raumanzüge gab, dann konnte er, auch ohne vorgehaltene Waffen, ebenso gut wieder umkehren und Perry Rhodan melden, daß sein Vorhaben fehlgeschlagen war. Zu seinem Plan brauchte er einen Raumanzug. Ungeduldig und voller Erregung sah er das Schott zur Seite gleiten. Der Schleusenraum war hell erleuchtet und leer. Aber an den Wänden hingen wenigstens zwölf Raumanzüge und andere Ausrüstungsgegenstände. So schnell er konnte, streifte Atlan einen der Anzüge über. Das Innenschott der Schleuse hatte sich selbsttätig wieder geschlossen. Atlan öffnete das äußere und atmete auf. Solange das Außenschott geöffnet war, würde niemand von der Schiffsseite her die Schleuse betreten können. Er war also in Sicherheit. Niemand konnte sein Vorhaben mehr vereiteln. Er brauchte nur noch geschickt genug zu Werk gehen, dann war die Freiheit schon so gut wie gewonnen. Er überprüfte das kleine Rückstoßaggregat des Raumanzugs. Es funktionierte einwandfrei. Aus der Menge der Ausrüstungsgegenstände, die an den Wänden hingen, nahm er ein Plastikseil, dessen Länge er auf dreihundert Meter schätzte, und hakte es in den Gürtel seines Anzuges. Das andere Ende befestigte er in der dafür vorgesehenen Öse an der Innenwand der Schleuse. Dann, das Seil durch die Hand gleiten lassend, trat er hinaus. Das künstliche Schwerefeld des Schiffes entließ ihn im selben Augenblick, in dem er sich von der Schleuse abstieß. Die Beschleunigung schien die KEENIAL mit entsetzlicher Geschwindigkeit an ihm vorbeizureißen. Aber das Rückstoßaggregat arbeitete schon, der winzige Antigrav machte den Andruck erträglich, und das Seil wurde nicht über Gebühr belastet Langsam trieb Atlan an der glänzenden Wandung des Schiffes entlang, auf den Äquatorwulst zu, aus dem die weißblauen Flammen der Korpuskulartriebwerke in die Finsternis des Raums stießen. * Der schrille Lärm der Alarmsirenen erfüllte Gänge und Räume des Schiffes. Perry Rhodan hörte auf, mit den beiden Wachposten auf englisch zu schelten, und Olthaur und sein Kamerad sahen sich verwirrt an. Rhodan gab sich Mühe, seinen Triumph zu verbergen. Atlans Flucht war gelungen. Wenn sich alles weiter so entwickelte, wie sie es sich ausgedacht hatten, dann... Die Sirenen verstummten. Die Stille danach wirkte gespenstisch. Olthaur warf einen scheuen Blick auf den Gefangenen, dann retirierte er zum Interkomstand. Perry Rhodan bliebt unter der Tür stehen, Auge in Auge mit dem dritten Wachposten und der drohenden Mündung des Schockstrahlers. Olthaur führte ein kurzes, aufgeregtes Gespräch. Dann legte er den Hörer auf und verkündete mit nervöser Stimme: "Die Gefangenen sind zum Kommandostand zu bringen. Alle drei!" Wenn er gewußt hätte, wieviel Mühe Rhodan sich jetzt gab, um das Aufatmen zu verbergen, er wäre mißtrauisch geworden. So jedoch hörte er nur Rhodans formellen Protest: "Der Kranke ist nicht transportfähig!" Olthaur schien die eigene Unsicherheit zornig zu machen. "Er ist transportfähig!" schrie er wütend. "Los jetzt, und keine Einwände mehr!" Perry Rhodan verschwand in der Kabine. Unbemerkt von den Posten, warf er Reginald Bull einen aufmunternden Blick zu. Bull nickte ernst. Fellmer Lloyd war inzwischen zu Bewußtsein gekommen. Es ging ihm besser; das Medikament hatte zu wirken begonnen. Er bestand darauf, auf seinen eigenen Beinen zum Kommandostand zu gehen; aber ungeachtet seines Protestes nahmen ihn Rhodan und Bull z wischen sich und schleppten ihn hinaus. Die beiden Posten standen wachsam und schußbereit. "Dorthin!" erklärte Olthaur energisch und wies mit dem Lauf seiner Waffe den Gang entlang. * Atlan kannte dieses Schiff wie seine eigene Tasche. Der gleiche Typ ha tte unter seinem Kommando gestanden vor Jahrtausenden, als er im Larsa-System eine arkonidische Kolonie errichtete. Er wußte, in welcher Weise Düsenquerschnitt und Triebwerksleistung miteinander gekoppelt waren. Er wußte, daß es an der Außenwand des Schiffes, dicht in der Nähe der Düsen, kleine Mechanismen gab, die, von Hand betätigt, Veränderungen der Düsenquerschnitte ermöglichten. Es gab Fälle, in denen die vom Kommandostand aus bedienten Regelmechanismen versagten. Ein Schiff jedoch, das seine Düsenquer schnitte und damit die Triebwerksleistung nicht regeln konnte, war manövrierunfähig. Also gab es noch manuelle Vorrichtungen, die den Ausfall des Regelsystems zu überbrücken erlaubten. Es war nicht anders als bei den alten Autos der Terraner: Sie hatten einen elektrischen Anlasser und außerdem noch eine Handkurbel, falls der Anlasser versagte. Atlan kannte solche Fahrzeuge aus seiner Erinnerung, und er mußte in diesem Augenblick an sie denken, als er sich auf dem Äquatorwulst entlangarbeitete, den flammenden Korpuskularstrahlen entgegen, deren vorderster kaum mehr zwanzig Meter von ihm entfernt war. Vom ersten Regelmechanismus trennten ihn nur noch ein paar Schritte. Er zog am Seil. Wenn er genug davon einholte, spürte er den Widerstand, sobald es an der Öse zog. Das war gut. Er würde die Hilfe des Seils brauchen, sobald er zu arbeiten begann. Die Hilfe des Seils, das Rückstoßaggregat und den Antigrav. Denn die manuellen Regelmechanismen waren mit dem Andruck-Absorber des Schiffes nicht gekoppelt. Die KEENIAL würde anfangen zu bocken wie ein junges Pferd, wenn er die Düsenquerschnitte veränderte. * Chouar war über alle Maßen zornig; aber er hatte keine Zeit, seinen Zorn an den Gefangenen auszulassen. Perry Rhodan spürte die Unruhe, die den Kommandostand erfüllte. Einer der Gefangenen war verschwunden, auf einem ungewöhnlichen, selten begangenen Weg. Er hatte das Schiff verlassen. Um diese Sekunde trieb er sich irgendwo draußen im freien Raum herum. Warum? Wozu? Chollar hatte seine Männer auf die Suche geschickt. Die Hauptgänge der KEENIAL waren scharf bewacht. Der Gefangene würde vielleicht versuchen, durch eine der großen Schleusen wieder hereinzukommen. Die andere Hälfte der Besatzung machte sich bereit zum Aussteigen. Chollar vermo chte sich im Augenblick noch nicht vorzustellen, welchen Schaden ein einzelner, unbewaffneter Gefangener dem Schiff von draußen zufügen könne; aber er mußte mit allem rechten, selbst mit den Dingen, die er im Augenblick noch nicht durchschaute. Die drei Gefangenen standen im Hintergrund des großen Raumes, von ihren zwei Posten bewacht. Perry Rhodan hatte die Besatzung des Kommandostandes inzwischen gezählt. Mit den beiden Posten hielten sich hier siebzehn Mann auf. Das war eine unerfreulich große Übermacht. Der Augenblick würde zeigen, wie sie auf die Überraschung reagierten. Perry Rhodan hob vorsichtig den Arm. Olthaur zuckte zusammen und krümmte den Finger um den Abzug der Waffe. Aber Rhodan schüttelte freundlich lächelnd den Kopf und deutete auf seine Uhr. Er wollte nur wissen wie spät es war. Achtzehn Uhr dreiundfünfzig. In Terrania brach jetzt der Abend an. Aber das war nicht das Wichtige. Das Wichtige war, daß Atlan um achtzehn Uhr fünfundfünfzig zu handeln beginnen würde. * Atlan warf einen Blick auf die Uhr. Noch vier Sekunden. Er hielt den Hebel des kleinen Regelmechanismus mit der rechten Hand. Er hatte versucht, ihn einen Millimeter weit hin und her zu schieben: Der Hebel gehorchte willig. Es würde ihn keine Anstrengung kosten, die ersten drei Düsenquerschnitte mit einem einzigen Ruck so zu verändern, daß die Leistung des Triebwerks um vierzig Prozent sank. Er schaute nach oben oder vielmehr dorthin, wo dem Gefühl nach im Augenblick oben war. Die große Lastschleuse hatte sich noch nicht geöffnet. Bis jetzt schien noch niemand auf den Gedanken gekommen zu sein, an der Außenwand des Schiffes nach dem entflohenen Gefangenen zu suchen. Noch zwanzig Sekunden! * Da war es! Zuerst ein heftiger Ruck, der den Magen bis zum Hals hinauf preßte, und dann ein berstender Krach, als das unsymmetrisch arbeitende Triebwerk das Schiff in eine Kurve zwang. Für Chollars Männer kam es völlig überraschend. Sie wurden von ihren Plätzen geschleudert, kugelten hilflos über den Boden, schlugen sich Köpfe, Schultern und Beine an und schrien vor Schreck. Für die beiden Terraner, die es erwartet hatten, war es immer noch schlimm genug. Fellmer Lloyd wurde vom ersten Ruck zu Boden gerissen und verlor das Bewußtsein. Perry Rhodan und Reginald Bull machten einen gewaltigen Sprung mitten in das Gewühl der Stürzenden und Schreienden hinein und begannen ohne Zögern mit dem, was sie sich vorgenommen hatten. Die KEENIAL schlingerte immer noch, als Perry Rhodan die erste Waffe erbeute, einen Schockstrahler, und die vor ihm Liegenden damit bestrich. Es erschien ihm lächerlich, daß die Sache so einfach sei; aber als er sich unsicher wieder erhob und das Schaukeln des Schiffes mit biegsamen Knien auszugleichen versuchte, hatte er schon sieben von siebzehn Mann kampfunfähig gemacht. Im Hinter grund des Raumes arbeitete Reginald Bull wie ein Besessener. Mit zwei Schockwaffen gleichzeitig bestrich er die Gestürzten mit lähmenden Salven, bevor sie noch wußten, was eigentlich geschehen war. Ein Teil der Besatzung war durch schwere Stürze ohnehin schon ausgefallen. Nicht später als neunzehn Uhr zwei waren Reginald Bull und Perry Rhodan alleinige Herrscher des Kommandostandes der KEENIAL. Sie sammelten die Waffen der Bewußtlosen ein und verriegelten die Schotts, die nach draußen führten. Der Kommandostand wurde zur Festung. Dann ging Perry Rhodan zum Pilotenpult und schaltete das Triebwerk aus. Von nun an trieb die KEENIAL mit gleichbleibender Geschwindigkeit ohne Beschleunigung durch den Raum. Und für Atlan war das Erlöschen der weißglühenden Triebwerksstrahlen das Signal, daß der Anschlag gelungen sei. * Unergründliche Stille herrschte im Schiff. Offiziere hatten den Kommandost and angerufen und von Perry Rhodan selbst erfahren, was geschehen war. Sie wurden vor einem Angriff auf den Kommandostand gewarnt. Perry Rhodan machte kein Hehl daraus, daß er die bewußtlose Besatzung des Kommandostandes als Geiseln betrachtete. Die Warnung hatte Erfolg. Man ließ die Terraner unbehelligt. Atlan war durch einen Preßluftschacht, der vom Notausstieg direkt zum Kommandostand führte, zurückgekehrt Perry Rhodan hatte ihm die Hand gedrückt und kein Wort dazu gesagt. Es war keine Zeit für Worte; aber sie wußten alle, wie groß die Leistung war, die der Arkonide vollbracht hatte. Perry Rhodan machte sich daran, Sprungdaten für eine Transition zu errechnen, die das Schiff bis in einen von der terranischen Flotte kontrollierten Raumsektor brachte. Die ekhonidische Positronik machte ihm einige Schwierigkeiten. Nur langsam kam er voran. Das machte ihn ungeduldig; denn je länger die KEENIAL frei durch den Raum trieb, desto bessere Ideen bekamen die Ekhoniden, die außerhalb des Kommandostandes in den Gängen des Schiffes darauf warteten, daß der Gegner sich eine Blöße gab. Mit einem ganz bestimmten Schritt rechnete Perry Rhodan schon seit geraumer Zeit. Er war einfach zu tun und brachte niemand in Lebensgefahr. Er würde nur Perry Rhodan daran hindern, das Schi ff wieder in Bewegung zu setzen und sich mit einem weiten Hypersprung in Sicherheit zu bringen. Rhodan wunderte sich, daß noch keiner von den Ekhoniden daraufgekommen war. Sie konnten die Energiezufuhr zum Kommandostand lahmlegen. Alles, was sie dazu zu tun brauchten, war, einen Schalter umzulegen. Von diesem Augenblick an würde der Kommandostand ein toter Raum sein: Ohne Licht, ohne Heizung, ohne Luftversorgung. Nur noch ein einziges Aggregat würde funktionieren, weil es einen eigenen Generator besaß: Der Notsender. Perry Rhodan lehnte sich in seinen Sessel zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hörte, wie Reginald Bull hinter ihn trat. "Macht Arbeit, wie?" fragte er lässig. Rhodan nickte stumm. Bull sah prüfend zu den Lampen empor. "Bis jetzt sind sie noch nicht auf die Idee gekommen", murmelte er. In diesem Augenblick erlosch das Licht. Mit ihm die Bildschirme, die tausend bunten Lämpchen an den Kontrolltafeln und die roten Signale über den verriegelten Schotts. Der Kommandostand lag in tiefer Finsternis. Das Summen der Belüftung hatte aufgehört. "Man soll den Teufel nicht an die Wand malen", brummte Reginald Bull unerschüttert. Perry Rhodan stand auf. "Atlan, alles in Ordnung?" rief er in die Finsternis. Aus dem Hintergrund meldete sich die Stimme des Arkoniden. "Bis jetzt noch. Wenn aber die Gefangenen zu sich kommen, werde ich es nicht sehen können!" Das war ein völlig neuer Aspekt, mit dem Rhodan bisher nicht gerechnet hatte. Sie mußten die Bewußtlosen in einer Ecke nebeneinanderlegen, um die Aufmerksamkeit nicht zu verzetteln, und beim geringsten verdächtigen Geräusch sofort schießen. Rhodan und Bull tasteten sich durch die Finsternis. Die steifen Körper der Ekhoniden machten ihnen nicht viel Mühe. Sie legten sie an die Wand zwischen zwei verriegelten Schotts. "Halt die Ohren offen, Admiral!" mahnte Rhodan. "Und schieß nicht auf Lloyd, wenn er zu sich kommt. Er liegt in der anderen Richtung." Dann kehrte er zum Platz des Piloten zurück. Die kleine Schalttafel des Notsenders schloß sich links an das Pilotenpult an. Perry Rhodan tastete nach dem Hauptschalter, fand ihn und legte ihn um. Fünf kleine Lämpchen leuchteten auf und verbreiteten wenigstens so viel Helligkeit, daß er die Schalttafel erkennen konnte. Während er den Sender in Betrieb setzte, überlegte er, was für einen Funkspruch er aufgeben sollte. Er mußte so abgefaßt sein, daß er die Aufmerksamkeit arkonidischer Schiffe gar nicht, die der terranischen jedoch in hohem Maße erregte. Die Meldung mußte die Form einer Routinemeldung haben und der terranischen Flotte trotzdem klarmachen, daß Terraner sich in Not befanden. Nach kurzem Zögern entschied Perry Rhodan sich für den folgenden Text: LAMIRA XII RUFT YNLISS. STANDORT GOSHUN. Der Text war in arkonidischer Sprache abgefaßt. Nur der Name GOSHUN ließ sich nicht ins Arkonidische übertragen. Perry Rhodan hoffte, daß die Arkoniden, die den Spruch hörten, Goshun für den Namen irgendeines Planeten halten und sich nicht darum kümmern würden. Bestimmt wußte keiner von ihnen, daß Goshun der Name des Sees war, an dessen Ufer die irdische Hauptstadt Terrania lag. Rhodan nahm das Mikrophon auf und sprach den Text dreimal hintereinander. Er hatte die Absicht, den Ruf alle zehn Minuten zu wiederholen, so lange, bis Hilfe kam. * Die Konstellation Terra - Gray Beast -Arkon bildete ein unregelmäßiges Dreieck mit einem flachen Winkel in der Terra-Ecke und einem sehr spitzen von nur wenigen Grad bei Arkon. Die KEENIAL hatte sich von Gray Beast aus auf der längsten Seite des Dreiecks in Richtung auf Arkon bewegt. Das bedeutete, daß sie nach zwei Transitionen, also nach Zurücklegung einer Strecke von etwa zwölftausend Lichtjahren, von Terra immer noch nicht wesentlich weiter entfernt war als zum Zeitpunkt des Aufbruchs. Perry Rhodan rechnete damit, daß irdisc he Schiffe, die aus dem Terra-Sektor kamen, fünf bis sechs Stunden zur Auffindung der KEENIAL brauchen würden. Das setzte voraus, daß sie sofort nach Empfang des ersten Spruchs aufbrachen. Fünf bis sechs Stunden würden auch die Luftvorräte des isolierten Kommandostandes ausreichen. Und wenn wirklich alle Hoffnung vergebens gewesen sein sollte, dann bestand immer noch die Möglichkeit, einen echten Notruf auszusenden, auf den hin Schiffe aus allen Richtungen sofort herbeieilen würden. Das würden dann allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit arkonidische sein. Die Mannschaft der KEENIAL verhielt sich weiterhin ruhig. Fellmer Lloyd war immer noch nicht wieder zu sich gekommen. Er atmete jedoch ruhig, und Rhodan hoffte, daß, wenn er erwachte, die ekhonidischen Medikamente ihre Wirkung voll getan haben würden. Das Warten ging weiter. Plötzlich war Bewegung im Schiff. Schreie klangen auf, das Singen von Energieschüssen drang durch die Wände. Die KEENIAL begann zu zittern. Im Kommandostand waren die drei Terraner augenblicklich auf den Beinen. Schüsse und Schreie, das konnte nur bedeuten, daß die Ekhoniden diejenigen, die das Schiff zu betreten versuchten, für Feinde hielten. Feinde der Ekhoniden - das konnten nur Terraner sein! Die Gefangenen waren immer noch bewußtlos. Seitdem Perry Rhodan den ersten Funkspruch aufgegeben hatte, waren dreieinhalb Stunden vergangen. Das terranische Schiff mußte weit von der Erde entfernt gewesen sein, als es den Spruch auffing. Sonst hätte es nicht so schnell zu Hilfe kommen können. Draußen näherte sich der Lärm. Ungeduldig schritt Reginald Bull durch die Finsternis auf eines der Schotts zu Und blieb daneben stehen. Er preßte das Ohr gegen die metallene Wand und versuchte zu hören, was draußen vor sich ging. Die Geräusche waren undeutbar. Jedenfalls spielte sich auf den Decks und in den Gängen des Schiffes ein harter Kampf ab. Wer auch immer der Eindringling war, die Ekhoniden schienen ein Höchstmaß an Widerstand zu leisten. "Wir sollten das Schott öffnen", schlug Reginald Bull vor, "und die Kerle zwischen zwei Feuer bringen!" Perry Rhodan lehnte ab. Der Plan war zu riskant. "Wir warten!" entschied er. * Der Lärm des Kampfes steigerte sich. Das Schiff zitterte. Der Widerstand der ekhonidischen Besatzung schien zu brechen. Das Lärmen kam näher. Wenn Reginald Bull das Ohr gegen die Wand preßte, vernahm er undeutlich das Trappeln eiliger Füße, die draußen über die Gänge hasteten. Dann trat plötzlich Ruhe ein. Minuten vergingen. Perry Rhodan sah auf die Leuchtziffern seiner Uhr. Der Kampf um die KEENIAL hatte mehr als eine Stunde gedauert. Dann begann eines der Schotts plötzlich zu dröhnen. Atlan und Rhodan glitten auf der anderen Seite des Schotts in Deckung. Die Gefangenen waren vergessen. "Nicht öffnen!" befahl Rhodan. "Das ist eine Falle, wenn ich je eine gesehen habe!" Das Dröhnen verstummte. Perry Rhodan nutzte die Zeit, um Signale gegen das Schott zu klopfen. Er gab rhythmische Zeichen. Jeweils drei in einer Gruppe. Aber der, der draußen stand, schien nicht gewillt, de n Rhythmus zu lernen. Nach einer Weile begann er von neuem zu dröhnen. Diesmal klang es zornig und so laut, daß die drei Terraner ein paar Schritte weit zurückwichen. Die Situation war unwirklich. Sie befanden sich an Bord eines feindlichen Schiffes, in einem einzelnen Raum, abgeschnitten von allen anderen. Sie hatten einen Notruf ausgesandt und darauf gewartet, daß ein terranisches Schiff ihnen zu Hilfe komme und sie abhole. Sie hatten damit gerechnet, daß jemand von draußen gegen das Schott klopfen und rufen würde: Heh, macht auf! Statt dessen gab der dort draußen kein Wort von sich, und die Schläge, unter denen das Schott zitterte, waren viel zu kräftig, selbst für zehn menschliche Fäuste. Ein fürchterlicher Verdacht stieg in Rhodan auf. In diesem Augenblick fuhr Fellmer Lloyd hinter ihnen mit lautem Schrei in die Höhe. In der Finsternis hörten sie ihn taumelnd auf die Beine kommen und gegen die Wand stoßen. "Öffnen!" keuchte er. "Um Himmels willen, öffnet doch! Sie sprengen uns sonst in die Luft!" Wer auch immer dort draußen war, er hatte seine Gedanken an den Telepathen Fellmer Lloyd verraten. "Macht auf!" befahl Perry Rhodan knapp. "Und haltet die Waffen unten!" Klappernd und mit metallischem Klingen löste sich die Verriegelung des Schotts. Der schwere Metallflügel glitt zur Seite. Helles Licht fiel von draußen herein und zeichnete die Umrisse einer gewaltigen Gestalt, bei deren Anblick den Terranern das Blut gefror. Ein Klotz - ein würfelförmiger, schwarzer Klotz, der auf zwei mächtigen Säulenbeinen stand. Oben aus dem Klotz wuchs die haarlose Kugel des Kopfes. Die Facettenaugen schimmerten selbst im Halbdunkel, und die spitze Öffnung des dreieckigen Mundes war weit aufgerissen, als wolle sie die Terraner verschlingen. Seitwärts an dem Klotz hingen die Arme herab, dick und kräftig, in zwei lächerlich feingliedrigen Händen endend. Das Wesen war ein Druuf. * Nach den ersten Augenblicken des Schreckens erkannten sie, daß der Druuf bewaffnet war und obendrein ein kleines Sprechgerät trug, wie die Druuf es benutzten, um die Laute der humanoiden Sprachen nachzuahmen und zu empfangen. Der dreieckige Mund bewegte sich plötzlich. Es hatte nichts mit Sprechen zu tun. Die Druuf benutzten andere Körperorgane, um die Ultraschallschwingungen ihrer unverständlichen Sprache auszustrahlen. Trotzdem meldete sich das kleine Sprechgerät zur gleichen Zeit und erklärte mit unpersönlicher, mechanischer Stimme: "Wir haben Ihren Ruf gehört. Wir sind zu der Ansicht gekommen, daß Sie sich in Not befinden und wollen Ihnen helfen. Unser Schiff steht Ihnen zur Verfügung." Perry Rhodan hatte nicht lange gebraucht, um die Beherrschung wiederzufinden. Ein Druuf-Schiff war in der Nähe gewesen, als er den Notruf aussandte, ob sie das Wort Goshun verstanden hatten oder nicht - sie waren gekommen, um sich die Sache anzusehen. Sie hatten der Mannschaft der KEENIAL gegenüber keine Skrupel gezeigt. Sie hatten alles aus dem Weg geräumt, was sich ihnen entgegenstellte. Wie ein Blitz zuckte ihm ein Gedanke durch den Kopf. Die Druuf würden darauf bestehen, daß er und Atlan, Bull und Fellmer Lloyd an Bord ihres Schiffes kamen. Bei dem eigenartigen Verhältnis, das Druuf und Terraner mehr trennte, als miteinander verband, war unschwer zu erkennen, daß der Druuf sie als seine Gefangenen betrachtete. Das war nicht so schlimm, wie es auf den ersten Augenblick aussah. Trotzdem machte Perry Rhodan einen Versuch. "Wir sind Ihnen sehr dankbar", versicherte er. "Auf Ihr freundliches Angebot glauben wir jedoch verzichten zu können. Unsere eigenen Schiffe werden in wenigen Stunden hier sein." Das Sprechgerät brauchte eine Weile, um die Worte in die unhörbare Sprache des Druuf zu übertragen. Als das geschehen war, erschienen im Blickfeld des Kommandostands fünf weitere Druuf. "Ich glaube nicht", antwortete der erste Druuf unverblümt, "daß unserem Kommandanten diese Ablehnung gefallen würde. Wir bestehen darauf, daß Sie sich von nun an als unsere Gäste betrachten." Daß du dir nicht vor lauter Lügen in die Zunge beißt, dachte Perry Rhodan grimmig. Er wußte, daß es keinen anderen Ausweg mehr gab. Die Druuf waren in der Übermacht. Sie würden mit ihnen gehen müssen Sie waren auf Gray Beast vom Regen in die Traufe gekommen, und sie waren es jetzt wieder. Aus der Hand eines Gegners wanderten sie in die des anderen. Terras Spiel schien sich in einer Sackgasse verfahren zu haben - in einer galaktischen Sackgasse. Perry Rhodan hob die Hand zu einer zustimmenden Geste. "Ich bin einverstanden", erklärte er. "Wir gehen mit Ihnen!" Der Druuf wartete, bis das Gerät die Worte übersetzt hatte. Dann wandte er sich um und schritt davon. * Das Schiff war eine jener Riesenwalzen wie sie bei den Druuf die ultima ratio der Schiffsbaukunst zu sein schienen. Die Gefangenen wurden höflich, aber kühl behandelt. Man wies ihnen eine Reihe von Kabinen an und postierte vor die Türen einige Druufs als Wachen. Das Schiff, dessen Name aus einer Gruppe unaussprechlicher, wispernder Laute bestand, machte sich kurz nach der Übernahme der Gefangenen auf den Weg, wie aus mancherlei Anzeichen zu erkennen war. Perry Rhodan zweifelte nicht daran, daß die Druuf durch die Überlappungszone in der Nähe des Myrtha-Systems so schnell wie möglich auf ihre eigene Zeitebene zurückkehren würden. Leise amüsiert beobachtete Perry Rhodan die Niedergeschlagenheit seiner Gefährten, die in den Stunden seit dem Auftauchender Druuf kaum ein einziges Wort miteinander oder mit ihm gesprochen hatten. Rhodan teilte ihre Ansichten nicht. Zwar ließ sich nicht leugnen, daß sie sich in einer wesentlich unangenehmeren Lage befanden, als sie ursprünglich gehofft hatten, damals, als sie sich an Bord der KEENIAL Gedanken über ihre Freiheit machten. Aber immerhin waren sie bei den Druuf noch besser dran als auf dem Wege nach Arkon. Es gab immer noch ein wenig Hoffnung. Am Ende der Sackgasse zeigte sich ein kleiner Lichtschimmer. ENDE Es scheint, als sei mit Thoras Tod ein schwarzes Zeitalter für die Menschheit angebrochen. Perry Rhodan und mit ihm einige der wichtigsten Stützen des Solaren Imperiums gelten als tot - vergangen in den Gluten der Atomhölle von Gray Beast! Dann aber schlagen die Gravitationsmesser auf HADES an und übermitteln einen SOS-Ruf aus den HOHLEN DER DRUUF IN DEN HÖHLEN DER DRUUF ------------------------------------ This document was converted by AportisDoc PDF Converter(tm) from Aportis Technologies Corp. Visit www.aportis.com for eBook readers, free eBooks and conversion tools.